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Im Danken Gott finden

von Barbara Alt (35423 Lich)

Predigtdatum : 13.09.2020
Lesereihe : II
Predigttag im Kirchenjahr : 14. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Lukas 19,1-10
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Wochenspruch: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. (Psalm 103,2)

Psalm: 146

Predigtreihen

Reihe I: 1. Mose 28,10-19a(19b-22)
Reihe II: Lukas 19,1-10
Reihe III: 1. Thessalonicher 5,14-24
Reihe IV: Jesaja 12,1-6
Reihe V: Lukas 17,11-19
Reihe VI: Römer 8,14-17

Liedvorschläge

Eingangslied: EG+ 97, 1-4 Solang wir Atem holen
Wochenlied: EG  303, 1+3+8 Lobe den Herren, o meine Seele
Predigtlied: EG+ 75, 1-3 Wo Menschen sich vergessen
Schlusslied: EG  590, 1-3 Herr, wir bitten, komm und segne uns

Predigttext Lukas 19,1-10

Zachäus

1 Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch.
2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich.
3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt.
4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.
5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.
6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.
7 Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.
8 Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.
9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil wi-derfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams.
10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

Liebe Gemeinde,

ob ihn wohl jemand nicht kennt, den Oberzöllner Zachäus auf dem Maulbeerbaum? Ich glaube, auch nicht ganz bibelfeste Konfirmand*innen haben seine Geschichte irgendwann einmal gehört, gemalt oder sogar gespielt …

Wir wissen also ziemlich genau, worum es hier geht: Jesus zeigt seine typische Vorliebe für Außenseiter der Gesellschaft. Er entdeckt sie an den unmöglichsten Stellen, sogar hoch oben zwischen grünen Blättern und das Ende vom Lied ist ein Festgelage mit gutem Essen und Trinken. Aus Dankbarkeit ausgerichtet von einem, der auf einmal sein Leben neu be-ginnt, weil sich die Voraussetzungen geändert haben.
Das reißt keinen so richtig von der Kirchenbank, oder? Ziemlich schnell kommen wir der missgünstigen Stimmung der Gegner Jesu nahe, denen für sein Verhalten wieder einmal völlig das Verständnis fehlt. Vielleicht spielen wir noch in Ge-danken durch, bei wem Jesus sich heute einladen müsste, damit wir entrüstet wären: Bei einem prominenten Steuer-flüchtling, einem osteuropäischen Bordellbesitzer, bei einem rücksichtslosen Spötter über die Kirche. Wir würden doch dann im Ernst nicht glauben, dass so jemand von jetzt auf gleich ein edler Mensch wird?

Zu schade, dass wir diesen Zachäus nicht vor ein Mikrophon oder eine Kamera holen können, um ihn genauer in Augen-schein zu nehmen. Um ihm ein paar peinliche Fragen zu stel-len und das ganze schließlich auf YouTube zu veröffentlichen. Man stelle ihn sich vor in einer Late-Night-Talkrunde bei Markus Lanz, etwa zum Thema „Was mein Leben verändert hat“. Und er würde – tatsächlich nur 1,60 m groß! – einfach erzählen … Ich höre ihn schon, wie er sich räuspert, den Sessel zurechtrückt:

„Also – ich glaube, um zu verstehen, was damals geschah, muss man sich in die Lage von jemandem versetzen, der immer für alles zu klein geraten war, der mit 12 Jahren noch auf kein großes 26er Fahrrad passte, der bei Handball oder Volleyball völlig chancenlos war und der es im heiratsfähigen Alter nicht wagte, um die Hand eines schlanken, hochgewachsenen Mädchens anzuhalten. Ein Mädchen, das er nur mit verstohlenen Blicken verfolgte, seit es bei seinem Anblick mit den Freundinnen kichernd im Haus verschwunden war … Ich habe meinen mickrigen, zurückgebliebenen Körper gehasst, denn er hat mich zum Sonderling gemacht, zum Gespött aller. „Na Kleiner?‘ – Ich habe vor Wut gekocht, wenn mir jemand so kam, aber machen konnte ich dagegen nichts! Ich schwor mir, dass ich es denen noch zeigen würde! Diese Dummköpfe sollten mit mir rechnen müssen!“

Zwischenfrage des Moderators: „Rechnen – das ist treffend gesagt: Wer an ihrer Zollstation in Jericho vorbei musste, um Waren einzuführen oder herauszubringen, konnte sich aus-rechnen, ob das Geschäft überhaupt lohnte. Sie waren berüchtigt dafür, dass Sie kräftig zugelangt haben. Niemand war auf Sie gut zu sprechen!“

Zachäus bekennt: „Das war mir ziemlich egal damals. Es kam nicht darauf an, weswegen man mich verachtete; wegen meiner 1,60 m oder wegen der Prozente Aufschlag auf den Zoll, den die Römer von mir als Zollpächter bekamen. Außer-dem dachte ich mir: „Dir schenkt keiner etwas im Leben, also brauchst du auch nicht den Wohltäter zu spielen. Der Mensch muss schließlich von etwas leben.‘ Das bisschen Luxus, das ich mir gönnte, war ohnehin kein Ersatz für ein glückliches Familienleben, Freunde und gesellschaftliche Anerkennung. Was hatte ich denn schon neben meiner Arbeit? Die Römer hatten doch in Wahrheit auch nichts für mich übrig; für die war ich ein Handlanger … und die anderen Zollpächter? Naja, reden wir nicht drüber. Und meine Ehe? Keine Liebesheirat – wer nimmt schon freiwillig einen wie mich? Das war mehr eine geschäftliche Angelegenheit …“

Der Talkmaster verständnisvoll zugewandt: „Aber dann kam eines Tages die Wende!“
Zachäus nickt: „Ja, wissen Sie, von diesem Jesus aus Nazareth wurde manches erzählt: Ein Kollege vom Zoll hat einfach alles stehen und liegen lassen und ist mit ihm umhergezogen. Arme, Kranke, viele Frauen folgten ihm auf Schritt und Tritt. „Wenn die sich nur nicht die Flügel verbrennen wie Motten, die sich vom Licht angezogen fühlen“, habe ich mir gedacht. Da macht der ihnen mit seinen schönen Reden und ein bisschen Heilungsspektakel große Hoffnungen – und was bleibt ihnen am Ende? Doch nur ihr armseliger Alltag. Aber sehen wollte ich ihn trotzdem gerne mal! Der musste ja irgendwie eine Ausstrahlung haben – oder etwas gefährlich Verführerisches, wie seine Gegner sagten … Als bekannt wurde, dass er durch Jericho käme, bin ich natürlich losge-rannt. Ein Menschenauflauf war in der Stadt, als käme der Landesfürst höchstpersönlich! Ich hatte keine Chance nach vorne durchzukommen. Die machten richtig die Reihen dicht, wenn sie mich sahen. Finstere Blicke über mich hinweg, durch mich hindurch, wie immer. Da hatte ich die Idee mit dem Maulbeerbaum! Ich war von meinem Wohlstand noch nicht zu behäbig geworden, um auf den Baum zu klettern, obwohl ich ganz schön geschnauft habe, als ich endlich oben saß. Mein Aussichtsposten war nicht schlecht: Ich beobachtete, wie Jesus näher kam, mit den Menschen redete. Ziemlich genau unter dem Baum blieb er stehen. Ich wagte kaum zu atmen. Er wandte den Kopf, sah suchend um sich und dann – mir stockte das Herz! – nach oben; direkt in die Augen schaute er mir und sprach mich dann mit Namen an. In mir überstürzte sich alles: Woher wusste er, wer ich war? Wie hatte er mich entdeckt? Irgendwie bekam ich nur mit, ich solle vom Baum herunterkommen, er wolle in mein Haus einkehren. So etwas hatte noch keiner zu mir gesagt … Ich weiß gar nicht mehr, wie ich so schnell von meinem Ast kam. Ich bin zu meinem Haus gelaufen, habe mich dauernd herum-gedreht, ob Jesus auch wirklich mitging – er ging, seine Jün-ger folgten und eine Menge Schaulustiger. Es war wie in einem verrückten Traum!“

„Klingt beeindruckend, wie Sie das erzählen, wie in der Bibel“, schaltet sich der Moderator ein, „aber weshalb hat dieses Erlebnis solche Folgen für Ihr Leben gehabt?“

„Lassen Sie es mich den Zuschauerinnen und Zuschauern erklären“, fährt Zachäus fort: „Ich habe ja genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken … Jesus war der erste, der mich wirklich wahrgenommen hat, für den ich nicht Luft oder der Allerletzte war. Für ihn war ich einfach Zachäus, ein Mensch, ein Mitmensch; da spielte weder meine Gestalt, noch mein Beruf zunächst eine Rolle. Er hatte erkannt, wer ich sein wollte; nämlich jemand, der nach dem Guten, nach dem Wesentlichen im Leben sucht, der Liebe und Anerkennung braucht, um zeigen zu können, was in ihm steckt. Es war eine unglaubliche Befreiung für mich. Mit einem Mal verstand ich, warum Jesus so viele Menschen anzog: Er sah sie mit an-deren Augen, so wie sie von Gott gemeint waren. Ich will hier keine Predigt halten, aber darin bestand die frohe Botschaft: Gott kennt und liebt dich – ohne Vorbehalt. Du brauchst dich nicht zu verstellen, nichts Besonderes vorweisen. Lebe ein-fach als sein Kind!“

„Sie haben dann ohne Aufforderung, völlig freiwillig, die Hälfte Ihres Besitzes den Armen gegeben. Und Sie haben  allen, die Sie übervorteilt hatten, in einem Maße Wiedergutmachung zukommen lassen, wie es von Gesetzes wegen nicht nötig gewesen wäre“ – dem Talkmaster läuft die Sendezeit davon, es muss zur Sache gehen …

„Richtig“, antwortet Zachäus. „Mir erschien es zu diesem Zeitpunkt ganz unwichtig, ob ich viel oder wenig besaß. Ich wurde innerlich davon unabhängig. Zumal es Menschen gab, denen mein Geld half zu überleben. Jesus hat völlig zutreffend gesagt: ‚Heute ist diesem Hause Heil widerfahren.‘ Ich war wie geheilt von allen Kränkungen zuvor. Ich brauchte mich nicht länger durch Gemeinheit zu rächen.

Zu meinem Erstaunen war meine Frau zutiefst einverstanden mit dem, was ich tat. Sie gab sich als Anhängerin Jesu zu erkennen und war froh, dies nun offen zeigen zu dürfen. Wir sind uns seitdem so nahegekommen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.“

„Märchenhaft“, sagt der Moderator fast neiderfüllt. „Aber haben Sie denn die Veränderung Ihres Lebens durchgehalten? Oder wurden Sie als Oberzöllner rückfällig?“

„Es war natürlich nicht immer einfach“, gibt Zachäus zu. „Ich habe ständig neu entscheiden müssen, was ich verantworten kann. An ein Aussteigen aus dem Beruf war nicht zu denken. Da hing schließlich die ganze Existenz dran. Ich bemühte mich, so gerecht wie möglich zu sein. Gegenüber meinen Mitbürgern in Jericho hat mir das nur bedingt genützt. Einmal Zöllner bleibt eben immer Zöllner – und mit denen hat man keinen Umgang. Ich kann ihnen diese Unversöhnlichkeit heute nachsehen. Unter den Anhängern von Jesus habe ich allerdings nach und nach Freunde gefunden. Die gemeinsamen Erfahrungen verbinden, besonders, seit Jesus nicht mehr leibhaftig unter uns ist.“

„Ja, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer“, ergänzt der Moderator, „bei uns ist Jesus auch nicht leibhaftig anwesend. Vielleicht fällt es uns deshalb oft so schwer, ihm einen befreienden, verändernden Einfluss auf unser Leben zuzutrauen. Aber: Was spricht dagegen, uns von ihm hinter unseren Mauern und Zäunen, bei der Arbeit oder in der Frei-zeit oder im Urlaub im Geiste rufen zu lassen: „Ich will heute bei dir zu Gast sein.“ Der Blick, mit dem er uns ansieht, könnte uns Mut machen zu einer ungeschminkten Selbst-erkenntnis – und die ist bekanntlich immer noch der erste Schritt zur Besserung …“

Liebe Gemeinde – an dieser Stelle schalte ich die fantasierte Talkshow aus, bevor jemand die Fernbedienung sucht, um einen anderen Sender zu wählen …

Zachäus kann uns viel erzählen, ein Talkmaster ein schönes Schlusswort finden. Was an der biblischen Geschichte wahr ist, erfahren wir dann am eindrücklichsten, wenn wir einander ansehen. Wir müssen es mit den Augen Jesu tun, um einander in unserer je eigenen Verlorenheit zu suchen und daraus zu befreien. Denn verloren zu sein, ist keineswegs nur ein Zeichen von Außenseitern. Auch wer sich selbst verloren hat oder sich noch nicht gefunden hat, darf nach Gottes Willen auf Rettung hoffen.
Amen

Verfasserin: Dekanin Barbara Alt, Ludwigsburg 1, 35423 Lich


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