Pharisäer und Zöllner
von Ulrike Trautwein (60487 Frankfurt am Main)
Predigtdatum
:
23.08.2009
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Kirche und Israel
Textstelle
:
Lukas 18,9-14
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Wochenspruch:
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (1. Petrus 5,5b)
Psalm: 113,1-8 (EG 745)
Lesungen
Altes Testament:
2. Samuel 12,1-10.13-15a
Epistel:
Epheser 2,4-10
Evangelium:
Lukas 18,9-14
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 452
Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied:
EG 299
Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Predigtlied:
EG 353
Jesus nimmt die Sünden an
Schlusslied:
EG 421
Verleih uns Frieden
Hinführung zur Predigt
Die besondere Schwierigkeit mit diesem Text liegt darin, dass er uns allzu vertraut ist. Insofern funktioniert der Überraschungseffekt bei uns nicht, auf den Jesus gesetzt hat, indem er sich auf die Seite des Zöllners stellte.
Der Pharisäer und der Zöllner sind als Figuren längst zum Klischee verkommen, und so ist es nicht so einfach, die Botschaft des Textes wieder frei zu legen.
In unserer Geschichte geht es nicht um Fragen des Lebensstiles, also nicht darum, dass das fromme Leben des Pharisäers von Gott abgelehnt wird.
Jesus geht es wohl eher darum aufzuzeigen, dass das Vergleichen und die mangelnde Einsicht in die eigenen dunklen Lebensseiten den Menschen von Gott entfernen.
Die eigentliche Größe des Zöllners liegt darin, dass er seine völlige Niederlage einsieht, er macht sich nichts mehr vor, sondern spürt seine vollkommene Angewiesenheit auf Gottes Zuwendung und Gnade. An diesem Punkt liegt die Chance zum Neuanfang. „Denn für Gott ist kein menschlicher Abgrund zu tief, um ihn nicht zu überwinden, wenn wir ihn rufen.“
Gott schenke Euch erleuchtete Augen des Herzens, damit Ihr wisst zu welcher Hoffnung Ihr berufen seid!
Liebe Gemeinde,
wenn Menschen erfahren, dass ich in der Kirche engagiert bin, fangen sie häufig an, sich dafür zu rechtfertigen, dass sie selten in die Kirche gehen.
Das Merkwürdige dabei ist, dass viele von ihnen dann folgendermaßen argumentieren: „Die, die jeden Sonntag in die Kirche rennen, sind doch meistens nicht mal besonders gute Christen!“ sagen sie: „Das sind doch eher Heuchler, die nur gesehen werden und ihre Gutbürgerlichkeit demonstrieren wollen, sich ansonsten aber ziemlich unchristlich verhalten.“
Abgesehen davon, dass ich mich total ärgere über so eine Abwertung von Gottesdienstbesuchern, und abgesehen davon, dass diese Argumentation an der heutigen Wirklichkeit vorbei geht, weil die Sache mit der Gutbürgerlichkeit und dem Kirchgang schon lange keine gesellschaftliche Relevanz mehr hat, habe ich mich oft gewundert über diese merkwürdige Rechtfertigung.
Inzwischen ist mir klar geworden, dass dahinter diese Geschichte vom Pharisäer und Zöllner steht. Wir haben sie in unserer Kultur verinnerlicht. Auch wenn es den Menschen nicht bewusst ist: Das Bild vom hochmütigen Pharisäer und vom demütigen Zöllner ist bei uns tief verankert, und es bestimmt die Muster, mit in denen wir andere wahrnehmen.
Auf diese Weise ist der Pharisäer zur bequemen Schablone geworden vom selbstgerechten frommen Wohltäter, der alles nur tut, weil er bewundert werden will, nicht aus echtem Glaube, nicht aus echter Liebe. Unsere Sympathie gilt dem Zöllner, mit ihm identifizieren wir uns heimlich. Und das ist das Problem mit dieser Geschichte: wir kennen sie zu gut, und ihre Figuren sind zu Klischees verkommen, und darum erreicht sie uns nicht.Sie überrascht uns nicht mehr, so wie sie die Menschen damals überrascht hat, als Jesus sie ihnen erzählte.
Die Menschen damals bewunderten ja die Pharisäer, sie hatten
aufrichtigen Respekt vor ihnen und waren wirklich verblüfft darüber, dass auch ein Pharisäer Gott verfehlen kann, während ein so offenkundig schlechter Mensch wie der Zöllner von Gott in Schutz genommen wird.
Uns überrascht wie gesagt diese Geschichte nicht mehr, wir benützen die beiden Figuren eher als Alibi. Zum Beispiel als Alibi für unsere Trägheit, wenn es um das Engagement für andere Menschen geht; als Alibi für unsere Trägheit, uns mit Fragen des Glaubens, mit Fragen nach Gott auseinander zu setzen. Wer will schon in die Gefahr kommen, in die Nähe des Pharisäers zu geraten. Dann halten wir es lieber mit dem Zöllner, der gar nicht erst versucht hat, ein frommes Leben zu führen.
Nur geht es in dieser Geschichte nicht um unseren Lebensstil. Es geht nicht um die Frage, wer das bessere Leben führt: der Pharisäer oder der Zöllner. Jesus will mit dieser Geschichte überhaupt nicht sagen, dass das Leben des Zöllners besser ist als das des Pharisäers, zumal der Pharisäer faktisch anderen Menschen hilft, während der Zöllner andere betrügt und ihnen oft noch das Letzte wegnimmt. Der Pharisäer führt nicht das schlechtere Leben, darum geht es in der Geschichte nicht, auch wenn es oft gerne so verstanden wurde.
Aber der Pharisäer vergleicht! „Gott sei Dank bin ich nicht wie andere Leute, wie Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch dieser Zöllner.“ Der Vergleich ist das Übel.
Der Pharisäer dankt Gott dafür, dass er ihn nicht so gemacht hat wie diesen anderen. Und er erhebt sich damit, macht sich durch das Vergleichen groß und den anderen klein.
Klar, vergleichen finden wir auch alle unangenehm.
Wir wissen, dass sich das nicht gehört. Aber wenn wir genau überlegen, wissen wir auch, dass es zum Menschsein dazu gehört. Wir können es an unseren Kindern, Jugendlichen und an uns selbst beobachten: der Mensch findet sich selber, seinen Platz in der Gruppe, in der Gemeinschaft im Vergleich.
Im Vergleich der Fähigkeiten, der Attraktivität, der Beliebtheit, und dessen, was man hat und später auch im geheimen Vergleich der Bankkonten. Ich erlebe es besonders bei den kleinen Kindern: „ Mein Bild ist doch schöner, gell ?“
„Ich kann das besser !“, „Du magst mich doch lieber? “,
„Ich bin doch stärker!“ Dieses ständige Vergleichen kann einem gehörig auf die Nerven gehen, und oft weiß ich nicht so genau, was ich dazu sagen soll.
Ich weiß nur Eines, dass es wohl ein notwendiger Schritt ist auf dem Weg zu einer stabilen Selbsteinschätzung, zu einem gesunden Ich-Gefühl. Kinder und Jugendliche finden auf diese Weise ihren Platz, und auch wir Erwachsenen kommen ohne das Vergleichen nicht aus, wenn wir unsere Möglichkeiten einschätzen wollen. Aber zum Erwachsensein gehört auch dazu, irgendwann einmal zu lernen - und das ist schmerzlich, das ich bei allem Können, bei allen Fähigkeiten und Talenten, bei allen guten Absichten, nicht darum herum komme, Fehler zu machen und schuldig zu werden. Ich muss lernen, dass ich ein Mensch bin, der anderen oft Unrecht tut, der sich bisweilen auf Kosten anderer saniert. Ich muss lernen, dass ich ein Mensch bin, der auch verletzt.
Wir lernen in diesem Prozess, und das tut weh, dass nicht immer die anderen Schuld tragen an unseren Konflikten, Problemen, an unseren Miseren; wir lernen, unsere eigenen Anteile an missglückten Situationen zu erkennen. Das sind wichtige Schritte in unserem Erwachsenenleben, wichtige Schritte, die schwer fallen und die nicht jedem gelingen.
Der Pharisäer scheint jedenfalls weit entfernt davon zu sein, auch etwas von seiner Schuld, auch etwas von seinem Versagen sehen zu können. Würde er auch diese Seite seines Lebens anschauen, unterließe er den Vergleich mit dem Zöllner .
Sören Kierkegaard, der dänische Philosoph, hat gesagt:
Gott nötig haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich diesen Satz erfasst habe: Gott nötig haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit. Aber das ist es, wir sind da wirklich erwachsen, wo wir verstehen, dass wir Gott brauchen.
Wir brauchen ihn, weil wir zwar liebenswerte, intelligente, engagierte Menschen sein mögen, voller guter Absichten, aber dabei auch begrenzt, sehr begrenzt. Und menschlich sind wir in unserem Verhalten und Fühlen nur da, wo wir unsere Begrenztheit und Bedürftigkeit sehen und annehmen.
Daraus wächst Gelassenheit.
Darum dieser Zöllner. In dem Moment an einem entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben, vertraut er sich Gott mit seiner Schuld an, er verteidigt sich nicht, jammert nicht, sondern sagt einfach nur: „Gott sei mir Sünder gnädig.“
Der Pharisäer im Vordergrund, der Zöllner dahinter - im Schatten. Vielleicht geht es darum in dieser Geschichte, den eigenen Schatten aufzusuchen, ihn anzusehen und vor Gott zu bringen. Der angesehene fromme Mann stand da für sich, heißt es in der Geschichte, und der andere hält sich im Hintergrund, im Hintergrund auch unseres Bewusstseins. Zwischen unserer bewusst gelebten Anständigkeit und unseren mühsam unterdrückten negativen Impulsen ist so eine Art Mauer.
Zwischen unserem Engagement, unserer Liebe für Menschen und unserem großen Verlangen nach Anerkennung und Überlegenheit - ist eine Mauer.
Zwischen unserer christlichen Hilfsbereitschaft und unserer Angst um die eigene finanzielle Sicherheit - ist eine Mauer.
Zwischen unserem sorgsam gepflegten Image und der Angst, nicht wirklich ernstgenommen zu werden - ist eine Mauer.
Und weil wir diese Mauer in uns haben, erhebt sie sich auch immer in der Außenwelt, steht sie plötzlich zwischen uns und anderen da.
Immer da, wo wir an anderen Eigenschaften spüren, die wir an uns selber nicht leiden können. Immer da, wo ein anderer so viel besser darstellt, was wir eigentlich gerne selbst sein wollten. Das sind die Momente in denen wir schnell auf Vergleiche zurückgreifen, die uns scheinbar selber größer und dafür andere kleiner machen.
Der Grund, weshalb es der Pharisäer Gott und seiner Barmherzigkeit so schwer macht, liegt in seiner Flucht vor seinen eigenen dunklen Seiten: „Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie diese anderen“
Aber Jesus sagt mit dieser Geschichte: In Wahrheit bist du auch so. Und nicht nur du sondern alle Menschen. Ihr habt das alle als Möglichkeit in Euch, und das ist die Quelle eurer Ängste, eurer Empfindlichkeit, eurer versteckten und offenen Hassgefühle, allen Neides und heimlichen Kummers über euch selber.
Und so ist das Fazit dieser Geschichte: Gott verwirft den guten Menschen, der ich sein will, aber nicht bin. Und er nimmt den schlechten Menschen an, der ich bin, aber nicht sein will.
Der Weg auf die Zöllnerseite ist schwer, diese Mauer zu überwinden kann sehr wehtun. Darum haben wir wohl die Figur des Zöllners lieber zu einem Ideal christlicher Demut gemacht, statt ihn als das zu sehen, was er ist: ein kaputter Mensch, der nur auf Kosten anderer gelebt hat und nun vor den Trümmern seiner Existenz steht.
Er ist kein demütiger Heiliger, sondern Einer der ganz unten ist, da wo es tiefer nicht geht. Und da ist Gott, und das spürt der Zöllner und er geht befreit nach Hause, im Text heißt es: gerechtfertigt.
Er spürt, dass Gott an seiner Seite ist und ihn mit seinem ganzen Leben unter seinen Schutz nimmt.
„Gott nötig haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“
Am Pharisäer wird deutlich, dass nicht meine Leistungen, nicht mein Mühen über mich, über das Gelingen meines Lebens entscheiden.
Gott, und mit ihm das Leben selbst, akzeptiert uns am Nullpunkt. In dieser Stunde der Wahrheit, am Nullpunkt, an der Seite des Zöllners, kann Hoffnung wachsen für zerstörtes Leben, so wie es dieses Zöllnerleben war.
Und wir tragen ja beide Leben in uns - unterschiedlich stark und sicher in ganz verschiedenen Ausprägungen.
Und es ist ja auch richtig, wenn wir uns wie der Pharisäer bemühen, ein gutes, ein faires, ein anderen zugewandtes Leben zu führen. Aber wir sollten darüber unsere Schwächen, unsere Schatten und Ängste nicht vergessen.
Nicht verdrängen, wo wir gescheitert sind und uns schuldig gemacht haben. Denn für Gott ist kein menschlicher Abgrund zu tief, um ihn nicht zu überwinden, wenn wir ihn rufen.
„Denn Gott nötig haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft,
der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
Pfarrerin Ulrike Trautwein, Grempstraße 43, 60487 Frankfurt am Main
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