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Hören und verstehen sind mitunter ganz verschiedene Dinge

von Klaus Zebe (Erfurt)

Predigtdatum : 23.08.2015
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Gedenktag der Zerstörung Jerusalem
Textstelle : Markus 7,31-37
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Wochenspruch:
"Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen." (Jesaja 42, 3)
Psalm: 147, 3 - 6.11 - 14 a

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 29, 17 - 24
Epistel: Apostelgeschichte 9, 1 - 9.(10 - 20)
Evangelium: Markus 7, 31 - 37

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 302 Du meine Seele singe
Wochenlied: EG 289 Nun lob mein Seel den Herren
Predigtlied: EG 452 oder EG 161 Er weckt mich alle Morgen Liebster Jesu, wir sind hier
Schlusslied: EG 171 Bewahre uns Gott


Liebe Gemeinde,

an diesem Sonntag bekommen wir mal wieder eine Wun-dergeschichte aus der Bibel zu Gehör. Eine dieser wun-derlichen und gleichzeitig wunderbaren Erzählungen aus dem Leben und Wirken Jesu.

Mal ganz ehrlich: Geht das, liebe Gemeinde? Gibt´s das, dass ein gehörloser und deshalb stummer Mensch innerhalb weniger Minuten geheilt wird? Oder ist das Humbug? Hier in diesem Text, indem Jesus einem Tauben die Finger in die Ohren steckt, - „bohrt“ könnte man auch übersetzen – Spu-cke aus seinem Mund nimmt - Spucke! - und dem Sprach-losen auf die Zunge schmiert, zum Himmel blickt - Gott im Himmel, schau herab! -, seufzt, stöhnt - mit lautem Ach, mit seufzendem Oh! womöglich -, ein Zauberwort spricht – Hefata! – und der Kranke spontan gesund wird. Meinen Sie, das geht?

Damals, liebe Gemeinde waren freilich andere Zeiten. Noch gab es keinen Tag der Gehörlosen, wie in diesem Jahr am 27. September. 80.000 Gehörlose leben derzeit in Deutsch-land. Wie die wohl so eine Geschichte hören würden?

Damals, liebe Gemeinde, gab es auch noch keine Gebär-densprache, keine Schulen für Gehörlose. Damals gab es noch kein Gehörlosengeld, wie z. B. in Berlin 126,-- € monatlich, wenn man bereits vor Vollendung des 7. Le-bensjahres gehörlos war.

Damals war es für gehörlose Menschen noch viel schwerer. Wer nicht hörte konnte nicht reden und daher waren die Menschen, die nichts hörten so etwas wie die „Dorftrottel“. Einfältig, tumb oder dumm ... so jemand galt wenig mehr als ein Tier. So ein Mensch war eigentlich ohne Rechte. Dann sollten wir wissen, dass Taubstumme bis vor etwa 200 Jahren als bildungsunfähig galten. Man meinte, mit ihnen könne man prinzipiell nicht reden.

Und dieser Taubstumme? Dieser Taubstumme war wohl ir-gendein Niemand. Nicht einmal sein Name wird erwähnt.

Ich stelle ihn mir mal genauer vor: Vielleicht hatten ihn seine Eltern Sálomo genannt. Sálomo – der Friedfertige, wie der weise König Israels. Sálomo, weil er so ein ruhiges und friedliches Baby gewesen war. Ganz anders als sein älterer Bruder Oreb, der konnte kreischen. Aber Sálomo kümmerte es nicht, wenn die lauten Ochsenkarren auf der groben rö-mischen Pflasterstraße an der kleinen Lehmhütte vorbei-schepperten.

Einen eigenen Willen schien er nie zu haben, der Friedliche. Wenn die Hunde ihn anbellten, lächelte er. Wenn Vater schimpfte, drehte er sich weg und verzog keine Miene. Wenn sein Bruder ihm wieder mal ins Ohr brüllte, starrte Sálomo nur stur ins Leere. Doch auch er wurde größer, er wurde erwachsen aber er blieb ruhig, friedlich und in sich gekehrt. Niemand drang zu ihm durch. Nur manchmal, wenn die Menschen um ihn herum es allzu arg mit ihm trieben, wurde er wütend. Dann schlug er um sich, brüllte und schrie ... nur Urlaute, wie die eines Tieres kamen aus seiner Kehle. Das machte den Menschen Angst und wie so vieles, dass die wiederum machte aggressiv. Sie warfen mit Steinen nach ihm, wie nach einem Hund den man davon jagen will. Sálomo kannte es nicht anders. Sie würden sich wieder beruhigen, wenn er sie nur lange genug mied.

Dann hörte seine Familie von einem Jesus, einem Heiler, der durch die Lande zog. „Na schlimmer kann es wohl nicht werden!“ haben sie sich gesagt. Also schleppten sie ihn zu ihm. Sálomo wehrte sich, brüllte und strampelte, bis sie zu Jesus kamen. „Kannst Du ihm nicht helfen? Lege ihm die Hand auf!“ Jesus tat mehr als das. Er bohrte ihm die Finger in die Ohren, nahm Spucke aus seinem Mund und schmierte sie dem Sprachlosen auf die Zunge, dann blickte er zum Himmel: „Gott im Himmel, schau herab!“, Jesus seufzte und stöhnte - mit lautem Ach und Oh -, dann sprach er ein Zauberwort „Hefata!“ und spontan wird der Kranke gesund.
Sálomo, der Friedliche, hört! Er hört das Zwitschern von Vö-geln, hört den Wind in den Blättern. Er hört den Krach der Meute, die ihn zu Jesus geschleppt hat - und er hört Jesus selbst.

Welch ein Kontrast! Wie muss das sein? Immer nur Stille. Nie ein einziges Wort, kein liebes, kein böses, kein trau-riges, kein lustiges - nur Stille. Kein Flüstern, kein Pauken-schlag, nichts.

Wie muss das sein? Nie das richtige Wort parat zu haben? Nie einen Wunsch äußern zu können? Ausschließlich mit Händen und Füßen zu kommunizieren. Immer auf das Wohl-wollen der Mitmenschen angewiesen zu sein?

Dann atmet Sálomo tief ein, öffnet den Mund und lässt Luft durch die Stimmbänder strömen. Zum ersten Mal bringt er sie bewusst zum Schwingen. Jetzt hört er seine Stimme. Hört zum ersten Mal wie er klingt. Hört und sagt seine ers-ten Worte. Unglaublich ... wunderbar.

Da ist einer krank, und es wird um Heilung gebeten. Heilung soll, wie damals üblich, ein Heiler bringen. Der Erfolg wird festgestellt und das Publikum lobt den Heiler. Hier ist nicht die Rede davon, dass dies ein Zeichen sei. Keine Rede da-von, dass Gott gewirkt habe, keine Rede von Glaube und Vertrauen, keine Rede von der Liebe Jesu zu Kranken und Sündern.

Hier ist einer krank und wird geheilt. Das war es auch schon. Wie sollen wir diese Wundergeschichte verstehen? Sollte diese Geschichte überhaupt irgendwie gedeutet werden?

Ein Pfarrer meinte dazu, er wolle dem geheilten Taubstum-men sein Wunder lassen. Er sagt: „Ich will diesem einen die Geschichte lassen. Es ist sein persönliches Wunder. Seine Geschichte mit Jesus.“

Damit wäre die erste Predigt hier zu Ende. Wir könnten uns über unsere Geschichten unterhalten, unsere Wunderge-schichten mit Jesus.

Doch für mich lädt die Geschichte auch dazu ein, sie noch tiefer zu verstehen. Sie in unsere Zeit und unsere Wirklich-keit zu ziehen und zu übertragen. Sie in die Zeit hineinzu-nehmen, in der es Gebärdensprache, Gehörlosentage, Hör-geräte und vieles mehr lange gibt. Nehmen wir die Ge-schichte mal mit in unsere Zeit, in der taube Ohren die-jenigen haben, die in der Regel eigentlich recht gut zu hören meinen.

Ich kenne das ja, wie ich allzu oft Worte ungehört durch meinen Kopf hindurch lasse. Ich erwische mich dabei, wie ich Worte spreche, die ich selbst zwar hören kann, aber doch nicht verstehe oder ernst nehme.

Wie wäre es da wenn Jesus uns in den Ohren herumbohren würde? Uns die Gehörgänge mal frei machen würde? Weg mit Floskeln und unausgesetztem Gelabere auf allen Kanälen! Weg mit den Allgemeinplätzen und dem pseudo-neutralen Schwänken! Weg mit all dem Wust, der uns die Ohren verstopft und die Gedanken vernebelt!

Jesus geht nah an diesen Fremden heran, den irgendwelche Menschen zu ihm schleppen. Er macht keine Show daraus. Er zerrt ihn nicht ist Rampenlicht, damit alles es sehen können. Ja er verbietet sogar davon zu berichten. Einzig seine Nähe, die unmittelbare Berührung mit Speichel aus dem Mund, Fingern in den Ohren.

„Bäh!“, denken jetzt vielleicht einige. Ja, aber das ist ein Zeichen von absoluter Nähe zu einem dem niemand Nahe sein wollte und konnte. Genau dadurch wird dem Taubstum-men etwas Erlösendes zuteil. Wenn einem jemand so nahe kommt, kann das aufwecken und befreien.
Er wagt sich zu sprechen. So gelesen kommen wir selbst genau an dieser Stelle in der Geschichte vor. An dieser Stel-le können wir darüber nachdenken, wo und wann wir solche Nähe suchen und aushalten und wo wir lieber die Ohren verschließen, um nicht mehr hinzuhören.

Und wir können wahrnehmen, wann wir uns auf die Zunge beißen, den Mund nicht mehr aufmachen, Worte herunter-schlucken, die gesagt werden müssten.

So können auch Sie und ich, die wir nicht gehörlos sind, sich in diese Geschichte hineinlesen und uns das Evangelium in ihr zusprechen lassen:

„Die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen reden.“

Jesus tut dann eigentlich kein Wunder, sondern versetzt den Menschen in seinen ursprünglichen Zustand. Er zeigt uns unsere Bestimmung, wenn Sie so wollen, den Sinn unserer Existenz. Dazu in der Lage versetzt zu werden, ist in diesem Fall die Heilung.

Sich zu öffnen und wieder wahrzunehmen und zu erleben, was um uns herum geschieht. Hören als ob es das erste Mal wäre: Vogelzwitschern, den Wind in den Blättern und auch den Krach der Meute. Dazu reden, wie an dem Tage, als ich zum ersten Mal meine Stimme erhob und jedes verständ-liche Wort ein großer Schatz war.

„Hefata - Tu dich auf!“ sagt Jesus.

Wissenschaftlich betrachtet ist und bleibt diese Geschichte wohl Unsinn, aber die Wissenschaft liefert in Fragen der Be-stimmung des Menschen auch kaum Antworten.

Mal ganz ehrlich ... Geht das, liebe Gemeinde? – Das fragt die Vernunft in mir, und macht mir schnell die Ohren taub. Nein, das gibt es nicht! Alles nur Quatsch, höre ich mich sa-gen, ohne dass ich überhaupt darüber nachdenke.

„Hefata - Tu dich auf!“ sagt Jesus.

Ich kann mich öffnen und die Geschichte an mich heran las-sen, damit sie ihre Wirkung zeigen kann. Um diese Ge-schichte wirklich zu verstehen, brauchen wir mehr als nur gesunde Ohren. Um diese Geschichte zu erklären, fehlen noch die richtigen Worte. Die Vernunft, die Wissenschaft und die Erfahrungen sprechen dagegen. Diese Horizonte scheinen zu eng, um dieses Wunder fassen zu können.

„Hefata - Tu dich auf!“ sagt Jesus.

„Die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen reden.“

Amen.

Tagesgebet
Barmherziger Gott, schenke uns nicht nur offene Ohren, sondern öffne unsere Herzen für dein Wort und deinen Geist.
Gott, du bist Medizin für unsere Seelen,
heile was uns schmerzt.
„Heile auch die Wunden,
die wir anderen zugefügt haben.
Dein Wille geschehe in Ewigkeit.“
(Evangelisches Gottesdienstbuch, S.372)


Fürbitte
Ach Gott, tu auf unser Leben,
bewahre Gesunde und Kranke,
Einsame und Überlastete.
Ach Gott, tu auf unser Leben,
bewahre Menschen die taub geworden sind und auch jenem die den Mund nicht mehr aufmachen.
Ach Gott, tu auf unser Leben,
segne unser Tun und Lassen,
segne unser Reden, unser Schweigen
und vor allem unser Hören,
in uns hinein und auf dich.
In der Stille sagen wir Dir, was jeden von uns bewegt …
[Stille]

Gemeinsam beten wir:
Vater unser


Verfasser: Pfarrer Klaus Zebe
Lange Brücke 33, 99084 Erfurt

Herausgegeben vom

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