Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat! (Psalm 33,12)
Psalm: 122
Reihe I: Markus 12,28-34
Reihe II: Römer 11,25-32
Reihe III: 2. Mose 19,1-6
Reihe IV: Matthäus 5,17-20
Reihe V: 5. Mose 4,5-20
Reihe VI: Sacharja 8,20-23
Eingangslied: EG 440 All Morgen ist ganz frisch und neu
Wochenlied: EG 138 Gott der Vater steh uns bei
Predigtlied: EG 495 O Gott, du frommer Gott
Schlusslied: EG 562 Segne und behüte uns
17 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. 18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. 19 Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. 20 Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Ich möchte in dieser Predigt nicht das Thema Israel-Sonntag ausdrücklich thematisieren. Auch weil ich hoffe, dass wir in der Kirche am ehesten dadurch einen Beitrag zur Eingrenzung von Antisemitismus leisten, wenn wir den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Judentum und Christentum schlicht voraussetzen. Und uns verabschieden von christlichen Überlegenheitsgefühlen.
Mir liegt daran aufzuzeigen, dass wir ohne Regeln, allgemeine Vereinbarungen(=Gesetz) nicht auskommen. Das ist auch die Position des Matthäus-Evangeliums. Mir liegt auch daran, dass es Jesus um das Tun geht, das sich in der Spur Gottes bewegt. Die Bergpredigt, in der unser Predigtwort steht, will nicht Theorie liefern, sondern zum Leben ermutigen, das Vertrauen auf Gott zeigt.
Einigermaßen selbstverständlich setzt Jesus voraus, dass es ein lohnendes Ziel ist, in das Himmelreich zu kommen. Dafür lohnt es zu fragen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Ich habe zwei Männer im Krankenhaus erlebt, die kein Ziel mehr sehen. „Wenn es doch vorbei wäre. Dann wäre es gut.“ Beide nicht schwer krank. Dennoch nichts von Erwartung für das Leben zu hören. Weder Freude noch menschliche Nähe sind Hoffnungsschimmer. Nichts deutet auf Erwartung über den Horizont hinaus. Mich erschreckt das, weil ein Leben, von dem nur zu erhoffen ist, dass es bald vorbei ist, dass danach nichts mehr ist, keine Spur von Hoffnung mehr zeigt. Der Himmel ist kein Ort der Sehnsucht mehr. Was bleibt, ist nur noch Leere.
Ich frage ein wenig frech: Wollen Sie, liebe Predigthörerinnen und Predigthörer, in den Himmel kommen? Lohnt sich das denn? Der Aufwand? Brav sein, fromm sein, sich an die Regeln halten? Es ist gerade einmal 20 Jahre her, da war das ein Bestseller: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin: Warum Bravsein uns nicht weiterbringt.
Wer will schon einen Himmel, in den man nur kommt, wenn man brav ist, sich an die Regeln hält, einen Himmel, der nach Langeweile klingt.
(Folgende Geschichte kann als Illustration eingesetzt werden:
Zwei Engel zogen den Dienstmann Aloisius Hingerl mit vieler Mühe in den Himmel, wo er von St. Petrus aufgenommen wurde. Der Apostel gab ihm eine Harfe und machte ihn mit der himmlischen Hausordnung bekannt. Von acht Uhr früh bis zwölf Uhr mittags »frohlocken«, und von zwölf Uhr mittags bis acht Uhr abends »Hosianna singen«. - »Ja, wann kriagt ma nacha was z'trink'n?« fragte Alois. - »Sie werden Ihr Manna schon bekommen«, sagte Petrus.
»Auweh!« dachte der neue Engel Aloisius, »dös werd schö fad!« In diesem Momente sah er einen roten Radler, und der alte Zorn erwachte in ihm. »Du Lausbua, du mistiga!« schrie er, »kemmt's ös do rauf aa?« Und er versetzte ihm einige Hiebe mit dem ärarischen Himmelsinstrument.
Dann setzte er sich aber, wie es ihm befohlen war, auf eine Wolke und begann zu frohlocken:
»Ha-lä-lä-lä-lu-u-hu-hiah!«... )
Dafür nun auch noch die ganze Mühe des Gesetzes? Regeln, die das Leben einengen. Es ist schon gut, dass der Herr Jesus es nicht so mit dem Gesetz hat. So geht die Normaldenke von Protestanten. Gesetz – du sollst nicht, du darfst nicht, du musst. Das ist altbacken, überholt. Hinzu kommt: Wir haben doch gelernt; Jeder ist ein Sonderfall. Was gelten da schon Regeln?
Da halten wir es lieber mit Jesus. Der heilt am Sabbat. Der lässt seine Jünger und Jüngerinnen Ähren ausraufen und nimmt sie in Schutz. Der deckt die Heuchelei der Pharisäer und Pharisäerinnen auf, die glauben, dass man nur verlangen muss, dass die Anderen die Vorschriften ordentlich beachten, während sie selbst… Wasser predigen und Wein saufen – so sind die, die das Gesetz hochhalten.
Darum ist es ein ziemlicher Schock, was wir da in der Bergpredigt zu lesen bekommen. Ausgerechnet in der Bergpredigt, dem Manifest für eine freiheitliche, fortschrittliche, menschenfreundliche Religion.
Jesus ist nicht gekommen, um eine reine Gesinnung zu verkündigen. Sondern, so sagt Matthäus: er ist gekommen, um das Gesetz zu erfüllen. Es scheint, Jesus steht auf das, was auf Hebräisch tôrā heißt, Willenskundgabe Gottes. Nie Paragraphendschungel und formal-juristischer Rechtskodex. Sondern Weg-Weisung. Es geht Jesus vom ersten bis zum letzten Wort um ein Tun, das dem Willen und den Weisungen Gottes entspricht. Es geht um Lebenspraxis.
Jesus hat ja nicht, damals nicht, heute nicht, zum Ausstieg aus der Welt aufgerufen. Er ist aus der Wüste zurückgekehrt in den Alltag nach Galiläa. Am See. Dort muss sich das Leben unter dem Achten auf das Gesetz, die Weisungen Gottes realisieren und bewähren. Keinen betrügen, nicht den raschen Vorteil für sich suchen, keine üble Nachrede, kein Einbrechen in fremde Ehen, keine Missachtung der alten Eltern. Erfüllung des Gesetzes - freilich nicht in buchstäblicher Gesetzestreue. Wohl aber in der Hingabe an den Willen Gottes. An den Willen, der gut ist und das Gute sucht, der das Leben will, der will, das wir einander wohl tun. Das ist der Weg Jesu – den eigenen Willen dem Willen Gottes anpassen.
Dahinter steht das Bild: Jesus lebt das Gesetz. Er erfüllt es im Lassen und im Tun, im Reden und Handeln, in der Existenz. Nicht unbedingt wörtlich, aber ganz im Sinn und Willen des Vaters. Bis ins Beten in Gethsemane. „Wie er geliebt hatte die Seinen, so liebte er sie bis ans Ende.“(Johannes 13,1) Bis zum Äußersten - in der Liebe: Das ist der Wille des Vaters - das ist seine Richtschnur.
Zwei Denkweisen stehen sich gegenüber: Auf der einen Seite die, die am Gesetz festhalten als der guten Weisung Gottes, auf der anderen Seite die, die das Gesetz für erledigt halten, für abgetan. Weil da, so denken sie, der gesetzesfreie Weg zum Heil in Jesus geöffnet ist. An dieser Stelle sind die Worte ein unübersehbares Stopp-Schild. Es ist charakteristisch für die Anfänge der christlichen Gemeinde. Wenn es um Wegweisung für das Leben geht, nicht nur für die Frömmigkeit, dann fragen sie: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Die Worte Jesu helfen, in Streifragen –auch innerhalb der Gemeinde – die Richtung zu finden. Das ist der Grund der so sorgfältigen Überlieferung in den Evangelien, nicht nur bei Matthäus.
Wahrscheinlich hilft es weiter, sich zu vergegenwärtigen: Es geht nicht ohne die Gesetze, die dem Leben innewohnen: Wer nicht isst, verhungert, wer nicht trinkt, verdurstet, wer nur sich selbst kennt, wer nicht anderen respektvoll begegnet, isoliert sich selbst. Er gerät in tödliche Einsamkeit. Wir haben es in den letzten Jahren schmerzhaft gelernt: Das Leben mit dem Virus kennt nur seine eigenen Spielregeln und wer sich an dieser Stelle nicht an die Regeln hält, verliert.
Es gibt Gesetzmäßigkeiten, die immer und überall gültig sind und ohne die das Leben sich selbst aufhebt. Jesus ist kein Anarchist und will keine Anarchie. Er will, dass wir dem Leben als der guten Gabe des Vaters im Himmel dienen. Darum will er auch, dass wir die Lebensregeln, die dem Leben eingewoben sind, achten und erfüllen. So wie er sie selbst achtet und erfüllt.
Im Alten Testament gibt es eine durchgängige Denkfigur: Alttestamentler nennen das den Tun-Ergehens-Zusammenhang. Unser Tun hat Folgen. Für uns selbst, für andere, für unsere Gottesbeziehung. Wir müssen die Suppe auslöffeln, die wir uns selbst eingebrockt haben. Das Leben hat etwas von einem Echo. So wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Entweder wir gehen die Wege Gottes oder wir entfremden uns von diesen Wegen. Zugespitzt gesagt: wer lange genug seine Wege ohne Gott geht, der findet am Ende auch nicht mehr auf den Weg zu Gott.
Auf den Punkt gebracht von Konstantin Wecker:
Ach, wie viel Zeit vertan am Tresen, mit Sprücheklopfen, witzig sein.
Der falsche Weg. In seine Seele ließ er nicht mal sich selbst hinein.
Jetzt würd' er gern noch einmal in sich gehen und stößt an Mauern, lässt betrübt
auch diese Hoffnung fahren, und muss sehen: Er hat den Weg zu sich noch nie geübt.
Sich von den Wegen Gottes entfremden ist in der Sicht der biblischen Autoren gleichbedeutend mit sich dem Leben entfremden. Umgekehrt: Den Weg Gottes zu gehen führt zu einem einigermaßen gelingenden Leben. Es ist Schriften wie dem Buch Hiob und dem Prediger Salomo vorbehalten, dafür zu sorgen, dass daraus keine allezeit und überall gültige Formel für das gelingende Leben wird. Es gibt auch das rätselhafte, unverständliche, unfaire Unheil. Es gibt die Klage vor Gott. Und es gibt – Gott sei Dank - die Freiheit Gottes, diesen Zusammenhang von Tun und Ergehen barmherzig zu übersteigen. Das nennt man Vergeben. Darauf darf ich hoffen. Auch das weiß Konstantin Wecker:
Ich würd' gern sagen: Als er starb, sah er am Ende eines Tunnels Licht.
Ob er dann endlich fand, was er nie suchte? Zu hoffen wär's. Mehr weiß ich leider nicht.
Es geht im Kommen Jesu um die bessere Gerechtigkeit, nicht um billige Gnade. Was macht die bessre Gerechtigkeit aus: Nicht nur ein paar Gebote zu halten, sondern alle – also mehr Quantität in Sachen gehaltene Gebote? Nach dem Motto: Mehr ist besser. Oder geht es in Wahrheit um eine neue Qualität, eine andere Art von Gerechtigkeit?
Später im Evangelium wird Matthäus von Jesus die folgenden Worte überliefern: „Das Wichtigste im Gesetz: das Recht, die Barmherzigkeit und der Glauben.“(23,23) Stimmt das, so ist die bessere Gerechtigkeit ein Leben, das die Güte Gottes abbildet, das ihr entspricht. Seinem Erbarmen. Seiner Gnade. So wie Jesus sie lebt.
Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben, ist Leben.
Es gilt: Die Liebe Gottes stellt dich und mich in einen weiten Raum.
Es gilt: Die Liebe Gottes begleitet und bestärkt in uns den Traum.
Es gilt, sich zu erheben, wo uns der Frust den letzten Atem raubt.
Es gilt: In uns wächst Leben, das liebt und hofft und an die Zukunft glaubt.
(C. Bittlinger, in: Atem des Lebens, München 2014, Nr 190)
Verfasser: Pfarrer Paul-Ulrich Lenz
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