Wochenspruch: "Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit." (Daniel 9,18)
Psalm: 31,20-25 (EG 716)
Reihe I: Prediger 7,15-18
Reihe II: Matthäus 20,1-16
Reihe III: Philipper 2,12-13
Reihe IV: Jeremia 9,22-23
Reihe V: Matthäus 9,9-13
Reihe VI: 1. Korinther 9,19-27
Eingangslied: EG 644,1–3 Nun ist vorbei die finstre Nacht
Wochenlied: EG 452,1–5 Er weckt mich alle Morgen
Predigtlied: EG 378,1–5 Es mag sein, dass alles fällt
Schlusslied: EG 243,1+2+6 Lob Gott getrost mir Singen
15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.
16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.
17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit.
18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Liebe Gemeinde,
Als einer, der sich dem Ruhestand nähert, frage ich mich manchmal, wie es denn um meine Weisheit bestellt ist. Im Alter soll man ja angeblich weise werden. Von solchen Überlegungen können ja vielleicht auch Sie ein Lied singen. Sind Sie weise geworden in Ihren vielen Jahrzehnten?
Dazu verhelfen will nicht den alten, sondern den jungen Menschen der Weisheitslehrer mit seinen Erkenntnissen im Buch des Kohelet, des Predigers. Er hat viel gesehen im Laufe seines Lebens und er belegt dieses Leben mit dem Eigenschaftswort: "Eitel" Damit ist jetzt nicht die Eitelkeit gemeint, mit der ein Mann sich die grauen Barthaare ausreißt und nicht die Eitelkeit der Frau, die mit Hilfe von zwei Spiegel nachschaut, ob die Färbung ihrer Haare schon wieder rausgewachsen ist und so ein unliebsames Farbenspiel am Scheitelpunkt des Kopfes hinterlassen hat.
Nein, Eitelkeit ist eher resignativ getönt. Was nimmt man sich nicht alles vor, wenn man jung ist? Wissen Sie noch von ihren Träumen als Jugendliche? Der Traum vom Märchenprinzen, der Traum vom großen Erfolg, von der steilen Karriere oder der Traum, mal einfach nur still und zufrieden mit einem Partner und einer Partnerin alt werden zu dürfen, stetig besucht von vielen Kindern und Enkeln.
Am Ende bleibt von all den Träumen, wie wir die Welt bewegen wollten, nicht viel. Die fehlende Einsicht, wie wenig ein einzelner Mensch in der Regel ausrichten kann, ist das, was der Prediger "Eitelkeit" nennt und sie dankbar ablegt, als er beginnt, zu jüngeren zu sprechen:
Ich habe viel scheinbares Unrecht erlebt: Da war ein netter Mensch, der sich wirklich bemüht hat um ein gutes und gerechtes Leben. Allen Menschen hat er geholfen und vielen Menschen durch seine Art Freude bereitet. Aber er kam elend in einem Autounfall um oder starb an Krebs.
Und da waren andere, die haben sich um gar nichts und gar niemanden gekümmert, als alleine um ihren Bauch und ihren Vorteil. Und die leben immer noch. Denen geht es scheinbar gut? Die haben alles, schwimmen im Geld, sind ständig im Urlaub und verspotten den kleinen Mann. Ist das nicht ungerecht?
Fallen Ihnen da nicht auch einige Geschichten dazu ein?
Dass es so manchen Gottlosen scheinbar besser geht als den freundlichen Menschen, deren Güte oft von Nichtsnutzen schamlos ausgebeutet wird?
Wie also macht man es da richtig. Was würden Sie ihren Kindern als Tip mit auf den Weg geben?
Der Prediger ist ein absoluter Praktiker und Realist. Er sagt: Halte Maß, übertreib es nicht, weder in die eine, noch in die andere Richtung.
Sei also durchaus offen für andere und bereit zu helfen. Aber lass dich dabei nicht von anderen ausnützen, zieh dich nicht aus bis aufs letzte Hemd. Sonst hast du selbst nichts mehr und musst leiden.
Und auf der anderen Seite musst du dich auch nicht so anstrengen, um alle Fehler und Bosheiten zu vermeiden. Und ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht, aber ich höre da ein wenig das heraus, was man als "Bauernschläue" bezeichnet. Suche durchaus auch deinen Vorteil, wenn du anderen dabei nicht allzu arg schadest.
"Ich will ja gar nicht "nur gut" sein", so könnte sich nun ein Mensch herausreden, der seinen Müll in den Wald gefahren hat, um Müllgebühren zu sparen. Oder auch der Parteifreund der Grünen, der immer recht vom Umweltschutz schwärmt, könnte sich so entschuldigen, wenn er am Flughafen gesehen wird vor seinem Abflug auf die Bahamas: "Man muss sich halt auch mal was gönnen".
Ich sehe vor meinem inneren Auge das, was daraus nun entstehen könnte. Ein andauerndes Spiel von kritischen Anfragen und halbseidenen Verteidigungen, wobei sich dann jeder darauf beruft, dass ja der Prediger gesagt hat, man soll es nicht übertreiben mit dem GUT SEIN und auch nicht mit dem BÖS SEIN.
Doch der, der mein GUT SEIN vermisst, oder unter meinem BÖS SEIN leidet, wird sich kaum damit zufrieden geben, wenn dann der kritisierte antwortet: Die Bibel hat mir empfohlen, maßvoll zu sein und nichts zu übertreiben.
So hat der Prediger eine Sicherheitslinie eingefügt, damit sowas nicht passiert.
"Wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen". Gemeint, ist wahrscheinlich: Wer sein Tun jeweils vor Gott stellt, der wird davor verschont bleiben, dass er gerade das Böse übertreiben wird, sondern er und sie wird sich von den Augen Gottes gesehen wissen und dann seinem Gewissen so folgen, dass er sich nicht schämen muss vor Gottes Angesicht.
Soweit so gut. Ein ziemlich realistischer, lebensfreundlicher ANsatz, bei dem ich mich bemühe, ohne aber mir ständig genervt die Frage zu stellen, ob es jetzt nicht noch besser und nicht noch vollkommener gehen könnte. Und ein Ansatz, ohne Selbstgerechtigkeit, wo keiner sagen muss: Ich mache alles richtig, im Gegensatz zu dir.
Doch da bleibt noch eine Frage: Hat diese Lebensweisheit auch Bestand vor den Augen Jesu?
Und dann sehen wir Jesus, wie er sich an jedem Tag immer wieder mal zurückzieht um zu beten, wie er nicht zu sprechen ist für seine Jünger und all die Menschen aus dem Volk, die geheilt werden wollen. Ja, auch Jesus hält Maß.
Und dann wieder: Da wird er verunglimpft als Fresser und Weinsäufer? Hat er es manchmal übertrieben mit dem Essen und trinken? Und waren die 300 Liter Wein für die Hochzeit von Kanaa nicht ein bisschen viel? War er da maßlos?
Auf der anderen Seite kommen mir ganz andere Zweifel: Hätte Petrus zu Jesus sagen dürfen: Komm, Jesus, übertreibe es mal nicht. Wenn du jetzt mit dem Kopf durch die Wand willst, dann kostet es dein Leben und dann bist du für niemanden mehr da. Maß halten, steht doch in der heiligen Schrift.
Doch da hat Jesus zu Petrus gesagt: Gehe weg von mir Satan, denn du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist. Da, wo es um die Liebe zu den Menschen ging, da war er nicht maßvoll, da gab er alles.
Und von Menschen, die ihm folgen wollen, da fordert er nicht "Maß halten", sondern: "Wer mir folgen will, der nehme sein Kreuz und folge mir nach".
Und wir alle wissen, dass es bei dem Kreuz nur um ein "entweder oder" geht und nicht um ein "Sowohl als auch".
Und wir lernen von ihm, dass es in der Liebe kein Maß gibt, als das Maß der Unendlichkeit, das Maß Gottes. Die Liebe kann nicht sagen: So, jetzt ist genug geliebt, jetzt will ich auch mal was haben, bevor ich nicht auch geliebt werde, könnt ihr warten, bis ihr schwarz werdet.
Heute haben wir das Problem, dass Menschen Eltern werden, die selten in ihrem Leben die Erfahrung gemacht haben, dass sie genug geliebt worden sind. Und als Eltern fordern sie dann plötzlich die Liebe von ihren kleinen Kindern, die selbst noch auf bedingungslose Liebe angewiesen sind.
"Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise..." Damit wäre zwar den Eltern geholfen, weil es sie entlasten würde. Aber den Kindern würde damit genommen, was sie so dringend brauchen: Die Erfahrung, geliebt zu werden, was auch immer sie tun und lassen.
Der Tip: "Halte Maß" in deinem Leben, ist also grundsätzlich eine Lebenshilfe. Eine Lebenshilfe, die verhindert, dass man total verbissen und gestresst durchs Leben geht.
Aber auf der anderen Seite kennt die Liebe kein Maß halten.
Sie kommt von Gott und schaut auf Gott und sieht seine Verschwendung: Die absolute Fülle Gottes wie wir sie in der Menge der Sterne, in der Vielzahl der Samen eines Löwenzahns, in der Strahlkraft seines Lichtes, in der hingebungsvollen Liebe zwischen zwei Eheleuten erkennen können, die sich nicht in der Rose zu Valentinstag erschöpft, die bedingungslose Liebe der Eltern zu ihren Kindern, und die völlige Hingabe Jesu am Kreuz, um uns den Weg zum Leben zu zeigen.
Zusammenfassend bleibt für mich als Mann von vielen Jahren: Halte Maß im Denken von dir selbst. Du bist nicht der Superman oder die Superwoman und du musst es auch gar nicht sein, wie du es früher vielleicht wolltest.
Halte Maß in deinen Zielen, denn du musst und kannst die Welt nicht retten. Aber: Wenn es um die Liebe geht, dann lass dich immer wieder anstecken von der maßlosen Liebe Gottes, die sich den Menschen zugewandt hat in Jesus Christus, um uns alle aus der Resignation und der Mittelmäßigkeit zu erlösen und zu ewigen Kindern Gottes zu machen. AMEN
Verfasser: Christoph Schwethelm