Wochenspruch: "Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." (Lukas 19,10)
Psalm: 103,1-13 (EG 742)
Reihe I: 1. Timotheus 1,12-17
Reihe II: Micha 7,18-20
Reihe III: Lukas 15,1-10
Reihe IV: Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32
Reihe V: Jona (3,10);4,1-11
Reihe VI: Lukas 15,1-3.11b-32
Eingangslied: EG 440 All Morgen ist ganz frisch und neu
Wochenlied: EG 638 Ich lobe meinen Gott
Predigtlied: EG 631 In Gottes Namen wolln wir finden
Schlusslied: EG 615 Kehret um
(3, 10 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat's nicht.)
1 Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2 und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist's ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3 So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. 4 Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? 5 Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6 Gott der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. 7 Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8 Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. 9 Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. 10 Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?
Mit der Einführung der neuen Perikopenreihen, durch die die Zahl der alttestamentlichen Predigttexte deutlich erhöht wurde, hat es auch das Buch Jona in die Reihe regelmäßiger Predigttexte geschafft. Und sogar gleich dreifach: jeweils mit einem Abschnitt am ersten (Reihe III), zweiten (Reihe IV) und dritten (Reihe V) Sonntag nach Trinitatis. Damit gewinnt die Wahrnehmung dieser ironisch-didaktische Novelle im Rahmen der gottesdienstlichen Verkündigung – zurecht! – eine ganz neue Bedeutung und ergänzt die bisher fast ausschließliche Rezeption im Kindergottesdienst (Rettung im Walfisch). Es lohnt sich, zur Vorbereitung das ganze Buch Jona mit seinen nur vier Kapiteln zu lesen und die kompakte Dramaturgie nachzuvollziehen.
Die Abschnitte aus dem Jonabuch sind über drei Predigtreihen verteilt, so dass nicht zu erwarten ist, dass Predigthörer:innen die ganze Handlungsfolge ein oder zwei Jahre später (noch) präsent ist. Wichtig ist es an dieser Stelle, sich selbst und den Hörenden bewusst zu machen, dass der Vers 3,10 eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Kapitel 3 und 4 hat und infolgedessen zweimal vorkommt: Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht. (Reihe IV am Ende und Reihe V am Anfang).
Die Predigt holt die Hörer:Innen bei der Assoziation „Jona und der Walfisch“ ab, um dann narrativ zu verdeutlichen, dass es neben der Rettung im Jonabuch noch andere zentrale theologische Fragen gibt. Ich lege in dieser Predigt zu Jona 3,10 – 4,11 den Akzent auf das Thema „Alle können umkehren – alle erfahren Barmherzigkeit“. Natürlich bedarf der für zeitgenössische Ohren eher sperrige Begriff der Umkehr eine Übersetzung und Aktualisierung, die sich ja vom biblischen Text her direkt anbietet und der:m Prediger:in die Möglichkeit gibt, eigene Beispiele zu ergänzen: Wie können oder müssen wir anders handeln, wo entdecken wir, dass es geschieht? Dem störrischen Jona sollte ein nachsichtig-liebevoller Bick gelten. Wie ihn kann es auch heutige Menschen (aus der Hörer:innenschaft?!) verunsichern, dass Gott seine Barmherzigkeit auch denen zukommen lässt, die wir nicht „auf dem Zettel“ haben: Gott macht in seiner umfassenden Barmherzigkeit keinen Unterschied zwischen Israel und den Fremden in Ninive, genauso wie in unserer Zeit sein Wohlwollen auch Menschen außerhalb der Kirche gelten kann.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
Jona, war das nicht der mit dem Walfisch?
Genau. Das alttestamentliche Buch Jona erzählt, wie der Prophet Jona von Gott den Auftrag erhält, in der Hauptstadt des assyrischen Feindes, in Ninive, Unheil anzukünden. Strafe für die Bosheit der Menschen dort. Er soll den Untergang der Stadt androhen. Jona will das nicht tun. Vielleicht will er der schlimmen Realität dort nicht ins Auge sehen, der Gewalt und Ungerechtigkeit. Vielleicht hat er Angst vor der Reaktion: dass sich die Menschen in Ninive an ihm, dem Überbringer der schlechten Nachricht, rächen. Er macht sich auf in die entgegengesetzte Richtung, mit dem Schiff übers Meer, nach Spanien. Das Schiff gerät in Seenot und als auch Beten nicht mehr hilft, gibt Jona vor allen Matrosen zu, dass er ahnt: Sein Ungehorsam gegenüber Gottes Auftrag ist der Grund dafür, dass sie fast Schiffbruch erleiden. Er ist schuld. Bevor sie alle ertrinken, werfen sie ihn ins Meer. Tatsächlich legt sich daraufhin der Sturm. Ein Walfisch verschluckt Jona und spuckt ihn drei Tage später wieder da an Land, wo die Geschichte begann. Nun begibt sich Jona doch nach Ninive und überbringt dort Gottes schlechte Nachricht. Die Folge: Er wird gehört. Die Menschen glauben ihm und reagieren entsprechend. Jona ist von seinem „Erfolg“ erschüttert. Das hat er nicht erwartet und vor allem nicht gewollt!
Das müssen wir uns mal klar machen: Die Predigt eines zerlumpten, nach Walfisch stinkenden hebräischen Propheten in Ninive, in der Hauptstadt des mit Israel verfeindeten assyrischen Reiches, hat sensationellen Erfolg. Dabei ist es eine richtig schlechte Predigt. Jona versucht nicht, das Wohlwollen seiner Hörerschaft zu erlangen, er erklärt nichts. Er spricht noch nicht einmal von Gott als seinem Auftraggeber. Nur die Unheilsansage spricht Jona aus, im Hebräischen nur fünf Worte. Zu Deutsch etwa so: Ninive: Bald ist alles aus!
Das völlig Unerwartete geschieht: Umkehr in Ninive. Die sachliche Notwendigkeit der Umkehr wird anerkannt. Allen voran der König spricht das aus: So geht es nicht weiter. Mit Gewalt und Ungerechtigkeit muss Schluss sein. Der König ordnet Buße und Fasten an. Alle tun Buße, keiner zeigt mit dem Finger auf den anderen. Es wird ja noch nicht mal geschildert, worin das schlechte Verhalten der Menschen in Ninive besteht: Die Bosheit hat Allgemeingültigkeit!
Solchen unerwarteten und sensationellen Erfolg hat außer Jona kein einziger Umkehrprediger, von dem die Bibel erzählt. Jesaja und Jeremia und alle alttestamentlichen Propheten nicht. Und auch Johannes der Täufer, im Neuen Testament, überzeugt mit seinem Umkehrruf viele, die sich von ihm dann taufen lassen, aber wahrhaftig nicht alle. Er hat auch viele Gegner und Feinde. Jona aber wird gehört, er überzeugt, die Menschen reagieren. Sie erkennen, was falsch läuft, und wollen es ändern. In der Hoffnung, die Katastrophe doch noch abzuwenden. Hier kehrt endlich mal jemand um: sofort und umfassend. Und da kehrt auch Gott um: Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht. (Jona 3.10)
Stellen wir uns das doch einmal vor: Wie die Einwohner von Ninive erkennen wir Menschen unsere Fehler und die schlimmen Folgen, die drohen. (Aktuelle Beispiele: Klimakatastrophe, Friedensbemühungen, gesellschaftlicher Zusammenhalt …) Wir hören auf die mahnenden Worte und ändern uns. Sofort und drastisch.
Stellen wir uns vor: Auf den dramatischen Appell von Greta Thunberg „Ich will, dass ihr panisch werdet!“ hätten die Teilnehmer der Weltklimakonferenz wirklich sofort jeglichen Ausstoß von CO2 verhindert und sanktioniert. Großkonzerne beschränken sich, neue Technologien werden umgesetzt. Privathaushalte können plötzlich Sparsamkeit aus Verantwortung und Solidarität heraus. Das ist ja im letzten Winter wegen der Energieknappheit tatsächlich geschehen. Plötzlich können wir uns beschränken und verzichten.
Stellen wir uns vor: Es würde sich jemand trauen, uns schonungslos die Wahrheit zu sagen. Wie Jona. Diese unangenehme Wahrheit: Uns selbst und die Welt retten, geht nicht umsonst. Das kostet – uns! – etwas. Es wird und es kann nicht mehr alles wie immer bleiben. Oder wollen wir wirklich weiter sehenden Auges in die Katastrophe laufen, statt die Chancen zu ergreifen, die wir noch haben? Das würde ein radikales Umdenken erfordern. Wir müssten neue, andere Wege einschlagen. Und genau darin können wir Zukunft und Hoffnung gewinnen. Nur noch so ist Rettung möglich.
Und dieses Umdenken und neu Handeln beziehe ich jetzt nicht nur auf die drohende Klimakatastrophe. Auch in der Kirche ist Umdenken und neu Handeln angesichts schwindender Mitgliederzahlen und schwindender Finanzen dringend geboten. Das gilt auch für den Zukunftsprozess ekhn2030. Auch diese gravierenden Veränderungen verlangen uns viel ab. Aber nur so werden wir – mit Gottes Hilfe – Zukunft und Hoffnung gewinnen.
Stellen wir uns vor: Die UN veröffentlicht die alarmierende Zahl von erstmals über 100 Millionen Flüchtlingen auf der Welt. Und in allen Ländern Europas werden daraufhin Flüchtlinge aufgenommen, willkommen geheißen und gut versorgt, sogar in Ungarn.
Stellen wir uns vor: Die Predigten der Kirchen für solidarisches Handeln, für Nächstenliebe, für Spendenbereitschaft, für Verzicht und Gemeinsinn würden gehört. Und in die Tat umgesetzt. Von allen. Ab heute. Auch von der Kirche selbst.
Stellen wir uns vor: Wie anders würde unsere Welt aussehen. Da würde der Himmel auf Erden beginnen, oder eben: Da würde Gottes Reich Wirklichkeit werden. Schade, dass wir oft die kleinen Zeichen und Schritte übersehen und meinen: Das wird ja doch nichts, das ist eh nicht möglich. Auch die Medien sind fokussiert auf schlechte Nachrichten. Gute Nachrichten haben es schwer, überhaupt mitgeteilt zu werden und unser Gehör zu finden.
Ideen zur Umkehr an der unerwarteten Stelle, schräge Visionen, mutige Innovation (konkrete aktuelle Beispiele…), all das tun wir schnell ab. Das kommt dann angeblich von der falschen Seite oder zur falschen Zeit. Geben wir der Umkehr, dem Wandel zum Guten eine Chance?
Jona, der Prophet ist uns da ganz ähnlich. Er will nur noch das Unheil sehen. Er wird sogar richtig sauer, als das Unheil, das er in Gottes Namen angekündigt hat, nicht eintritt. Er verengt seinen Blick auf seine kleine Welt, den Rizinus, der ihm Schatten gibt. Die großen Zusammenhänge, die vielen Menschen in Ninive, interessieren ihn nicht mehr. Er hat mit seiner Predigt unvorstellbaren Erfolg – über den sich der Prophet überhaupt nicht freut!
Er meint wohl: Wenn Unheil angekündigt wird, dann muss es auch geschehen.
Aber: Gott ist nicht konsequent.
Nachdem die Menschen in Ninive sich geändert haben, anders denken und anders handeln, ihre Fehler einsehen und bereuen, da kehrt auch Gott um: Es ist eine göttliche Inkonsequenz. Es ist die Konsequenz seiner Liebe zu allen Menschen, dass er so inkonsequent ist und die Menschen vor den Folgen ihres Handelns verschont. Inkonsequenter weise lässt er die angedrohte Katastrophe nicht geschehen. Als Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat's nicht.
Gottes Inkonsequenz ist unsere Rettung.
Diese völlige Freiheit von Gottes Erbarmen irritiert Jona zutiefst.
Mehr noch: Es macht ihn sauer und deprimiert ihn.
Jona will Gott festlegen auf die konsequente Strafe – und scheitert. Dass Gott nachsichtig und heilvoll handelt, auch in Ninive, bei diesen gottlosen Assyrern, das hält er nicht aus. Jona meint wohl: Nur bestimmte Menschen, nur ein bestimmtes Handeln können Gott gefallen. Es bekehren sich in Jonas Augen die Falschen! Gottesfurcht unter den Heiden, das kann nicht sein, meint Jona.
– Und wir?
Dafür kann uns die Geschichte vom Propheten Jona die Augen öffnen: Manchmal sind die Gottesfürchtigen, die auf Gottes Stimme hören und seinen Wegen folgen, an ganz unerwarteter Stelle. Menschen, die mit scheinbar schrägen Visionen und innovativen Ideen dem Wohl und der Zukunft der Menschheit dienen. Menschen, die Fehler erkennen und mutig neue Wege einschlagen. Und ich kann sehen: „Alle können umkehren – alle erfahren Barmherzigkeit“.
Auch wenn es immer wieder Leute wie Jona gibt, die denken: Das kann nicht sein und das darf nicht sein! Wir können auch anders. Ich kann anders! Weil Gott sei Dank Gott mich – und uns mit seiner inkonsequenten Liebe auf neue Wege ruft.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Mechthild Böhm, Im Münchfeld 2, 55122 Mainz
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