Wochenspruch: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. (Lukas 18,31)
Psalm: 31,2-6.8-9.16-17
Reihe I: Lukas 10,38-42
Reihe II: Lukas 18,31-43
Reihe III: Jesaja 58,1-9a
Reihe IV: Markus 8,31-38
Reihe V: 1. Korinther 13,1-13
Reihe VI: Amos 5,21-24
Eingangslied: EG 446, 1.5-9 Wach auf, mein Herz
Wochenlied: EG 401 Liebe, die du mich zum Bilde oder EG 545 Wir gehn hinauf nach Jerusalem
Predigtlied: EG 256, 1.5 Einer ist’s, an dem wir hangen
Schlusslied: EG 157 Lass mich dein sein und bleiben
31 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,
33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.
34 Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.
35 Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte.
36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre.
37 Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber.
38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
40 Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn:
41 Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.
42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.
43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.
Liebe Gemeinde,
„Ich sehe was, was du nicht siehst“, haben wir als Kinder gespielt. Einer hat sich einen Gegenstand im Raum ausgesucht, vielleicht klein und unscheinbar, und hat dessen Farbe genannt. „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist rot.“ Und wer als erster den kleinen runden Gegenstand richtig geraten hatte, war dran, die Aufgabe zu stellen.
Sehen ist nicht gleich Sehen. Man kann sehen, was vor Augen ist und doch für das Wesentliche blind sein. Heute geht es um Sehende, die blind sind für das Wesentliche. Und um einen Blinden, der den Blick für das Wesentliche hat. In zwei kurzen Episoden berichtet Lukas von blinden Sehenden und dem sehenden Blinden.
Ich lese den Predigttext, er steht bei Lukas im 18. Kapitel.
31 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,
33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.
34 Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.
35 Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte.
36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre.
37 Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber.
38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
40 Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn:
41 Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.
42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.
43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.
„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden.“ Jesus sieht voraus, was ihn dort in Jerusalem erwartet. Dass er verhaftet werden wird und misshandelt, dass er leiden und am Ende den Kreuzestod sterben muss.
Vor Augen steht die Leidensgeschichte Jesu. Vor Augen steht die Zeit, auf die wir jetzt im Kirchenjahr zugehen, die Zeit der Passion. Auf den ersten Blick eine Zeit, die wir manches Mal als unbequem, ja anstrengend empfinden. Aber auch eine Zeit, die den Blick in die Tiefe der Dinge und des Lebens in sich trägt. Denn nur wer in die Tiefe schaut, bekommt eine Ahnung von dem Geheimnis der Passion Jesu. Dieses Geheimnis, das uns womöglich so wenig fassbar, ja paradox vorkommt: in Leiden, Tod und Auferstehung Jesu vollendet sich Gottes Liebe. Im verspotteten, misshandelten und schließlich am Kreuz sterbenden Juden Jesus von Nazareth schauen wir Gott selbst.
Um genau dieses Geheimnis geht es beim Aufstieg nach Jerusalem. Dieses Geheimnis auch nur zu erahnen - dafür braucht es tatsächlich den Blick für das Wesentliche.
Diesen Blick für das Wesentliche haben die Jünger Jesu nicht. „Seht!“, sagt Jesus. Aber sie bleiben blind. „Sie aber verstanden nichts davon“. Ich glaube, Lukas will die Jünger nicht als außergewöhnlich begriffsstutzig darstellen oder borniert. Nein, vielmehr: Was Jesus da über Leid und Vollendung, über Tod und Auferstehung sagt, ist ja wirklich kaum zu begreifen. Wie sollte ich auch auf die Idee kommen, im Leiden die Liebe Gottes zu erkennen?
Und auch wir bewegen uns Jahr für Jahr durch die Passionszeit auf Ostern zu, und das über all die vielen Sonntage hinweg. Können wir denn das Geheimnis der Passion Jesu wirklich begreifen? Ist es nicht vielmehr so, dass wir im Grunde Jahr um Jahr dieses Geheimnis wieder und wieder umkreisen, uns seiner Mitte zu nähern versuchen, aber: haben wir es wirklich verstanden? Können wir es wirklich verstehen? Haben wir den Blick für das Wesentliche, den selbst die Jünger Jesu nicht haben?
Einer aber hat ihn, diesen Blick. Und der ihn hat, ist blind. Der Blinde sieht, wofür die Sehenden kein Auge haben. Er erkennt, wer Jesus ist, er erkennt, was es mit Jesus auf sich hat: „Jesus, du Sohn Davids“, ruft er. Der Blinde sieht, was die Sehenden kaum sehen, dass dort der „Sohn Davids“, der verheißene Messias, ja Gott selbst am Werke ist.
Der Blinde geht sehr „blickig“ vor, um mit Jesus in Kontakt zu kommen. Zuerst hört er Schritte und das Gespräch der Vorbeigehenden, er macht sich kundig. Dann liegt er Jesus in den Ohren, er macht Geschrei, ziemlich peinlich und unüber-hörbar. Geradezu unverschämt. Er versteckt seine Not nicht, er verkriecht sich nicht in irgendeiner Ecke, nein: er stellt seine Not mitten in die Öffentlichkeit.
„Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“, so schreit er seine Not heraus.
Völlig ungebremst bricht es aus ihm heraus, all das, was ihn bedroht, was ihn verängstigt, was ihm die Kraft zum Leben raubt. Seine Not bleibt nicht verschlossen in seiner Seele, nein, seine innere Not bekommt ein Außen. „Erbarme dich meiner!“, „eleison me!“ Er schreit diesen Erbarmensruf geradezu heraus, dieses „eleison me!“ und schenkt damit der Christenheit einen ihrer wichtigsten Bittrufe, das: Kyrie eleison, Herr erbarme dich!
Dieses Kyrie eleison, mit dem wir den Gekreuzigten und Auferstandenen zu Beginn eines jeden Gottesdienstes in unsere Mitte rufen. Diesen Schrei des Blinden, der aus dem Inners-ten des Herzens kommt, rufen wir Woche für Woche zu Gott. In unserer Liturgie hat er leider nicht mehr diese urtümliche Wucht, klingt er nicht mehr so existentiell, nicht mehr so tief aus einem zerbrochenen Herzen kommend. Aber ich glaube, das „Kyrie eleison“ trägt das Echo dieses Schreis in sich, und manchmal ist es gut, sich daran zu erinnern, welche Intensität ein „Kyrie eleison“ haben kann. Wer selbst in einer solch existenzerschütternden Situation wie der Blinde ist, kann ihn leichter von sich geben, diesen Schrei nach dem rettenden Christus, diesen Schrei nach dem erlösenden Gott.
Jesus sieht den Bettler und fragt ihn: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Ich frage mich: Hätte ich eine spontane Antwort auf diese Frage, wenn mich Jesus fragen würde? Ich würde grübeln, hin und her überlegen und hoffentlich nicht das Falsche sagen, denn wie oft steht schon der Messias vor mir und fragt diesen einen entscheidenden Satz. Was ist wirklich wichtig für mein Leben? Was brauche ich? Allein dass es nicht gleich aus mir heraussprudelt und ich sofort sagen kann, was ich will, zeigt: habe ich tatsächlich ein Gespür dafür, was ich wesentlich zum Leben brauche? Was wirklich wesentlich ist?
Der Blinde hat es: „Dass ich sehen kann!“ Nicht irgendetwas, nein das Wichtigste. Sehen zu können. Wörtlich übersetzt heißt es: das Gesicht erlangen. Darum geht es. Mit einem Schlag bekommt der Mann aus Jericho von Jesus ein Gesicht geschenkt. Er bekommt das wieder, was sein Schöpfer ihm gegeben hat. Mit seinem Sehen bekommt er sein Ansehen wieder.
Sehen und angesehen sein - Jesus sieht den Mann, er sieht ihn und schaut ihn an. Im Angeschautwerden wird der so weitsichtige Blinde wieder sehend. Ich glaube, in diesem Sehen Jesu liegt etwas vom Sehen des Schöpfers. „Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war.“, betet Psalm 139.
Gott schaut mich an - und ich bin.
Gott schaut mich an - und ich habe Würde.
Gott schaut mich an - und ich bin heil.
Gott schaut mich an - und ich bin sehend.
Sehend für das, was wesentlich ist im Leben.
AMEN
Lass deinen Frieden unter uns erstrahlen
und befreie uns in deiner Liebe,
wir bitten dich: Kyrie eleison (EG 178.12)
Für alle Christen auf der ganzen Erde
bitten wir dich: Kyrie eleison
Für alle, die in deiner Kirche dienen,
bitten wir dich: Kyrie eleison
Für alle, die im Exil leben müssen oder auf der Flucht sind,
bitten wir dich: Kyrie eleison
Für alle Gefangenen und alle Opfer der Unterdrückung
bitten wir dich: Kyrie eleison
Für alle Leidgeprüften und Bedrückten, für alle, die Hilfe und Barmherzigkeit brauchen,
bitten wir dich: Kyrie eleison
Für uns alle, die wir hier versammelt sind, dass wir einander stets beistehen,
bitten wir dich: Kyrie eleison
Dass wir, befreit von aller Schuld,
Menschen des Vertrauens seien,
bitten wir dich: Kyrie eleison
Dass wir Wege finden, die Güter der Erde
besser unter allen Menschen zu teilen,
bitten wir dich: Kyrie eleison
Dass wir in Gemeinschaft mit allen heiligen Zeugen Hoffnung und Mut finden
bitten wir dich: Kyrie eleison
Communauté de Taizé (EG Ost, 789.6)
Verfasser: Pfarrer Konstantin Rost, Magdeburg
Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de
in Kooperation mit dem
Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97