Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Predigttext
Vater, segne dein Wort in dieser Gemeinde. Lass es für uns alle eine Leuchte für unsere Füße und ein Licht auf unserem Weg sein. Amen.
I.
Liebe Gemeinde!
Ich habe einen Freund. Mein Freund heißt Markus und ist ein cleverer Rechtsanwalt. Zwei Staatsexamen, einen ausländischen Master und eine in Windeseile abgeschlossene Doktorarbeit. Mein Freund Markus arbeitet seit etwa einem halben Jahr in einer international tätigen Großkanzlei in München. Markenschutz ist sein Spezialgebiet. Das hört sich nicht schlecht an. Das einzige, was sich noch besser anhört, ist sein Gehalt. Eine Summe, weit im sechsstelligen Bereich. Das geht runter wie Öl.
Letztens telefonierte ich mit meinem Freund Markus. „Wie geht’s dir?“, wollte ich wissen, „Wie ist die Arbeit? Und wie sieht’s mit ner Freundin aus?“. Markus’ Antwort war voller Euphorie: „Stell dir vor, ich kann aus meinem Büro direkt auf die Alpen schauen! Und die Kollegen sind auch nicht so schnöselig, wie ich mir sie anfangs vorgestellt habe.“
Mein Freund Markus hat ein Büro mit Alpenblick. Aber in den Alpen war er noch nie. „Ja aus der Kanzlei komme ich vor elf, halb zwölf abends nicht raus. Samstags aber meistens schon um sechs und sonntags stehen in der Regel nur Häppchentermine an, naja letzte Woche Sonntag musste ich ausnahmsweise mit einem Kollegen kurzfristig in London was klären.“ Die Stimmung des Telefonats kippte ins Melancholische. Die Euphorie war der Nachdenklichkeit gewichen.
Mein Freund Markus hat Geld, aber keine Zeit. Nach der Freundin habe ich schon gar nicht mehr gefragt.
Markus hat mir auch erzählt, dass er da raus will. Er habe von Kollegen gehört, die sie nach drei Jahren in die Anstalt gebracht hätten. Kaputt geschuftet. Reine Nervensache.
Liebe Gemeinde, vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn Ihnen die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. „Man müsste mal wieder…“, aber man macht es nicht. „Ich muss mal schauen, wann und ob ich überhaupt noch einen Termin freihabe.“
Wir haben alles, nur nie Zeit. Wir gönnen uns auch keine Auszeit. Familie, Beruf, Schule. Von allen Seiten greifen Hände auf uns zu und ziehen an uns. Einen Moment, in dem sie uns loslassen, gibt es oft nicht. Einen ganzen Tag nichts tun? Für eine Auszeit haben wir keine Zeit. Schließlich sollen wir flexibel sein, fordert die Wirtschaft. Ein Ruhetag, ja einen festen Tag Ruhe am Sonntag, der passt in das Anforderungsprofil nicht recht hinein.
Wo finden wir heute noch „Inseln“ in der Zeit. Einsame Inseln in der Karibik im übertragenen Sinne, wo wir bei sonnigem Wetter stranden und unsere Seele baumeln lassen können? Wo finden wir heilige Zeit?
II.
„Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun.“
Liebe Gemeinde, das dritte Gebot ist der Aufreger in unserem Predigttext. Gott schenkt uns einen freien Tag. Was haben wir aber daraus gemacht? Was ist aus unserem Sonntag geworden?
Seit nun schon einiger Zeit kann man sonntags beim Bäcker Brötchen kaufen. Das ist ja auch sehr angenehm. Ein Sonntagmorgen mit dem Duft frischer Brötchen, der riecht gerade besser. Der fühlt sich vielmehr nach Sonntag, nach Entspannung an. Wie aber fühlt sich der Sonntag für die Verkäuferin im Laden um die Ecke an? Entspannend?!
Verkaufsoffene Sonntage, ein anderes Beispiel. Letztens las ich in der Zeitung, dass der Einzelhandel in der Region die verkaufsoffenen Sonntage so geschickt verteilt, dass uns mittlerweile an 16 von 52 Sonntagen die Pforten der Kaufhäuser offen stehen. Ein Sonntag an den Wühltischen – das macht richtig Spaß. Erst recht im Advent, weil da das Geld so richtig schön im Kasten klingt. Überschrieben war der Zeitungsbericht ironischerweise mit der Zeile: „Es besteht Einigkeit über die Sonntagsruhe“.
Auch mein eigener Sonntag ist manchmal „verkaufsoffen“. Da heißt es nicht ruhen, da gilt es die Reste der vergangenen Woche noch aufzuarbeiten. Und Sie wissen selber, dass man aus vielen Resten durchaus ein gutes Programm zusammen bekommt.
III.
„Sabbat“, liebe Gemeinde, das heißt so viel wie „aufhören“. Am siebten Tag ruhte Gott von seiner Arbeit. Am siebten Tag konnte Gott mit sich zufrieden sein, denn seine Arbeit war gut. Am siebten Tag sollen auch wir ruhen, mit Gott, denn unser Schaffen war auch gut.
Das Gebot der Sabbatheiligung hat in der Bibel einen hohen Stellenwert. Der Sabbat bildet den Höhepunkt in Gottes Schöpfung. Innerhalb der Zehn Gebote finden wir es an dritter Stelle, noch vor dem Tötungsverbot.
Diese herausragende Bedeutung haben die Juden und auch ein cleverer Kirchenvorstand der Region erkannt. Bei allen Bemühungen um Gesetzestreue weist die jüdische Auslegung aber auch einige Schmankerl auf. Ein „Untergebot“ der Sabbatheiligung besagt z.B., dass man am Sabbat keine Gegenstände von einem in ein anderes Gebäude tragen darf. Also, liebe Ehemänner, am Sonntag brauchen sie den Müll nicht von der Küche in die Garage zu bringen. Das hört sich gut an, ist aber auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn wenn ihre Ehefrau hergeht und beide Gebäude mit einem Faden verbindet, dann haben sie auf einmal nur noch ein Gebäude, in dem sie natürlich tun und lassen können, was ihre Ehefrau will. Den Müll müssen sie dann wohl oder übel raus tragen.
Zurück zu uns. Auch bei uns werden Verstöße gegen die Sonntagsruhe bisweilen streng geahndet. Ganz oben auf der Liste der Vergehen steht die am sonnigen Sonntagmorgen im Wind wehende weiße Wäsche. Als am Pfingstmontag der Vater einer in der Gegend bekannten Pfarrerin den Rasen mähte, führte das zu einer Anfrage im Kirchenvorstand – zum Glück.
IV.
Liebe Gemeinde, Spaß beiseite. Wir merken, dass wir permanent zwischen der strikten Einhaltung der Sonntagsruhe und den Annehmlichkeiten eines verkaufsoffenen Sonntags pendeln. Wir können es sogar noch ein wenig genereller sagen: Wir stehen in einem ständigen Konflikt zwischen Einhaltung und Missachtung von Gottes Gesetz. Genau auf dieses Problem gibt uns Jesus in unserem heutigen Predigttext eine Antwort.
Als Jesu Jünger am Sabbat durch ein Kornfeld gingen und Ähren ausrauften, da fahren die Pharisäer Jesus an: „Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?“ Das Ährenausraufen gilt als Ernten. Und Ernten ist am Sabbat nach dem Gesetz strengstens verboten. Jesus weiß das. Aber er rechtfertigt den Verstoß mit der Not der Jünger, die hungerte. Jesus erlaubt den Eingriff in das Gesetz, führt es aber nicht ad absurdum. Vielmehr sucht Jesus nach dem Sinn des Gesetzes: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“. Am Sonntag gibt uns Gott die Gelegenheit zur Erholung, eine Chance, unseren „Akku wieder aufzuladen“. Erholung und Not, das sind aber zwei Situationen, die sich ausschließen. Jesus gibt der Erholung, Jesus gibt dem Menschen den Vorrang vor dem Gesetz und verhilft dem Gesetz zugleich zu noch mehr Geltung.
Auf einer vergleichbaren Sinnsuche nach der Bedeutung des Gesetzes befand sich vor rund 60 Jahren auch Dietrich Bonhoeffer. „Du sollst nicht töten!“ Diesen Satz kannte Bonhoeffer und dieser Satz rieb ihn auf. Doch Hitler musste weg. Ein Massenmörder musste weg.
„Wenn ein Betrunkener mit seinem Auto den Kurfürstendamm in Berlin hinuntergeschossen kommt“, so formuliert Bonhoeffer, „dann muss man dem Rad um der Leben der am Straßenrand stehenden willen in die Speichen greifen können“. Dietrich Bonhoeffer quälte sich mit Gottes Gebot und entschied sich für das Attentat.
Liebe Gemeinde, wir müssen erkennen, dass es einen Punkt gibt, wo ein formales Gesetz der Gerechtigkeit weichen muss. Nur, wir müssen auch erkennen, wann dieser Punkt erreicht ist. Und das haben wir ganz besonders im Hinblick auf die Achtung des Sonntags nicht verstanden.
Das Beispiel des Predigttextes und das Zitat Bonhoeffers weisen uns einen Weg. Jesus erlaubt den Verstoß in einer von Hunger geprägten Notsituation, Bonhoeffer in einer Lage, in der schon Millionen von Menschen auf brutale Weise niedergemetzelt wurden.
Wir müssen uns also einmal kritische Fragen gefallen lassen:
Befinden wir uns in einer solchen Notsituation, wenn wir sonntags Brot statt Brötchen essen müssen oder bis zum nächsten Montag auf die neue Herbst-/Winterkollektion in den Läden warten müssen? Ich denke nein. Ich bin mir sicher, nein. Anstatt mit uns um Gottes Gebot zu ringen, wie Bonhoeffer es tat, gehen wir leichtfertig darüber hinweg.
V.
Der Sonntag aber, liebe Gemeinde, ist ein heller Strahl, den Gott in unsere Arbeitswoche sendet. Am Sonntag will er uns von all den Händen, die die Woche über an uns ziehen befreien. Er will für uns die Spannungen aushalten. Er gibt uns Zeit zur Erholung. Er schafft uns eine „Insel der Zeit“, an der wir stranden können und auf der wir uns die Sonne um die Nase scheinen lassen sollen.
Dieser Tag ist von Gott geschenkt, damit etwas von der kommenden Welt in unsere Welt hinein scheint. Er ist eine Kostprobe aus dem Reich Gottes. Dort wird es kein Leid mehr geben. Krankheit, Not, Hunger und Unrecht wird es nicht mehr geben. Blinde sehen und Lahme gehen. Am Sonntag fängt es an. Das Reich Gottes besteht aus Sonntagen.
Ja, der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht. Heute braucht dieser Tag unseren Schutz. Wo wir ihn verlieren, verlieren wir einen großen Schatz, eine heilsame Unterbrechung, eine Insel in der Zeit, die uns zu unserer Menschlichkeit führen kann und zu unserer Mitmenschlichkeit. Am Sonntag sollen wir gesund werden und uns nicht zerstören. Denn am Sonntag gehören wir uns, nicht anderen.
Liebe Gemeinde,
mein Freund Markus hat mir letztens erzählt, dass er am Sonntag mit seiner Freundin einmal in die Alpen fahren wird.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.