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Reformation

von Andreas Rose (64380 Roßdorf)

Predigtdatum : 31.10.1998
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 23. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Römer 3,21-28
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Wochenspruch:

Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. (1.Kor 3,11)

Psalm: 46,2-8 (EG 725)

Lesungen:

Altes Testament:

Jesaja 62,6-7.10-12

Epistel:

Römer 3,21-28

Evangelium:

Matthäus 5,1-10 (11-12)

Liedvorschläge:

Eingangslied:

EG 362

Ein feste Burg ist unser Gott

Lied des Tages:

EG 341

oder EG 351

Nun freut euch, liebe Christen g’mein

Ist Gott für mich, so trete

Predigtlied:

EG 289

oder EG 299

Nun lob, mein Seel, den Herren

Aus tiefer Not schrei ich zu dir

Schlußlied:

EG 346

Such, wer da will, ein ander Ziel

Liebe Gemeinde,

wenn der Bochumer evangelische Theologieprofessor Günter Brakelmann recht hat, dann ist ein zentrales Problem der evangelischen Kirche heute, daß sie zu sehr „Pastorenkirche“ ist - eine Kirche, der die „Laien abhanden kommen“. Dabei war gerade dies die reformatorische Grunderkenntnis: Jeder einzelne Christ, ob Theologe oder Nicht-Theologe, steht unmittelbar vor Gott - mit seinen Taten, seiner Hoffnung und Verzweiflung, auch mit seiner Schuld. Andererseits ist heute gelegentlich die Frage zu vernehmen: „Wenn jemand ein gutes Verhältnis zu Jesus Christus hat, braucht er dann überhaupt noch die Kirche?“

Zwei ganz wichtige Denkanstöße zum Reformationsfest. Sie helfen mir, im Reformationsfest nicht nur das Geburtstagsfest unserer evangelischen Kirche zu sehen. Tatsächlich kann der Reformationstag heute nicht mehr bloß Gedenktag und Jubiläumsfest sein. Statt dessen, finde ich, muß neu zur Sprache kommen, was die Reformatoren damals bewegt hat: Erneuerung einer Kirche, die zu sehr Amtskirche geworden ist.

Das Anliegen der Reformatoren ist im Grunde wieder ganz aktuell: Das Amt darf nicht wichtiger sein als der Glaube, die Macht nicht wichtiger als die Gemeinschaft, die Verwaltung nicht wichtiger als die Menschen. Was sich über Generationen, ja Jahrhunderte hinweg entwickelt hat, muß neu überprüft werden, ob es der biblischen Botschaft und den Menschen, die die Botschaft erreichen will, dient.

Es kann nicht einfach alles bleiben, wie es ist, bloß, weil es seit jeher so war. „Ein feste Burg ist unser Gott“, ja; aber die Kirche kann nicht eine unverrückbare Trutzburg sein, die nur beharrlich zu verteidigen versucht, was ihr wichtig erscheint. Die Frage ist wieder ganz aktuell: Wie stehe ich als Mitglied zu meiner Kirche? Was hat meine Beziehung zur Kirche zu tun mit meiner Beziehung zu Gott? Wo brauche ich die Kirche? Und wann?

Der Schlüssel zu solchen und ähnlichen Fragen war für Martin Luther ein Abschnitt aus dem Römerbrief, der auch als Predigttext für heute vorgesehen ist. Paulus beschreibt darin, wie der Mensch vor Gott zu einem guten Gewissen kommt, zu seiner Anerkennung und Wertschätzung; er nennt das die „Rechtfertigung“ oder einfach die „Gerechtigkeit“. Und was er hier schreibt, wurde für Martin Luther zu der wichtigsten Richtschnur, die in der Kirche zu gelten habe.

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. 25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, daß er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.

27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 28 So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Ausgehend von der Frage nach der Erneuerung der Kirche einerseits und von den Worten des Paulus andererseits habe ich versucht, mir vorzustellen, ein Mitglied der Kirche würde an seine Kirche einen Brief schreiben. Er könnte vielleicht so lauten:

„Meine liebe Kirche, ich gehöre zu dir und zahle meine Kirchensteuern, aber manchmal, wenn ich an dich denke, frage ich mich, was ich eigentlich davon habe. Siehst du, ich habe mein Leben und muß sehen, wo ich bleibe; d.h., eigentlich habe ich ja sogar meine Wünsche und Bedürfnisse, und ich versuche, so gut zu leben wie es geht. Klar, ich habe meinen Beruf, meine Wohnung, mein Auto; es gibt viele, die stehen schlechter da. Aber schließlich gibt es auch welche, die leben noch ganz anders; sie stellen etwas dar, haben viel Geld, an jedem Finger zehn Bewunderer. Eben Leute, die es zu etwas gebracht haben.

Ich tue zwar auch gern so, als ob mir einfach alles zufliegt, aber in Wirklichkeit strenge ich mich an, um einigermaßen mithalten zu können. Da bleibt nicht viel Zeit für die Kirche. Da habe ich andere Sorgen. Und irgendwie brauche ich ja auch mal meine Ruhe. Und überhaupt: Ich habe schon lange das Gefühl, daß wir eigentlich garnicht mehr so richtig zueinander passen, du und ich. Ich möchte mein Leben eben selbst in die Hand nehmen, aber bei dir habe ich immer das Gefühl, du würdest mir gerne in meine Privatangelegenheiten ‘reinreden. Mir scheint auch, als ob bei dir immer noch alles noch nach dem alten Muster läuft, so streng und verstaubt. Ich fürchte, wenn ich mehr Kontakt zu dir hätte, würdest du mich gleich vereinnahmen wollen.

Du versuchst ja auch so, mich mit deinem moralischen Zeigefinger zu erreichen und mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Immer habe ich das Gefühl, ich müßte erst mal was bringen, um bei dir überhaupt akzeptiert zu sein. O.k., es gibt ja viel Gutes bei dir, die ganze Sozialarbeit in Krankenhäusern und Heimen, aber das tun andere auch, und bestimmt nicht mal schlechter. Ja, wenn ich’s recht bedenke, ich würde vielleicht lieber die Hilfe von jemand anders in Anspruch nehmen als von dir, denn bei dir hätte ich immer das Gefühl, du würdest von mir eine Gegenleistung erwarten. Daß ich jetzt auf einmal fromm werde oder immer komme oder so.

Ich kann einfach nicht vergessen, wie das damals war, in der Schule und im Konfirmandenunterricht, wo das wichtigste war, daß ich hübsch brav und artig blieb. Heute bin ich froh, daß mich keiner mehr zwingen kann. Und vor allem: Ich sage ja garnicht, ich hätte was gegen die Bibel. Ich find’ das schon toll, was der Jesus alles so gemacht und gesagt hat.

Besonders gefällt mir, wie er sich frei gemacht hat von den Zwängen, unter denen seine Zeitgenossen lebten, wie er den Spießern und Moralpredigern die kalte Schulter gezeigt hat. Und wie er sich garnicht um die Vorschriften geschert hat, wenn er den Menschen helfen wollte. Er hat keinen gefragt, ob er auch brav seine Beiträge zahlt, er war sich auch nicht zu fein, sich mit Leuten einzulassen, auf die die Spießer herabblickten. Er konnte sogar fünfe gerade sein lassen, wenn seine Freunde gegen das Feiertagsgebot verstießen, und er hat es sogar selbst nicht so genau damit genommen, wenn er damit jemand helfen konnte.

Und ehrlich war er. Er hat Bescheidenheit nicht nur gepredigt, sondern er hat danach gelebt. Wär’ zwar nicht mein Fall, so als armer Wandersmann, aber immerhin, er hat gewußt, wovon er redet. Und die Leute, die ihn erlebt haben, die haben bei ihm wirklich gespürt, was Gnade ist und Barmherzigkeit; ihm konnten sie es abnehmen, wenn er ihnen sagte: Ich nehme dich an, ich spreche dich gerecht, obwohl du keine weiße Weste hast.

Aber wo ist denn bei dir etwas davon zu spüren? Da wird zwar Barmherzigkeit gepredigt, aber dann sollen doch wieder alle irgendwie perfekt sein. Gerade mit deinen eigenen Leuten gehst du am unbarmherzigsten um. Sonst gilt: Bloß niemandem wehtun, schon garnicht, wenn er ein großer Steuerzahler ist, aber wehe, bei einem deiner Pfarrer geht die Beziehung kaputt - ach, was heißt Beziehung, ohne Ehe geht’s ja garnicht.

Aber es reicht ja schon, wenn eine Kindergärtnerin Probleme damit hat, wenn sie mit ihrer Gruppe beten soll. Da kriegt sie schon genug Ärger. Oder wenn die Krankenschwester auch mal schlechte Laune hat, und ein Patient kriegt’s mit. „So halten wir dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“, so hat es doch der Paulus gesagt, aber bei dir geht doch alles nach Gesetzen und Verordnungen.

Ich könnte mir vorstellen, daß Jesus garnicht einverstanden wäre mit dir, mit dem Dickicht aus Gesetzen und Geboten, wo ich immer erst etwas versprechen muß. Ja, ganz ehrlich: Bei dir hat man immer das Gefühl, du möchtest mir den Spaß verderben, du gönnst mir das bißchen Vergnügen nicht, das ich mir leisten kann. Immer dieses Entweder-Oder. Immer diese Intoleranz. Und vor allem dieses beharrliche Festhalten an den althergebrachten Idealen, immer dieser Mief. Es darf ja gar keiner wirklich richtig glücklich sein bei dir, das ist ja schon gleich verdächtig. Wer es wagt, das Leben zu genießen, der kriegt gleich eins auf den Deckel von wegen Hunger in Entwicklungsländern, Krieg hier und Katastrophen dort - und was da noch so in den Nachrichten vorkommt.

Ich find’s ja auch nicht gut, wenn Ausländer angegriffen werden, aber warum soll ich mir denn dauernd selbst die Laune verderben? Ich glaube, meine liebe Kirche, du müßtest mal wieder selbst genau gucken, was der Paulus da geschrieben hat. Klar, der Glaube ist das wichtigste. Aber man darf doch seine Grenzen haben, oder? Ich gebe ja zu, da könnte ich mir vielleicht mehr Mühe geben. Aber es fiele mir auch leichter, wenn das Drumherum bei dir dazu passen würde.

Du scheinst mir auf dem besten Weg zu sein, nur noch auf dich selber zu gucken, so wie schon einmal, damals, als Martin Luther kam, um dich wieder auf den Boden zu bringen. Du willst, das alle Menschen sich dir anpassen, dabei müßte es umgekehrt sein: Du müßtest erstmal wirklich zuhören und fragen, was die Menschen brauchen.“

Es ist keine reine Phantasie, liebe Gemeinde, was ich dieses Kirchenmitglied habe schreiben lassen. Diese Gedanken sind nicht aus der Luft gegriffen. Sie sollen freilich nicht der erste Maßstab sein für die Erneuerung unserer Kirche, sondern Maßstab ist die biblische Botschaft von der neuen Freiheit, die Paulus hier in seinem Brief so kompakt zum Ausdruck bringt. Aber ein Anlaß zum Nachdenken muß es allemal sein, wenn wir sehen, daß unser Reden von der Liebe Gottes die Menschen nicht mehr erreicht, ja, daß sie garnicht mehr danach fragen, oder noch mehr, daß sie nicht einmal mehr unsere Sprache verstehen.

Das heutige Problem der Kirche ist nicht nur finanzieller Natur, das Problem ist das immer weiter um sich greifende Mißverständnis, die Kirche bestünde aus den Pfarrern und Bischöfen. Das hat wirklich schon Martin Luther besser gewußt. Es kommt viel darauf an, diesem Mißverständnis entgegen zu wirken. Die Mündigkeit aller Gläubigen, die ihre Wurzel in Gottes Gerechtigkeit hat, ist von großer Bedeutung für die Zukunft unserer Kirchen. Ob wir nicht alle etwas dazu beitragen können, daß diese Mündigkeit der Gläubigen mehr Gewicht bekommt? Amen.

Verfasser: Pfr. Andreas Rose, Nordhäuser Str. 33, 64380 Roßdorf


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