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Mitten unter uns

von Stefan Koch (55234 Kettenheim)

Predigtdatum : 08.11.1998
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Römer 14,7-9
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Wochenspruch:

Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils.
(2. Kor. 6,2b)

Psalm: 90,1-14 (15-17) (EG 735)

Lesungen:

Altes Testament:
Hiob 14,1-6
Epistel:
Römer 14,7-9
Evangelium:
Lukas 17,20-24 (25-30)

Liedvorschläge:

Eingangslied:
EG 408
Meinem Gott gehört die Welt
Wochenlied:
EG 152
oder EG 518
Wir warten dein, o Gottes Sohn
Mitten wir im Leben sind
Predigtlied:
EG 374
oder EG 385
Ich steh in meines Herren Hand
„Mir nach“, spricht Christus
Schlußlied:
EG 395
oder EG 632
Vertraut den neuen Wegen
Wenn das Brot, das wir teilen

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr sei.

Liebe Gemeinde,
wir gehören nicht uns selber, sondern einem anderen. Gibt es eigentlich eine Botschaft, die bei uns mehr Widerspruch und Protest hervorrufen kann als diese? Können wir uns damit abfinden, wenn jemand zu uns sagt: „Du gehörst mir“? Heißt das denn nicht, daß derjenige dann mit uns machen kann, was er will?
Im Mittelalter, so haben wir es in der Schule gelernt, da gab es Leibeigene. Das waren Menschen, die einem anderen, einem reichen Gutsbesitzer, gehörten und ihm Dienst schuldig waren. Er konnte über sie verfügen. Die Leibeigenen gehörten nicht sich selber, sondern ihrem Gutsbesitzer.
Das wurde in der Neuzeit anders. Und der Protest gegen die Leibeigenschaft ist gut verständlich. In unserem Grundgesetz heißt es in Artikel 2: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Jeder soll für sich selbst entscheiden. Und heißt das nicht, daß jeder sich selbst und keinem anderen gehört?
Nun heißt es in unserem Predigttext, daß keiner sich selber lebt, sondern wir alle Christus, unserem Herrn, gehören. Vielleicht sind einige unter ihnen, liebe Predigthörerinnen und -hörer, die sich von vornherein sagen: Christus zu gehören ist eine ganz andere Sache als Leibeigener bei einem Gutsherrn zu sein. Wahrscheinlich aber sind etliche da, die da kritischer sind, die genauer nachfragen wollen. Sie können nicht so schnell jemandem, wer es auch immer sei, vertrauen. Das ist gut zu verstehen, hat doch jeder seine Erfahrungen gemacht.
Und so lade ich sie ein, liebe Predigthörerinnen und -hörer, zunächst einmal darüber nachzudenken, ob ihnen Christus oder Gott wie ein Herr über Leibeigene geschildert wurde - als verständnisloser und willkürlicher Herrscher, dem man gehört und eben deshalb auch gehorchen muß. Da gab - und gibt es wahrscheinlich auch noch - Eltern, die das vierte Gebot „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren...“ als Gebot für bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Eltern verstehen: als bedingungslosen Gehorsam - von Gott gefordert.
Da ist jede Diskussion dann zwecklos. Und manche Kinder bekamen - und bekommen - gesagt, daß Gott keinen Streit will und man immer nachgeben muß. „Der Klügere gibt nach“ - so will es Gott, heißt es dann. Als wüßte Gott nicht, daß, wenn die Klügeren immer nachgeben, die Dummen dann die Welt regieren. Doch ein Mensch, dem man die Fähigkeit zur Auseinandersetzung abgewöhnt hat, ist wie ein Leibeigener - er kann sich nicht mehr wehren.
Die Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, wieso Menschen nicht ohne weiteres Christus vertrauen und sagen können: Christus zu gehören ist etwas ganz anderes als Leibeigener bei einem Gutsherrn zu sein. Mit der Rede von Gott wurde - und wird wohl immer noch - allzuoft Mißbrauch getrieben. Und jeder tut gut daran, sich zu prüfen, ob er solches auch gelernt hat - und sich davon zu lösen.
Doch in Christus begegnet uns in Gott kein willkürlicher Herrscher - kein Herrscher, der unsere Fragen mit einem „Du sollst gehorchen“ verbietet. Christus schildert uns Gott als guten Vater, der für die Seinen sorgt. Die Schönheit der Blumen auf den Feldern ist ihm Zeichen für die sorgende Güte Gottes. Er schildert uns, wie gerade die Ausgestoßenen und Schwachen zu Gott gehören und daß zu seinem Reich alle eingeladen sind. Und Gott, dem Vater Jesu Christi, darf man seine Not klagen - wie Jesus selbst es im Garten Gethsemane getan hat.
Mit Christus läßt sich auch kein Verbot für Auseinandersetzungen begründen. Im Gegenteil: Jesus, der Christus, selbst hat die Händler aus dem Tempel vertrieben. Er hat die Auseinandersetzung auch im Gespräch geführt. Etliche Streitgespräche werden von ihm berichtet. Die Fähigkeit zur Auseinandersetzung ist gute Gabe Gottes, und er will, daß wir sie für die gute Sache gebrauchen.
An diesen beiden kurzen Beispielen kann deutlich werden, daß Gott in Christus keinem Gutsherrn gleicht, der die Seinen als Leibeigene gebraucht. Vielmehr wird deutlich, daß wir ihm vertrauen können: Ihm zu gehören, bedeutet nicht ausgenutzt und mißbraucht zu werden, sondern in seiner guten Kraft zu leben. Wenn auch noch viele Anfragen bleiben - und sicher auch neue kommen werden -, so können wir doch mehr und mehr ihn als unseren guten Herrn entdecken und entsprechend leben.
Menschen können sich sagen: Ich bin niemandem verantwortlich, ich gehöre nur mir selber. Wohl ist dieses Denken geradezu ein Kennzeichen der Neuzeit, unseres Zeitalters, geworden. Doch wenn wir Menschen niemandem gehören würden, so wären wir auch für alles verantwortlich, unsere Grenzen wären die Grenzen des Lebens. Wenn wir allein verantwortlich wären und etwas nicht tun würden, dann würde es niemand tun. Mit unseren Können und Vollbringen würde das Wohlergehen der Welt stehen und fallen: Der Mensch wäre allein sich selbst verantwortlicher Herrscher des Lebens. Das wäre größtmögliche Freiheit, aber auch größtmögliche Verantwortung. Und beides ist für uns Menschen zu groß.
Wir Menschen können und sollen viel Verantwortung tragen, aber die alleinige Verantwortung für das Leben können wir nicht tragen. Das ist zuviel. Das geht über unsere Grenzen hinaus. Da, wo wir an unsere Grenzen stoßen - auch da haben wir einen Herrn, bei dem wir unser Leben und unsere Aufgaben geborgen wissen können.
Wir können vieles erreichen und uns daran freuen, aber wir können auch an unseren Grenzen scheitern. Beides gehört zu unserem Leben. Beides ist in Christus geborgen. Auch unsere Schwächen und Grenzen können wir ihm anvertrauen. Weil wir ihm gehören, können wir zu unseren Grenzen und Schwächen stehen. Weil wir ihm gehören, müssen wir nicht perfekt sein.
Jetzt, Anfang November, wenn die Tage kürzer werden, gehen unsere Gedanken stärker zu unseren Verstorbenen und damit auch zu unserer eigenen Endlichkeit hin. Der Tod ist das sichtbarste Zeichen unserer menschlichen Grenzen. Darüber hinaus kann niemand.
Mit den Gedanken an unsere Vergänglichkeit stellt sich auch die Frage, ob wir es ertragen können, schwach zu sein, Grenzen zu haben und ob wir mit unserer Vergänglichkeit leben können. Besonders da wird es uns deutlich, wie schwer es wäre, wenn wir für alles selbst verantwortlich wären. Dies könnte niemand ertragen. Und niemand, der sich für all sein Leben allein verantwortlich fühlt, kann sich mit dem Gedanken des Todes abfinden. Er muß immer noch zuviel machen und gestalten und das letzte aus sich herausholen.
Doch auch mit dem Tod, unserer äußersten Grenze, gehört unser Leben zu Christus, unserem Herrn - sowohl vor als auch nach unserem Tod. Angesichts des Todes wird es uns immer wieder neu bewußt, daß wir Christus gehören und unser Leben in Gottes Hand legen können. Dieses Vertrauen kann unser ganzes Leben prägen und zu neuem Vertrauen hin befreien.
„Ich gehöre dir“ - dieser Satz, liebe Predigthörerinnen und -hörer, ist ein Satz größten Vertrauens. Und in Christus begegnet uns unser Gott, dem wir dieses große Vertrauen getrost schenken können - trotz allem Mißbrauch, der mit seinem Namen getrieben wurde, vielleicht auch an uns.
Einer der schönsten Sätze dieses Vertrauens steht im 139. Psalm. Ob es die Grenzen unseres Könnens sind oder unsere Schwächen oder gar der Tod, welche Finsternis es auch immer sein mag, dazu schreibt der Psalmbeter: „So wäre Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag.“ (Psalm 139,12) Amen.

Verfasser: Pfr. Stefan Koch, Kirchgasse 39, 55234 Kettenheim

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