Wochenspruch: "Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade." (Johannes 1,16)
Psalm: 105,1-8
Reihe I: Römer 12,9-16
Reihe II: Jeremia 14,1(2)3-4(5-6)7-9
Reihe III: Johannes 2,1-11
Reihe IV: 1. Korinther 2,1-10
Reihe V: 2. Mose 33,18-23
Reihe VI: Hebräer 12,12-18(19-21)22-25a
Eingangslied: EG 455,1-3 Morgenlicht leuchtet
Wochenlied: EG 74 Du Morgenlicht, du Licht vom Licht
Predigtlied: EG 625,1-3 Wir strecken uns nach Dir
Schlusslied: EG 170 Komm, Herr, segne uns
18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Liebe Gemeinde,
Sie und ich, wir sind Augenmenschen.
Ich weiß, dass blinde Menschen unfassbar viel mit anderen Sinnen erfassen können. Aber wir, die wir sehen können, wir sind doch stark auf diesen Sinn hin ausgerichtet und lassen uns auch von ihm bestimmen.
Ich glaube nur, was ich sehen kann. Will heißen: was ich sehe, das ist wahr.
Wir wissen natürlich, dass man z. B. Fotos mit technischen Mitteln super manipulieren kann. Und doch. Ich glaube nur, was sich sehen kann.
Manchmal überkommt uns eine richtige Sehnsucht, etwas zu sehen.
Wenn mein Alltag eher eintönig, grau in grau ist, dann hole ich mir gerne Fotobücher von vergangenen Urlauben hervor. Und dann bleibe ich an den bunten Bildern hängen. Sommerurlaub in der Provence. Eine Ferienwohnung mit großer Terrasse und freiem Blick aufs Mittelmeer. Das Wasser glasklar und tiefblau. Einmal sind wir einem Boot herausgefahren. Ich konnte die Fische sehen, die sich im Meer tummelten. Wie schön war das.
Solche Bilder helfen mir, Erfahrungen in meinem Inneren wachzurufen und sie helfen mir auch, das Grau meines Lebens auszuhalten und auf bessere Tage zu hoffen.
Vielleicht ging es Mose ganz ähnlich. Was hat er erleben müssen als er vom Berg Sinai mit den beiden Gesetzestafeln herunterkam. Das Volk Israel tanzte um das goldene Kalb, der wohl eher ein Stier war und Kraft und Potenz darstellen sollte. Es hatte die Unsichtbarkeit Ihres Gottes und dann das Fernbleiben Mose nicht länger ausgehalten und etwas Sichtbares schaffen wollen, um es anzubeten.
Und dann platzt Mose da herein, ist wütend und maßlos enttäuscht. Und so zerstört er den sichtbaren Gott, den Götzen.
Mose, so könnte man sagen, hatte leicht reden. Er war die ganze Zeit in Kontakt mit Gott gewesen, hatte die 10 Gebote aus seiner Hand erhalten. Aber was sollten die Israeliten denken? Mose nicht da und Gott auch immer nur bedingt sichtbar: Feuersäule? Wolkensäule? Kann es nicht konkreter sein? Kann man von Gott nicht etwas mehr sehen?
Wäre Mose nicht so von seinem Zorn übermannt worden, ich glaube, er und die Israeliten hätten sich treffen können, treffen können in ihrer Sehnsucht etwas zu sehen, was eindeutig ist, was Kraft gibt, heute und über den Tag hinaus.
Zuerst einmal bemüht sich Mose Gott davon überzeugen, dass er Israel eine neue Chance gibt. Er redet, er argumentiert, er fleht. Es dauert, doch dann kommt die Zusage.
Ich sehe Mose vor mir. Nach all den Anstrengungen: enttäuscht, müde, zermürbt.
Was braucht er jetzt? Was hilft ihm? Die Reise ist noch nicht zu Ende. Wer weiß was noch kommen mag an Herausforderungen, die wieder zu Zweifel und Anfechtung führen können?
Lass mich deine Herrlichkeit sehen – das bringt seine Sehnsucht auf den Punkt. Mit der Erfahrung, die Herrlichkeit Gottes gesehen, erlebt zu haben, wird es ihm möglich sein, ein Mittler zwischen Gott und den Israeliten zu sein und zu bleiben auf dem weiten Weg, der vor ihnen liegt. Aus eigener Kraft heraus, das spürt er, wird es ihm nicht gelingen.
Lass mich deine Herrlichkeit sehen – und dann später werde ich mich immer wieder daran erinnern und das wir mir Kraft geben.
Dafür muss Gott doch Verständnis haben. Er weiß doch, in welch schwierigen Situation Mose und die Israeliten sich gerade befinden. Er weiß doch, was sie jetzt brauchen. Licht in der Dunkelheit. Glanz im eigenen Inneren …
Gott versteht, warum Mose seine Herrlichkeit sehen will, aber es geht nicht. Die Herrlichkeit Gottes ist so groß, so mächtig, dass sie nicht ins Leben, sondern für den, der sich ihr aussetzt, in den Tod führt.
Bei der Berufung zum Propheten sagt Jesaja: Weh mir, ich vergehe ... ich habe den König, den HERRN Zebaoth gesehen“
und es bedarf einer Entsühnung, dass er diese Begegnung überlebt.
Gott versteht, warum Mose seine Herrlichkeit sehen will. Aber es geht nicht - um Mose willen.
Im Nein steckt aber ein Ja. Gott macht ein Angebot.
Gott offenbart Mose seinen Namen.
Wieder einmal, so möchte man fast sagen.
Namen sind Schall und Rauch – so heißt ein Sprichwort. Aber das stimmt ja nicht.
Werdende Eltern überlegen heutzutage lange, welchen Namen die Tochter, der Sohn erhalten soll. Die Zeiten, wo in katholischen Gebieten einfach der Namen des Heiligen des Tages genommen wurde, die sind lange vorbei. Jetzt orientiert man sich an ganz anderer Kriterien.
Namen sind bei uns nicht unwichtig. Viel wichtiger ist aber die Bedeutung des Namens im hebräischen Denken.
Der Name ist Programm. Das gilt erst recht, wenn Gott sich mit seinem Namen offenbart.
Bei der Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch offenbart sich Gott unter dem Namen: Ich bin – oder: ich bin da.
Jetzt heißt es: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Gnade und Barmherzigkeit – das ist das Programm dieses Gottes. Immer und immer wieder.
Immer, wenn man zu Recht sagen könnte, jetzt sind die Menschen von dem Weg abgewichen, der nach Gottes Willen ihnen ein gutes Leben beschert hätte, jetzt muss doch mal Schluss sein, dann hat das Gericht doch nicht das letzte Wort, sondern die Gnade und das Erbarmen. Immer wieder können wir das in der Bibel nachlesen. Schon gleich zu Beginn fängt es an und zieht sich wie ein roter Faden durch die Erfahrungen, die die Menschen mit Gott machen.
Kain erschlägt Abel. Er fürchtet um sein Leben. Wohl zu Recht.
Gott sieht die Angst Kains und versieht ihn mit einem Zeichen. Das Kainszeichen also ein Zeichen, das ihn schützen soll. Auch der Mörder soll leben.
Gnade und Barmherzigkeit – so ein Name Gottes.
Und doch bleibt die Souveränität Gottes gewahrt. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Die Option, dass Gott nicht gnädig ist, sich nicht zu erbarmen, bleibt bestehen. Wir dürfen darum bitten und es mit dankbaren Herzen empfangen.
Es ist für unser Gottesverständnis und unseren Glauben unabdingbar diese Souveränität Gottes immer mitzudenken. Erst dann, davon bin ich zutiefst überzeugt, werden wir die Gnade Gottes und sein Erbarmen erst recht schätzen und würdigen können. Und das spiegelt sich schon darin wieder, wie wir Gott im Gebet ansprechen.
Gott offenbart seinen Namen und Gott geht sogar noch einen Schritt weiter.
Ja, Mose darf die Herrlichkeit sehen, nicht von vorne, aber er darf ihr hinterhersehen.
Und noch weitere Schutzmaßnahmen werden von Gott ergriffen. Hier zeigt sich die ganz und gar mütterliche Seite Gottes.
„Siehe, da ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dich halten, bis ich vorübergegangen bin.“
Gott zeigt Mose eine Felskluft, eine kleine Höhle. Zusätzlich will Gott auch noch seine schützende Hand vor das Gesicht, vor die Augen von Mose halten. Die Herrlichkeit ist so groß, so hell, dass sie nur von hinten, geschützt in einer Nische mit einem Schutz vor den Augen zu sehen ist ohne dass Mose Schaden leidet. Und das will Gott nicht. Im Gegenteil. Er unternimmt alles, dass das nicht geschieht. Ja, er versteht die Sehnsucht von Mose und will sie so erfüllen, dass er aus der Erfahrung der Herrlichkeit Kraft und Energie bezieht.
Es ist interessant, dass nicht beschrieben wird, wie diese Herrlichkeit Gottes, wenn auch nur von hinten betrachtet, aussieht.
Interessant, vielleicht enttäuschend, aber doch auch folgerichtig.
Die Souveränität Gottes bleibt damit gewahrt und auch die Intimität dieser Situation.
Würde man die Herrlichkeit Gottes versuchen in Worte zu fassen, dann käme sie schnell als Definition daher. Und würde man die Erfahrung, die Mose gemacht hat, beschreiben, würde man sein Innerstes nach außen kehren. Diese Erfahrung gehört ihm ganz allein.
Er sieht, was er sieht. Und trägt es in seinem Herzen und vor seinem inneren Auge.
Gottes Herrlichkeit von hinten sehen …
Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: das Leben kann nur nach vorne gelebt werden, verstehen kann man es manchmal nur im Nachhinein.
Immer wieder müssen wir in unserem Leben Entscheidungen treffen und wir sind auch manchmal nicht sicher, ob es die richtigen sind.
Erst im Nachhinein sehen wir manchmal, wie sich aus den Schritten, die wir gegangen sind, ein Weg ergeben hat.
Wir fragen in unserem Leben nach Gott, gerade auch in schwierigen Situationen und manchmal, nicht immer, sehen wir im Nachhinein die Spuren seiner Gnade und seines Erbarmens und wir können einwilligen in das Leben, wie es seinen Verlauf genommen hat, auch mit seinen dunklen Seiten.
Lass mich deine Herrlichkeit sehen … Zeig dich Gott … Ach, dass Du den Himmel zerrissest und führest herab.
Diese Worte haben mich und vielleicht auch Sie in den letzten Monaten auch gerade in den letzten Wochen bewegt.
Eine tiefe Sehnsucht nach einem sichtbaren Gott, der eingreift, der den Mächtigen, die die Welt mit Krieg überziehen, in den Arm fällt.
Will sich Gott denn gar nicht mehr erbarmen?
Doch, er tut es.
Es gibt Erbarmen und Gnade in dieser Welt und sie hat mit Gott zu tun.
Die vielen Ehrenamtlichen, die sich jetzt z. B. in der Flüchtlingsarbeit engagieren, die haben eine Menschlichkeit in sich, die auch von Gott kommt. Und die Flüchtlinge erleben Spuren seiner Gnade und seines Erbarmens über die Hilfe, die ihnen zuteilwird.
Die Politiker, die sich immer und immer wieder um diplomatische Lösungen bemühen, die haben eine Kraft und eine Ausdauer, die nicht allein von ihnen herauskommt.
Den Soldaten, die kämpfen, auch töten, auch denen wird Gott seine Gnade und Barmherzigkeit nicht verwehren, wenn sie darum bitten.
Und die, die sterben, die können darauf hoffen, die Herrlichkeit Gottes zu sehen in einem anderen Leben.
Darauf gehen wir alle zu. Irgendwann werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und wir werden umgeben sein von seiner Herrlichkeit.
Bis dahin wollen wir Gott immer wieder darum bitten: Lass mich deine Herrlichkeit sehen. Und Gott wird unsere Bitten erfüllen, auf die eine oder andere Weise. Manchmal sind wir erfüllt von ihr im Augenblick und wir behalten diese Erfahrungen in uns wie ein Schatz. Manchmal erkennen wir diese Momente aber nur in der Rückschau.
Immer aber wird die Erfahrung von Gottes Herrlichkeit uns Kraft und Energie geben für die Aufgaben, die vor uns liegen.
AMEN.
Verfasserin: Pfarrerin Dr. Christiane Braungart
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