Mitten unter uns
von Ulrich Stabe (38877 Benneckenstein)
Predigtdatum
:
07.11.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle
:
Römer 14,7-9
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Wochenspruch:
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils.“ (2. Korinther 6, 2 b)
Psalm: 90, 1 – 14 (15 – 17) (EG 735) oder Psalm 139
Lesungen
Altes Testament:
Hiob 14, 1 – 6
Epistel:
Römer 14, 7 – 9
Evangelium:
Lukas 17, 20 – 24 (25 – 30)
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 450
Morgenglanz der Ewigkeit
Wochenlied:
EG 152
Wir warten dein, o Gottes Sohn
Predigtlied:
EG 412, 1 – 4
So jemand spricht, „Ich liebe Gott“
Schlusslied:
EG 408, 6
Leb ich, Gott, bist du bei mir
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder,
nur vier Sätze sind es, die heute der Predigt zugrunde liegen. Sie stammen aus dem Brief des Paulus an die Römer im 14. Kapitel;
es sind dort die Verse 7 bis 9.
Ich lade Euch dazu ein, diesen gewichtigen Worte mit geschlossenen Augen nachzulauschen, während ich sie langsam lese und dann einen Moment schweige. Wir haben Zeit. Überlasst Euch also ganz ruhig Euren inneren Bildern. - Paulus schreibt:
Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.
Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden,
dass Er über Tote und Lebende Herr sei.
(Etwa eine Minute PAUSE lassen.)
Welche inneren Bilder stellen sich da bei Euch ein? Den meisten werden diese Sätze vom Friedhof vertraut sein. Wirken sie nicht wie in Stein gemeißelt? Nicht wahr, sie könnten auf einem Grabstein stehen. Ehrfurchtgebietend, ja, feierlich einherschreitend.
- Oder es steigen Erinnerungen an eine Trauerfeier auf, bei der diese Worte in der Ansprache ausgelegt wurden. Aber vielleicht hat jemand von uns ganz Anderes vor seinem inneren Auge geschaut? - Auch dies hat sein gutes Recht: ...
(Wo es angebracht ist, RAUM für spontane Reaktionen lassen).
Sehr viel nüchterner klingen dieselben Paulus-Worte in heutigem Deutsch. Ich lese sie noch einmal nach der Übertragung der „Guten Nachricht“:
Keiner von uns lebt für sich selbst. Genauso stirbt auch keiner für sich selbst. Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod. Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig gewor-den, um über die Lebenden und die Toten zu herrschen.
Liebe Schwestern und Brüder,
habt Ihr in diesen Tagen schon einen geschmückten und erleuchteten Christbaum gesehen? Noch nicht? – Seid gewiss, in den nächsten Wochen vor dem Totensonntag wird es irgendwo jemand nicht mehr ohne Weihnachtsbaum aushalten können. Spätestens dann ist der Damm gebrochen, andere werden nachziehen, das erbarmungslose Gesetz der Konkurrenz wird wirksam werden. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Wirklich immer?
Bitte glaube niemand, das komme nur vom rücksichtslosen Kommerz im so genannten Turbokapitalismus! O nein! Ein Beispiel dazu:
Es war am Abend des Totensonntags. Der Dresdener Kreuz-Chor hatte soeben das Brahms-Requiem beendet. Als die Besucher der Aufführung gerade tiefbewegt die Kirche verließen, empfing sie direkt auf dem Vorplatz das Gedudel des bereits aufgebauten Weihnachtsmarktes - wie eine Ohrfeige. So geschehen in der DDR, einige Jahre vor der „Wende“. Die Gründe damals und heute mögen sich unterscheiden – das Ergebnis war und ist für empfindsame Gemüter gleich schmerzhaft. Wem es mit dem Gedenken an die Verstorbenen und an die eigene Sterblichkeit ernst ist, dem tut das achtlose Übergehen der Trauerzeit am Ende des Kirchenjahres in der Seele weh. Andere sagen: „Das ist nun mal so heutzutage. Die Geschäftsleute müssen doch auch sehen, wo sie bleiben. Mich stört das nicht. Die Kirche sollte mal ein bisschen mit der Zeit gehen und den Leuten nicht immer nur den Spaß verderben.“
Die so denken und fühlen, werden die Traditionsbewussteren und Empfindsameren vermutlich mit einer Mischung aus Respekt und mitleidigem Lächeln als ‚Strenggläubige’ oder gar als Fanatiker bezeichnen. Und diese werden die anderen als laxe Gelegenheits-Christen, ja, womöglich als Sünder aburteilen.
Was das mit unserem Predigttext zu tun hat? Er steht ja in einem Zusammenhang, den man kaum vermuten würde: auch da geht es um die Einhaltung bestimmter religiöser Festzeiten. Und – man höre und staune! - ums Essen. Also um sehr lebensnahe Themen.
Essen hält Leib und Seele zusammen. Es birgt auch eine religiöse Sinnebene. Die Christen in Rom stritten damals um die heikle Frage: Dürfen Christen für den eigenen Kochtopf auf dem Markt Fleisch kaufen, das eigentlich für heidnische Götzenopfer bestimmt ist? Die Strenggläubigen verneinten dies heftig, die Freidenkenden dagegen setzten sich über deren Bedenken hinweg. „Wieso sollten wir dieses Fleisch denn nicht dankbar als Gottes Gabe genießen?“ fragten sie. „Die Götter, für die es bestimmt ist, gibt es doch gar nicht.“ Wohl wegen ihrer starken Argumente nannten diese Christen sich selbst „die Starken“, die anderen dagegen waren für sie die „Schwachen“.
Derartige Auseinandersetzungen um den wahren Glauben gab es immer wieder in der Geschichte der Gemeinde Jesu Christi, und es wird sie wohl auch weiterhin geben. Dabei neigen die einen zu verbissener Engherzigkeit und Gesetzlichkeit, die anderen zu einer gewissen sittlichen Beliebigkeit und Selbstherrlichkeit. Die einen sprechen den anderen Gehorsam und Demut ab, und diese den erstgenannten wiederum Toleranz und Großmut. Schnell sind der Gegenpartei solche Etikette wie „rückschrittliche Weltferne“ und „geistlicher Hochmut“ aufgeklebt. Dabei feiern allerlei Vorurteile fröhliche Urständ.
Paulus warnt die Christen in Rom vor derartigen Vorverurteilungen.
Sie stehen uns nicht zu. Niemand von uns hat vor Gott das Recht, sich zum geistlichen Richter seiner Glaubensgeschwister aufzuwerfen. „Denn ... sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten ...“ schreibt Paulus am Anfang des Briefes an die Römer (Kp.3, 23). Dieser Satz könnte nun seinerseits als ein vernichtender Rundumschlag gegen die ganze Menschheit missverstanden werden, wenn ja, wenn Paulus sich nicht selber unter ihn stellen würde. Mit anderen Worten bedeutet das: Niemand soll die religiösen Gefühle, Gewohnheiten und Bräuche anderer Menschen verurteilen; zumal, wenn es sich um Fragen handelt, die ihr Gewissen berühren. Am Beispiel des Götzenopferfleisches: Wer glaubt, durch dessen Verzehr Gott, den Vater Jesu Christi, zu beleidigen, der soll es auch nicht essen. Wer dagegen von solchen Skrupeln nicht geplagt wird, weil für ihn die Götzen gar nicht existieren, der lasse es sich getrost schmecken. Und ebenso verhält es sich mit gewissen Festen und Gedenktagen. Wo sie üblich sind, möge man sie feiern, aber ihre Einhaltung bitte nicht zum Maßstab für den Glauben oder Unglauben der Mitmenschen erheben, denen sie fremd sind.
Wie? Ist denn nun alles gleich gültig? Ist es etwa in Ordnung, wenn schon im Sommer Lebkuchensterne und Christstollen in den Warenauslagen zu sehen sind? Und: Verstößt das Abspulen von Weihnachtsliedern vor dem Ewigkeitssonntag nicht gegen alle Regeln der Pietät?
Auf den ersten flüchtigen Blick scheinen die Worte des Paulus der Beliebigkeit Tor und Tür zu öffnen. Und dies irritiert in unserer Zeit,
wo der Ruf nach einem klaren christlichen Profil immer lauter wird. Nehmen wir aber die Worte unseres heutigen Predigtabschnitts ernst, dann merken wir: das Gegenteil ist der Fall! Wir werden sehr wohl mit großer Eindeutigkeit auf Christus als den Herrn über Lebende und Tote verwiesen: Seitdem Er für uns Sein Leben ganz hingab und wir durch die Taufe hineingetaucht sind, leben wir Ihm und sterben wir Ihm. Dies ist das entscheidende Grunddatum unseres Christenlebens. An Seine Auferstehung erinnern wir uns an jedem Sonntag, an unsere Taufe sollten wir sogar jeden Tag bei unserer Morgenwäsche denken, wie Luther meinte: Wir sollten täglich den „alten Adam ersäufen“. Wenn wir dies wirklich ernsthaft und fröhlich täten, müssten wir ja andere Menschen werden! Ein hervorstechendes Merkmal des alten Adam ist es, sich selber durch Schlechtmachen des oder der Anderen „reinzuwaschen“ – siehe die Geschichte vom Sündenfall auf den ersten Seiten der Bibel! Seitdem hat sich bei Adam und Eva sowie bei allen ihren Nachkommen bis heute praktisch nichts geändert!
Wer sich aber so verhält, maßt sich damit etwas an, was nur dem Richter des Himmels und der Erde zukommt: urteilen und freisprechen. Wer sich aber Gottes Amt anmaßt, der verstößt gegen das 1. Gebot – und damit gegen alle übrigen!
Paulus hatte sich vor seinem Damaskus-Erlebnis ein scharfes Urteil über den Glauben seiner Mitmenschen angemaßt. Damals waren das die Christus-Anhänger. Nun war aus dem Christenverfolger Saulus der Christus-Nachfolger Paulus geworden. In die alte Sünde des Ver-urteilens wollte er nicht zurückfallen. Beim Streit um den Genuss von Götzenopferfleisch zeigt er Verständnis für beide Parteien. Beide, die sogenannten Starken und die sogenannten Schwachen, verweist er auf den Einzigen, dem ein gültiges Urteil über uns Menschen zusteht: Christus: Denn ER hat sich freiwillig den Gesetzen unserer Welt unterworfen und das Todesurteil auf sich genommen, um nicht nur von oben herab über uns Menschen zu urteilen. ER hat sich denen gleichgemacht, die Er retten wollte, um ihre wirkliche Not am eigenen Leib kennen zu lernen. ER wurde schwach um unsertwillen – und gerade das war stark! So vollführte Er den Willen Seines allmächtigen und barmherzigen Vaters; denn nur der ist all-mächtig, der aus Liebe auch auf all Seine Macht verzichten kann.
So weit Paulus. Und wir?
Haben wir uns in einem Streit verrannt, dann ist es gut, innezuhalten und sich an die gemeinsame Basis, ja das Gemeinsame, das tragende Fundament beider Streitparteien zu erinnern, wie Paulus es ja tut. So rücken die verhandelten Streitfragen in den zweiten Rang – dorthin, wo sie hingehören. „Hauptsache ist, dass die Hauptsache Hauptsache bleibt.“ Die Hauptsache, nein: Hauptperson aber ist Jesus Christus. „ER ist unser Friede.“ (Epheser 2,14)
Sind wir nun wieder beim Friedhof angekommen?
Ein Friedhofsfrieden ist nicht unser Ziel! Er entsteht, wo wir Jesus Christus als „Totschlag-Argument“ missbrauchen, indem wir Ihn dreist für unsere eigenen Meinungen und Interessen vereinnahmen.
Der lästerliche Endpunkt solch eines Vorgehens ist so ein Satz wie „Gott mit uns“ auf den Koppelschlössern deutscher Soldaten. - Angesichts eines Gräberfeldes kann uns allerdings die Wahrheit des Wortes „Gott lässt sich nicht spotten“ in grausiger Klarheit bewusst werden. Und ein Besuch bei unseren Lieben auf dem Friedhof, bei dem wir uns unserer eigenen Fehlbarkeit und Vergänglichkeit tapfer stellen - er kann uns helfen, angesichts der Ewigkeit manchen Hader in seiner ganzen kleinlichen Lächerlichkeit zu erkennen. Manche Menschen bereuen lebenslang, mit ihren Nächsten nicht rechtzeitig vor deren Tod noch Frieden gemacht zu haben ... Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. –
Werden damit denn nun solche Fragen wie zum Beispiel nach dem richtigen Termin für geschmückte Weihnachtsbäume oder nach der Einhaltung der Sonntagsruhe etwa Nebensache? Keineswegs! Sie verdienen, dass wir darüber ins Gespräch, ja, wenn nötig, in eine heftige Diskussion kommen, um dadurch unsere unterschiedlichen Beweggründe besser kennen und achten zu lernen. Das setzt viel ehrliches Aussprechen und geduldiges Zuhören voraus. So wird verhütet, dass wir uns gegenseitig den Glauben absprechen und womöglich Verdammungsurteile aussprechen. Noch einmal Paulus: Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ (Römer 8,34).Wenn Christus uns vor Gott vertritt wie ein Verteidiger, wer von uns dürfte sich anmaßen, andere zu verurteilen?!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Verfasser: Pfarrer Ulrich Stabe, Friedrich-Ebert-Platz 22, 38877 Benneckenstein
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