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Jesu Hingabe befreit uns zur Hingabe

von Janine Knoop-Bauer (Bad Homburg)

Predigtdatum : 21.04.2011
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Palmsonntag
Textstelle : Markus 14,17-26
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Tagesspruch: „Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr.“ (Ps 111, 4)
Psalm: 111 (EG 744)

Lesungen
Altes Testament: 2. Mose 12, 1.3 – 4.5 – 7.11 – 14
Epistel: 1. Korinther 11, 23 – 26
Evangelium: Johannes 13, 1 – 15 (34 – 35)


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 483 Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden
Wochenlied: EG 223 Das Wort geht von dem Vater aus
Predigtlied: EG 213 Kommt her, ihr seid geladen
Schlusslied: EG 97 Holz auf Jesu Schulter


Einige Vorbemerkungen:

Das Markusevangelium:
Das Mk ist das älteste der biblischen Evangelien. Es wird von den ExegetInnen fast einhellig um das Jahr 70 n. Chr. datiert. Die Verfasserschaft ist umstritten. Es gibt jedoch einige Indizien dafür, dass es sich bei dem Verfasser um Johannes Markus aus Jerusalem handeln könnte. Dieser begleitete Paulus gemeinsam mit Barnabas auf seiner ersten Missionsreise und war auch mit Petrus bekannt. So könnte er sein Wissen, das er schließlich verschriftlichte, aus den mündlichen Berichten zumindest eines Augenzeugen haben und ist daher nah am tatsächlichen Geschehen. Das Mk ist die schlichteste der Evangelienerzählungen. Sie richtet sich vor allem an Gläubige aus den „Völkern“ (also s.g. Heidenchristen) bleibt aber der Interpretation des Messias als „König der Juden“ (diese Bezeichnung fällt allein in der Passionsgeschichte des Mk fünfmal) verpflichtet.

Zum Kontext der Perikope
Die vorgesehene Perikope steht zu Beginn der Leidensgeschichte Jesu, so wie sie Markus erzählt. Jesus befindet sich mit den Zwölfen in Jerusalem, um mit ihnen das Passahfest zu feiern. An dem von ihm zuvor beschriebenen Ort findet nun das Mahl statt. Im Anschluss wird die Ankündigung der Verleumdung durch Petrus erzählt

Homiletische Entscheidung
Die geschilderte Szene ist die Geburtsstunde des Abendmahls. Obwohl dies der Topos des Gründonnerstages ist, habe ich mich dennoch entschieden dies nicht zum Ausgangspunkt der Predigt zu machen. Vielmehr gehe ich in meiner Predigt dem Motiv aus dem Weheruf des Menschensohnes über seinen Verräter nach: Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.

Das zentrale Motiv: Niemals geboren worden sein
Das Motiv begegnet auch beim Propheten Jeremias. Dort erscheint es als Klageruf des Propheten über die Bürde seines Amtes.

Jeremia 20, 14 – 18
14 Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin; der Tag soll ungesegnet sein, an dem mich meine Mutter geboren hat!
15 Verflucht sei, der meinem Vater gute Botschaft brachte und sprach: »Du hast einen Sohn«, sodass er ihn fröhlich machte!
16 Der Tag soll sein wie die Städte, die der HERR vernichtet hat ohne Erbarmen. Am Morgen soll er Wehklage hören und am Mittag Kriegsgeschrei,
17 weil er mich nicht getötet hat im Mutterleibe, so dass meine Mutter mein Grab geworden und ihr Leib ewig schwanger geblieben wäre!
18 Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen, wenn ich nur Jammer und Herzeleid sehen muss und meine Tage in Schmach zubringe!

Dieser Wunsch stellt die radikalste Form der Lebensverneinung dar. Welche Konsequenzen würden daraus entstehen, wenn Judas niemals geboren worden wäre? Was würde das für uns bedeuten?
Die Predigt geht dieser Frage nach. Als ein Orientierungspunkt dient dabei der vor 60 Jahren erschienene Roman: Die letzte Versuchung von Nikos Kazantzakis.

Der Predigttext:
Markus 14, 17 - 26
17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen.
18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. 19 Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich's?
20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht.
21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
22 Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib.
23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus.
24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.
25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinke im Reich Gottes.
26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde,

was wünscht man seinem ärgsten Feinde?
Ich meine die Frage ganz ernst. Und ich lade Sie dazu ein, innerlich einmal hemmungslos ehrlich zu sein. Trauen Sie sich! Das heißt, lassen Sie ihrer Fantasie freien Lauf. Vergessen sie einmal kurz das Gebot der Feindesliebe. Auch wenn das sicherlich nicht so leicht fällt, hier in der Kirche, im Gottesdienst.
Was wünscht man seinem ärgsten Feinde?

Pause - Stille

Ich könnte mir vorstellen, dass hier nun eine ganze Reihe finsterer Gedanken im Raum versammelt sind. Verwünschungen aller Art.
Diese Art von Verwünschungen finden wir in vielen biblischen Texten. Vor allem in den Psalmen. Dort gibt es ein großes Spektrum all dessen, was man seinem ärgsten Feinde wünschen kann. Und Beispiele, wie die Beter und Beterinnen Gott darum bitten, ihre Feinde zu strafen. Und auch beim Lesen des heutigen Predigttextes hatte ich das Gefühl, dass der Autor ein ganz ähnliches Gedankenspiel unternommen hat. Was wünsche ich meinem ärgsten Feinde?

Der ärgste Feind. Wer ist das in diesem Fall? Ich glaube für den Autor ist die Antwort klar. Es ist Judas – der Verräter. Zwar wird er namentlich hier gar nicht genannt. Doch wir, die wir den Ausgang der Geschichte kennen, wissen, wen Jesus meint, wenn er sagt: „Einer unter Euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ Und auch der Autor des Textes kennt natürlich das Ende seiner Geschichte. Judas. Das ist der Feind am Tisch des Herrn. Wer wäre hassenswerter, als der, der den Messias ans Kreuz geliefert hat. Der dadurch die Hoffnungen so vieler Menschen zunächst einmal zerstört hat.

Das Markus Evangelium ist die Jesus Biografie, die den Geschehnissen um Jesus von Nazareth noch am Nächsten steht. Entstanden ist es ungefähr 70 Jahre nach Jesus Tod. Es ist das Werk eines Menschen, der vermutlich befreundet war mit Petrus. Der so die Erzählung eines Augenzeugen kannte. Ich stelle es mir vor als das Werk eines Trauernden. Eines Menschen, der sich vielleicht wünschte, dass Jesus noch leben würde. Dass er noch da wäre und auch er, Markus, das Glück gehabt hätte, ihn persönlich kennenzulernen. Es ist der Wunsch eines glühenden Verehrers Jesu. Und dieser Wunsch richtet sich gegen Judas: „Ach hätte es den Judas doch nie gegeben!“
Der Autor lässt Jesus stellvertretend seinen Wunsch äußern: „Es wäre besser für diesen Menschen, wenn er nie geboren wäre!“

Ach wäre Judas doch nie geboren! Niemals geboren worden zu sein. Das ist die radikalste Form der Lebensverneinung. Nicht geboren worden zu sein bedeutet ein Leben auszureißen, mit Stumpf und Stiel. Nicht einen Moment davon übrig zulassen: Weder Vergangenheit, noch Gegenwart, noch Zukunft. Weder den Moment der Zeugung, noch den der Geburt. Keine Stunde, nicht einen Augenblick.
Das ist weit mehr, als jemandem den Tod zu wünschen. Denn selbst wenn jemand gewaltsam stirbt, bleibt etwas von ihm. Eine Erinnerung. Eine Vergangenheit. Menschen, die um ihn trauern und ihn nicht vergessen werden. Spuren, die er mit seinem Leben hinterlassen hat. Doch jemand der nie geboren wurde, der hinterlässt auch keine Spuren.

Judas niemals geboren! Es hätte den Verräter schlicht nicht gegeben. Nicht die 12 Silberlinge und nicht den Judaskuss. Jesus hätte nur elf Freunde gehabt, die wir Apostel nennen würden. Aber auf den einen hätte er ja auch gut verzichten können. Ein Verzicht, der ihm das Leben geschenkt hätte. Denn die größte, die tiefste Spur, die das Leben Judas Ischariots gezogen hat, ist der Tod Jesu am Kreuz. Die Hinrichtung, die er ermöglicht hat, durch seinen Verrat. Radierte man diese Spur aus – der Karfreitag hätte niemals stattgefunden. Und auf Golgatha stünden morgen nur zwei Kreuze.

Lassen sie uns das einmal zu Ende denken: Was wäre denn dann gewesen? Was würde das für uns bedeuten? Der griechische Schriftsteller Nikos Kazantzakis hat das in seinem Roman: Die letzte Versuchung, der vor genau 60 Jahren erschien, einmal versucht.

Was wäre gewesen, wenn der Verrat nicht stattgefunden hätte. Wenn Jesus weiter gelebt hätte. Ein normales Menschenleben geführt, Kinder bekommen hätte und im Kreise der Familie gealtert wäre.
In dem Roman: Die letzte Versuchung gesteht Katzantzakis Jesus dieses Glück einer normalen Biografie zu. Er heiratet seine große Liebe Maria Magdalena. Er erlebt das Glück der Liebe mit ihr, aber auch den Schmerz des Verlustes. Sie stirbt bei der Geburt des gemeinsamen Kindes. Jesus bekommt noch weitere Kinder mit anderen Frauen. Er arbeitet in seinem Beruf, als Zimmermann. Und schließlich, als alter und lebenssatter Mann soll er sterben, im Kreise seiner Kinder und Kindeskinder.

So hätte es sein können, wenn es Judas nicht gegeben hätte. Wenn der Wunsch des Autors unseres Predigttextes wahr geworden wäre.
Und immer, wenn ich darüber nachdenke, empfinde ich die gleiche Trauer. Denn ich spüre, wie gerne ich die Geschichte so in der Bibel finden würde. Gottes Sohn als lebenssatter Greis, umringt von seiner Familie. Vielleicht auf dem Sterbebett noch einmal ein Engelchor: „Fürchtet Euch nicht!“ Und dann die Himmelfahrt.

Ich hätte das dem verzweifelten jungen Mann von Herzen gewünscht, der in der Nacht vor seinem Tod betet: „Ach Vater, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!“ Ich hätte ihm ein Leben gewünscht. Gut und grausam. Schlicht und überwältigend. So wie unser Leben halt ist.

Und dann kann ich den Autoren des Markusevangeliums verstehen. „Ach wäre er doch nie geboren, dieser Judas!“ Doch die Geschichte geht nicht auf. Auch in dem Roman von Nikos Kazantzakis nicht. Das normale Leben erweist sich als Illusion und Trugbild. Die Textur des Leben Jesu ist ohne den Faden Judas nicht denkbar. Judas gehört zu ihr und mit ihm der Verrat, der das Ende festlegt.

Es ist für uns letztlich nicht verständlich. Es bleibt der Schmerz und die Frage: Warum musste Jesus sterben? Was macht diesen gewaltsamen Tod unumgänglich?

Das ist eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Oder besser: Ich kenne keine, die mich letztlich befriedigen würde. Der gewaltsame Tod Jesu bleibt sinnlos. So sinnlos, wie jedes Leid in dieser Welt. Wie jeder Akt der Gewalt unter den Menschen. Der Tod Jesu am Kreuz steht beispielhaft für die unzähligen sinnlosen Opfer, die täglich, bis heute, ihr Leben lassen.

Durch seinen Tod, hat sich Jesus, hat sich Gott auf die Seite dieser Opfer gestellt. Ist mit ihnen in den Tod gegangen und hat für sie den Tod überwunden. Ohne diesen Schritt wäre das Licht der Auferstehung nicht erschienen. Ohne Jesu Tod, hätte es die Botschaft der Überwindung des Todes nicht gegeben.

So ist das Leben Judas Ischariots unverzichtbar in der Geschichte Jesu. Vielleicht spielt er darin den schwersten Part. Andere Evangelien Schreiber haben das gewusst. Sie haben die Situation damals anders geschildert. Im Johannes Evangelium klingt es fast wie ein Auftrag, wenn Jesus zu Judas spricht: Was Du tust, das tue bald!
Die Spur, die das Leben Judas Ischariots hinterlassen hat, ist eine wichtige in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Er gehört untrennbar zu dieser Geschichte. Deshalb bleibt er mit den Zwölfen am Tisch. Deshalb ist er aufgenommen in die Gemeinschaft um Brot und Wein, deren Einsetzung wir heute feiern. Auch wenn uns das das Herz schwer macht. Auch wenn wir es uns anders wünschen würden.
Gott hat einen Platz in seiner Geschichte für dieses spezielle Menschenleben. Und ich schließe daraus, er hat einen Platz in seiner Geschichte für jedes Menschenleben. Keines kann ausradiert oder ungeschehen gemacht werden. Auch nicht das unseres ärgsten Feindes.
Gott hält die Geschichte in seiner Hand. Wir dürfen darauf vertrauen: Er wird richten, am Ende der Zeit. Und dann, erst dann, werden wir verstehen, was uns heute unbegreiflich scheint.
Richten wird Gott. Und mehr brauchen wir unserem ärgsten Feinde nicht zu wünschen, denn größere Gerechtigkeit wird niemandem widerfahren. Auch uns nicht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinnen in Christus Jesus, Amen.

Verfasserin: Pfarrerin Janine Knoop-Bauer, An der Gedächtniskirche 1, 61350 Bad Homburg

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