Wochenspruch: „Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25, 40)
Psalm: 112, 5 – 9
Lesungen
Altes Testament: 1. Mose 4, 1 – 16 a
Epistel: 1. Johannes 4, 7 – 12
Evangelium: Lukas 10, 25 – 37
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 265 Nun singe Lob, du Christenheit
Wochenlied: EG 343 Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ
Predigtlied: EG 416
O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens
Schlusslied: EG 170 Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen
Predigttext
31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.
32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.
33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder?
34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Vorbemerkung
Vielen Menschen, die den Gottesdienst besuchen, ist die Familie das Wichtigste im Leben, sie ist ihnen in gewisser Weise „heilig“. Andere dagegen erleben Zerwürfnisse und Trennungen innerhalb der Familie, oft aufgrund von Gewalterfahrung oder Erbstreitigkeiten; für sie ist die Familie eher ein schmerzhafter „Stachel im Fleisch“. Die Predigt soll sich daher vor einer Überhöhung der Familie hüten, andererseits aber auch die Erfahrung von Versöhnung aufzeigen, die ja auch in Familien gelingen kann. Zudem soll deutlich werden, dass die Gemeinde als „Familie Jesu“ einen weltweiten Bezug und Horizont hat und daher immer auch über den Rand der eigenen Gemeinde und des eigenen Landes blicken muss. Dazu sollen aktuelle politische Entwicklungen aufgegriffen und an ökumenisches Miteinander erinnert werden, die Predigt ist im vorletzten Abschnitt entsprechend zu ergänzen.
Im Fürbittengebet sollen die in der Predigt angesprochenen Anliegen und Problemlagen noch einmal benannt und bittend vor Gott gebracht werden: z.B. die Familien, in denen Missverständnisse oder Erbstreit zu Zerwürfnissen geführt haben, die Familien, die weit voneinander entfernt leben müssen, bedrohte Christinnen und Christen oder die Partnergemeinde.
Liebe Gemeinde,
„Blut ist dicker als Wasser!“ Familienbande sind eng, unauflösbar, die Verwandten gehören zusammen. Das ist in den Genen und bis in die Blutmoleküle hinein nachweisbar. Vor allem aber ist es tief im Herzen zu spüren.
Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen, braucht Menschen an seiner Seite, um zu reden und zu lachen, sich zu trösten, Rat zu finden, um geborgen und vertraut zu sein. Ab und an muss man zwar auch mal alleine sein, aber nicht auf Dauer! Das Gemeinschaftswesen „Mensch“ braucht Freundinnen und Freunde, insbesondere aber eine Familie. Sie ist DER Hort von Geborgenheit, ist Zuhause und Halt. „Die Familie ist das wichtigste in meinem Leben“, sagen viele Menschen, und nicht nur die älteren. In der Shell-Jugendstudie von 2010 wird dies ganz aktuell bestätigt:
„Die Bedeutung der Familie für Jugendliche ist … angestiegen. Mehr als drei Viertel der Jugendlichen (76 Prozent) stellen für sich fest, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. Das bezieht sich nicht nur auf die Gründung einer eigenen Familie, sondern auch auf die Herkunftsfamilie. Diese bietet gerade in Zeiten gestiegener Anforderungen in Schule, Ausbildung und den ersten Berufsjahren Rückhalt und emotionale Unterstützung. Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. … Wieder zugenommen hat der Wunsch nach eigenen Kindern. 69 Prozent der Jugendlichen wünschen sich Nachwuchs.“ (Shell-Jugendstudie 2010, zitiert nach der Zusammenfassung auf www.shell.de)
Noch heute sind also die Familienbande sehr eng. Und in biblischen Zeiten waren sie noch viel intensiver als heute. Damals, als immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen die Dörfer und Orte erschütterten, als Besatzer unterwegs waren, es keine staatliche Fürsorge gab und an Renten- oder Pflegeversicherung nicht im Traum zu denken war, als es außerhalb des eigenen Hauses keine Sicherheit gab – damals war der Zusammenhalt in der Familie überlebenswichtig. Sie war Zufluchtsort. Die Eltern zu ehren, vor allem die altwerdenden Eltern, war eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Ohne den Zusammenhalt in der Sippschaft war man fast verloren.
Auch Jesus hatte Familie: Maria und Josef, Schwestern und Brüder. Sie waren eng verbunden gewesen, eine ganz normale jüdische Familie. Doch dann, eines Tages hatte Jesus die Zimmermannswerkstatt verlassen und sein Zuhause in Nazareth zurückgelassen. Seither zog er durch die Gegend rund um den See Genezareth, predigte und heilte. Er hatte Jünger berufen, zwölf an der Zahl. Seinen Verwandten war sein Verhalten fremd, unerklärlich, vermutlich auch peinlich. Sie wollten Jesus zurück holen. Und so kam es zu einem Zusammentreffen zwischen Jesu Familie und den Menschen, mit denen er sich neuerdings umgab.
Jesus saß in einem Haus beieinander mit den Jüngern, und auch andere Menschen waren dabei: Neugierige, Skeptiker, Sünder und Zöllner, Schriftgelehrte, eine bunte Mischung. Da erreichten seine Mutter und seine Geschwister das Haus, und jemand rief: „Jesus, deine Leute stehen draußen“.
Alle erwarteten nun, dass Jesus wie ein „guter Sohn“ reagiert. Jesus, so dachten sie, würde sich erheben und verabschieden: „Entschuldigt, meine Familie will mich sprechen. Ihr habt sicher Verständnis, dass ich euch verlassen muss und hören, was meine Mutter von mir möchte. Dann entscheidet sich, ob ich wieder zu euch hereinkomme. Wenn nicht, dann wünsche ich euch einen schönen Abend.“ Alle, ob drinnen im Haus oder draußen, waren sich ganz sicher: So würde es werden.
Doch Jesus reagierte völlig anders. Er schaute in die Runde, wohl allen einmal ins Gesicht, und stellte kurz und knapp, klipp und klar fest: „Hier drinnen sitzt meine Familie.“ Und er blieb und sprach weiter mit ihnen über Gottes Güte und Erbarmen, über Gottes Willen und seinen Frieden.
Ich vermute: Entsetzten machte sich breit. Bei denen, die im Hause saßen, und bei seiner Familie. Vielleicht auch hier in der Kirche. „Das kann er doch nicht machen! Er kann doch seine engsten Angehörigen nicht so brüskieren! Seine Mutter, seine Brüder, seine Schwestern!“ Doch, er kann. Mehr noch, er muss sich so verhalten. Warum, dazu gleich mehr. Zunächst aber eine wichtige Beobachtung:
Jesus hat seine Familie mit seinem Verhalten sicherlich sehr verletzt. Aber seine Mutter hat dies verkraftet, und einige seiner Geschwister auch. Von Maria wissen wir ja, dass sie später unter dem Kreuz stehen wird, ihrem sterbenden Sohn zur Seite. Von dem Bruder Jakobus wissen wir, dass er nach Ostern in der ersten Gemeinde eine entscheidende Rolle spielte. Jesu Familie wurde also – nach dem ersten Schock – durch diese ungehörige Reaktion nicht dauerhaft entzweit. Das ist ja die Stärke von vielen Familien: Sie halten manches aus und bleiben zusammen, auch über angespannte Zeiten hinweg. Jesus erlebte das. Manche von uns teilen diese Erfahrung auch. Und die, die in belasteten Familiensituationen leben, wünsche ich, dass Sie auch Versöhnung finden, wie Jesus und seine Familie.
Nun zurück zu der Frage, warum sich Jesus so verhielt. Was gegenüber seiner leiblichen Familie ein Affront war, erweist sich nämlich allen übrigen Menschen gegenüber als ein Zeichen von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Jesus bewies, dass er ernst macht mit dem, was er predigt. Er wollte nicht nur behaupten, dass wir Gottes Kinder sind. Jesus lebte es auch, mit allen Folgen für ihn persönlich. Bei ihm sind Reden und Handeln eine Einheit.
Wir beobachten ja leider häufig genau das Gegenteil. Anführer und Revoluzzer predigen zunächst laut und vehement: „alle sind gleich“ und „Gerechtigkeit und Wohlstand für alle“. Doch letztlich statten sie einzig und allein ihren eigenen Clan mit Pöstchen, Privilegien und Privatvermögen aus und lassen das einfache Volk leer ausgehen.
Jesus aber ist lebt seine Botschaft. Die Menschen, die ihm vertrauen und ihm zuhören, sind ihm wichtig, sind tief in seinem Herzen wie eine Familie. Das galt für die Menschen, die damals in dem Haus in Galiläa bei ihm waren, und es gilt auch heute in unserer Kirche. Er ist ja jetzt auch hier mitten unter uns –wir sind hergekommen, weil wir ihm vertrauen und ihn hören wollen. Und es gibt bis heute keinen einzigen Grund, warum Jesus uns alleine lassen sollte.
Jesus predigte und lebte, dass seine Menschen Gotteskinder sind. Er erklärte sie zu einer großen Familie, auch untereinander. Ich vermute, dass dieser Gedanke die Menschen damals überraschte. Sie haben sich daraufhin vielleicht verstohlen umgeblickt und wahrgenommen, wer denn in dem Haus versammelt ist. Der Fischer entdeckte die reiche Dame, der Schriftgelehrte eine einfache Magd vom Brunnen: Sie sahen einander an und konnten es erst kaum glauben: Wir sind Brüder und Schwestern Jesu und wie eine große Familie?! Sie waren erstaunt, mit wem sie durch den Glauben verwandt sind. Niemals hätten sie sich alle diese Leute selbst ausgesucht. Aber Jesus stellte sie in eine Gemeinschaft hinein.
Die Gemeinde, daran erinnert uns diese Begebenheit, ist eine große Familie, zusammengehörig durch den Glauben. Wir sind Schwestern und Brüder, durch Gott verbunden auch heute früh in unserer Kirche. Da sind sicher Menschen, die Sie sich selbst nicht als Freundinnen und Freunde aussuchen würden. Mit denen Sie aber dennoch eine unauflösbare Einheit bilden. Schauen Sie sich doch einmal um, wer hier ist. Schauen Sie nach vorne, nach hinten, zur Seite. Nehmen Sie sie wahr, Ihre Schwestern und Brüder im Glauben. Und auch wenn es in unserer Gemeinde immer wieder – wie in jeder anderen Gemeinde und jeder Sippschaft auch! – Missverständnisse, Abneigung oder Ärger gibt: Für Jesus sind wir Schwestern und Brüder, seine Geschwister und auch untereinander untrennbar verbunden.
Geschwister haben wir aber nicht nur hier in dieser Kirche, sondern überall auf der Welt, in Asien, Afrika, Lateinamerika. Und es kann uns nicht egal sein, wie es unseren Geschwistern an anderen Orten geht. Deshalb möchte ich uns heute erinnern an unsere Schwestern und Brüder in Nordkorea, die verfolgt werden und sich nur unter Lebensgefahr treffen können. Möchte denken an … (hier aktuelle Krisenherd ergänzen z.B. die Christinnen und Christen in Tripolis, die sich vor den Gefechten in Keller flüchten). Möchte in Gedanken schauen nach … (eine Partnergemeinde oder ein Partnerprojekt erwähnen, z.B. nach Aguablanca, in die Schule in Kolumbien, die wir unterstützen). Sie sind unsere Schwestern und Brüder durch Christus, für die wir beten, mit denen wir teilen, die wir nicht vergessen.
Jesu wahre Familie wird zusammengehalten nicht durch Blutsverwandtschaft oder durch die Gene, sondern durch das innere Band des Glaubens und durch ein sichtbares Zeichen: durch das Taufwasser. Die Taufe ist das äußere Merkmal der Verwandtschaft mit Jesus und untereinander. Christus ist mein Bruder, ich bin seine Schwester, bin sein Bruder – spürbar durch das Wasser, mit dem wir getauft sind, und nachzulesen in der Taufurkunde. Und so mag wohl überall sonst in der Welt gelten „Blut ist dicker als Wasser.“ Jesus hat diesen Satz für die Christinnen und Christen umgekehrt: „Wasser ist dicker als Blut!“
Verfasserin: Dekanin Annegret Puttkammer
Tilsiter Straße 3a, 35745 Herborn
Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de
in Kooperation mit dem
Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97