Wochenspruch: Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Römer 5,8)
Psalm: 25,1-10.15 etwa wie EG 713
Reihe I: Johannes 3,14-21
Reihe II: Römer 5,1-5(6-11)
Reihe III: Jesaja 5,1-7
Reihe IV: Matthäus 26,36-46
Reihe V: Markus 12,1-12
Reihe VI: 4. Mose 21,4-9
Eingangslied: EG 354,1-3 Ich habe nun den Grund gefunden
Wochenlied: EG 94,1–2 +5 Das Kreuz ist aufgerichtet
Predigtlied: EG 67,1-3 Herr Christ, der einig Gotts Sohn
Schlusslied: EG 41,1 +7 Jauchzet ihr Himmel
14 Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,
15 auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Liebe Gemeinde,
verloren gehen, nein, verloren gehen wollen wir nicht. Schon als Kind ist das eine Horrorvorstellung: da steht man ganz versunken vor einem Schaufenster – und plötzlich ist die Mama weg. Wenn Kinder von so einer Situation erzählen, dann sagen sie oft: „Weißt du, da bin ich verloren gegangen.“
„Da bin ich verloren gegangen“ – das können auch wir Erwachsene sagen. Wir meinen dann eher ein inneres Verlorengehen: Situationen, in denen es einem den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Das muss nicht gleich eine Suchtproblematik sein, dass man sich z. B. an den Alkohol verloren gibt. Es gibt viele Gründe sich zu verlieren, meistens haben sie mit einem ZUVIEL oder ZUWENIG zu tun: z. B. an Ansprüchen, an Gesprächen, an Grenzen, an Menschen. Und manchmal ist da gar kein fassbarer Grund, sondern nur so ein Gefühl: die Angst, man könnte was verpassen im Leben, ein Leben führen, was sinnlos und leer ist. Dann versuchen wir oft die Leere voll-zu-kaufen, oder voll-zu-feiern, oder voll-zu-reisen, oder voll-zu-arbeiten - aber die Seele ist in dieser Hinsicht ein schwarzes Loch. Es reicht nie. Ein sinnvolles Leben kann man sich nicht erkaufen, nicht erfeiern, nicht erreisen, nicht erarbeiten.
„Meine Güte, es könnte sein, dass ich verloren gehe“ – so ein Gefühl muss auch Nikodemus gehabt haben, als er Jesus heimlich aufsuchte. Nikodemus war Schriftgelehrter. Große Teile der heiligen Schrift konnte er auswendig. Ja, er war fromm. Er hielt sich an die Gebote. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war er aufmerksam auf sich selbst. Er spürte da eine Leere und wich dem Gefühl der Leere nicht aus. Es fehlte etwas. Er war auf der Suche, er wollte irgendwie mehr - stieß bei dieser Suche auf Christus – und beschloss, ihm zu vertrauen. Ganz öffentlich - bei Tage, von seinen Gefühlen, seiner Suche, seiner Leere zu reden, das traute er sich nicht; denn es ging ihm schon sehr nah. Er wollte weder zum Gerede noch zum Gespött der Leute werden, nur weil er Fragen an sein Leben hatte, deshalb kommt er im Verborgenen, nachts, ohne großen Bahnhof, zu Jesus.
Es entspinnt sich – in aller Heimlichkeit - ein langes Gespräch zwischen Jesus und ihm. Einige Sätze daraus, die von Jesus stammen, sind unser heutiger Predigttext:
14 Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,
15 auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Jesus spricht in seiner eigenen Bildersprache. Er verweist Nikodemus an den Menschensohn. Der Menschensohn – das ist er selbst – Jesus Christus.
Was ist mit diesem Menschensohn – also mit Christus? „Er muss erhöht werden“, wird gesagt. Da wir das Leben und Leiden von Jesus im Gegensatz zu Nikodemus kennen, wissen wir: damit ist der Kreuzestod von Jesus gemeint. Das Kreuz wird aufgerichtet – und mit dem Kreuz wird Jesus erhöht werden – das ist grausam, aber leider sehr realistisch geschildert, denn so war der Vorgang bei einer Kreuzigung: die zu Kreuzigenden wurden am auf dem Boden liegenden Kreuz festgebunden und dann mit dem Kreuz aufgerichtet, also erhöht. Sieht Jesus sich hier selbst schon am Kreuz, als „Höhepunkt“ seines Lebens? Das ist wahrscheinlich über das Verständnis von Nikodemus zu diesem Zeitpunkt weit hinausgegangen. Das hat er nicht verstanden.
Was er aber sicher verstanden hat, die Erwähnung von Erhöhung der ehernen Schlange, denn Nikodemus kannte sich aus in der heiligen Schrift. Jesus vergleicht seinen Leib am Kreuz mit der Schlange, die Mose auf einen Stab erhöhte und die Heil und Rettung brachte, jedem, der sie ansah. Er nimmt damit Bezug auf eine kleine Begebenheit aus der Wüstenzeit des Volkes Israels.
Die passierte während der 40 Jahre, die der Weg von Ägypten in das gelobte Land dauerte: In den Israeliten nagte die Undankbarkeit. Anstatt für das Manna, dass ihnen täglich gegeben wurde um ihren Hunger zu stillen, dankbar zu sein, machte sich Unmut breit: „Könnte es nicht mal was anderes zu essen geben? Vielleicht hätte doch nicht aus der Sklaverei in Ägypten weggehen sollen! Die Freiheit ist so anstrengend und kräfteraubend!“
Gott hört die Beschwerden und es ärgert ihn. Er schickt giftige Schlangen. In der Not fällt dem Volk Israel dann doch wieder Gott als die große Hilfe ein. Sie bekennen ihre Undankbarkeit und bitten um Hilfe. Daraufhin heißt es im vierten Buch Mose: „Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“
Diese Geschichte ist Nikodemus bekannt. Und er weiß: aufrichten musste man sich, um die Schlange zu sehen, die Mose da hoch auf einen Stab gesetzt hat. Man durfte sich nicht verloren geben, sondern sich aufrichten. Gott enttäuscht das Vertrauen nicht, auch wenn es nicht schön ist, ausgerechnet wieder eine Schlage anzusehen. Wer sich aber verloren gab, wer nicht den Blick hob, der war dann auch wirklich verloren.
Kann Nikodemus das helfen? Ihm, der sich ja ebenfalls in ganz anderer Weise verloren glaubt und ein Suchender ist? Zumindest eines wird er verstanden haben: Um nicht verloren zu gehen, muss man sich aufrichten, aufsehen – nicht nur die eigenen Füße in den Blick nehmen, nicht nur auf die Schlangen am Boden schauen, in sein eigenes Inneres ständig hinein horchen – es braucht eine Bewegung, man muss in Bewegung kommen – und sei es nur, den Blick zu heben. Außerdem braucht es auch etwas von außen, einen Impuls, eine Ansicht, die dann zur Einsicht und Weiterentwicklung werden kann. Gott setzt Wegzeichen.
In den meisten Kirchen steht ein Kreuz, in manchen hängt es sogar von oben herunter an der Decke. (Gut wäre ein Verweis auf ein aktuelles Kreuz in der Kirche) Wenn wir hier auf dieses Kreuz schauen, dann heben wir auch unseren Augen und schauen auf. Wir sehen das Kreuz nicht, wenn wir zu Boden blicken, wenn wir uns nur auf uns selbst konzentrieren, wenn wir nur bei uns selbst bleiben. Wir sehen es, wenn wir uns aufrichten, die Augen heben und von uns weg hin zum Kreuz schauen.
Was sehen wir genau, wenn wir aufblicken? Wir sehen einen am Kreuz erhöhten Menschen, in vielen Kirchen ein leidender, sterbender Christus. Einer, der versteht, was es heißt, verloren zu sein. Einen, der am Kreuz ruft: „Vater, Vater, warum hast du mich verlassen?“ Nicht einmal Christus ist es erspart geblieben, dieses Verlorenheitsgefühl.
Wer aufblickt auf diesen Christus, sieht Leiden, Sterben, Tod, Verloren sein – und doch steht da ein göttliches Versprechen, dass genau dieses Aufblicken Heilung und Heil bringt. So wie damals beim Volk Israel, die Schlagen waren die Plagegeister – und was sieht das Volk, als es aufblickt: wieder eine Schlange, diesmal aber zum Heil.
Das kann eine doppelte Bedeutung haben:
Zum einen – wer sich seiner eigenen Schlange, seinem eigenen Verloren sein nicht stellt, der wird es nicht besiegen. Man kann nicht davor weglaufen, man muss durch es hindurch – selbst dann, wenn man aufblickt, sieht man erst einmal eine Art Spiegel. Es werden einem erst einmal die eigenen Probleme, vielleicht auch Abgründe, in der Auseinandersetzung mit dem anderen bewusst.
Zum zweiten: wer auf den erhöhten Christus schaut, sieht, dass selbst Gott durch das Leiden hindurch geht. Man ist im Verloren sein nicht allein, man ist mindestens zu zweit – denn Gott ist dabei. Genau dafür hängt er da. An ihn kann man sich wenden.
Und - zum dritten: In manchen Kirchen ist der am Kreuz Erhöhte auch ein strahlender, lächelnder Christus. Denn es geht weiter – wie es in unserem Glaubensbekenntnis heißt: „gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten.“ Im strahlenden Christus am Kreuz ist die Auferstehung schon vorweg genommen. Und nicht nur die Auferstehung: „aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes“ Wenn man so will ist das noch eine Erhöhung!
Es gibt Leben durch das Verloren sein hindurch. Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, das nicht von Scheinwerfern eines entgegenkommenden Autos kommt – sondern ein echtes Neues verspricht. Ja, nach dem Tod – aber auch mitten im Leben.
Das alles liegt schon in der Luft, als Nikodemus mit Christus spricht – doch noch ist es verschlossen. So bleibt letztlich auch offen, was Nikodemus aus dem Gespräch mit Christus gemacht hat. Was wir aus der Bibel wissen ist, dass er mit Jesus sein Leben lang in Kontakt blieb. Bereut hat er das Gespräch also nicht, auch wenn es noch Jahre brauchte, bis er ganz hat verstehen können, was Jesus gemeint hatte. Manche Gespräche wirken lange und brauchen ihre Zeit, bis man sie versteht.
So können wir uns Nikodemus zum Vorbild nehmen und zusammenfassen:
Wenn ich fühle, dass mich etwas bedrängt, dass ich mir verloren gehe, dann muss ich in Bewegung kommen, mich aufrichten, Hilfe suchen.
Mit dem was mich bedrängt, kann ich mich an Gott wenden – im Gebet, oder an Menschen, die sich auskennen und denen ich beschließe, zu vertrauen.
Vielleicht besser heimlich. Da bin ich geschützter und es redet sich leichter, wenn nicht alle zuhören.
Wahrscheinlich mit langen Gesprächen - auf alle Fälle aber ehrlich mit den Schlangen, die mein Leben gefährden.
Aufblickend auf Christus, dem Leidenden und dem Überwinder gleichzeitig; dem der mir beisteht und dem der mir Hoffnung gibt.
Manchmal mag es etwas dauern: dann muss ich wieder kommen um meiner Hoffnung immer wieder neue Nahrung zu geben, denn verloren geben sollte ich mich nie, weil Gott mich nicht verloren gibt.
16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
Amen
Verfasserin: Pfarrerin Gundula Guist, Dr.-Fuchs-Straße 2, 61381 Friedrichsdorf
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