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Menschen-Ordnung braucht den Gottes-Geist zum leben

von Rudolf Stein (Paulusgemeinde Wiesbaden)

Predigtdatum : 02.11.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 19. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : 2. Korinther 3,2-9
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Predigt

Verfasser: Präd. Rudolf Stein, Berliner Str. 194, 65205 Wiesbden
Datum: 2. Nov 2014
Lesereihe: VI
Feiertag: 20. So n.Trin.
Textstelle: 2 Kor 3,3-9

Leitgedanke: Ordnung der Menschen braucht den Geist Gottes zum leben.

Wochenspruch: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Mi 6,8)

Psalm: HN 744 / Ps 111 Der Herr gedenkt ewig an seinen Bund

Lesung: Agende Mk 10,2-9(10-16), aber Mk 2,23-28 paßt zur Predigt,

Liedvorschläge:
445, 1-5 Gott des Himmels und der Erden
295, 1-4 Wohl denen, die da wandeln
130, 1-3+6 O Heilger Geist, kehr bei uns ein
320, 1-2, 5-6 Nun lasst uns Gott dem Herren (Danklied nach Abendmahl)
630, 1-3 Wo ein Mensch Vertrauen gibt

Hinweis: Schwerpunkt der Predigt ist V5b: Denn der Buchstabe [des Gesetzes] tötet, der Geist [Gottes] aber macht lebendig.


Liebe Gemeinde,
alle frühen Christengemeinden waren auf sich selbst gestellt und unterlagen mancherlei Einflüssen von durchziehenden Predigern. In Korinth gab es immer wieder Streit, vor allem um die rechte Lehre, aber auch um die Autorität des Paulus. Paulus hat die Gemeinde selbst gegründet und ist ihr seitdem in Glauben und in Liebe verbunden. Er will ihre Konflikte klären. Weil ein geplanter Besuch doch nicht klappt, schreibt er einen Brief. Dabei vertraut er auf die Menschen, die er schon zu Christus bekehrt hat. Paulus kennt seine Fürsprecher.
Ich lese das heutige Predigtwort aus dem 2 Kor 3,3-9, in Anlehnung an die Neue Evangelische Übersetzung. Paulus schreibt:

[2 Unser Empfehlungsbrief seid ihr, eingeschrieben in unsere Herzen, erkannt und lesbar für alle Menschen.]
3 Es ist doch offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid, in unserm Dienst verfasst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern auf andere Tafeln, auf die Herzen von Menschen.
4 Solches Vertrauen haben wir durch Christus zu Gott:
5 Nicht dass wir von uns aus fähig wären und uns selbst etwas zuschreiben könnten: Nein, unsere Befähigung kommt von Gott.
6 Er hat uns befähigt, Diener des neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens sondern des Geistes. Denn der Buchstabe [des Gesetzes] tötet, der Geist [Gottes] aber macht lebendig.
7 Wenn nun schon der Dienst,der den Tod brachte, mit seinen in Stein gehauen Buchstaben einen solchen Glanz ausstrahlte, dass die Israeliten Mose nicht ins Antlitz sehen konnten, weil auf seinem Gesicht ein Glanz lag, der doch vergänglich war,
8 welche Herrlichkeit muss dann der Dienst haben, der in der Kraft des Geistes geschieht?
9 Denn wenn schon der Dienst, der zur Verurteilung führt, seinen Glanz hat, dann strahlt der Dienst, der zur Gerechtigkeit führt, erst recht vor Herrlichkeit.

In diesem schwierigen Text geht um einen Brief, genauer um Geschriebenes, aber irgendwie merkwürdig. „Ihr“, heißt es, also ihr Leser, „ihr seid ein Brief Christi!“ Nicht geschrieben mit Tinte, sondern mit dem Geist Gottes, nicht wie Gottes Gebote für Moses auf Tafeln aus Stein, sondern auf eure Herzen aus Fleisch und Blut. Geschrieben nicht mit Buchstaben des menschlichen Alphabets, sondern mit Schriftzeichen des Heiligen Geistes. (V3)
Solch eine merkwürdige Umschreibung kann nur benutzen, wer seine Leser kennt und 100%-ig auf sie vertraut. Seine Gegner hatten bestritten, daß er, Paulus, überhaupt berechtigt sei, seine Lehre zu verkünden, weil er kein Apostel sei. Das ist heutzutage oft genauso. Bevor jemand etwas öffentlich sagen darf, muß er erklären, woher eigentlich seine Autorität stammt. Ein Titel wie Dr. oder Prof. im einschlägigen Fach sind da sehr hilfreich („Ohne Titel keine Mittel“). Paulus aber weiß, daß seine Brüder und Schwestern in Korinth fest im Glauben stehen (also von Herzen glauben) und als Christen leben. Deshalb kann er sie zu Zeugen für seine Autorität als Apostel von Jesus Christus aufrufen. Damit bereits hat er seine Gegner in die Schranken verwiesen.
Die Forderung der Paulus-Gegner war ein Affront gegen seine Person, denn Paulus war in Korinth gut bekannt, er brauchte keine Referenz. Die Forderung war rein formaler Art. Auch das ist bei uns heutzutage eine beliebte Methode. Manches Gericht ist froh, wenn es nicht in der Sache entscheiden muß, weil ein formaler Mangel vorliegt.
Der persönliche Angriff hat Paulus vermutlich verletzt. Jedenfalls formuliert er nach seiner ungewöhnlichen Einleitung sehr klar: „... der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ (V6)
Mit dem Buchstaben meint Paulus die geschriebenen Gesetze, konkret benennt er die Gebetstafeln, die Mose vom Berg Sinai heruntergebracht hat. Vor ihnen hat er großen Respekt, denn er spricht von dem Glanz, den sie ausstrahlen (V7). Die Festlegung eines Gesetzeskanons, war ein ganz wichtiger Schritt in der Kultivierung des hebräischen Volkes. Die eigentliche Basis aber war die Liebe Gottes zu seinem Volk, die Verbundenheit zwischen Volk und Gott, um die ging es. Die Niederschrift in den Gesetzestafel war dagegen nur die Codifizierung, nicht die inhaltliche Basis des Bundes. Das Alte Testament berichtet dann auch von einer große Zahl von Verstößen gegen das Gesetz. Sie zeigen, daß mit dem Gesetz allein noch kein Staat zu machen war.
Warum aber, sagt Paulus, „der Buchstabe tötet“? Nun, wer gegen das Gesetz verstößt, wird verurteilt zu oft drakonischen Strafen. Bei den damaligen Bedingungen in den Gefängnissen, starben viele Häftlinge. Die Strafe führte oft zum Tod. Vergebung, gar Erlösung, das gab es damals nicht. Nur die Barmherzigkeit dieses eifernden Gottes, wenn er Gnade vor Recht walten ließ, ist uns berichtet.
Die Ordnung einer Gesellschaft durch Gesetze führt auch dazu, daß viele Menschen nur noch auf die formale Einhaltung achten, nicht aber auf den Sinn und Zweck von Gesetzen. Zur Zeit Jesus hat sich eine Gruppe der Pharisäer in dieser Hinsicht hervorgetan. In der Lesung haben wir davon gehört (Mk 2,23-28; Reihe V). Jesus setzt sich bewußt über das Feiertagsgebot hinweg, wenn wer spricht „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ (Mk 2,27) Auch hier ist das Gesetz keineswegs obsolet, aber es ist oft eine Abwägung notwendig, ob nicht ein höheres Gut den Vorrang verdient.
Bei uns heute ist praktisch alles gesetzlich geregelt, die Zahl der Gesetze ist schier unübersehbar. Dennoch sprechen die Juristen davon, daß man immer den Einzelfall betrachten müsse, um zu einem gerechten Urteil zu kommen. Der Buchstabe allein genügt eben nicht, er ist viel zu starr gegenüber der Vielfalt des Lebens. Es gilt daher, die gesamte wirkliche Situation, die ganze Buntheit des Lebens zu betrachten und erst dann, unter Beachtung auch der im Gesetz nicht genannten Faktoren, zu urteilen. Freilich, am Ende steht auch hier die Verurteilung.
Was Paulus uns zuruft, geht noch darüber hinaus. „... der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ (V6) Wie funktioniert das? Wie wirkt der Geist? Dazu möchte ich ihnen eine Geschichte erzählen, und zwar in zwei Sichtweisen.
Da ist eine Frau irgendwo in Deutschland, vielleicht in einem kleinen Dorf, vielleicht in einem Vorort. Ihr Mann hat sie vor ein paar Jahren mit drei kleinen Kindern sitzen lassen. Er ist untergetaucht und drückt sich so um die Unterhaltszahlungen.
Die Leute in der Nachbarschaft reden über sie. Ihr Haushalt sei verwahrlost und die Kinder bekämen nicht die Fürsorge, die sie brauchten. Sie habe mehrfach die Arbeit nicht angetreten, die ihr von der Arbeitsagentur besorgt worden sei. Man frage sich, wie die Frau überhaupt das Geld zum Lebensunterhalt zusammenbekomme, um das kleine Haus zu halten, um sich und ihre Kinder zu kleiden und zu ernähren. Harz IV genüge wohl kaum. Nach dem Mann und seinem verantwortungslosen Verhalten fragt kaum jemand. Und man urteilt: Wie es bei dieser Frau und ihren Kindern zugeht, darf nicht sein! Da müsse doch das Jugendamt eingreifen! Es gibt schließlich Gesetze! (Ob sie wissen, was sie anrichten?)
Es gäbe allerdings auch eine ganz andere Sicht auf das Leben der Frau und ihrer Kinder. Die könnte so gehen:
Einige Menschen aus der Nachbarschaft bemerken die schwierige Situation und sie machen sich Sorgen; sie fassen sich ein Herz und suchen das Gespräch mit der Frau. Sie hören sich ihre Geschichte an, erkennen, daß die Frau es nun wirklich nicht leicht hat und entwickeln Verständnis für ihre Lage. Sie machen sich Gedanken, wie sie der Frau das schwierige Leben erleichtern können. Vielleicht ein Kindergartenplatz, evt. mit reduziertem Beitrag, für das jüngste Kind; eine Hausaufgabenbetreuung in der Nachbarschaft für ihre beiden Kinder, die schon in die Schule gehen; eine Arbeitsstelle in der Nähe, damit die Frau nur kurze Fahrzeiten hat, um Zeit für Haushalt und Kinder zu gewinnen. Alles schwierige Aufgaben, die gute Kontakte, viele Telefonate erfordern und manche Lauferei bedeuten. Diese Arbeit müssen die Helfer tun, wenn sie ihre Idee in das reale Leben führen wollen und jede Stufe kann auch scheitern.
Aber die Helfer haben sich auch ein hohes Ziel gesteckt. Sie wollen einer Familie in Not zu einem ordentlichen Leben verhelfen, sie wollen der allein erziehenden Mutter eine passende Arbeit mit einem geregelten Einkommen verschaffen, damit sie sich dann ohne existenzielle Sorgen um ihre Kinder kümmern kann. Das Gerede in der Nachbarschaft hörte auf und im Alltag könnte man alsbald auch freundlich mir ihr reden.
Das sind zwei mögliche Sichtweisen für die schwierige Lage einer alleinerziehenden Mutter. Was unterscheidet sie? In der ersten Schilderung sehen die Nachbarn die Situation von außen. Sie wissen nichts Genaues, dennoch fällen sie ihre Urteile: ... verwahrlost ... mangelnde Fürsorge ... unklares oder gar anrüchiges Einkommen ... Die Nachbarn wollen Ordnung herstellen und rufen nach der Ordnungsmacht, also dem Staat. Ob sie wissen, was sie anrichten?
Auch in der zweiten Schilderung spüren die Nachbarn, daß etwas nicht in Ordnung ist. Aber statt nach dem Gesetz zu rufen, machen sie sich selbst Gedanken und zwar nicht, um zu urteilen und auszugrenzen, sondern um die schwierige Lage zu lösen. Und siehe da, sie finden gleich mehrere hilfreiche und praktische Ideen. Welche Kraft bewegt diese Menschen? Ich sage, ihre Gedanken sind von Liebe getragen. Und mit ihrem Nachdenken, mit ihrem Reden miteinander und mit ihrem Suchen nach Lösungen fördern sie das Leben; sie öffnen der allein erziehenden Mutter und ihren Kindern eine neue Lebensperspektive, die zuvor nicht da war, sie schaffen sie neu. Und wenn es gelungen sein wird, dann strahlt das neu geschaffene Leben auch zurück. Denn die Herzen der Helfer werden gewiß von ein wenig Stolz erwärmt, wenn sie das neue, das gesicherte Leben der einst bedrohlich ausgegrenzten Familie neu erblühen sehen.
Jetzt, nachdem wir die Worte des Paulus mit unsere Geschichte neu belebt haben, gewinnt der anfänglich so kalte Satz des Paulus richtig Farbe: „... der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ Oder frei übertragen: Das Gesetz führt zur Verurteilung, der Geist der Liebe aber öffnet Wege zum Leben.
Und wir haben ein Merkmal des lebendigen Geistes gefunden, nämlich daß er neues Leben zeugt aus seiner eigenen Lebendigkeit heraus.

Falls die Gemeinde Beispiele schätzt und geduldig ist, Einschub 2 Absätze:
[ Ich möchte noch ein zweites Beispiel geben, wie lebendiger Geist wirkt. Als Schüler habe ich gerne die Mickey-Mouse-Heftchen gelesen (eigentlich habe ich sie verschlungen). Da gab es den schwerreichen Dagobert Duck, der immer in seinem See aus Golddollars badete. Auf der anderen Seite war der etwas begriffsstutzige Donald Duck. Ihm ging alles schief. Aber er hatte drei gewitzte Neffen, Tick, Trick und Track. Die drei sorgten immer dafür, daß dem dummen Donald am Ende ein Licht aufging und Donald doch noch irgendwie als Sieger herauskam, während Dagobert zerknirscht im Gold bzw. am Boden lag. All sein Gold war völlig ohne Nutzen.
Entscheidend in den Geschichten waren immer die pfiffigen Ideen der drei Neffen, die sie dann über viele kuriose Hindernisse hinweg in die Tat umsetzten. Die Ideen gaben Anstoß, Ziel und Richtung, die Realisierung geschah dann oft mit List und Tücke, also mit den Waffen der Kleinen, der Underdogs, und der im wirklichen Leben Unterlegenen. Worauf es mir ankommt ist: Woher stammen die Ideen, die bei den drei Neffen ankamen? Die Antwort kennen Sie, Paulus hat sie ausgesprochen. Und eine zweites: Ohne das tatkräftige, listige und entschlossene Handeln hätten die Ideen auch nichts genützt. ]
Ich finde es erstaunlich, daß wir (schon an so kleinen Kindergeschichten) erkennen können, wie lebendiger Geist in der Welt wirken kann, wenn er von Menschen ergriffen wird. Das erfordert zum einen die Bemühung der Menschen, um die Inspiration durch den lebendigen Geist, das ist die Bitte um realisierbare Ideen zur Lösung von Problemen, zu erlangen und zum anderen die Tatkraft dieser Menschen zur Realisierung der Ideen. Theologisch gesprochen: Der Mensch muß Gnade erbitten. Wenn sie gewährt und bemerkt (!!) und angenommen wird, etwa in Form von Ideen, dann kann der Mensch das Gegebene mit eigenen Kräften ins Werk setzen, was er aber auch wollen muß. (»Gott hat keine anderen Hände als die der Menschen.« Theresa von Avila)
Wenn das dann zusammenwirkt, dann wächst zwischen den Menschen auf Erden mehr Liebe, dann entsteht Neues und Gutes und Schönes. Die treibende Kraft in dem ganzen Prozeß ist die Liebe, die Liebe der Menschen zu Gott, ihre Liebe zu anderen Menschen und die Liebe Gottes zu den Menschen. Das Evangelium drückt es aus im Doppelgebot der Liebe:
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Mt 22, 37-39)
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen