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Mitten unter uns

von Stephan Buchenau (Lauchhammer)

Predigtdatum : 06.11.2011
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Lukas 11,14-23
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Wochenspruch: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils. (2. Korinther 6,2)

Psalm: 90,1 - 14.(15 - 17) (EG 735; Bayern/Thüringen 770)

Lesungen

Altes Testament: Hiob 14, 1 - 6

Epistel: Römer 14, 7 - 9

Evangelium: Lukas 17, 20 - 24.(25 - 30)

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 162 Gott Lob, der Sonntag kommt herbei

Wochenlied: EG 152 Wir warten dein, o Gottessohn

Predigtlied: EG 153 Der Himmel, der ist

Schlusslied: EG 421 Verleih uns Frieden gnädiglich

Liebe Gemeinde,

sicher ist es ganz alltäglich, wenn wir miteinander reden. Es gehört zu uns dazu. Dem Menschen ist die Sprache gegeben. Er kann sich mit ihrer Hilfe verständlich machen. Wenn die Worte mal fehlen, dann kommen Hände und Füße zum Einsatz. Das geht schon. Und im Ausland bleibt uns diese Variante des Redens als letzte Möglichkeit für eine erfolgreiche Bestellung im Restaurant oder für einen Einkauf im Supermarkt.

Es gibt Menschen, die sind wahre Sprachkünstler. Sie können mit Worten ganze Welten entstehen lassen. Und wenn wir diese hören oder lesen, dann nehmen wir an ihren Gedanken Anteil. Ihre Welt wird die unsere.

Sprache kann wie ein Haus sein. So, wie Menschen sich in ihrem Haus einrichten, verhält es sich auch mit der Sprache. Sie gibt unserem Leben eine Form.

Haben Sie einmal erleben dürfen, wie Kinder zu reden beginnen? Vielleicht waren es die eigenen Kinder oder Kinder von Freunden, die Enkel, Nachbarskinder? Dann kennen Sie sicher viele Geschichten aus dieser ganz besonderen Zeit. Es ist den Kindern der Genuss anzusehen, mit dem sie die gelernten Worte aussprechen. Anfänglich purzeln sie eher zufällig über die Lippen. Man muss gut hinhören, wenn man etwas erkennen will. Aber mit der Zeit werden die kleinen Wortakrobaten immer cleverer. Aus einzelnen Wörtern werden kleine Sätze. Diese wachsen heran. Sie werden immer vielschichtiger. Es ist ein ganz wunderbarer und erstaunlicher Prozess in Gang gekommen. Und wenn man es recht bedenkt, hält er ein Leben lang an. Wir lernen ständig dazu. Das betrifft auch unseren Wortschatz. Mit jedem neuen Wort erschließen sich uns dazugehörige neue Welten.

Wir finden Worte füreinander. Wir sagen, wie es uns geht. Wir teilen unsere Gefühle mit und machen uns verständlich. Wir sagen, was uns gut tut und was uns bedrückt. Manchmal verstecken wir uns auch hinter den Wörtern. Dann schützen sie uns. Und die wunderbarste Sprache findet die Liebe. In unserer Sprache steckt so viel.

Aber was geschieht, wenn ein Mensch verstummt? Wenn einer aufhört, sich mitzuteilen? Welche Mächte sind am Werk? Was geschieht, wenn sich das große Schweigen breit macht? Auch diese Erfahrung teilen wir. Es sind leidvolle Erfahrungen der Einsamkeit und Trostlosigkeit. Und es sind auch Erfahrungen von großer Schuld. Aus dem Schweigen heraus geschah in der Vergangenheit viel Böses. Wir Deutschen leben heute mit den Folgen einer Schweige- beziehungsweise Verschweigezeit, die viele Menschen das Leben gekostet hat. Weil geschwiegen und weggeschaut wurde, deswegen haben sich andere ermächtigt gesehen, nach einem perversen Wertesystem Menschen einzuteilen in mehr- oder minderwertig.

Es gibt ein Schweigen, das lässt Beziehungen abbrechen. Daran gehen Ehen und Familien kaputt. Das kann ein Schweigen aus Interesselosigkeit oder Hass, Ablehnung und Verachtung sein. Und dann gibt es das geflügelte Wort für einen, der nicht mehr weiter weiß: „Es habe ihm die Sprache verschlagen.“

Da läuft einer mit einer Pistole und einem Gewehr durch ein ehrwürdiges, altes Gymnasium und bringt wahllos Schüler und Lehrer um. Auch die Schulsekretärin. Er ermordet sechzehn Menschen und bringt sich am Ende selbst um. Robert S. heißt er am Anfang in den Zeitungen, später schreiben sie seinen Namen aus: Robert Steinhäuser. Ein Waffennarr sei er gewesen. Einer, der gerne mit Gewehren posierte. Und als er von der Schule gewiesen wird, kommt alles zusammen. Jetzt kann er kein Abitur mehr machen. Er hat keine Perspektive. Das ist das Problem. Jedenfalls zeigt es sich so im ersten Augenblick. Was soll er machen? Aber bringt man deshalb wahllos Menschen um? Das Erschrecken ist groß. Es ist so groß, dass der Jahrestag wieder erinnert wird.

„Und Jesus trieb einen bösen Geist aus, der war stumm.“ Was wäre passiert, wenn Robert Steinhäuser vor seinem Amoklauf einem wie Jesus begegnet wäre. Der ihm ins Gesicht gesehen und den Zorn darin erkannt hätte. Ob er ihn zum Reden gebracht hätte? Und ob der dann immer noch zum Gewehr gegriffen hätte? Nein, es soll nicht voreilig gesagt werden, er hätte seinen Amoklauf nicht veranstaltet. Selbst dann, wenn er einem wie Jesus begegnet wäre, könnte niemand sagen, wie es ausgegangen wäre. Aber eins wird deutlich. Dieses Schweigen hat eine furchtbare Gewalt über Menschen. Menschen hören auf, miteinander zu sprechen und aufeinander zu hören. Es ist ein arges Spiel. Und viele wissen nicht einmal, dass sie eben dieses Spiel mitmachen.

Doch Jesus durchbricht das stillschweigende Einvernehmen. Er verhilft einem wieder zum Reden. Und damit erhält der andere eine Chance. Er kann wieder zurück finden. Er wird sich mitteilen. Er wird sagen, wie es ihm geht. Er teilt seine Gefühle mit und macht sich verständlich. Er sagt, was ihm gut tut und was ihn bedrückt. Manchmal versteckt er sich auch hinter den Wörtern. Dann schützen sie ihn. Und vielleicht, wer weiß, findet sogar die wunderbare Sprache der Liebe zu ihm zurück.

Alle Welt sollte sich freuen über dieses Wunder. Aber, ist das nicht eine komische Welt? Da wird ein gequälter, vielleicht ganz und gar in sich zerrissener und unsagbar trauriger Mensch geheilt. Aber das ist für sie nicht Grund zur Freude. Die Leute erkennen schon gar nicht das wunderbare Geheimnis des Gottesreiches darin wieder. Sie verdächtigen dafür Jesus, er sei mit dem Beelzebul im Bunde. Er sei mit dem Bösen im Einvernehmen. Was mit so einem zu machen sei, das liegt ja wohl auf der Hand. Und sofort erscheint Jesus in diesem faden Licht von Unterstellung und Miesmacherei, das jegliche Beziehung vergiftet. Das böse Licht der verlogenen Spekulationen und schmutzigen Worte soll ihn herabsetzen. Sicher, die Leute haben ihre Gründe. Und natürlich sind da auch die Erfahrungen zu respektieren. Die sammeln sich im Laufe eines Lebens eben an. Und da weiß man schon …

„Er aber erkannte ihre Gedanken.“ Und so beginnt er von neuem zu heilen. Die Hörenden und Sehenden können die Begebenheit in einem anderen Licht sehen. Sie können nochmals von vorne beginnen. Aber, so gut es gelegentlich tut, die Perspektive auf das Leben mit seinen Ereignissen zu verändern, es ist auch mit Mühe verbunden. Wird Jesus hier etwas erreichen? Oder endet alles wieder bei der unseligen Forderung nach Zeichen? Zeige uns, dass du was Besonderes bist. Zeige uns, was du kannst. Dann wollen wir dir glauben. Aber, was nützen den Menschen die Zeichen Gottes, wenn sie diese nicht erkennen.

Der folgende Gedankengang ist schlüssig: Ein mit sich selber uneiniges Reich wird nicht bestehen bleiben. Wenn jeder gegen jeden kämpft, dann wird es wohl letzten Endes nur Verlierer geben. Und ein System, das keinen Widerspruch duldet, wird genau daran zerbrechen. An seinen eigenen Widersprüchen.

Aber hier ist Gott am Werk. Der Dämon ist besiegt. Das ist Gottes Zeichen. Ein Mensch wurde zum Reden gebracht – Zeichen des Himmelreiches. Und Jesus macht es sichtbar. Er verweist darauf. Ihr könnt es sehen. Daraus lässt sich Mut schöpfen. Denn das Ereignis macht deutlich: Gott ist da. Er wirkt und zwar zum Guten. Welch verwegener Gedanke. Gott handelt zum Guten. Es wird wieder gut.

Es ist ja nicht so, dass alles schön sei. Der Terror kommt nicht zur Ruhe. Die Zukunft unserer Kinder steht in Frage. Was soll in Deutschland werden? Haben wir genug für die Rente? Haben wir genug Arbeit? Zwischen den Menschen wächst Kälte. Und gerade deshalb: wäre Gott nicht, so wären wir verloren. Oder anders ausgedrückt: weil Gott da ist, geschieht Heilung. Weil Gott vom Wesen her so ist. Er wendet sich seiner Schöpfung zu. Der Dämon ist vertrieben. Und die Sprache konnte zurückkehren. Das ist ja genau die Antwort, die Jesus gibt. „Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Selig ist, wer im Lichte der Erkenntnis glauben kann. Dieser Glaube hat Kraft. Er will sich entfalten, will mit Jesus gehen und für ihn sein. Er kann in den Ereignissen Gottes Spur wieder finden. Das macht christliche Existenz so überwältigend interessant. Ihr wird ein Perspektivwechsel geschenkt. So werden Menschen handlungsfähig. Und wenn einem anderen nur zur Sprache verholfen wird.

Amen.

Verfasser: Pfarrer Stephan Buchenau

Bockwitzer Straße 79, 01979 Lauchhammer

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