Wochenspruch: "Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen." (2. Korinther 13,13)
Psalm: 113 – EG 745
Reihe I: 2. Korinther 13,11-13
Reihe II: 4. Mose 6,22-27
Reihe III: Johannes 3,1-8(9-13)
Reihe IV: Römer 11,(32)33-36
Reihe V: Jesaja 6,1-8(9-13)
Reihe VI: Epheser 1,3-14
Eingangslied: EG 445 Gott des Himmels und der Erden
Wochenlied: EG 140 Brunn alles Heils, dich ehren wir
Predigtlied: EG 331 Großer Gott, wir loben dich
Schlusslied: EG 171 Bewahre uns Gott
1 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. 2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. 3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! 4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. 5 Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. 6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, 7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. 8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!
(9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht! 10 Verfette das Herz dieses Volks und ihre Ohren verschließe und ihre Augen verklebe, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen. 11 Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. 12 Denn der HERR wird die Menschen weit wegführen, sodass das Land sehr verlassen sein wird. 13 Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals kahl gefressen werden, doch wie bei einer Terebinthe oder Eiche, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.)
Die Zeit der Abfassung dieser Predigt Anfang März 2023 war stark geprägt durch den Krieg in der Ukraine. Der Kontext des Jesajabuches legt manche Analogie nah: Eine Großmacht - nämlich: das assyrische Reich - bedrängt kleinere Staaten; Jesaja spricht über Rüstungs- und Bündnispolitik (Jes 2,7; 30,1f) und über rücksichtslose Geschäftemacherei (5,8ff). Die Predigt nimmt in ihrem Aufbau das Trishagion („dreimal heilig“; 6,3) als Ausgangspunkt, ohne die Feier der Dreieinigkeit explizit anzusprechen – das kann, wenn gewünscht, an anderer Stelle des Gottesdienstes geschehen. Stattdessen wird von der Grundbedeutung des hebräischen Wortes kadosch ausgegangen, die eher „anders“ als „heilig“ lautet; vgl. Jürgen Ebach, Das Alte Testament als Klangraum des evangelischen Gottesdienstes, Gütersloh 2016, 28. Inspirierend waren für mich eine Predigtmeditation von Klara Butting (Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe 5, Berlin 2022, 246-250) und eine Predigt von Markus Dröge, online zu finden unter:
https://www.berlinerdom.de/fileadmin/user_upload/01_Startseite-Home/Mediathek/Predigten/Predigten_zum_Nachlesen/2017/2017-06-11_droege.pdf?v=1521129321 (abgerufen am 03.03.2023).
Liebe Gemeinde!
I.
Das Haus ist voller Rauch. Mehr noch: Viele Rauchsäulen sind zu sehen. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Kleine und große Feuer überall. So sieht es aus in der Welt.
Eine starke Militärmacht versucht, die kleineren Nachbarländer auf Linie zu bringen, sie unter den eigenen Willen zu beugen, die eigenen Spielregeln zu diktieren. Manche haben schon lange gewarnt, andere aber wollten die Bedrohung gar nicht wahrhaben. Jetzt wird überall nur noch über ein Thema geredet: Soll man den Forderungen des starken Nachbarn nachkommen? Soll man der Erpressung nachgeben oder soll man auf die Macht der Waffen setzen, sich selbst so gut es eben geht bewaffnen?
Liebe Gemeinde!
So geht es zu – in und rund um Jerusalem im 8. Jahrhundert vor Christus! Damals war es das assyrische Imperium, das die schwächeren Nachbarländer auf Linie zwingen wollte und überall seine Herrschaftszeichen aufstellte. Und wir - wir können uns und unser heutiges Europa wiedererkennen in der Welt, die im Jesajabuch beschrieben ist.
Die Geschäftemacher, die inmitten aller Krisen reicher und reicher werden, die gab es damals genau so wie heute auch noch. Sie wollen das Spiel nach den Regeln der Großmacht mitspielen, und verschließen die Augen vor den Konsequenzen. Dass andere dabei arm werden, dass Menschen nah und fern leiden, dass heute zudem die Tiere, das Klima leiden, dass am Ende auch sie selbst leiden werden - das nehmen sie in Kauf oder blenden es eben einfach aus.
Überall Rauch, überall Feuer. Die Sinne sind vernebelt. Auch der Tempel ist voller Rauch. Er beißt in den Augen. Undeutlich sieht Jesaja. Sieht den Saum des Mantels Gottes, der den ganzen Tempel erfüllt. Sieht die Serafim, engelhafte Begleiter Gottes. Und er hört etwas:
„Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“. Heilig ist er. Bedeutet das: der Welt enthoben, jenseits von allem Menschlichen?
Das hebräische Wort hier bedeutet „unantastbar“, „abgesondert“, aber auch einfach: „anders“. Die dreifache Wiederholung steigert die Aussage: Gott ist nicht nur einfach „der Andere“.
Gott ist dreimal anders. Er ist anders als anders als anders.
II.
Liebe Gemeinde!
Wenn Gott dreimal anders ist, dann entzieht er sich eigentlich einer genauen Definition. All unser Reden über ihn müssen wir unter einen Vorbehalt stellen. Können wir dennoch etwas lernen über diesen Gott und den Glauben an ihn? Ich will mich trotz allem heute an die Seite Jesajas stellen und auf dreifache Weise auf diesen ganz anderen Gott blicken.
Meinen ersten Blick stelle ich unter die Überschrift: Gott ist anders - er führt nicht unsere Kriege.
Götter zogen in alter Zeit mit ihren Verehrern in den Krieg. Und auch heute noch wollen Imperien sich ihre Kriegszüge heiligsprechen lassen und finden in Priestern und Bischöfen willige Helfer. Aber Gott ist nicht der Anführer der siegreichen Truppen. Er zieht überhaupt vor keiner Armee her. Das schärft der Prophet Jesaja immer wieder den Zeitgenossen ein: Wer sich auf Waffen verlässt, der hat jedenfalls von Gott nichts mehr zu erwarten. Dass der Einsatz von Gewalt auch einmal notwendig sein kann, im Wortsinne: um schlimmste Not abzuwehren – ja, dazu mag es wohl einmal kommen. Eine Sache der Notwendigkeit, das kann es vielleicht einmal sein, aber keine Sache Gottes. Wer nach einer Waffe greift, hat nicht Anteil an Gottes Macht. Sondern an menschlicher Schuld.
Liebe Gemeinde, meinen zweiten Blick heute stelle ich unter die Überschrift: Gott ist anders – er spricht aus allen Lebewesen.
Jesaja mach eine Erfahrung, die allen Streit der Menschen weit übersteigt. Gott ist anders, dreimal anders. Und alle Lande sind seiner Ehre voll. Oder, wie man es etwas genauer übersetzen könnte: „Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit“.
Gott wohnt nicht im Tempel, so schön und gut und wichtig der auch ist. Uns ist ja auch unsere Kirche hier im Ort wichtig. Aber ein Gebäude kann Gott sicher nicht fassen.
Sondern: Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit.
Es geht um die Schöpfung, es geht um die Natur. Sicher ist Gott größer, der Tempel kann ihn nicht fassen, die Welt kann ihn nicht fassen. Und doch ist die ganze Welt in Gott. Die Fülle der Erde, alles Gewimmel auf der Erde, jeder Mensch, jedes Tier, alles drückt Gottes Herrlichkeit aus, alles drückt seine Schönheit aus. Gott ist gar nicht zu denken ohne die Schöpfung. Ist nicht zu denken ohne den Nachbarn, den freundlichen wie den unfreundlichen. Ist nicht zu denken ohne den Fremden, ohne den Flüchtling. Ist nicht zu denken ohne Tiere und Pflanzen um mich herum. In allem spricht Gott, und dort, wo Mitmensch und Mitgeschöpf mit Füßen getreten werden, dort wird Gott ein Stück weit mehr zum Schweigen gebracht.
Wer auf diese Weise etwas von Gott begriffen hat, der muss wohl auch leiden. Der muss leiden wie Jesaja unter der Zerrissenheit der Welt, unter der Zersplitterung von Arm und Reich, oben und unten. Der muss leiden unter menschlicher Schuld.
Liebe Gemeinde, ich komme zu meinem dritten und letzten Blick auf diesen ganz anderen Gott. Und dieser Blick soll die Überschrift haben: Gott ist anders - er sendet Menschen.
Jesaja weiß um menschliche Schuld nur zu gut. Er ist ja ein Teil davon. Ein Teil von all diesem Immer-weiter-so. Ein Teil von diesem Bestimmenwollen über Mensch und Natur. Ein Teil von dieser Gleichgültigkeit, die die Menschen sich einreden lässt, dass es schon noch einmal gut gehen wird.
Der Kopf wird vernebelt. Das Haus ist voll Rauch, die Seraphim fliegen, alles ist bedrohlich. Weh mir, ich vergehe, ruft Jesaja. Ich bin verloren! Denn ich bin schuldig, und ich wohne inmitten von schuldigen Menschen.
Jesaja weiß um all das. Aber er hört aus all dem Gewimmel der Welt noch etwas heraus. Eine Frage nämlich: Wer soll unser Bote sein?
Und er gibt eine Antwort: Hier bin ich, sende mich!
Liebe Gemeinde!
„Einen Gott, den es gibt – gibt es nicht!“ Das hat Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt. Und wollte damit ausdrücken: Einen Gott gibt es nicht in dem Sinne, wie es eine Kirchenbank oder ein Gesangbuch gibt. Einen Gott, der durch Menschen zum Objekt ihrer Ideologien gemacht wird, den gibt es nicht. Aber es gibt den Glauben an Gott, der sich in allen Lebewesen zeigt. Und der Menschen in Anspruch nimmt. Nicht als ein Gott, der mir Macht über andere gibt, den ich anderen als Wahrheit aufdrücken kann. Sondern als eine Wirklichkeit, die mich trägt. Die mich manchmal auch erschüttert. Und die mich sendet, in Anspruch nimmt.
Jesaja hat diese Wirklichkeit erfahren.
III.
Umso verstörender ist die Botschaft, die Jesaja empfängt:
Er soll die Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen noch steigern, soll sein Volk „verstocken“, wie es hier heißt. Wie lange? Bis alles verwüstet und verlassen ist.
Was soll das für eine Botschaft sein, was soll das für ein Gott sein?
Ich glaube, hier sind zunächst einfach die Menschen beschrieben, wie sie eben oft genug sind.
Wir haben heute Zugang zu Nachrichten aus der ganzen Welt, wir können mehr wissen als jede Generation vor uns über Politik und Klimawandel. Aber führt das dazu, dass die Gleichgültigkeit aufhört? Eher das Gegenteil ist doch der Fall. Die Menschen scheinen umso mehr um Selbstbehauptung und Eigennutz zu kreisen. Und Warnungen – die führen eher noch zu Trotz. Das endet bei Volkswut und Verschwörungs-theorien, aber es beginnt mit all der täglichen Unvernunft und Verschwendung, zu der wir selbst beitragen.
Liebe Gemeinde!
Am Ende steht hier bei Jesaja ein Hoffnungszeichen:
„… wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“
Ich empfinde dieses Hoffnungszeichen als ehrlich. Denn es verspricht nicht das Blaue vom Himmel, es rechnet damit, dass noch einiges schiefgehen kann. Gott ist anders, und bei ihm bleibt sogar im Scheitern noch Hoffnung. Auch wenn so viele Bäume gefällt sind: Ein Baumstumpf kann wieder ausschlagen und wachsen. Das könnte noch ein vierter Blick auf den ganz anderen Gott sein: Sogar im Scheitern gibt es noch neues Leben.
Liebe Gemeinde!
In einigen Museen kann man heute noch die großen, in Stein geschnittenen Bilder der assyrischen Großmacht sehen. Abbildungen ihrer Götter und ihrer Großkönige. Zeichen ihres Herrschaftsanspruchs. Und doch: heute nur noch Museumsstücke.
So werden irgendwann auch Panzer, über die wir in den letzten Monaten so viel reden mussten, Museumstücke werden.
Ich bin froh, dass die Hoffnung noch lebt in der Welt. Sie kommt für mich aus dem Glauben an den Gott, der anders ist. Er trägt mich, er gibt mir Zuversicht. Trotz allem, was nicht gelingt. Trotz aller umgehauenen Bäume, trotz aller Rauchsäulen. Es kommt eine Zeit, in der der heilige Same der Hoffnung aufgehen wird, von dem Jesaja redet. Die Zeit, in der sich die Menschen zusammentun werden, um ihre Zersplitterung zu überwinden. Und um kleine und große Feuer in der Welt zu löschen.
Amen.
Verfasser: Pfarrer Dr. Felipe Blanco Wißmann, Erlenweg 10, 64354 Reinheim
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