Leben aus Gottes Gnade
von Eberhard Dieterich (89518 Heidenheim)
Predigtdatum
:
16.08.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Kirche und Israel
Textstelle
:
Lukas 18,9-14
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Wochenspruch:
"Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade." (1. Petrus 5, 5)
Psalm: 113, 1 – 8
Lesungen
Altes Testament: 2. Samuel 12, 1 - 10. 13 - 15 a
Epistel: Epheser 2, 4 – 10
Evangelium: Lukas 18, 9 – 14
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 447, 1 - 7 Lobet den Herren alle, die ihn ehren
Wochenlied: EG 299, 1 – 5 Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Predigtlied: EG 353, 1 - 4 Jesus nimmt die Sünder an
Schlusslied: EG 347, 4 - 6 Ach bleib mit deinem Segen
Hinführung
Die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner ist eine wesentliche Ursache, dass in unseren Augen Pharisäer – bis in den allgemeinen Sprachgebrauch (1) – als Heuchler gelten. Sie sind es nicht. Pharisäer sind im Judentum zurzeit Jesu eine Gruppe von Menschen, die ganz und gar nach dem Willen Gottes leben wollen. Psalm 1, 1 und 3. Mose 19, 2 drücken etwas von ihrem Selbstverständnis aus. Viele vermuten, dass Jesus selbst aus der Welt der Pharisäer kommt und deshalb auch mit ihnen sich intensiv auseinandersetzt.
Herkömmlich zieht man aus der Erzählung Jesu einen Schluss, wie er im Wochenspruch ausgedrückt ist: „Gott wi-dersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ 1. Petrus 5, 5. Dazu müsste Jesus nicht erzählen.
Lukas selbst zeigt, wem die Geschichte erzählt wird. Vers 9: „Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis“.
Den Frommen zeigt Jesus, dass Gott selbst einen Zöllner „rechtfertigt“, einfach weil er ihn, weil er alle Menschen liebt und keinen verloren gibt.
Diese andere Sicht auf Gott in die Welt entgeht uns in der herkömmlichen Deutung.
Die Sicht des Pharisäers, der herabsieht, können Sie bei sich selbst, in Ihrer Gemeinde, in Ihrer Kirche entdecken. Man muss nicht bis zu den Kreuzzügen und den Hexenverbrennungen zurückgehen. Auch wir Christen glauben Jesus oft nicht.
Deshalb bemühe ich zur Verdeutlichung in der Predigt Jesu Erzählung vom Verlorenen Schaf – wieder einmal. Pharisäer und Zöllner, als „Typen“ sind beide in der christlichen Gemeinde daheim - und wer genau hinsieht findet sie im eigenen Herzen.
So kann ich vielleicht begreifen, dass Gott uns auch den „Anderen“ ans Herz legt, weil Gott sich um alle seine Menschen sorgt und müht und sie liebt.
Gliederung
I. Missverständnisse
II. Jesu Urteil
III. Aufregung
IV. Eine neue Sicht auf Gott und die Welt
V. Zum Beispiel: Verlorenes Schaf
VI. Und wir?
Ziel
Gott gibt keinen verloren
Predigt
I. Missverständnisse
Liebe Gemeinde,
seit Jesus diese Geschichte erzählt hat, haben bei uns Pharisäer nichts zu lachen. Pharisäer haben keinen guten Ruf. Sie gelten als hochmütige fromme Heuchler.
Aber zu Unrecht. Es ging den Pharisäern nie darum, nur korrekt und penibel zu sein, schon gar nicht, auf andere herabzusehen, sondern um mehr:
Gerecht wollten sie sein und das Gesetz Gottes vollkommen einhalten. Also ihr Leben an den richtigen moralischen Maßstäben orientieren, sich selbst und anderen zugute. Nach dem Gebot: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“. (2)
Und deshalb konnten Sie mit dem 1. Psalm beten:
Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen /
noch tritt auf den Weg der Sünder
noch sitzt, wo die Spötter sitzen. (3)
Jesus hat die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner erzählt. Vielleicht hat er sie sogar beobachtet. Wer von Pharisäern und Zöllnern nicht viel weiß - und nach 2000 Jahren wissen wir Christen alle nicht viel von ihnen – der kann auf den Gedanken kommen, die Geschichte wollte sagen:
ein demütiger, reuevoller Sünder ist besser als ein hochmütiger Frommer. Das steht an manchen Stellen in unserer Bi-bel. So sagt es auch der Spruch für diese Woche:
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (4)
Auch Lukas hat es wohl so gesehen. Darum schließt er mit diesem Satz, den er auch in anderem Zusammenhang überliefert. Aber dazu musste Jesus nicht diese Geschichte erzählen. „Ein demütiger, reuevoller Sünder ist besser sei als ein hochmütiger Frommer.“ Das wussten auch Pharisäer. Hätte die Geschichte nur dies zu sagen, dann wäre sie nur unnötig.
II. Jesu Urteil
Worum geht es aber dann?
Jesus erzählt vom Abendgebet im Tempel.
Da ist ein Pharisäer. Ein Gerechter. Einer, dem es gelingt, nach Gottes Gebot und Ordnung zu leben. Einer, der richtig froh ist: „Wie freue ich mich, dass ich recht bin. Da muss doch auch Gott seine Freude an mir haben. Lieber Gott, du freust dich doch, dass es solche Leute gibt, wie uns Pharisäer - und vor allem, wie mich.“
Und er hat ja gar nicht so Unrecht.
Aber da ist der Seitenblick des Pharisäers: „Da ist ja ein Zöllner. Was will denn der hier im Tempel? Es ist gut, dass er ganz hinten steht.“ Und da kann der Pharisäer beten:
„Ich danke dir, Gott,
dass ich nicht bin wie die anderen Leute,
die Räuber, die Betrüger, die Ehebrecher
oder wie dieser Zöllner.“
Der Pharisäer kann auf den Zöllner nur hinunterschauen.
Er tut es dankbar.
Dem Zöllner hilft das nicht.
„Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.“
So erzählt Jesus.
Und von dem Zöllner sagt er:
Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig.
Mit einem Zöllner will kein ordentlicher Mensch zu tun haben. Das ist kein Wunder. Ein Zöllner ist ein landesverräterischer Funktionär des römischen Steuersystems. Bis zum letzten Blutstropfen wurde von Rom das Volk ausgesaugt. Wer einmal in dieses System geraten ist, kommt nicht mehr heraus. Auch wenn er wollte. Wenn er aussteigt, werden sich die Auftraggeber an ihm rächen und sein Volk wird ihn doch nicht wieder annehmen. Zu sehr ist er mit Schande und Unrecht bedeckt.
Dem Zöllner im Tempel ist das alles bewusst geworden. Er ist verzweifelt. Er schlägt sich an die Brust. Er ist in Not. Er ist verzweifelt. Er traut sich nicht einmal die Augen zum Himmel zu erheben wie bei einem Gebet. Und er kann nur mit dem Psalm Davids sagen: Gott, sei mir Sünder gnädig. (5)
Das ist alles.
Und er hat Recht. Er ist ein Sünder.
Die Augen sind ihm darüber aufgegangen. Und er merkt, wie verkehrt sein Leben ist. Mag er ein noch so erfolgreicher Zöllner sein. Und er kann es ja auch nicht ändern. Er kann sich nur verzweifelt an die Brust schlagen. Und dann wird er aus dem Tempel gehen – ebenso verzweifelt, wie er gekom-men ist.
Jesus aber sagt:
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.
III. Aufregung
Bei den Menschen, die Jesus zugehört haben, hat dieses Urteil eingeschlagen wie eine Bombe.
Jeder weiß, dass es so nicht sein kann.
Jeder weiß, dass er so etwas noch nie gehört hat.
‚Der Pharisäer ging dankbar nach Hause. Er legte sich zum Schlafen und schlief den Schlaf des Gerechten.‘
So müsste es heißen.
Und von dem Zöllner? - Von dem weiß man ohnehin nichts.
Aber Jesus sagt:
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.
Wie erklären wir uns das?
Es gibt viele Erklärungen. Die laufen alle darauf hinaus: Der Zöllner war halt doch irgendwie gut – und der Pharisäer - der ist eben ein Angeber.
„Gott widersteht den Hochmütigen, aber dem Demütigen gibt er Gnade.“
Aber das haben die Zuhörer Jesu nicht gehört und nicht ge-meint. Die waren aufgeregt oder aufgebracht!
„Hast du das gehört? Der Zöllner - in den Augen Gottes recht! Wo gibt es denn das?“
Oder: „Was soll denn der Pharisäer noch alles tun, damit er Gott gefällt? Er tut doch schon alles. Ja, er tut ja mehr, als geboten ist.
Er fastet jede Woche zwei Mal! Und er gibt von allem den Zehnten. Das soll ihm einmal einer nachmachen!“
Ja, die Hörer Jesu regen sich auf.
Und das ist richtig.
Der Zöllner ist ein Sünder.
Da ist nichts zu machen.
IV. Eine neue Sicht auf Gott und die Welt
Lukas sagt zu dieser Geschichte: Jesus erzählt solchen, die von sich selbst überzeugt sind.
In der Übersetzung der guten Nachricht heißt es: Dann wandte sich Jesus einigen Leuten zu, die voller Selbstvertrauen meinten, in Gottes Augen untadelig dazustehen, und deshalb für alle anderen nur Verachtung übrig hatten. Denen erzählte er.
Es ist also eine Geschichte, die Jesus nicht für Zöllner, sondern für Pharisäer erzählt. Denen sagt er: Der Zöllner ist gerettet. Gott sieht seine Verzweiflung und gibt ihn nicht verloren.
Denen, die - wie wir auch - die Welt einteilen
- in Rechte und solche, auf die man nur mitleidig hinab sehen kann,
- in Gerettete und Verlorene,
denen sagt Jesus: Schau hin! So groß ist Gottes Liebe. Gott gibt keinen verloren, auch keinen Zöllner.
Das ist eine andere Sicht, als wir sie normalerweise haben.
Es ist auch nicht die Sicht des Pharisäers. Der dankt ja Gott: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.
Gott gibt keinen verloren.
Das ist eine neue Sicht auf Gott und die Welt:
Hoffnung auch für Hoffnungslosen.
Hoffnung für die, wo man nichts machen kann.
V. Zum Beispiel: Verlorenes Schaf
Aber: Wie soll ich das glauben, dass Gott in seiner Liebe so unbeirrbar ist?
Jesus hat noch andere Geschichten erzählt, um für Gottes Liebe zu werben. Manche hat das Lukasevangelium berichtet. Die vielleicht wichtigste in unserem Zusammenhang ist die vom verlorenen Schaf. Darum haben wir sie vorhin gehört.
Der Hirte lässt die 99 Schafe stehen und geht und sucht sein verlorenes Schaf. Er sucht, bis er es findet. Und er nimmt es auf die Schulter und trägt es heim.
Er zieht ihm nicht die Ohren oder die Beine lang. Er trägt es heim. So elend geht es dem Schaf. So groß ist seine Bedürftigkeit. Anschließend feiert der Hirte mit allen Nachbarn: Freut euch mit mir, ich habe mein Schaf gefunden!
Und Jesus sagt: So ist Freude im Himmel über einen Verlorenen, der gefunden wird — mehr als über die, die nicht verloren gehen.
Die Pharisäer haben die Zöllner längst aufgegeben.
Wen haben wir nicht längst abgeschrieben?
Jesus glaubt an den Gott, der keinen Menschen aufgibt.
Darum erzählt er seine Geschichten.
Darum feiert er mit Zöllnern und Sündern.
Die fromme Welt damals und heute hält das nicht aus.
VI. Und wir?
Und was ist mit uns?
Die Geschichte eignet sich nicht als Anweisung.
Jesus sagt nicht: „Sei wie der Pharisäer“ - obwohl der vorbildlich fromm ist.
Und er sagt nicht „Sei wie ein Zöllner.“ Das schon gar nicht.
Warum erzählt er aber dann?
Warum erzählt er sie uns?
Jesus sieht Pharisäer und Zöllner miteinander in Gottes Welt. Der eine kann nicht ohne den anderen gerettet werden und leben. Der Zöllner braucht den Pharisäer, als Gegenüber, manchmal auch als Wegweiser.
Aber Jesus legt dem Frommen den Gottlosen ans Herz, dem Reichen den Armen, den Gesunden den Kranken.
Gott gibt keinen verloren.
Und keiner hat Grund, einen anderen zu verachten – auch dann nicht, wenn er selbst so recht und vollkommen ist wie ein Pharisäer.
Wir Christen haben das oft vergessen. Zwar rümpfen wir die Nase über einen Pharisäer, der auf einen Zöllner herabblickt. Aber wir sind doch auch schnell dabei, uns für anständige Menschen zu halten – und um viele andere einen Bogen zu machen. Dabei sind wir auf Gottes Zuwendung genauso angewiesen, wie jeder andere – und auch wie dieser Zöllner.
Noch einmal:
Jesus tadelt den Pharisäer nicht.
Und: Jesus lobt den Zöllner nicht.
Beide leben nicht davon, wie gut oder schlecht sie sind.
Aber beide brauchen den Gott, der nicht nur mit ihm gnädig ist, sondern auch mit dem anderen.
Die Verachtung können sie und wir uns sparen.
Der Zöllner wird weiter beten: „Gott sei mir Sünder gnädig“- und er wird vielleicht ein wenig barmherziger mit den Menschen, mit denen er zu tun hat.
Und auch der Pharisäer mag beten: Ich danke dir, Gott.
Sei du mir Pharisäer gnädig.
Amen
Eingangsgebet
Guter Gott,
sieh du uns freundlich an.
Unter deinem gnädigen Blick wird leicht,
was uns zu schwer zum Tragen wird.
Lass uns erfahren, dass du verzeihst
und vergibst, ohne uns unsere Schuld nachzutragen.
Lass uns Kraft und Segen schöpfen für eine neue Woche.
Amen
Fürbittengebet
Gott,
mach unsere Blicke frei für das, was wir tun können –
für uns, für andere, für die Welt.
Lass uns immer wieder neu deiner Fürsorge vertrauen.
Lass uns glauben, dass deine Sorge um uns
unserem Sorgen vorausgeht.
Gott, wir bitten dich für alle Menschen, die auf dieser Welt um ihr Leben bangen müssen. Steh du ihnen bei und lass sie nicht verzweifeln im Angesicht von Krankheit, Tod,
Hunger und Gefahr.
Wir bitten dich: Schenke denen, die von Kummer und
Sorgen belastet sind, ein wenig Ruhe.
Gib ihnen Menschen, die zuhören und raten können.
Geleite du Gott, uns und unsere Welt zum Frieden.
Amen.
Alternative: Gottesdienstbuch Württemberg 2004, Seite 279
Verfasser: Pfarrer Eberhard Dieterich
Eugen-Gaus-Str. 30, 89518 Heidenheim
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Anmerkungen
(1) Haben Sie schon einmal einen „Pharisäer“ getrunken?
(2) 3. Mose 19, 2
(3) Psalm 1
(4) Vergleiche das „Magnifikat“, Lukas 1
(5) Vergleiche Psalm 51, 3
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