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Jesu Kreuzigung

von Hans Mikosch

Predigtdatum : 22.04.2011
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Gründonnerstag
Textstelle : Lukas 23,33-49
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Wochenspruch:„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.(Johannes 3, 16)

Psalm: 22 (EG 709)



Lesungen

Altes Testament:Jesaja (52, 13 – 15), 53, 1 – 12

Epistel: 2. Korinther 5, (14 b – 18) 19 – 21

Evangelium: Johannes 19, 16 – 30





Liedvorschläge

Eingangslied: EG 450, 1 - 5 Morgenglanz der Ewigkeit

Wochenlied: EG 83, 1, 2, 6 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld

Predigtlied: EG 97, 1 - 6 Holz auf Jesu Schulter

Schlusslied: EG 98, 1 - 6 Korn, das in die Erde



Liebe Karfreitagsgemeinde,

an diesem besonderen Freitag, den wir aus gutem Recht als Karfreitag bezeichnen, stellen sich uns alle Kreuze der Welt in den Weg. Ich erinnere an die ungezählten Kreuze an den Straßenrändern, die an Menschen erinnern, die ums Leben gekommen sind. Das Kreuz von Karfreitag erinnert uns daran, dass Menschen fähig sind, wenn es ihren Interessen dient, Gott selbst ans Kreuz zu schlagen. Die gleichen Menschen, das ist die Erfahrung bis zum Tage, machen mit ihrem Terror auch nicht vor ihresgleichen Halt. Sie sprengen sich in die Luft, um möglichst viele „mitzunehmen“.



Und mir fallen die Millionen verhungernder Kinder auf der Welt ein, die Opfer einer von Menschen gemachten sozialen Situation sind. Ich denke an die Gefolterten, die Gefangenen in den Internierungslagern der Diktaturen. Mir fallen die Kinder ein, die gar nicht erst das Licht der Welt erblicken durften und ich denke an die Alten unter uns, für die oftmals kaum einer Zeit hat, noch gute Worte „verliert“.



So bedeutet mir Karfreitag, dieser besondere Freitag, nicht nur Todestag Jesu, sondern er ist auch der Tag der Erinnerung an unsere eigene denkbare und mögliche Schuld, auch ein Fixpunkt der Erinnerung an unser mögliches wie tatsächliches Versagen.



So brutal können Menschen sein, sagt uns der Predigttext, dass sie ihresgleichen aber auch Gottes einzig geborenen Sohn vernichten, ihn physisch wie psychisch fertig machen. Nicht nur der in den vergangenen Jahren landauf, landab von vielen gesehene Film „Passion“ geht mit der Grausamkeit der dort gezeigten Szenen unter die Haut. In einer medizinischen Zeitschrift „In der neuen Ärztlichen“ beschrieb Detlef Bertelsen, was es heißt, gekreuzigt zu werden: Das Sterben am Kreuz dauert lange. Atembeschwerden treten auf, Krämpfe befallen alle Muskeln des Körpers, Schweiß tritt in Strömen aus, der Blutdruck fällt, das Herz schlägt schneller, die Temperatur steigt, schließlich erstickt das Opfer. Zuvor wurden in aller Regel noch 39 Stockschläge „verabreicht“. Ich will es nicht weiter beschreiben, aber so brutal konnten und können Menschen sein.



Und dabei haben die meisten gelernt Ausreden zu erfinden, wenn es darum geht, Unmenschliches zu kaschieren. Noch heute höre ich beispielsweise über aufbrausende Menschen: „Der hat nun mal so einen schwierigen Charakter“ oder „Das ist erblich“, „Die Zeiten erfordern es“, „Es ist ein Alkoholiker in der dritten Generation“. Und schließlich gibt es so etwas wie ein Vertrauensvorschuss für Staatsorgane aller Zeiten, die es ja wohl schließlich wissen müssten, was rechtens ist. Ob Einem wie Jesus, der die Ordnung im Lande gefährdet, der gar auszumachen ist, ob ins Heute übertragen, Leben im Mutterleib überhaupt schon Leben ist, ob unsere Kinder in der verbleibenden Freizeit alles sehen und lesen dürfen, was auf dem Markt zu haben ist oder gerade von den TV-Sendern ausgestrahlt wird, ob rücksichtslose Vergewaltigung der Natur dem Preis der menschlichen Gesundheit nötig ist - die Beispiele ließen sich fortführen. Der Staat, heute die Gesellschaft, nimmt Verantwortung ab, fällt Entscheidungen. Wenn dabei die private Sphäre nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, mein persönliches Umfeld intakt bleibt, mein Konto nicht berührt wird, dann lassen die meisten gewähren, den Dingen ihren Lauf. In unserem Text wird gebetet: „Vater vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Immer wieder muss die Frage bleiben: Wissen sie es wirklich nicht?



Gott hat den Menschen von seinen Anfängen an in die Freiheit entlassen. Diese Freiheit schließt auch Nichtwissen, Dummheit, Entscheidung zum Bösen ein. Ein 71-jähriger Arzt, der 1940 an der Vergasung von Tausenden kranker und geschwächter Juden beteiligt war, erklärte seine „Unwissenheit“ vor Gericht so: „Bis Februar 1941 hat es keine Kanzelverlautbarung zur Euthanasie gegeben.“ Er habe alles aus reiner Liebe zum Menschen getan. So lieb- oder auch lebensfeindlich sind Menschen, verblendet von Ideologien und oft falscher Lehre oder einer überzogenen Staatsloyalität.



Jesus weiß um die innere Leere der Figuren, die ihn hinrichten und spottend ihr Werk betrachten. Wer sich heute mittelalterliche Kreuzesdarstellungen anschaut, erschrickt vor den feisten und brutalen Gesichtern der Büttel. Sie können nur auf Befehl funktionieren, wie Schräubchen im Sinne ihres Apparates. Sie führen jeden Befehl aus und geben ihr Gewissen ab. Sterbend macht sich Jesus zum Anwalt dieser kaputten Typen: „Vater, vergib Ihnen …“.



Der leidende Unschuldige widerspricht in jeder Beziehung ihrer Vorstellung von einem starken Messias und König der Juden. Das Selbstwertgefühl der Menschen hängt nicht nur damals an Kraft, an Macht, an Leistung und Erfolg. Da bleibt kein Raum für Opfer, für Hingabe, für Selbstaufgabe. Und so können sie Jesus nicht verstehen, der so ganz anders entscheidet als es den Vorstellungen der Menschen entspricht. Auch der erste Übeltäter stimmt in den Chor der Spottenden ein: „Hilf dir selber und uns!“. Ihm geht es um die Rettung von Leib und Leben in letzter Minute, um seinen Leib, um sein Leben. Dass Jesus auch für sich selbst Hilfe ablehnt, kann der Kämpfer und Revolutionär nicht fassen. Eigene Schuld einzugestehen, bleibt ihm fremd. Er wird zum lebenden Beispiel für menschliche Selbstgerechtigkeit und Selbstbehauptung.



Der andere weiß, was die Stunde geschlagen hat: „Hast du noch immer keine Furcht vor Gott?“ fragt er seinen Genossen. Dieser Mann fühlt, dass er am Scheideweg steht und er erkennt eine Wahrheit, die höher ist als Kampf um die nackte Haut, die mehr ist als bloßes Funktionieren „Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“. Martin Luther sagt von ihm: „Der Schächer muss geläuterte Augen gehabt haben, alles, was an Christus schwach ist, sieht er nicht an. Er sieht, was nicht offenkundig ist, dass er nämlich ein König ist und ein Reich hat, in dem man leben soll.“ Nicht irgendwann tritt dieses Reich in Kraft sondern heute: „Heute sollst du mit mir im Paradies sein!“ Heute heißt das für uns, stehst du an der Kreuzung deines Lebens, wo du dir klar werden sollst, wie dein Weg weitergehen soll. Wer sich zu Gottes Reich bekennt, bekommt eine andere Blickrichtung, weg von sich selbst, hin zum nächsten, wer das auch immer ist.



Es folgen nun in unserem Text Worte Jesu im Todeskampf: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“. Worte des Vertrauens und der Geborgenheit. Nun ist Jesus den Möchtegern-Machthabern seiner Zeit und aller Zeiten aus den Händen genommen. Ihre Gewalt kommt an eine Grenze. Jesu Wort zeigt die andere Seite des Karfreitags, die auf Ostern hoffen lässt:

„Das Geheimnis von Hoffnung und Leben mitten im Tod, das Wunder der Barmherzigkeit in aller Lieblosigkeit, die Erkenntnis, dass Gott uns im Leiden näher kommen kann, als wir es uns selbst sein können.“



Ein Pole fällt mir ein, Janusz Korczak, Arzt und Erzieher in Warschau. Aus eigenen Mitteln erbaute und leitete er ein Heim für kranke Waisenkinder. Er schrieb ein Buch „Wie soll man Kinder lieben?“. In der ganzen Stadt war er ein geachteter Mann. Die deutsche Besatzungsmacht verlangte im letzten Krieg von ihm die Auslieferung von 66 in seiner Obhut verbliebenen Kindern. Als die Schergen kamen, um sie zu holen, brachen die Kinder in verzweifeltes Weinen und Schreien aus. Korczak beruhigte sie: „Er gehe mit ihnen und es geschehe ihnen nichts Schlimmes.“ Zum ersten Mal in seinem Leben betrog er die Kinder. Und nun ging er an der Spitze des Zuges, wie der gute Hirte. Auf dem linken Arm trug er das kleinste Kind, mit der anderen Hand führte er ein weiteres. Hinter ihm trippelten stumm und ruhig 64 kleine Jungen und Mädchen. Die Frauen, die dem Zug begegneten, bekreuzigten sich und riefen „Das ist der Gang auf Golgota!“ Unter den Klängen von Musik ist Korczak mit den Kleinen in der Gaskammer erstickt.



Kreuze von Menschen für Menschen aufgestellt, säumen im tatsächlichen wie im übertragenen Sinn unser Leben. An irgendeiner Wegkreuzung kommen wir zum Stehen: Wir, die Unwissenden, die Ängstlichen, die Fanatiker, die um Vergebung Bittenden, die Opferbereiten, „Vater, vergib Ihnen.“



Dieses Gebet gilt auch uns, liebe Gemeinde, gerade wenn wir straucheln oder scheitern. Jesus nimmt uns am Kreuz an und betet für uns, tritt für uns ein, so wie wir sind, ohne Korrekturen. Und er gab Gottes Liebe weiter: „Sich selbst für dich gegeben zur Vergebung der Sünden“.



Wollen wir dieses Geschenk am höchsten evangelischen Feiertag nicht verschmähen.



Kommt her mit eurem Leben, alles ist für euch bereitet, ihr dürft kommen, sehen, schmecken und eure Wege auf neue Weise gehen.



Amen.



Verfasser: Propst Dr. Hans Mikosch,Talstraße 2, 07545 Gera


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