Wochenspruch: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16)
Psalm: 22,2-9.12.16.19-20 (EG 709)
Reihe I: Johannes 19,16-30
Reihe II: 2. Korinther 5,(14b-18)19-21
Reihe III: Jesaja 52,13-15;53,1-12
Reihe IV: Lukas 23,32-49
Reihe V: Kolosser 1,13-20
Reihe VI: Matthäus 27,33-54
Eingangslied: EG 91, 1–4 Herr, stärke mich
Wochenlied: EG 85, 1.4.6.9 O Haupt voll Blut und Wun-den
Predigtlied: EG 93 Nun gehören unsre Herzen
Schlusslied: EG 98 Korn, das in die Erde
(14b dass einer für alle gestorben ist und so alle gestorben sind.
15 Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde.
16 Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr.
17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
18 Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.)
19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Karfreitag gilt als einer der höchsten Feiertage im Kirchenjahr. Seine volle Bedeutung kann er allerdings erst entfalten, wenn die Botschaft von Ostern mitgehört wird. So klingt die Auferstehungsbotschaft auch im Predigttext aus dem zweiten Korintherbrief für Karfreitag an.
Der Karfreitag ist in der Kirchengeschichte belastet. Über Jahrhunderte war es der Kirche selbstverständlich, „die Juden“ des Todes Jesu am Kreuz zu bezichtigen, während ein Mann wie Pilatus sich die „Hände in Unschuld waschen“ konnte. Diese Schuldzuweisung führte immer wieder auch und gerade an Karfreitagen zu Pogromen. Die Juden wurden als „Gottesmörder“ bezichtigt.
Es ist deshalb gut, mit historischen Aussagen vorsichtig umzugehen und eher danach zu fragen, was dieser Tag, was der Tod Jesu am Kreuz für mich selber bedeutet. Dabei kann der heutige Predigttext hilfreich sein, der in seiner vollen Länge, auch mit dem Klammertext, zugrunde gelegt wird.
Die Verkündigung des Kreuzes spricht mich direkt an. Sie stellt mich in die Wirklichkeit von Leben und Tod, Macht und Gewalt, Hass und Vergebung, Schuld und Versöhnung. Die Versöhnung allerdings darf ich nicht zuerst für mich erwarten oder gar einfordern. Vielmehr sollte ich danach fragen, wo meine Schuld liegt, wo ich Versöhnung nötig habe, wo ich selber vergeben kann und wo ich versöhnend wirken kann.
Liebe Gemeinde,
Da stehen sie nun unter dem Kreuz mit ihren zerplatzten Träumen. Wie viel Hoffnung hatten sie in diesen Mann gelegt, der sie mit so viel Begeisterung, so viel Charisma aus ihrer lähmenden Enttäuschung gerissen hatte. Ihrer Enttäuschung über die Mächtigen in Politik, Religion und Gesellschaft. Bei Jesus sahen sie einen Aufbruch, Handeln, eine echte Hoffnung. Davon redeten andere nur. Sie trauten sich aber nicht, den Aufbruch wirklich zu wagen. Denn die Herrschaftsverhältnisse waren nicht danach: Rom herrschte mit harter, ja brutaler Hand. Pontius Pilatus verhängte Todesurteile am Kreuz ohne Ende, nicht nur gegen Jesus und die zwei anderen am Kreuz. Sein Waschen der Hände in Unschuld – geschenkt! Er verstand sich auf Macht, Unterdrückung und Stimmungen im Volk.
Und nun hängt der Träger ihrer Hoffnung, Jesus, da, schreit nach seinem Gott oder nimmt sein Leiden in Ergebenheit an – je nach den Erzählungen der Evangelisten.
Auf jeden Fall aber war‘s das dann wohl mit dem Gottesreich, mit der Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden. „Gehen wir nach Hause“, sagen die einen und gehen nach Emmaus. „Begleiten wir ihn bis zu seinem Tod und darüber hinaus“, sagen andere wie Johannes oder die Marias und bleiben unter dem Kreuz stehen.
Sie alle aber treibt die Frage um: Bleibt irgendetwas von die-sem charismatischen Menschen, ist da etwas zu bewahren oder ist sein Tod wirklich die totale Niederlage? Wird man sich erinnern an den, der dort am Kreuz hängt? Bleibt sein Werk bestehen? Können sie selber, die Jüngerinnen und Jünger Jesu, sich etwas bewahren? Füllt sich die unendliche Leere in ihren Herzen nach seinem Tod irgendwann wieder mit einem Sinn? Was können sie überhaupt bewahren? Sein Antlitz, seinen Körper, seine Worte, seine Gesten?
Diese Fragen stellen sich Jesu Jüngerinnen und Jünger und alle anderen Menschen, die ihn begleiteten. Und besorgt fragen vielleicht auch manche seiner Gegner: Wird er als toter Mann womöglich wirkungsvoller werden, als er es im Leben je hätte sein können? Vielleicht gar ein Märtyrer?
Diese Fragen stellen sich auch alle, die über seinen Tod hinaus von diesem besonderen Leben erzählen wollen, die es auf-schreiben wollen, die es vor dem Vergessen bewahren wollen. In Erzählungen, in Predigten, in Berichten, in Briefen erzählen sie von diesem Jesus von Nazareth, der eigentlich die Wende der Zeiten bringen wollte. Sie suchen nach Erklärungen, die auch für die Zukunft Bedeutung haben können.
Ihre Antworten allerdings sind sehr unterschiedlich:
Sie erzählen vom frommen Juden oder von dem, der sich vom Judentum abwendete, vom Revolutionär oder von dem, der dem Kaiser geben ließ, was des Kaisers ist.
Sie erzählen vom Gründer einer neuen Religion oder von ei-nem, der die Fragen des Judentums auf die Spitze trieb.
Sie sehen ihn tot im Grab oder doch als den Auferstandenen, der die Erfahrungen des Todes auf den Kopf stellt.
Auch der Apostel Paulus stellt sich diese Fragen, versucht die-sem sinnlosen Sterben einen Sinn zu geben. Sieht für sich selber den Auftrag, Jesu Botschaft weiter zu tragen. Auch in dem Predigttext für den heutigen Karfreitag.
(Lesung des Predigttextes)
Der Tod eines Menschen, liebe Gemeinde, ist eigentlich immer sinnlos, lässt Menschen ratlos zurück.
Vielleicht aber ist er nicht mehr ganz so sinnlos, wenn der Verstorbene auch über den Tod hinaus eine Bedeutung hat, für mich, für andere.
Wenn ich schon Abschied nehmen muss, wenn ein Platz neben mir unwiderruflich leer bleibt, gibt es dann wenigstens etwas, das mir über den Tod hinaus bedeutsam ist? Das ich bewahren kann, für mich?
Paulus sagt, Jesus ist „für mich“ gestorben. Einer ist für alle gestorben, sagt er, nimmt etwas auf seine Schultern, trägt meine Last, meine Schuld. Der Tod ist dann nicht mehr nur einfach sinnlos, verliert vielleicht etwas von seinem Schrecken, von der grenzenlosen Einsamkeit, von der Sinnlosigkeit, die ich im Angesicht des Todes empfinde.
Und Paulus geht noch einen Schritt weiter: Stirbt Jesus für mich, so ist auch mein eigenes Sterben in ihm aufgehoben, so bin ich in seinen Verheißungen geborgen. Wenn er aber für mich gestorben ist, dann gilt das auch für die Auferstehung. Ich trage auch das Merkmal der Auferstehung in mir. Eine Hoffnung, die über den Tod hinaus reicht.
Doch ist das mehr als nur ein frommer Wunsch? Ist das wirk-lich die Antwort auf die mich bedrängende Fragen, wie ich mit Tod und Sterben umgehen kann. Wie ich den Tod ertragen kann, mit all den Abschieden, all den Verlusten
Was kann ich überhaupt bewahren, wenn ich Abschied nehmen muss? Ich kann den Leib des Verstorbenen nicht bewahren, ja ich fürchte, sein Angesicht, sein Aussehen nicht mehr zu erinnern. Ich habe Angst, dass sich die Erinnerung auflöst, verflüchtigt.
Doch festhalten kann ich den verlorenen Menschen nicht. Ich kann sein Wesen erinnern, seine Liebe, seine Hoffnungen, si-cher auch seine Ängste, seine Verzweiflung. So wird er Teil meines eigenen Lebens und Handelns. Ich frage nicht mehr nach dem Sinn seines Sterbens, sondern bewahre ihn in meinem Herzen, in meinem Handeln, in meinem Verstand.
Diesen Weg müssen auch die Jünger Jesu lernen zu gehen, um nicht in der Vergangenheit hängen zu bleiben. Sie erkennen: Es hat etwas Neues begonnen. Es ist tatsächlich Altes vergangen. Es ist tatsächlich etwas wie eine neue Schöpfung entstanden. Darauf kann man aufbauen. Das ist fruchtbarer Boden, der Neues hervorbringen kann. Fruchtbarer Boden, auf dem erkennt wird, dass die Verheißungen des ersten Bundes Gottes mit Israel bleibend gültig ist und sie aber auch als Deutung des Kreuzes Jesu versteht.
Nach dieser Deutung fragt der Apostel. Er sucht nach dem tieferen Grund für den grausamen Tod am Kreuz, nach einem Sinn und findet ihn in der Erlösung der Welt. Das kleine Wört-chen „für uns“ wird hier noch einmal verstärkt.
Paulus sieht im Tod Jesu am Kreuz einen Sühnetod. Jesus sei gestorben, sagt er, damit er alle Menschen vor Gott rechtfertige. Das ist Teil der kirchlichen Lehre bis in die Gegenwart, sicher auch formuliert gegen die brennende Frage - die sich wohl mancher auch selber stellt - was das wohl für ein neues Gottesreich sein soll, dessen Gründer am Kreuz endet.
Denn so sehr auch der Sühnetod Christi ein Teil der kirchlichen Lehre ist. Es bleibt die drängende Frage: Hat Gott das wirklich nötig, einen Menschen zu opfern, um die Menschen gerecht zu sprechen? Kann so aus der Niederlage am Kreuz wirklich ein Sieg werden?
Tatsächlich hat sich in der Kirche das Marterholz des Kreuzes zum Siegeszeichen gewandelt. Wir finden es in allen Kirchen, an Halsketten, in manchen Schulzimmern. Aber wird das Kreuz damit erklärt, seiner Brutalität beraubt?
Leider hat die Kirche sich nicht darauf beschränkt, den Sinn des Kreuzes zu verkündigen. Vielmehr hat sie über Jahrhunderte hin immer auch die ihrer Ansicht nach Schuldigen benannt, nämlich die Juden. Was historisch falsch ist, da die Rö-mer Jesus kreuzigten. Und was theologisch keinen Sinn macht, wenn doch Gott selber dieses Sühneopfer wollte.
Die Rede des Apostel Paulus hat ihre Wurzeln im Alten Testa-ment im Lied vom Leidenden Gottesknecht (Jes 52/53, sollte vielleicht als Lesung verwendet werden), auch wenn der Prophet seine Worte nicht auf Jesus bezogen hatte, sondern vielleicht auf einen der Könige Israels oder auf das Volk Israel insgesamt. Bei Jesaja ist das kein stolzes Siegesbild. Bei ihm wird das Leiden als stellvertretendes Leiden für die ganze Menschheit verstanden.
Und in diesem Sinne müssen wir wohl auch den Text des Apostel Paulus lesen:
Nicht als gegen jemand anderen gerichtet, der diesen Jesus ans Kreuz gebracht hat.
Nicht als ein Zeichen der Überbietung des „Alten Bundes“ durch den „Neuen Bund“.
Nicht als einen Sieg der Gnade über das Gesetz.
Vielmehr ist der Gedanke des Sühnopfers Jesu für die gesamte Menschheit ein Geschenk und ein Auftrag. Das Wort bietet uns die Bibel selber an: Es geht um Versöhnung.
Und damit bin ich bei dem Auftrag, den ich als Christ in dieser von so viel Gewalt, Krieg, Rechthaberei, Verachtung und Er-niedrigung geprägten Welt habe:
Die Sinnlosigkeit des Todes, und gar des Todes am Kreuz vor Augen, kämpfe ich gegen Hass und Gewalt zwischen Völkern und Nationen, aber auch zwischen Menschen wie Du und Ich. Mir ist eine Botschaft geschenkt, die ich weitergeben darf, kann und auch muss: Die Versöhnung der Welt:
Ich kann Versöhnung verkündigen, Versöhnung zwischen Menschen, aber auch Versöhnung mit der Natur, der wir so übel mitspielen.
Ich kann Leben ermöglichen, zwischen Menschen, zwischen Völkern auch in einer Welt, die unter ihrem Missbrauch ächzt und stöhnt.
So stehe auch ich unter dem Kreuz, ratlos, mit offenen Fragen.
Aber ich weiß:
Das Kreuz Jesu will nicht für Kreuzzüge missbraucht werden, es ist kein Zeichen von Sieg und Gewalt, sondern will in all seiner Unsinnigkeit als Zeichen der Versöhnung in die Welt gebracht werden.
AMEN
Verfasser: Pfarrer i. R. Ulrich Schwemer, Kiliansweg 1, 64720 Michelstadt
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