Pharisäer und Zöllner
von Rosemarie Wiegand (65207 Wiesbaden)
Predigtdatum
:
15.08.1999
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Kirche und Israel
Textstelle
:
Matthäus 21,28-32
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Wochenspruch:
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (1. Petrus 5,5b)
Psalm: 113,1-8 (EG 745)
Lesungen
Altes Testament:
2. Samuel 12,1-10.13-15a
Epistel:
Epheser 2,4-10
Evangelium:
Lukas 18,9-14
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 440
All Morgen ist ganz frisch und neu
Wochenlied:
EG 299
oder EG
Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Predigtlied:
EG 404
oder EG 552
Herr Jesu, Gnadensonne
Einer ist unser Leben
Schlußlied:
EG 421
Verleih uns Frieden
Hinführung:
I. In einem ersten Schritt zur Auslegung des Predigttextes sind mir die eigenen Erfahrungen wichtig, die auch im Beispiel von Jesus angesprochen werden. Der Vater bittet seine beiden Söhne um Mithilfe. Die Reaktionen von ‘Nein’ – und es dann doch tun und von ‘Ja’ – und es dann doch nicht tun, sind mir gut bekannt, sowohl bei meinen Kindern, wie auch bei mir selbst.
II. Im weiteren nehme ich die Situation und Reaktion der Gesprächspartner Jesu auf. Sie wurden von Jesus gefragt und ihnen wird “der Spiegel” vorgehalten; Ihr Ja und Nein Gottes Aufforderungen gegenüber.
III. “Der Spiegel” wird im weiteren Verlauf der Predigt uns vorgehalten, wir kommen jetzt ins Blickfeld. Wir sind als Christinnen und Christen zur Mitarbeit im Weinberg Gottes gefordert. Welche Arbeit wartet auf mich persönlich, kann ich mir aussuchen und je nach Laune Ja oder Nein sagen, wird mir zugemutet, was ich nicht tun kann?
IV. Eine Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau in Mt. 15,21-28 ist mir wichtig in dem Zusammenhang des Neinsagens und es dann doch tun. Jesus selbst sagt hier nein, ändert aber seine Meinung und handelt.
Ich möchte darauf vertrauen, daß ich jederzeit umkehren darf mit einer Einsicht im Herzen auf dem Weg in das Reich Gottes.
Jesus sprach zu den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes:
28 Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. 29 Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. 30 Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin. 31 Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. 32 Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, so daß ihr ihm dann auch geglaubt hättet.
Liebe Gemeinde!
Solche Situationen wie: ‘Ja’ sagen und es doch nicht tun, oder: ‘Nein’ sagen und es dann doch tun, sind mir als Mutter von drei Kindern bestens bekannt. Wenn ich z. B. darum bitte, das Altpapier heute noch wegzubringen, bekomme ich zu hören: “Ja, mache ich”, aber es passiert nichts, heute nicht, vielleicht morgen nicht, und nach einer erinnernden Nachfrage bekomme ich zu hören: “Ich mach es ja noch, es läuft ja nicht weg, es muß doch nicht alles sofort sein!”
Ein anderes Mal ist ein klares Nein die Antwort auf meine Bitte, und - ich traue meinen Augen nicht - eine Stunde später ist die Altpapierkiste leer. “Ich bin doch vorbeigegangen und habe alles mitgenommen!” ist die Antwort auf meine erstaunte Nachfrage.
Ja sagen und nichts tun oder noch lange nichts tun - und Nein sagen und es doch tun: Damit lebe ich als Mutter, leben wir als Familie. Ich bin davon überzeugt, daß hinter dem Ja sagen und es doch nicht tun ganz und gar kein böser Wille steht.
Auch von mir selbst kenne ich das nur zu gut! “Ja, ich komme vorbei, ja, ich besuche dich” - und dann tue ich es doch nicht. Ich habe keine Zeit, oder anderes schiebt sich einfach dazwischen, und aus dem “Ja, ich komme!” wird ein Nein! Das geht mir privat ebenso wie auch in meinem Dienst. Ebenso kenne ich die Situation: “Nein, da gehe ich nicht hin!”, und dann ändere ich meine Meinung oder ich habe ein schlechtes Gewissen und gehe doch.
Daß ein versprochenes Ja ein Ja sein muß und bleiben soll, hat für den vertrauensvollen Umgang miteinander seine Bedeutung. Genauso ein klares “Nein, ich will nicht.” Und wenn sich dann doch einmal die Meinung ändert, ist es auch menschlich, daß aus dem Nein ein Ja werden kann und umgekehrt.
Im pädagogischen Sinne ist das natürlich kein konsequentes Verhalten und gewiß auch nicht immer zu empfehlen. Aber es gibt Situationen im Leben, da ist es halt so und geschieht auch so. Damit muß ich leben und habe auch ständig damit zu tun, bei mir selbst und bei anderen Menschen, denen ich begegne.
Im Laufe eines Gespräches zwischen Jesus und einigen seiner Glaubensbrüder kommt es dazu, daß Jesus, wie so oft in seinen Gesprächen, ein Beispiel erzählt, um deutlich zu machen, was er sagen will. Eine wohl auch ihm vertraute Situation aus dem alltäglichen Leben nimmt er auf:
Ein Vater bittet zunächst einen der Söhne, in den Weinberg zu gehen, um dort die notwendige Arbeit zu tun. “Nein, ich will nicht!”, ist die Antwort, die der Vater von seinem Sohn erhält. Der Vater geht zum zweiten Sohn und äußert die gleiche Bitte. Dieser Sohn reagiert anders als sein Bruder. “Ja, Herr!” sagt er, aber dann geschieht das, was ihm als inkonsequentes Verhalten vorgeworfen werden kann: Er geht nicht zur Arbeit in den Weinberg.
Aber der andere, der ursprünglich Nein gesagt hatte, geht hin! warum das so war, wird in dem Beispiel erzählt: Er bereute sein Nein! War es das schlechte Gewissen dem Vater gegenüber, das ihn bewegte, seine Meinung zu ändern? Oder hat er sich einfach nur überlegt, daß sein Nein doch nicht gut war? Warum der zweite Sohn Ja sagte und dann doch nicht geht, darüber sagt Jesus nichts in seinem Beispiel.
Jetzt wendet sich Jesus seinen Gesprächspartnern zu. Ihre Meinung darüber, wer den Willen des Vaters getan hat, ist gefragt; dabei ist die Antwort doch einfach: Natürlich hat der erste Sohn den Willen des Vaters getan, obwohl er zuerst einmal Nein gesagt hat. So können die Gesprächspartner Jesu gar nicht anders, als diese Antwort auf Jesu Frage zu geben.
Doch damit ist das Gespräch nicht zu Ende. Jesus hat das Urteil der Gesprächspartner über andere gefordert, und nun sind sie selbst an der Reihe. Jetzt geht es um sie, um eine Entscheidung über sich selbst. Das Beispiel des Vaters mit seinen beiden Söhnen wird aus der Mitte der Betrachtungen genommen, und andere werden in den Blickpunkt des Gespräches gerückt: Sie selbst, die Gesprächspartner, und ihr Ja oder Nein Gott gegenüber.
Jesus konfrontiert die Männer damit, daß er ihnen Menschen gegenüberstellt, die nicht gerade als gottesfürchtige Glaubenageschwister angesehen werden konnten: Zöllner und Huren, die durch ihren Lebenswandel immer wieder für besonderes Aufsehen sorgten. “Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr!” - was für eine Provokation mag das für die frommen Männer gewesen sein, mit solchen Menschen verglichen zu werden, ja mehr noch, diese als Vorbild für Reue und Glauben hingestellt zu bekommen!
“Die Zöllner und Huren glaubten an die Worte der Buße, die sie von Johannes gehört haben, im Gegensatz zu euch”, stellt Jesus fest. Jesus scheint ja geradezu in Zorn geraten zu sein, wenn er noch ausdrücklich darauf hinweist: “Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr!” Was bleibt da den Gesprächspartnern Jesu noch für ein Spielraum, über sich selbst und ihren Glauben an Gott nachzudenken? Ich versuche mir vorzustellen, wie sie da sitzen, vielleicht mit betroffenem Blick unter sich oder mit zorniger Miene auf Jesus schauend. Wir wissen es nicht, denn ihre Reaktion ist uns nicht mitgeteilt worden.
Wir verlassen nun diese Szene, in der Jesus im Gespräch mit den Ältesten seines Volkes und den Hohenpriestern seiner Religion ist. Wieder wird der Mittelpunkt verändert, und nun sind wir es, die ins Blickfeld kommen.
Es ist ja leicht, über das Geschehen von damals zu urteilen. Aber auch wir sind es, die Nein sagen und doch hingehen oder Ja sagen und dann doch nicht gehen. Und plötzlich bekommt die Gesprächsszene eine andere Bedeutung! Als Christinnen und Christen sind wir ebenfalls zur Mitarbeit im Weinberg Gottes berufen, und wir werden dafür gebraucht. Der Vater in dem Beispiel Jesu braucht seine beiden Kinder für die Arbeit, die in seinem Weinberg nun mal anfällt; er braucht ihre Arbeitskraft, ihre Hilfe, ihre Unterstützung, nur dann kann der Weinberg in Ordnung gehalten und eine gute Ernte erwartet werden.
Und nun: Will ich, oder will ich nicht? Will ich hingehen und die Arbeit tun, vor die Gott mich stellt? Will ich, daß er in mein Leben hineinredet? Will ich mir von ihm sagen lassen, was ich zu tun habe? Mit welchen Gefühlen höre ich der Aufforderung zu: “Geh hin und arbeite heute! Jetzt, hier und heute, wirst du gebraucht, mitzuarbeiten im Weinberg, in meinem Reich!” Der Weinberg Gottes hier auf unserer Erde umschließt alle Lebensbedingungen, in denen wir als Christinnen und Christen nun mal leben. Der Wille des Vaters ist es, daß die Kinder mitarbeiten, selbst Verantwortung übernehmen, da anpacken, wo es nötig ist, und ihren Teil dazu beitragen, damit es wachsen und reifen kann.
Im vergangenen Jahr habe ich bei der Weinlese im Weinberg eines Verwandten geholfen. Es war für mich eine Arbeit, die mir viel Freude machte und gegenüber meiner sonstigen Arbeit eine schöne Abwechslung darstellte. Aber ich hatte es gut, denn die schwere und viele Arbeit, die im Laufe eines Jahres im Weinberg anfällt, war bereits getan. Ich brauchte nur zu ernten.
Doch wie ist es mit der Arbeit im Weinberg Gottes? Was wird von mir erwartet, was wird mir zugemutet zu tun und wozu werde ich wohl gebraucht? Kann ich mir die Arbeit aussuchen, oder wird sie angeordnet?
Nein, ich will nicht, das kann ich nicht, ich habe keine Zeit dazu, was kann ich schon tun, erst einmal sind andere dran, später vielleicht, warum denn immer ich, ich habe schon genug getan - solche Einwände fallen mir ein, und ich kenne sie auch gut von mir selbst. Manchmal kommen dann Bedenken und auch das schlechte Gewissen, und ich gehe doch, ein anderes Mal bin ich froh, daß ich es geschafft habe, Nein zu sagen und auch dabei zu bleiben. Für alles kann und will ich nicht zuständig sein. So eindeutig, wie Jesus es hier fordert, bin ich oftmals nicht.
Ein anderes Mal sage ich “Ja, sofort, gerne”, und dann tue ich es und es geht mir gut dabei. Ich helfe mit, daß Not gelindert werden kann, daß jemand getröstet wird, daß jemand einen neuen Anfang findet. Ich bin für jemanden da, der mich braucht, meine Nähe, mein Gebet.
Ich weiß, daß es Arbeit gibt, die ich gerne tue, daß ich anderes lieber meide, und daß ich wieder anderes nicht tun kann, weil es für mich zu schwer ist. Doch ich möchte lernen, darauf zu vertrauen, daß sich das im Laufe meines Lebens verändern kann.
(Hinweis auf die Lesung Mt. 15, 21-28)
Jesus selbst hat in der Begegnung mit einer kanaanäischen Frau lernen müssen, daß aus seinem “Nein, für dich bin ich nicht zuständig” doch ein Ja geworden ist, denn er heilte ihre Tochter. Diese Begegnung Jesu tröstet mich bei meinem Ja oder Nein. Denn ich bin voller Zutrauen, daß ich meine Meinung ändern darf, daß ich jederzeit umkehren kann - mit einer Einsicht im Herzen, die neue Schritte auslöst, Schritte auf dem Weg in das Reich Gottes, Schritte zur Arbeit im Weinberg Gottes. Denn es gibt viel zu tun! Amen.
Verfasserin: Pfrn. Rosemarie Wiegand, Pfarrstr. 1, 65207 Wiesbaden-Kloppenheim
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