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In Gottes Schuld

von Peter Kristen (63546 Hammersbach)

Predigtdatum : 31.10.1999
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 21. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Matthäus 18,15-20
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Wochenspruch:

Bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte. (Psalm 130,4)

Psalm: 143,1-10 (EG 755)

Lesungen

Altes Testament:
Micha 6,6-8
Epistel:
Philipper 1,3-11
Evangelium:
Matthäus, 18,21-35

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 452
Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied:
EG 404
Herr Jesu, Gnadensonne
Predigtlied:
EG 246
oder EG 563
Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ
Wo zwei oder drei
Schlußlied:
EG 562
Segne und behüte

Hinführung
Der älteste erkennbare Kern dieses sich nur bei Mt findenden Stückes ist ein Wort aus dem Spruchevangelium Q (Mt 18, 15,21 par. Lk 17,3f). In Q folgte darauf Lk 17,4 (par Mt 18, 21f), so daß der Text hieß:
“Wenn dein Brüder sündigt, halte ihm seine Sünde vor und (wenn er auf dich hört. vergib ihm Und) wenn er siebenmal am Tag gegen dich sündigen sollte, vergib ihm auch siebenmal.”
Thema ist das Verhalten von und gegenüber Gemeindegliedern, die sich Sünden vorhalten und zur Umkehr auffordern (so die Bedeutung des griechischen Verbs, das im Luthertext mit “zurechtweisen” wiedergegeben ist).
Schon hier begegnet die Grundempfehlung, mit dem zu sprechen, der im Begriff ist, sich von Gott zu entfremden (zu “sündigen”), und nicht mit anderen über ihn (oder sie).
Bei Matthäus ist dieser Kern (wohl mit 5. Mose 19,15 im Hintergrund) zur Verfahrensanweisung ausgearbeitet, die in Vers 18 das auf die ganze Gemeinde überträgt, was in Mt 16,19 noch Petrus vorbehalten war, die Sündenvergebung.
Menschen, die einander Sünden vergeben und Buße tun (von ihrem falschen Weg umkehren), entsprechen darin dem Willen Gottes, wie das auf den vorgeschlagenen Predigttext folgende Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Evangelium des Sonntags) verdeutlicht.
Zwei oder drei, die sich über das, was sie von Gott erbitten wollen einig sind (und eben nicht zerstritten), erhalten die bekannte Zusage in Vers 20, die heute (zurecht?) viele über sinkende Zahlen von GottesdienstbesucherInnen Enttäuschte tröstet.
In diesem Jahr fällt das Reformationsfest auf den 22. Sonntag nach Trinitatis, sodaß dieser Gottesdienst auch einen “Kasus” hat. Es bietet sich an, daß Stichwort Vergebung auch in bezug auf Martin Luthers Kampf gegen die Ablaßpraxis seiner Zeit zu sehen, die letztlich zur Reformation geführt hat.

Liebe Gemeinde,
wenn es in einer “lieben Gemeinde” Streit gibt, dann tut das oft besonders weh.
“Aber gerade in der Kirche”, sagen manche, “darf es so etwas noch nicht geben! Sollen Christen einander denn nicht lieben, statt miteinander zu streiten? Gerade in der Kirche muß doch Streit und Ärger vermieden werden, damit die Kirche ein Vorbild für alle ist.”
Tatsächlich gibt es aber auch in der Kirche eine Menge Streit.
Streit um die Gottesdienstzeiten, um das Abendmahl, um die Jugendgruppe, die zu laut und die Stimme des Pfarrers, die zu leise ist, um das Kuchenbuffet beim Gemeindefest und natürlich um das Geld.
Das, was weh tut am Streit, ist aber oft gar nicht die Sache, um die gestritten wird, sondern die Art und Weise wie gestritten wird.
“Haben Sie schon gehört, der hat doch tatsächlich ...”
“Ich will ja nichts sagen, aber wenn das stimmt, daß die Frau ... Na, das ist doch eine Sünde, oder? Das kann man doch so nicht hinnehmen!”
Streit tut dann weh, wenn nicht mit dem gesprochen wird, der vielleicht etwas falsch gemacht hat, sondern über ihn. Das Hintenherum erfreut sich großer Beliebtheit. Wer traut sich schon, dem scheinbar Schuldigen ins Gesicht zu sagen, was er zu bemängeln hat?
Denken Sie nicht, daß das erst in unseren Tagen so ist und daß die ersten Gemeinden damals im 1. Jahrhundert wirklich nur in Harmonie miteinander lebten! Im Gegenteil, sie sind gewachsen auch an ihrem Streit. In der Auseinandersetzung über die Wahrheit, über Sünde und Gerechtigkeit, ist die Kirche ihren Weg gegangen.
Schon bevor es die Evangelien gab, überlieferten Nachfolger Jesu ein Wort, das jetzt am Anfang unseres heutigen Predigttextes steht: “Sündigt dein Bruder an Dir, so geh hin und weise ihn zurecht, zwischen dir und ihm allein, und wenn er auf dich hört, vergib ihm.”
Der Evangelist Matthäus hat dieses alte Wort in sein Evangelium aufgenommen und zu einer Art Anweisung zum sinnvollen Streit in der Gemeinde ausgearbeitet.
Ich lese uns den Predigttext für den heutigen Sonntag:
15 Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. 16 Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. 17 Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner. 18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein. 19 Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. 20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Da hat also ein Gemeindeglied etwas zu bemängeln an einem anderen. Sünde nennt er es. Warum geht den das eigentlich etwas an, werden Sie sich vielleicht fragen. Kann nicht jeder nach seiner eigenen Fasson selig werden? Nein!, ist die Antwort.
Sünde, das ist ein Zustand des Getrenntseins von Gott. Wer sündigt, entfremdet und entfernt sich von Gott, und deshalb ist nicht nur der Einzelne, sondern auch die ganze Gemeinde darauf angewiesen, den Kurs zu korrigieren und den richtigen Weg zu gehen, den Weg zu Gott hin.
Tja, und wer sich dann auch nicht durch zwei Zeugen, ja nicht einmal durch die ganze Gemeinde hat überzeugen lassen, der fliegt raus.
“Er sei euch wie ein Heide, einer, der einem fremden Volk angehört oder wie ein Zöllner, einer der mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeitet und mit allen möglichen fremden Leuten in Kontakt kommt und deshalb als unrein gilt.” Mit dem sollt ihr nichts mehr zu tun haben, so würden wir es heute sagen.
Hier spüren wir ganz deutlich, daß unser Text noch eine viel kleinere, selbständige Gemeinde im Blick hat. Heute, in unserer Kirche, mit einer Verwaltung mit Ausschüssen und Synoden und mit einer großen Pluralität der Meinungen, wird sich der Einzelne eher wenig für das Fehlverhalten eines anderen Einzelnen interessieren.
Wer etwas zu bemängeln hat, tritt für viel öfter selbst aus der Kirche aus, als daß er ausgeschlossen wird. Einen echten Rausschmiß gibt es in unserer Kirche höchst selten.
Einen ganz prominenten Rausschmiß hat es in der Geschichte aber schon gegeben.
Der Mönch und Professor für Theologie Martin Luther hatte im Jahre 1517 auch etwas zu bemängeln, von denen er meinte, daß es eine Sünde sei, eine Entfremdung von Gott: Ein gewisser Johann Tetzel und andere predigten in seiner Heimat den Ablaß. Durch den Kauf von sogenannten Ablaßbriefen konnten sich die Sünder von einer möglichen Strafe Gottes für begangene Sünden befreien.
Da die Menschen zur Zeit Luthers in großer Angst lebten, fanden dieser Ablaßbriefe, die die Bußleistung für eine Sünde ersetzen sollten, großen Absatz. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für schon Verstorbene konnte Ablaß gekauft werden. Luther sah den Sinn der Buße, der Umkehr zum rechten Weges Gottes, völlig verfehlt.
Die 27. der 95 Thesen, die er am 31. Oktober 1517 an die Schloßkirche im Wittenberg anschlug, heißt darum: “Menschentand predigen die, die sagen, sobald der in den Kasten geworfenen Groschen klinge, die Seele aus dem Fegefeuer emporfliege.”
Was Luther dagegen als wichtig ansah, stellte er als 1. These seinem Anschlag an der Kirchentür voraus: “Unser Herr und Meister Jesus Christus wollte mit seinem Wort “Tut Buße”, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.
Was folgte, war nicht die erhoffte wissenschaftliche Diskussion an der Universität Wittenberg, sondern ein Streit mit den Vertretern Roms. Schließlich wurde Luther, als habe seine Kirche damals das Wort aus unserem heutigen Predigttext angewendet, aus seiner Kirche ausgeschlossen.
“Wenn er nicht auf die Kirche hört, so sei er für euch wie eine Heide oder Zöllner.”
Wir Evangelischen verdanken diesem Streit in der Zeit Luthers die theologischen Schwerpunkte unserer Kirche.
Es ist gut, sich am heutigen Reformationstag noch einmal an Luthers Wort zu erinnern, nach dem unser ganzes Leben eine Buße sein soll, das Leben der Einzelnen, aber auch das der ganzen Kirche. Das ganze Leben sei dieses Nebeneinander von Sünde und Zurechtweisung, von Streit, Buße und Vergebung.
Was die Bibel Buße nennt, das kann heute am besten mit dem Wort “Umkehr” bezeichnet werden. Die Sprache des Alten Testaments kennt für das Wort Buße und das Wort Antwort nur ein einziges Wort. “Teschuwe” heißt es.
Buße - das ist also das Umkehren nach einer Sünde. Buße, das heißt einen anderen Weg einschlagen, denselben Fehler möglichst nicht noch einmal machen. Umkehr, das ist eine neue Antwort auf alte Fragen.
Luthers Antwort auf die Frage nach der Buße war eine solche richtungweisende Antwort, die große Wirkungen hatte bis hinein in unsere Tage. Wenn Luther Recht hatte und unser ganzes Leben Buße sein soll, Umkehr und die Suche nach neuen Antworten auf alte Fragen, dann sollten wir vielleicht auch den oft ärgerlichen Streit, den es überall gibt, nicht gar so negativ und verbissen sehen. Nicht den Streit zwischen Ehepartnern, nicht den in den Familien und auch nicht den in Gemeinden.
Eine Auseinandersetzung um der Sache willen ist vielmehr der ganz normalen Wege zur Umkehr, zu neuen Antworten auf alte Fragen.
Aber warum machen wir uns eigentlich die ganze Mühe, warum kann nicht einfach alles beim Alten bleiben, warum können wir uns den Streit um die Umkehr nicht sparen? Nun, darauf gibt der heutige Predigttext eine Antwort: Weil Gott denen, die sich die Mühe machen, Sünde von Wohltat zu unterscheiden, die bereit sind, Schuld einzugestehen und umzukehren, die sich um Einigkeit bemühen, weil Gott all denen nicht weniger versprochen hat, als ihre Bitten zu erfüllen und bei ihnen zu sein.
Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum Sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Sicher, streiten tut oft weh.
Es kostet Kraft und führt nicht immer zu einem guten Ende. Sich-Einigsein gibt es aber selten ohne Streit, ohne die Bereitschaft zu Diskussion und Auseinandersetzung.
Gott selbst hält den Weg der Buße, der Umkehr für alle offen.
Aus dieser Umkehr entstehen dann die neuen Antworten auf die alten Fragen, die unsere Kirche lebendig halten.
Gott verspricht, denen nahe zu sein, die sich an einem solchen fruchtbaren Streit beteiligen. Ein solcher fruchtbringender Streit fängt damit an, daß ich mit dem Anderen rede, nicht über ihn, daß ich den Mut finde, das spannende Miteinander dem Hintenherum vorzuziehen.
Wer sich am Streit um Wahrheit und Sünde engagiert beteiligt, darf dann auch die Verheißung Gottes für sich in Anspruch nehmen:
“Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.” Amen.

Verfasser: Pfr. Dr. Peter Kristen, Am Katzengraben 11, 63546 Hammersbach

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