Nachfolge
von Marilott Grosch (63329 Egelsbach)
Predigtdatum
:
18.03.2001
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Reminiszere
Textstelle
:
Jeremia 20,7-11a.(11b-13)
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Wochenspruch:
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. (Lukas 9,62)
Psalm: 34,16-23 (EG 718)
Lesungen
Altes Testament:
1. Könige 19,1-8 (9-13a)
Epistel:
Epheser 5,1-8a
Evangelium:
Lukas 9,57-62
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 440
All Morgen ist ganz frisch und neu
Wochenlied:
EG 82
oder EG 96
Wenn meine Sünd’ mich kränken
Du schöner Lebensbaum des Paradieses
Predigtlied:
EG 419
Hilf, Herr meines Lebens
Schlusslied:
EG 76,2
So lasst uns nun ihm dankbar sein
Empfohlene Schriftlesung: 5 Mose 30,11-19 (wird in der Predigt zitiert) oder Off 3,14-15 (-22)
Leitgedanke: Wenn wir uns für mehr Menschlichkeit engagieren, müssen wir mit Anfeindungen rechnen.
Aber Gott selbst wehrt unsere Feinde ab und wir brauchen keine Rachegedanken hegen.
Das befreit uns dazu, für Menschen, Tiere und die Natur einzutreten.
Liebe Gemeinde,
Schülerinnen und Schüler haben die Hilfsbereitschaft von über 1000 Erwachsenen getestet. Im Rahmen von „Jugend forscht“ haben sie auf sozialer Ebene experimentiert. Sie hatten in einer Innenstadt bestimmte Notsituationen dargestellt. Aber von über 1000 Passanten kümmerten sich nur acht um die Kinder, das ist weniger als 1%. Mehr als 99% der Erwachsenen haben enttäuscht. 99% waren gleichgültig, haben weggeschaut oder die Augen verschlossen.
Das ist wohl das Problem unserer Zeit: Gleichgültigkeit. Menschen werden auf offener Straße beraubt oder angegriffen, aber es gibt kaum Helfer, sondern fast nur Beobachter. In unserer gefühlsarmen Welt ist vieles gleich gültig: Unwahrheit gilt fast gleich viel wie Wahrheit. Lieblosigkeit gilt zuweilen gleich viel wie Liebe.
In der Praxis sieht das so aus, dass einerseits Betrug oft als Kavaliersdelikt angesehen wird und dass andererseits auch in der Kindererziehung mangelnde Zuwendung durch Geschenke und Spielzeug kompensiert wird; d. h. Lieblosigkeit wird durch materielle Werte ersetzt. Liebe wird Materie gleichgesetzt. Vieles ist lau, weder kalt noch warm. Viele sind lau: angepasst, unauffällig, abgeschliffen, glatt, unverbindlich, nicht exponiert, nicht engagiert.
Aber unser heutiger Predigttext berichtet von einem, der ist engagiert, der setzt sich ein, an dem kann man sich ein Beispiel nehmen, der ist erfüllt, in seinem Herzen brennt eine Glut, die nicht zu löschen ist, der sprüht vor Lebendigkeit.
Jer 20, 7 - 13 (nicht in der Luther-Übersetzung, sondern inhaltlich näher am Urtext:)
7 Verführt hast du mich, Gott, und ich habe mich verführen lassen, du hast mich gepackt und überwältigt. Ich bin zum Gelächter geworden jeden Tag, alle verspotten mich. 8 Denn sooft ich in deinem Auftrag rede, muss ich Unrecht anprangern und „Gewalt“ rufen. Zu Hohn und Spott ist mir deine Rede geworden, Tag für Tag. 9 Sage ich: “Ich will nicht mehr an Gott denken und nicht mehr in Gottes Namen reden“, so brennt in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern, mit ganzer Kraft will ich es unterdrücken - ich kann’s nicht. 10 Viele höre ich flüstern, ein Schrecken ringsum: „Zeigt ihn an! Wir wollen ihn verklagen!“ Sogar meine besten Freunde, mit denen ich Frieden habe, lauern auf einen Ausrutscher von mir: „Vielleicht lässt er sich überlisten (verleiten), so dass wir ihn überwältigen und unsere Rache an ihm nehmen!“
11 Doch du, Gott, beschützt mich. Darum straucheln meine Verfolger und können nichts ausrichten, sie werden sehr beschämt, weil sie nicht verständig gehandelt haben. Diese Schande bleibt immer an ihnen hängen. 12 Du, Gott der himmlischen Engelscharen, prüfst die Gerechten, durchschaust Nieren und Herz, lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen, denn dir habe ich meinen Rechtsstreit anvertraut.
13 Singet Gott, lobet Gott, denn Gott rettet das Leben (die Seele) des Armen aus der Gewalt der Übeltäter.
Liebe Gemeinde, Jeremia ist verzweifelt. Er vergleicht sich mit einem Mädchen, das von ihrem Liebhaber zuerst verführt und dann verlassen wird; das zugleich traurig und zornig ist, gedemütigt und wütend, überwältigt, verspottet und ausgelacht. Er vergleicht Gott mit einem Verführer. Das ist eines der gewagtesten Bilder der Bibel.
Sobald Jeremia den Mund aufmacht, muss er das Unrecht benennen und die Gewalt aufdecken, die geschieht. Doch die Leute wollen es nicht hören. denn die amtlichen Priester verschleiern die Tatsachen und wiegen das Volk in Sicherheit.
Ein hoher Priesterfunktionär mit Namen Paschchur, der die Ordnung im Tempelbezirk beaufsichtigt, verprügelt Jeremia sogar und sperrt ihn über Nacht ein. Dafür wurde Paschchur umbenannt in magór misawíw, d. h. Schrecken ringsum, denn zum Schrecken gibt Gott ihn, wenn die Babylonier in Jerusalem einfallen. Auch Paschchur hatte den Israeliten unberechtigterweise eine sichere Zukunft vorhergesagt. Es war um 605 v. Chr., als die Babylonier bereits gegen Israel marschierten, die Gefahr zwar bevorstand, aber noch nicht unmittelbar. So konnten die amtlichen Priester das Volk in Sicherheit wiegen. Und Jeremias Worte verhallten, da noch nichts auf ihre Aktualität hinwies.
Früher dachte ich, Propheten sind mit besonderer Gabe ausgestattet, die sie in die Zukunft schauen lässt. Der Text zeigt uns aber, dass Jeremia einfach nur die Tatsachen anschaut - passend zum heutigen Sonntag „Okuli“ = „meine Augen sehen“. Jeremia war offen für das, was in und um Israel herum geschah. Er sah das Unrecht im Lande und nannte es beim Namen.
Doch die Menschen verschließen sich dem Wort Gottes. Anstatt aufzuhorchen und über ihr Verhalten nachzudenken, verhöhnten und verspotteten sie den Redner. Die Leute hören lieber auf den, der ihr Verhalten bestätigt, und entscheiden sich für den bequemen Weg. Es geht ihnen ja auch - wenigstens oberflächlich gesehen - gut dabei. Sie verbleiben in ihren alten Gewohnheiten. Sie leben lieber ihren alten Trott weiter als sich zu ändern. Und da sie sich den Tatsachen verschließen, verunglimpfen sie den, der die Fakten benennt. Sie lachen Jeremia aus.
Jeremia muss das Gelächter ertragen. Zu Hohn und Spott ist ihm Gottes Rede geworden jeden Tag. Er ist in eine öffentliche Auseinandersetzung geraten: Schmach und Schande bringt ihm die Verkündigung von Gottes Wort ein, dazu die Prügel des Hohenpriesters. Das ist zuviel! Vergewaltigt fühlt er sich von Gott. Wir spüren, wie er sich von Gott missbraucht vorkommt, wie miserabel er sich fühlt. Menschlich kommt er uns richtig nahe.
Und wenn er das nicht mehr aushalten konnte und sich vornahm, nicht mehr an Gott zu denken und nicht mehr zu predigen, brannte es wie ein Feuer in seinem Herzen, so dass er schier verging. Er verkündigte also weiter Gottes Wort, bis die Leute ihm nachstellten und ihn heimlich verklagen wollten. Sogar seine Freunde lauerten, ob er vielleicht strauchelt und zu Fall kommt. Ja, sie überlegten sogar, wie sie ihn überlisten, um sich an ihm zu rächen.
Jetzt stellten sich sogar noch seine Freunde gegen ihn. Liebe Gemeinde, Sie kennen sicherlich das Gefühl, wenn ein Freund oder eine Freundin zum Feind wird. Der Mensch, dem man so viel Persönliches anvertraut hat, kann plötzlich alles gegen einen verwenden. Schrecklich ist das! Man fühlt sich total verlassen. Auch Jeremia war abgrundtief einsam.
In tiefster Verzweiflung wendet er sich an Gott. Und das Wunderbare geschieht: In der größten Seelennot ist Gott plötzlich ganz nahe. Jeremia fühlt es und weiß: Doch du, Gott, beschützt mich.
Damit löst sich die Spannung in diesem Bibeltext zwischen dem sich schwach fühlenden Propheten und dem starken, überwältigenden Gott. In dem Augenblick, in dem sich Jeremia an Gott wendet und sagt: „Doch du beschützt mich“, wird er wieder stark. Jeremia kommt wieder ins Gleichgewicht, weil er Gott vertraut.
Was war Jeremia eigentlich für eine Persönlichkeit? War er ein schwacher oder ein starker Mensch? In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen: Hätte sich ein schwacher Mensch gegen den König und die herrschende Klasse gestellt? Hätte ein schwacher Mensch die üblichen Gepflogenheiten, die herrschenden Meinungen und die Aussagen der geistigen Elite in Frage gestellt? Im Grunde war Jeremia eine starke Persönlichkeit. Natürlich hatten ihn die Anfeindungen und und die Feindseligkeiten geschwächt. Auch eine starke Persönlichkeit wird mal schwach. Jeremia hat Höhen und Tiefen erlebt, große Freude und tiefes Leid erfahren; das ist es ja, was das Leben ausmacht. Doch die Demütigungen warfen ihn fast aus der Bahn.
Im schlimmsten Moment besann er sich auf Gottes Kraft, die ihn gepackt und überwältigt hat und die ihn letzten Endes aber auch rettete. Die Kraft Gottes konnte weder er in seinem Innern bezwingen, noch konnten Jeremias Gegner dagegen angehen. Die wirkliche Kraft hat Gott allein. Deshalb wendete sich auch das Blatt: die Schande fiel von Jeremia ab und ging auf seine Feinde über. Gott hat die Anfeindungen gegen Jeremia verursacht und trat deshalb auch in dem Rechtsstreit für Jeremia ein.
Bemerkenswert ist der Unterschied, wie an Rache gedacht wird: Der überaus aktive und Leben sprühende Jeremia blieb in einer Angelegenheit passiv, auf Rache sann er nicht, sondern rief zu Gott: „Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen“. Dagegen wollten Jeremias Feinde selbst Rache ausüben und sich an ihm rächen. Aber Jeremia überließ die Rache Gott.
Auf wunderbare Art und Weise steckt in diesem kurzen Satz, den Jeremia aussprach „Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen“, fast die ganze frohe Botschaft der Bibel: Die Befreiung. Es macht frei, nicht auf Rache sinnen zu müssen. Es befreit, nicht darüber nachdenken und womöglich handeln zu müssen, wie man jemanden bestrafen oder verletzen könnte. Rachegedanken nehmen den Menschen so gefangen, dass er sich gar nicht mehr dem Nützlichen widmen kann, dass er letzten Endes am Leben vorbei geht.
Denken wir an Leute, die sich für Menschen, Tiere und die Natur einsetzen und dabei angefeindet werden. Könnten sie ihre Arbeit fortsetzen, wenn sie sich Rachefeldzüge ausdenken würden? Könnten die Menschen von amnesty international oder die jungen Leute von Greenpeace, die von Walfängern verprügelt und nicht nur während der Atombombenversuche im Pazifischen Ozean gefangengenommen wurden, könnten sie ihre wertvolle Arbeit weiter machen, wenn sie ihre Peiniger bestrafen wollten? Die meisten von ihnen haben Jeremias Weg gewählt: Das Unrecht aufdecken, Tagsachen benennen und die Rache für Anfeindungen Gott überlassen.
Sich von Gott im Rechtsstreit vertreten lassen bedeutet, Gott die Gefühle anvertrauen, Gott unser Leid klagen, unsere Wut herausschreien, aber auch unsere Freude aussprechen und „Danke“ sagen. Deshalb endet unser Bibeltext mit einem Lobpreis für Gott, einem Lied und einem Lob für die Kraft, die das Leben aus der Gewalt der Übeltäter rettet.
Wie ist das mit uns heute, auf wessen Stimme hören wir, auf Paschchur oder auf Jeremia? Lassen wir uns gerne einlullen von Leuten, die uns nach dem Mund reden, sind wir lieber lau - weder kalt noch warm -, ist uns vieles gleichgültig? Oder lassen wir uns aufwecken von unbequemen Mahnern, wollen wir leben, mit Höhen und Tiefen? Und wenn wir aus der Höhe mal in die Tiefe fallen, wissen wir doch, da ist Gottes Hand, die uns auffängt! Auf Gott ist Verlass.
Mit der Verführung Jeremias hat Gott gleichzeitig die Rettung versprochen. Jeremia schenkt Gott sein Vertrauen, und Gott schenkt Leben in Fülle. Jeremia hat das Leben gewählt. Er hat hingeschaut, nicht weggeschaut, und war deshalb voller Leben, lebendig - nicht lau oder gleichgültig. Gott stellt uns vor die Entscheidung: Mit den Worten aus dem 5. Buch Mose (wie wir sie in der Altarlesung gehört haben) sagt uns Gott: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt und du, wähle das Leben. Denn es begleitet dich Gottes Segen. Amen.
Verfasserin: Prädikantin Dr. Marilott Grosch, Erich-Kästner-Str. 66, 63329 Egelsbach
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