Jesu Kreuzigung
von Michael Tönges-Braungart (61348 Bad Homburg )
Predigtdatum
:
25.03.2016
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Gründonnerstag
Textstelle
:
2. Korinther 5,(14b-18).19-21
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Wochenspruch:
"So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3, 16)
Psalm: 22 (EG 709)
Lesungen
Altes Testament: Jesaja (52, 13 - 15), 53, 1 - 12
Epistel: 2. Korinther 5, (14 b - 18) 19 - 21
Evangelium: Johannes 19, 16 - 30
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 76 O, Mensch, bewein dein Sünde
Wochenlied: EG 97, 1 - 2 Holz auf Jesu Schultern
Predigtlied: EG 355,1 - 3 Mir ist Erbarmung widerfahren
Schlusslied: EG 232 Allein zu dir, Herr Jesus Christ
Predigttext 2. Korinther 5, (14 b - 18) 19 - 21
„…, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Liebe Gemeinde,
wenn man dieser Tage Passanten auf der Straße fragen würde: „Denken Sie, dass es nötig war, dass Jesus Christus für Sie gestorben ist?“, dann würden die meisten wohl mit einem klaren Nein antworten. Wir hier natürlich nicht. Das ist klar. Es gehört ja zu unserem Glauben, dass Christus für uns, für mich gestorben ist. So haben wir es von klein auf gelernt.
Aber mal ganz ehrlich: Sind wir wirklich der Meinung, dass es nötig war, dass Christus für uns gestorben ist? Hätte es nicht auch etwas weniger sein können als der Tod? Und gehören wir nicht wenigstens zu denen, die diesen Tod etwas weniger nötig haben als andere? Ich denke, solche Gedanken sind uns nicht völlig fremd, auch wenn wir sie uns schnell verbieten und sie gerne verdrängen. Auch wenn es zu unserem Glauben und zu unserem Bekenntnis gehört, dass Christus für uns gestorben ist und dass wir das nötig haben – das wirklich zu glauben, fällt doch schwer. Da sind wir gar nicht so anders als die meisten unserer Zeitgenossen.
Dass einer für uns stirbt – haben wir das wirklich nötig? Oder denken wir nicht doch: Also – wegen mir hätte das nicht geschehen müssen. Im Gegenteil – mir ist der Gedanke daran unangenehm. Ich will das gar nicht, dass da einer für mich eintritt. Ich bin ein erwachsener Mensch und kann die Verantwortung für mich schon selber tragen. Ich kann und ich will ganz gut für mich selber einstehen – vor anderen und auch vor Gott. Da brauche ich keinen anderen, der für mich eintritt. Und überhaupt: Was ist an meinem Leben schon dran, dass es todeswürdig wäre? Gott sei Dank - die Todesstrafe ist bei uns ja abgeschafft. Und selbst wenn man sie für besonders schwere Vergehen wieder einführen würde – mich würde sie doch nicht treffen. Ich bin doch meilenweit davon entfernt. Natürlich bin ich – wie alle Menschen – nicht ohne Fehler. Vielleicht habe ich sogar mehr als andere – das wäre ich durchaus noch bereit zuzugeben. Aber deswegen habe ich doch nicht den Tod verdient. Und deshalb ist es auch nicht nötig, dass ein anderer diese Strafe für mich auf sich nimmt. Das geht dann doch zu weit.
Die Botschaft von Karfreitag behauptet aber genau das. Nämlich, dass wir es nötig haben, dass Christus für uns gestorben ist. Das ist keine leichte und einfache Botschaft. Nicht so fröhlich wie die Weihnachtsbotschaft von Gottes Nähe in einem kleinen Kind. Nicht so eindeutig hoffnungsvoll wie die Osterbotschaft von neuem Leben aus dem Tod. An Karfreitag gibt es nichts fröhlich zu feiern. Und deshalb ist dieser Tag – vor allem für die Protestanten ja einmal der höchste kirchliche Feiertag überhaupt – mehr und mehr in den Hintergrund geraten. Wie die ganze Passionszeit auch, die mehr und mehr zur vorösterlichen Zeit wird. Gerade gegenüber dem Osterfest tritt der Karfreitag auch in unseren Gemeinden mehr und mehr zurück. Und doch gehört die Botschaft von Karfreitag zur Botschaft von Ostern dazu. Mehr noch: Sie ist ihre Voraussetzung. Ohne Karfreitag ist Ostern nicht zu haben. Ohne den Ernst der Karfreitagsbot-schaft wird die Freude der Osterbotschaft seicht und oberflächlich.
Und die Karfreitagsbotschaft behauptet: Wir haben es nötig, dass Christus für uns gestorben ist. Paulus sagt das so: „Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Unsere Sünde macht es nötig, dass Christus für uns gestorben ist. Mit Sünde sind hier nicht unsere vielen kleinen Sünden und Verfehlungen gemeint: die überfahrene rote Ampel, die kleine Lüge hier und da, der Seitensprung, die Mogelei gegenüber dem Finanzamt, die Missachtung des Sonntags, die Lieblosigkeit gegenüber den Kindern oder dem Ehepartner, die Schadenfreude oder Gehässigkeit, der allzu sorglose Umgang mit den Rohstoffen und der Natur, die Gleichgültigkeit gegenüber der Not anderer. All das ist mit Sünde nicht gemeint. Das hätte ja auch wirklich nicht den Tod verdient. Mehr haben wir alle miteinander aber doch nicht auf dem Kerbholz. Wir sind doch keine Verbrecher wie z. B. Kinderschänder, bei denen viele sich heute die Todesstrafe durchaus wieder vorstellen könnten. Nein, selbst um das geht es nicht, wenn Paulus hier von Sünde schreibt. All das ist allenfalls eine Konsequenz aus der Sünde. All das sind allenfalls Taten und Verhaltensweisen, die aus der Sünde entspringen.
Sünde ist nicht mehr und nicht weniger als Gottesferne. Wir sind Sünder – d. h.: Wir haben uns abgelöst von Gott, dem Schöpfer, vom Ursprung der Welt und allen Lebens und damit auch von unserem Ursprung. Wir sind wie ein Baum, der seine Wurzeln gekappt hat und deshalb zum Tod verurteilt ist. Wir sind Sünder, d. h.: Weil wir uns von unserem Ursprung gelöst haben, haben wir auch unser gutes Ziel verloren. Wir laufen falschen Zielen hinterher. Unser Weg führt uns in einen Abgrund. Wir sind Sünder, d. h.: Wir haben in unserem Leben Gott nicht auf der Rechnung. Wir leben ohne ihn. Und das nicht schlecht. Bei besonderen Gelegenheiten nehmen wir ihn ganz gern in Anspruch. Bei freudigen Ereignissen zum Beispiel. Da zeigen wir durchaus auch unsere Dankbarkeit, die wirklich aus unserem Herzen kommt. Oder bei traurigen Anlässen. Da suchen wir nach Gottes Beistand. Oder wenn uns unerklärliches, unbegreifliches Leid betrifft. Dann fragen wir: Warum, Gott, lässt du das zu? An Höhepunkten und an Tiefpunkten unseres Lebens suchen wir Gott und setzen ihn auf unsere Rechnung. Aber nicht so sehr im Alltag. Der verläuft nach ganz eigenen Gesetzen. Da muss jeder sehen, wo er bleibt. Da sind wir auf uns alleine gestellt und auch uns alleine Rechenschaft schuldig. Da brauchen wir Gott im Grunde genommen gar nicht. Weil wir auch ganz gut ohne ihn zurechtkommen. Und wer möchte schon gerne von sich behaupten, dass er nicht alleine zurechtkommt.
So sind wir nicht – wir, die wir heute Morgen hier zum Gottesdienst versammelt sind? So sind doch viel eher die, die heute nicht hier sind und sonntags meistens auch nicht? Die sollten das mal hören! Vorsicht bei solchen Gedanken. Ja, es stimmt natürlich: Die „anderen“ sollten das auch mal hören. Aber wir haben es genauso nötig. Denn so völlig fremd ist uns der Gedanke nicht, dass wir im alltäglichen Leben ganz gut ohne Gott auskommen. Natürlich würden wir das nicht so offen sagen. Und wir verbieten uns solche Gedanken auch schnell wieder, wenn sie einmal in uns aufkommen. Aber – wir leben doch oft so, als kämen wir auch ohne Gott zurecht. Und es gibt von dieser Art zu leben sogar eine fromme Variante. Die ist sich nämlich des eigenen Glaubens, der eigenen Rechtschaffenheit und Rechtgläubigkeit so gewiss, dass sie letztlich auch ohne Gott auskommen kann. Die ist sich so sicher, auf der richtigen, auf Gottes Seite zu sein, dass Gott eigentlich nur froh und dankbar dafür sein kann. Und manchmal kann diese Variante des Lebens ohne Gott sogar im Gewand tiefster Demut daherkommen, hinter der dann nur ein ganz besonderer geistlicher Hochmut steckt.
Wir sind Sünder. Wir sind abgeschnitten von unserem Ursprung wie ein Baum, der seine Wurzeln gekappt hat. Wir haben deshalb auch unser Ziel aus den Augen verloren. Unser Weg ohne Gott führt in den Abgrund, in den Tod. Nicht erst am Ende unseres Lebens oder nach unserem leiblichen Tod. Sondern schon mitten im Leben. Paulus schreibt im Römerbrief kurz und knapp: „Der Tod ist der Sünde Sold“. Der Tod ist das, was am Ende dabei herauskommt, was unter dem Strich steht.
Wir selber kommen aus diesem Verhängnis nicht heraus. Wir selber können uns nicht mit Gott versöhnen, können nicht unseren Frieden mit Gott machen. Sondern Gott hat das getan. Indem er das, was uns zukäme – den Tod – auf Jesus Christus gelegt hat. Indem Jesus Christus für uns eingestanden ist, das auf sich genommen hat, was wir hätten tragen und ertragen müssen. Dadurch hat Gott uns versöhnt. Dadurch hat Gott unsere gestörte Beziehung zu ihm wieder in Ordnung gebracht. Dadurch setzt Gott sich wieder auf unsere Rechnung.
„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber...“, schreibt Paulus.
Vor allem zwei Dinge sind daran wichtig.
Einmal: Gott hat die Welt mit sich versöhnt. Gott handelt hier! Nicht die Menschen. Und nicht Gott ist es, der durch die Sünde der Menschen erzürnt und beleidigt wäre, der nach einem Opfer verlangte, um die Schuld zu sühnen. Nicht Gott steht den Menschen unversöhnlich gegenüber und muss beschwichtigt werden. Sondern umgekehrt: Gott hat die Menschen, die ihm unversöhnlich gegenüber stehen, mit sich versöhnt. Nicht Gott müsste durch den Tod Jesu Christi besänftigt werden. Sondern Gott hat den Graben überbrückt, den die Menschen zwischen sich und Gott aufgerissen haben. Gott bringt sich in unser Leben wieder ein, aus dem wir ihn gern herausdrängen. Er gibt sich mit unserer Abweisung nicht zufrieden und zieht sich nicht beleidigt zurück. Gott tut den ersten Schritt auf uns Menschen zu und reicht uns die Hand zur Versöhnung. Wir können von uns aus nichts dazu tun, als in diese angebotene Hand einzuschlagen. Wir können von uns aus nicht mehr tun, als anzuerkennen: Ja, ich habe es nötig, dass Gott mich versöhnt. Ich habe es nötig, dass Christus für mich gestorben ist. Ich will nicht länger unversöhnlich vor Gott stehen. Ich will die Versöhnung, die Gott mir anbietet, annehmen.
Gott reicht uns die Hand zur Versöhnung. Das ist sein Angebot. Denn nur dadurch kann Versöhnung geschehen, dass einer einem anderen Versöhnung anbietet. Sie lässt sich nicht befehlen oder von oben anordnen. Sie beginnt da, wo einer den ersten Schritt tut. Wo einer auf den anderen, der ihm feindlich und unversöhnlich gegenüber steht, zugeht und ihm Versöhnung anbietet und der andere in die zur Versöhnung ausgestreckte Hand einschlägt.
Und zum anderen: Weil Gott nicht nur mich und dich, weil Gott nicht nur die einzelnen Menschen mit sich versöhnt hat, sondern „die Welt“, wie Paulus schreibt, deshalb werden die, die Gottes Versöhnungsangebot annehmen, zu seinen Botschaftern. Zu Menschen, die Gottes Angebot bekannt machen und weitertragen. Zu Menschen, die andere bitten: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Schlagt ein in Gottes ausgestreckte Hand! Bleibt nicht unversöhnlich und feindselig gegenüber Gott stehen!
Nicht mit Drohungen können oder sollen wir Gottes Versöhnungsangebot unter die Leute bringen. Sondern mit der Einladung, mit der Bitte, so wie es dem Charakter von Versöhnung entspricht. Nicht mit vollmundigen Erklärungen und Glaubenssätzen, sondern mit einer Einladung, mit einer Bitte, die um den anderen wirbt und die ihn dabei ernst nimmt.
Natürlich – wenn Menschen auf diese Bitte: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ antworten: Aber warum denn? Das habe ich doch gar nicht nötig! – dann müssen wir als Christen uns bemühen, ihnen deutlich zu machen, wie sehr sie das nötig haben. Aber nicht von oben herab wie Moralapostel. Sondern als Menschen, die selber diese Versöhnung – immer noch und immer wieder – nötig haben und die von ihr leben. Nicht als Gerichtsprediger, die mit Tod und Höllenstrafen drohen, sondern als Menschen, die mit Gott versöhnt leben. Und für die erst dieses Leben aus der Versöhnung wahres, erfülltes, lohnenswertes, sinnvolles Leben ist.
Leben, das in seinem Ursprung, in Gott verwurzelt ist und aus diesem Ursprung seine Kraft bezieht. Leben, das ein Ziel vor Augen hat, das Jesus mit seinen Bildern vom Reich Gottes beschrieben hat, mit Bildern von Versöhnung und Frieden und Gerechtigkeit. Leben, das durch diesen Ursprung und durch dieses Ziel Bestand hat; das selbst dem Tod standhalten kann. Zu diesem Leben aus der Versöhnung und für die Versöhnung einladen – das ist unsere Aufgabe als Christen.
Nicht immer eine einfache Aufgabe. Denn wer bittet, kann auch Gleichgültigkeit oder Ablehnung erfahren. Aber wenn wir selber diese Bitte hören und in Gottes zur Versöhnung ausgestreckte Hand einschlagen, dann können wir gar nicht anders, als das weiterzusagen und weiterzutragen und andere zu bitten: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“
Amen
Verfasser: Dekan Michael Tönges-Braungart
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