Liebe mutet neue Weg zu
von Christiane Müller (Rostiz)
Predigtdatum
:
20.10.2013
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
20. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Johannes 15,9-12.(13-17)
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Wochenspruch:
"Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." (Römer 12, 21)
Psalm: 119, 10 - 15
Lesungen
Altes Testament: Jeremia 29, 1.4 - 7. 10 - 14
Epistel: Epheser 6, 10 - 17
Evangelium: Matthäus5, 38 - 48
Liedvorschläge
Eingangslied: 445, 1, 2, 4, 5 Gott des Himmels und der Erden
Wochenlied: 377, 1.3.4 Zieh an die Macht, du Arm des Herrn
Predigtlied: 401, 1.3.4 Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht
Schlusslied: 171, 1 - 4 Bewahre uns, Gott
Bleibt in meiner Liebe!
Predigttext:
Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
Liebe Gemeinde,
haben Sie schon einmal einen Menschen für den Schönsten und Besten gehalten, der Ihnen je begegnet ist, und Sie vergaßen die Welt um sich und fühlten sich unendlich glücklich?
So ist Liebe.
Haben Sie schon einmal ein neugeborenes Kind in den Armen gehalten, und es schien, als würde die Welt stehenbleiben und die Sonne nie aufhören zu scheinen?
So ist Liebe.
Waren Sie schon einmal ganz konzentriert und begeistert bei Ihrer Arbeit, dass Sie sich selbst und die Zeit ganz vergaßen?
So ist Liebe.
Haben Sie schon einmal das Farbenspiel eines Sonnenuntergangs auf dem Berg erlebt, für das keine Worte oder Töne ausreichen, um es zu beschreiben; staunend fühlten Sie die unauslöschliche Verbundenheit mit einem „großen Ganzen“?
So ist Liebe.
Haben Sie schon einmal einem Menschen Unrecht getan und sind schweren Herzens zu ihm hingegangen, um sich zu entschuldigen? Da lachte er, nahm Sie in den Arm und sagte: „Schon verziehen!“?
So ist Liebe.
Wurden Sie schon einmal von einem fremden Menschen angelächelt und ganz plötzlich in der Tiefe Ihrer Seele berührt?
So ist Liebe.
Haben Sie schon einmal jemandem völlig selbstlos Ihre Zeit und Hilfe geschenkt, und fühlten sich wie der reichste Mensch der Welt?
So ist Liebe.
Liebe ist ein Gefühl. Und doch ist sie viel mehr als ein Gefühl. Liebe – das ist der Augenblick oder die Summe von Augenblicken, in welchen das Hässliche der Welt nicht existiert. Ein Ausnahmezustand, den wir am liebsten festhalten würden.
Natürlich geht das nicht. Das Hässliche holt uns ein:
Keine Frau, kein Mann ist absolut makellos und schön. Kein Neugeborenes bleibt ein Baby. Es wird heranwachsen und auch Sorgen machen. - Die Freude bei der Arbeit kann leicht in Stress ausarten. - Jeder Sonnenuntergang hinter dem Berg verflüchtigt sich und ihm folgt das Dunkel der Nacht. - Die Scham wegen eines begangenen Unrechts flackert immer wieder mal auf. - Den Fremden, dessen Gesicht sich in unser Herz eingebrannt hat, werden wir wohl nie wiedersehen. - Und manchmal erscheint uns das Hemd näher als der Rock und Undank als der Welt Lohn.
Dennoch. Würden wir niemals solche Erfahrungen der Liebe machen, könnten wir nicht leben. Liebe ist der Urgrund unseres Seins. Sie war schon vor unserem Denken. Und wie gut, wenn unser Denken mit Liebe gepaart ist, damit es nicht kalt und berechnend wird. Liebe können wir nicht machen. Liebe ist ein Geschenk! Ein Gottesgeschenk!
Jesus vergleicht das Gottesgeschenk mit der Liebe eines Vaters zu seinem Kind. Er hätte sicher nichts dagegen, es auch mit der Liebe einer Mutter zu vergleichen. Die Liebe seiner Eltern muss sich ein Kind nicht verdienen. Wenigstens in der Regel nicht. Wir wissen, welche fatalen Folgen es hat, wenn ein Kind ohne Liebe aufwächst. Es ist wichtig für seine Entwicklung, Menschen zu haben, die seinen Hunger nach Liebe stillen. Das müssen nicht unbedingt die Eltern sein. Das kann auch eine Pflegemutter sein. Oder ein Pflegevater wie Fynn:
Fynn war gerade mal neunzehn, als ihm in einer Novembernacht in London mitten im düsteren Viertel der Londoner Docks die fünfjährige Anna über den Weg lief. Anna war von zu Hause ausgerissen. Offenbar konnten ihr ihre Eltern – vielleicht bedingt durch die damalige Wirtschaftskrise in den Dreißiger Jahren - nicht genügend Liebe schenken. Fynn nahm Anna mit nach Hause. Vergeblich fahndeten er und seine Mutter in den nächsten Wochen nach ihren Eltern. Sie waren nicht aufzutreiben. So blieb Anna bei Fynn wohnen, und zwischen ihnen entwickelte sich eine rührende Freundschaft. Und am intensivsten war ihr Beisammensein, wenn Anna Fragen stellte – Fragen nach dem Leben und Fragen nach „Mister Gott“, wie sie Gott nannte. Das kam oft vor. Selten wartete Anna dann Fynns Antwort ab. Sie versuchte selbst eine Antwort zu finden. Und ihre Gedanken waren so beeindruckend, dass Fynn anfing, sie aufzuschreiben. Es entstanden daraus drei Bücher voller Lebens- und Glaubensweisheit, tiefsinnig und doch nicht hochtrabend: „Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna“. Kennen Sie sie?
Eines Tages fragte Anna: „Fynn, glaubst Du, dass Mister Gott uns wirklich lieb hat?“ „Klar“, sagte Fynn. „Er hat überhaupt alles lieb.“ - „Wie wissen wir denn, dass Mister Gott uns liebhat?“ Sie schwieg einen Moment. „Fynn“, sagte sie plötzlich; „Mister Gott hat uns nicht lieb. Du hast mich lieb, weil Du Fynn bist, so wie ich Anna. Und ich liebe Mister Gott. Aber er mich nicht.“
„Verdammter Mist“, dachte Fynn. „Sie hatte doch so viel Vertrauen und Sicherheit. Ist das alles kaputt?“
Aber er täuschte sich. Hier war nichts kaputt. Anna sprach weiter - und ich zitiere wörtlich: „Mister Gott hat mich nicht so lieb wie Du, es ist bloß anders, nämlich Millionen Mal größer. - Fynn, Du hast mich lieber als irgendwer sonst, und ich hab Dich auch lieber als irgendwer sonst. Aber mit Mister Gott ist das anders. Siehst Du Fynn, Leute lieben von außen rein, und sie können von außen küssen, aber Mister Gott liebt Dich innen drin und kann Dich von innen küssen, darum isses anders. Mister Gott is nich wie wir. Wir sind nur ein bisschen wie er. Aber nicht sehr viel.“
Woher nahm die kleine Anna bloß ihre Weisheit? In ihrer charmanten Art drückte sie die Quintessenz des christlichen Glaubens aus: Gott bleibt immer ein Geheimnis, weil er so ganz und gar anders ist als wir Menschen – unendlich groß, Schöpfer, Geist. Und doch kommt er uns ganz nahe. Er liebt uns - so sehr, dass er in Jesus einer von uns geworden ist. Durch Jesus haben wir eine Vorstellung von Gottes Liebe zu uns Menschen. Und doch bleibt selbst diese Vorstellung im Letzten unvorstellbar, weil seine Liebe viel, viel größer ist als unsere.
Ich male mir manchmal aus, wie Jesus die Blinden, die Lahmen und die Tauben durch Liebe überwältigte. Jahre-, jahrzehntelang hatten ihnen ihre Mitmenschen eingeredet: „Ihr habt gesündigt. Ihr oder eure Vorfahren. Darum seid ihr krank und behindert.“ Und dann kam Jesus. Er beugte sich zu ihnen herab. Er richtete sie auf und heilte sie. Nicht nur äußerlich. Von innen. Er „küsste sie von innen“, wie Anna sagen würde. Er berührte ihre Seelen. Er gab ihnen Selbstvertrauen und Lebensmut.
Nicht selten gingen seine Heilungen mit der ausdrücklichen Sündenvergebung einher. Denn Jesus wusste, dass viele der kranken Menschen gar nicht mehr anders konnten als sich als Sünder zu sehen. Wenn man Menschen jahre-, jahrzehntelang einredet, wie schlecht, wie wertlos und unnütz sie sind, dann glauben sie das am Ende selbst. Hätte Jesus sie nur körperlich geheilt, hätte es dieses Bild, das sie von sich hatten, kaum verändert. Viele brauchten diese ausdrückliche Zusage: „Dir sind deine Sünden vergeben“, um wirklich befreit und froh leben zu können. Um wirklich zu wissen, dass nichts sie trennen konnte von der Liebe Gottes; auch nicht das Misstrauen, die Häme oder das niederschmetternde Urteil ihrer Mitmenschen.
Brauchen wir solch eine Zusage nicht auch heute immer wieder?
Zurück zu Anna. Wie sagte sie so schön? Mit der Liebe Gottes ist es anders als mit unserer Liebe: Die Liebe Gottes ist „Millionen Mal größer“. Aus Gottes überdimensionaler Liebe fällt kein Mensch raus. Auch nicht, wer gegen die Gebote verstößt; keine Ehebrecherin und kein Ehebrecher, kein Lügner oder Betrüger. Auch keiner, der Schmiergelder nimmt wie damals der Zöllner. Jeder erhält die Chance, sich der Liebe Gottes zu öffnen und sich von ihr berühren zu lassen.
Oder? - Was denken Sie jetzt, liebe Gemeinde? Vielleicht haben Sie die Worte des Predigttextes, die Jesus sagte, noch im Ohr: „Wenn ihr meine Gebote haltet, dann bleibt ihr in meiner Liebe.“
Wenn... dann…! Also ist Gottes Liebe doch an Bedingungen geknüpft?
Noch einmal: „Wenn ihr meine Gebote haltet, dann bleibt ihr in meiner Liebe.“ sagt Jesus. - Manchmal sollten wir einen Text zwei-, oder dreimal hören, um ihn zu verstehen: Wir „bleiben“ in Gottes Liebe. Wir sind also von Anfang an darin – schon vor dem Halten seiner Gebote.
Als ich nach der Geburt unser Kind im Arm hielt, egal ob es Daniel, Matthias, Sarah oder Ruth waren, löste das in mir unendliches Glück und Liebe aus. Dabei spürte ich, wie sehr unser kleines Baby auf Liebe angewiesen war. Jedes Kind trägt – vermutlich schon vor seiner Geburt - die Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden in seinem Herzen. Und seine Liebe ist verletzlich. Versuchen wir, heranwachsenden Kindern mit lieblosen Worten oder gar Schlägen die Gesetze eines gelingenden Lebens einzutrichtern, werden wir Wunden in ihre Herzen reißen. Sie werden bald versuchen, Pharisäern gleich, die Gebote „hundertfünfzigprozentig“ zu befolgen und unbarmherzig gegenüber denen, denen das nicht gelingt; oder sie werden sich trotzig dem Einhalten jedweder Gebote verweigern. Beides führt zu einem Mangel an Einfühlvermögen, Achtsamkeit und Verständnis. Einfühlvermögen. Achtsamkeit und Verständnis aber sind die Geschwister der Liebe und die Grundlagen eines gelingenden Miteinanders.
Ein letzte Mal zurück zu Anna: Wen Gott liebt, den holt er zuerst, sagt eine Redewendung. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber Anna hat er geholt. Es war kurz vor ihrem achten Geburtstag, als sie von einem Baum stürzte. Fynn kam sofort herbeigeeilt. Hilflos musste er zusehen, wie Anna starb - starb, wie sie gelebt hatte, ein Lächeln auf den Lippen und, wie immer, im Wissen darum, dass Gott bei ihr war. Ihre letzten Worte: "Wetten, dass mich Mister Gott dafür in seinen Himmel rein lässt!"
Ich wünschte mir, mich im Leben und im Sterben so eingehüllt in die Liebe Gottes zu fühlen wie die kleine Anna. „Bleibt in meiner Liebe!“ Dieses Gebot Jesu ist kein Gebot wie: „Seid ehrlich! Seid fleißig! Seid hilfsbereit!“ Ich verstehe es als eine Einladung, in den unzähligen Augenblicken der Schönheit, der Selbstvergessenheit und des Glücks Gottes Liebe im Leben zu entdecken, die sich wie ein Siegel um unser Herz schließt. Wir dürfen uns an sie erinnern; wir dürfen sie jederzeit „abrufen“. Das hilft uns, unser Leben so liebevoll, freundlich und gut zu gestalten wie wir können. Dann sind wir, wie Anna sagt, ein „bisschen wie Gott“. Aber nur ein bisschen. Denn Gottes Liebe ist „Millionen Mal größer“. Amen
Verfasserin: Pfarrerin Christiane Müller
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