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Jesu Kreuzigung

von Ralf Schultz (Erfurt)

Predigtdatum : 03.04.2015
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Gründonnerstag
Textstelle : Johannes 19,16-30
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Wochenspruch:

"So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3, 16)



Psalm: 22 (EG 709)



Lesungen

Altes Testament: Jesaja (52, 13 - 15), 53, 1 - 12



Epistel: 2. Korinther 5, (14 b - 18) 19 - 21



Evangelium: Johannes 19, 16 - 30





Liedvorschläge

Eingangslied: EG 88, 1 - 3 Jesu, deine Passion

Wochenlied: EG 85, 1.2. 6. 8 O Haupt voll Blut und Wunden

Predigtlied: EG 97, 1 - 4 Holz auf Jesu Schulter

Schlusslied: EG 93, 1 - 3 Nun gehören unsre Herzen



Liebe Gemeinde,



wir kommen nicht am Kreuz vorbei. Es steht mitten unter uns. Wir können versuchen, nicht hinzusehen. Wir können auch versuchen, ihm auszuweichen. Wir können versuchen, das Kreuz zu vergolden und soweit wegzustellen, dass wir es gar nicht mehr bemerken. Aber es ist da. Und heute, am Karfreitag, steht es mitten unter uns. Es verstellt uns die Sicht und den Weg. Heute können wir ihm nicht aus-weichen, heute müssen wir hinschauen.



Es gibt so viele Kreuze auf dieser Welt. Wir alle haben die Kriegsbilder der letzten Monate gesehen, in der Ukraine, im Irak, in Gaza: die vielen unschuldigen Menschen, die plötz-lich ins Kreuzfeuer des Krieges geraten sind und – wenn sie ihr Leben retten konnten – auf der Flucht oder auf der Suche nach einem neuen Anfang sind (oder ein anderes ak-tuelleres Beispiel einfügen).



Aber wir müssen gar nicht so weit gehen. Auch hier unter uns, in unseren Familien steht manchmal ganz plötzlich so ein Kreuz: Da wird jemand mit einer unheilbaren Krankheit konfrontiert und kommt nicht zurecht damit. Oder da müs-sen wir ganz unerwartet Abschied nehmen von einem Men-schen, der uns sehr viel bedeutet hat und der doch gestern noch so quicklebendig war. Oder wir müssen das Scheitern in einer Beziehung zugeben und verkraften und egal, wie wir die Scherben zusammenkehren, es wird nicht wieder. … Wir wären so gern um das Kreuz herumgekommen. Nun steht es da.



Und selbst der Glaube und die Kirche machen da keine Aus-nahme. Eine für mich schmerzliche Nachricht ging vor eini-ger Zeit um die Welt: in der Grabeskirche von Jerusalem hat es eine Schlägerei zwischen griechischen und armenischen Mönchen gegeben. Kein Mensch konnte nachher sagen, wo-rum es hier genau ging. Aber seit Jahrhunderten bieten die Christen an diesem heiligen Ort der Welt ein Schauspiel un-versöhnlicher Auseinandersetzungen. Kein Friede unterm Kreuz, nicht mal am Grab. Es ist zum Davonlaufen.



So viele Kreuze unter uns. Zeichen der Gewalt, der Unver-söhnlichkeit. Zeichen des Bösen, der Zerstörung des Glücks, der begrabenen Hoffnung.



Und nun – jeder mit seinen eigenen Kreuzesbildern vor Au-gen – hören wir am Karfreitag den Bericht von der Kreuzi-gung Jesu. Sein Kreuz reiht sich ein in die vielen anderen. Und doch, auf dieses Kreuz fällt ein anderes, ein besonderes Licht. Denn der Karfreitagsbericht aus dem Johannes-evangelium, den wir gehört haben, dieser Bericht ist kein Aufschrei, auch keine Anklage. Er erzählt auf eine wür-devolle, fast hoheitsvolle Weise vom Sterben Jesu. Das wird sehr schnell deutlich, wenn wir ihn mit den anderen Passionsberichten des Neuen Testamentes vergleichen.



In den anderen Evangelien ist das Kreuz für Jesus zu schwer. Jesus bricht darunter zusammen. Und die Soldaten müssen einen Mann namens Simon von Kyrene herbeirufen und ihn zwingen, Jesus das Kreuz zu tragen. Aber Johannes sagt: „Und er trug selbst sein Kreuz.“



Da wird am Kreuz ein Plakat angebracht, das Jesus der Lächerlichkeit preisgeben soll: Jesus von Nazareth, König der Juden. Johannes aber sagt: Diese Tafel sei in drei Spra-chen ausgefertigt gewesen: Lateinisch, griechisch und He-bräisch und Pilatus habe sich trotz Protest nicht dazu be-wegen lassen, diese Tafel abzunehmen: „Was ich ge-schrieben habe, habe ich geschrieben.“ Aus der Verhöhnung wird so die feierliche Proklamation eines Königs.



Da sehen die Frauen nicht von ferne dem Geschehen zu. Nein, sie stehen nahe beim Kreuz. Jesus lässt sich von ihnen nicht beweinen, sondern er tröstet sie, er stiftet eine Gemeinschaft, die über seinen Tod hinausreicht – zwischen seiner Mutter und seinem Jünger.

Und als es dem Ende zugeht, schreit Jesus nicht: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Sondern er verkündet: „Es ist vollbracht.“ Er gibt sein Leben zurück in die Hand seines himmlischen Vaters.



Es ist ein besonderes Licht, eine besondere Atmosphäre, in die das Kreuz bei Johannes getaucht ist. Und man fragt sich: Warum hat Johannes anders berichtet als die anderen Evangelisten?



Nun, was wir hier bemerken, das fällt auch an anderen Stel-len seines Evangeliums auf. Der 4. Evangelist hat einen ganz eigenen Blick auf die Geschichte, die sich da zwischen Himmel und Erde mit Jesus ereignet hat. Johannes war kein nüchterner Berichterstatter, der für die Zeitungsleser notiert, was er gesehen hat. Johannes sieht in der Ge-schichte Jesu und ebenso wie in seinem Sterben einen gött-lichen Sinn. Er entdeckt den roten Faden, der sich von der Geburt Jesu durch sein ganzes Leben bis hin in seinen Tod zieht. Er blickt durch die grausame Realität hindurch auf die göttliche Bedeutung des Geschehens.



Dabei verkehrt sich alles ins Gegenteil. Es ist wie bei der Entwicklung eines dieser alten Schwarz-Weiß-Filme, bei dem zuerst ein Negativ entsteht. Alle Hell - und Dunkel-werte sind noch verkehrt. Was dunkel ist, erscheint hell, was hell ist, dunkel. Aber der kundige Photograph, der das Negativ ans Licht hebt, kann schon beurteilen, wie das Bild herauskommt, wenn es im Entwickler seine Endgestalt be-kommen hat.



So ist es mit dem Kreuz Jesu. Was aussieht wie das sinnlose Scheitern eines Menschen, ist in Gottes Augen der Sieg über das Böse und die Gottesferne des Menschen. Was aussieht wie ein wehrloses Ausgeliefertsein, ist in Gottes Augen das souveräne Handeln seines Sohnes. Was aussieht wie eine Absturz ins Totenreich, ist in Wahrheit die Erhöhung zum Leben. Es wirkt so, als würde Jesus von Gott und Menschen verlassen sterben, stattdessen schließt er sein Leben be-wusst ab: "Es ist vollbracht."



Wie können wir diesen verklärten Blick auf das Kreuz Jesu verstehen?



Wir müssen dazu noch eine Überlegung hinzufügen: Beim Evangelisten Johannes bekommen auch die Worte Leben und Tod einen besonderen Sinn. Leben ist für ihn nicht nur unser tägliches Existieren: Atmen, Essen, Arbeiten, Ge-nießen. Für Johannes ist Leben viel mehr. Leben ist in Be-ziehung sein mit Gott und den Menschen. Leben ist, meiner inneren Berufung folgen. Leben ist, aus der Liebe zu leben – so wie Jesus es getan hat. Wer so – in diesem Sinne – lebt, sagt Johannes, der hat schon jetzt den Tod überwunden. Das klingt missverständlich, die Worte überschlagen sich und doch ahnen wir, was gemeint ist: Wer ein so erfülltes Leben lebt, der muss den Tod nicht fürchten. Wer so in der Liebe lebt, der bleibt in Gott, auch wenn der Tod nach ihm greift. Es ist vollbracht, sagt Jesus. Ich bin meinen Weg bis zu Ende gegangen. Er hätte ausweichen können, damals in der Wüste, als er versucht wurde, oder im Garten bei der Gefangennahme, aber er ist nicht ausgewichen. Und so ist er auch im Tod – bei allem Schmerz und aller Grausamkeit, die aus den anderen Evangelien zu uns spricht – gehalten von dieser Liebe. Sein Tod ist Bestätigung, Vollendung des-sen, was er gelebt hat. Die Liebe ist stark wie der Tod, ja sie ist sogar stärker. Dies ist das Vermächtnis des Kreuzes Jesu. Bernhard von Clairvaux hat dazu gesagt: Das Kreuz Christi ist eine Last von der Art, wie es die Flügel für die Vö-gel sind: Sie tragen aufwärts.



Was nehmen wir mit von diesem besonderen Passionsbe-richt? Vielleicht die Hoffnung, dass auch unsere Kreuze uns nicht von Gott und von seiner Liebe trennen können. Frei-lich, wenn uns Sinnlosigkeit des Bösen zu Boden drückt oder einfach nur der Schmerz der Krankheit, dann sehen wir meist nur das Negativ – wie beim Schwarzweißbild. Das ist so, man kann ein Kreuz nicht schön reden.

Aber vielleicht können wir uns dann auch daran erinnern, dass die Liebe, die uns Christus bis in den Tod bezeugt hat, lebendig ist. Wir können darum bitten, dass wir diese Liebe entdecken können auf dem Grund unserer Schmerzen. Wir können – nach diesem Tod des Menschensohnes – darauf bauen, dass die Liebe zuletzt alles umgreift – auch den Tod, auch die Tränen, auch das Leid.



Eine Dichterin unserer Tage (Sybille Fritsch) drückt diese Hoffnung so aus:



Einer macht Licht, wenn ich stolpre,

nimmt meine Hand im Dunkeln und - ich komme an.

Einer schließt Frieden, wenn ich hasse,

lächelt meinen Zorn in den Wind und - ich komme an.

Einer gibt Trost, wenn ich leide,

nimmt mein Herz fest in die Hand und - ich komme an.

Einer kommt an, wenn ich fehle,

nimmt sein Kreuz auf die Schulter und - er kommt an!



Amen.





Verfasser: Pfarrer Ralf Schultz

Backhausstr. 6, 99094 Erfurt


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