Reformation
von Karsten Müller (Halle /Saale)
Predigtdatum
:
31.10.2014
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
23. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Philipper 2,12-13
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Wochenspruch:
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
(1. Korinther 3, 11)
Psalm: Psalm 46, 2 - 8
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 62, 6 - 7. 10 - 12
Epistel: Römer 3, 21 - 28
Evangelium: Matthäus 5, 2 - 10. (11 - 12)
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 362 Ein feste Burg
Wochenlied: EG 341
oder EG 351 Nun freut euch, lieben Christen g'mein
Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich
Predigtlied: EG 414 Lass mich, o Herr, in allen Dingen
Schlusslied: EG 421 Verleih uns Frieden gnädiglich
Liebe Gemeinde,
oder „Also, meine Lieben“ – so schreibt Paulus an die Christen in der griechischen Stadt Philippi, in der er die erste christliche Gemeinde in Europa gegründet hatte. Das Verhältnis der Gemeinde zu ihrem Gründer ist entspannt. Es gibt keine Konflikte, keinen Streit oder andere Probleme.
Also, meine Lieben – so kann man sich den Fragen des Glaubens zuwenden. Und Paulus wirft in den zwei Versen, die wir als Predigttext hören, Fragen auf.
„Also, meine Lieben“ - würde uns Gott auch so anreden? Wir reden ja hin und wieder vom „lieben Gott“ – aber würde Gott von uns auch als von „lieben“ Menschen reden? Schnell kommt uns vielleicht der Gedanke an ein „Nein“ als Antwort auf diese Frage. Aber würde Gott uns nicht lieben, wären wir dann überhaupt noch als Menschen auf der Erde? Wäre Gott Mensch geworden, wenn er uns, seine Geschöpfe nicht lieben würde. Das kann man sich eigentlich nicht so recht vorstellen.
Der Gedanke, dass Gott uns liebt bedeutet ja nicht, dass es in dieser Beziehung zu ihm nicht zu Spannungen kommen kann. Diese können von unserer Seite ausgelöst werden durch das merkwürdige Verlangen von uns Menschen, sich von Gott zu trennen. Wir suchen eigene Wege, lassen Gebote beiseite und sehen oft nur uns. Den Versuch, sich von Gott zu trennen, nennen wir Sünde. Dabei geht es nicht um die Erfüllung irgendwelcher moralischer Forderungen, sondern es geht um unsere Beziehung zu dem uns lieben-den Gott.
Wenn das Wort Gehorsam in diesem Zusammenhang fällt, dann löst es bei uns nicht unbedingt positive Assoziationen aus. Zu fatal sind die Wirkungen des Gehorsams im letzten Jahrhundert gewesen. Als Medizin dagegen haben Emanzi-pation und Freiheit gewirkt.
Gehorsam im Zusammenhang der Bibel meint aber nicht das Einknicken vor so genannten ewigen Wahrheiten oder das Fürwahr halten dieses oder jenen Glaubenssatzes. Ich verstehe das Wort im Wortsinn: Ich höre und ich lebe oder handle im Sinn des Gehörten. Aber ich schalte dabei meinen Verstand nicht aus. Auch der Befehlsempfänger, wir können ruhig an einen einfachen Soldaten denken, hat das Recht den Gehorsam zu verweigern, wenn ein Befehl unverbind-lich ist, insbesondere wenn er nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt ist oder wenn er die Menschenwürde verletzt oder wenn durch das Befolgen eine Straftat begangen würde.
Paulus sagt deutlich, dass der Glaubensgehorsam aus einem ganz anderen Holz geschnitzt ist: Es ist nicht der Gehorsam gegenüber einem Menschen. Es geht nicht um den Gemein-degründer und auch nicht um den Pfarrer oder die Pfarrerin und erst recht nicht um die Kirchenleitung.
Der Gehorsam, von dem Paulus spricht, ist der Gehorsam des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer, der Gehorsam des Menschen gegenüber Gott. Dafür braucht es keinen Apostel, keine priesterlichen Instanzen. Die Beziehung des Menschen zu Gott ist unmittelbar, wie die Beziehung eines Kindes zu seiner Mutter oder seinem Vater.
Wir wissen seit dem dritten Kapitel der Bibel, dass diese Beziehung nicht bruchlos ist. Die trägt die Risse des menschlichen Ungehorsams. Zusammengehalten wird un-sere Beziehung zu Gott nicht durch unsere besonderen Gehorsamsleistungen, mit denen wir vielleicht die Verfeh-lungen vorheriger Generationen auswetzen könnten. Zu-sammengehalten wird unsere Beziehung nur dadurch, dass Gott sich uns immer wieder zuwendet. Das haben wir nicht verdient und können wir auch nicht verdienen.
Zu jeder Beziehung gehört, dass man sie pflegt. Das wissen wir aus unseren menschlichen Beziehungen. Kein denkender und erst recht kein glaubender Mensch leitet aus Gottes guter Zuwendung zu uns einen Freibrief für Verantwortungslosigkeit ab.
„Schafft, dass ihr selig werdet“ – das höre ich als: Pflegt eure Beziehung zu Gott. Hört auf sein Wort, seid mit ihm im Gespräch, also: betet. Gleicht euer Tun und Lassen mit Gottes Gebot ab. Versucht die Gemeinschaft mit Gott in eurem Leben groß und die Trennung von ihm klein zu halten. Und dann kommen merkwürdige Worte: Pflegt eure Beziehung zu Gott, „schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern“. Warum soll man sich vor dem gnädigen Gott, der uns nachgeht, in dessen Hand wir geborgen sind, fürchten? Warum soll man vor ihm zittern?
Wenn Gott oder seine Boten Menschen begegnen, dann steht am Anfang der Begegnung oft: „Fürchtet euch nicht“ – denken wir nur an das Hirtenfeld bei Bethlehem. So nahe uns Gott ist, so eng unsere Beziehung sein kann, es bleibt auch dabei: Gott ist der Schöpfer, wir sind die Geschöpfe. So sehr wir mit Gott auch im Gespräch sind, bleibt er doch der Unverfügbare. Wenn trotz aller Gebete etwas eintritt, was ich gerade nicht erbeten habe, dann spüre ich etwas von dieser Unverfügbarkeit. Also meine Lieben, der liebe Gott ist eben nicht immer lieb. Er entzieht sich unserer Verfügung.
Furcht und Zittern sollen uns nicht unfähig machen, unsere Beziehung zu Gott zu gestalten. Es geht nicht um die Angst, die alle mal ein schlechter Ratgeber ist. Es geht um den Respekt vor dem Schöpfer, der sich durchaus im Respekt vor der Schöpfung äußern kann. Es geht um die Furcht, die uns beschleicht, wenn im Abstand von zehn Jahren die Jahrhundertfluten über uns hereinbrechen. Es geht um die ernste Tatsache, dass Gott der Vater nicht nur größer ist als wir, sondern dass er auch unverfügbar ist und auch unserer Vorstellungskraft zu einem Teil entzogen.
Sollte man sich von so einem Gott nicht lieber fern halten? Lieber auf Abstand gehen? Manche Menschen sehen das so. Man kann auch nicht behaupten, dass es nicht geht: Ein Leben, in dem die Verbindung zu Gott gekappt ist.
Aber diese Frage stellt sich für uns nicht, nicht ernsthaft und auch nicht wirklich. Unsere Aufmerksamkeit wird von Paulus nicht auf die mögliche Trennung von Gott gelenkt: „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Das klingt beim ersten Hören vielleicht so ein bisschen nach Marionetten-spieler: Gott ist’s, der die Fäden zieht.
Wir sind aber keine Marionetten, sondern freie Menschen. Wir haben uns auch nicht von Gott emanzipiert, denn er hat uns ja als freie Menschen erschaffen. Wir haben uns höchstens von Gottesbildern emanzipiert, die versucht haben, uns Gott als Marionettenspieler zu verkaufen.
Aber wir sind als freie Menschen Gott nicht egal. „Macht doch, was ihr wollt...“, ist nicht seine Position. Kein guter Vater oder keine gute Mutter denkt so von seinen oder ihren Kindern. Aber Mütter und Väter erfahren auch, wie begrenzt oder auch fehl am Platz ihre Einflussmöglichkeiten auf das sind, was die Kinder tun oder lassen.
Von Gottes Seite her gibt es zu uns keinen Abstand. Er ist näher bei uns, als wir uns vorstellen können. Gott wirkt in uns. Wenn wir nicht gut handeln, dann sollten wir das nicht auch noch Gott in die Schuhe schieben wollen. Das ist töricht.
Wenn Gott handelt, wenn er das Wollen und auch das Vollbringen bewirkt, dann will er uns entlasten. Darauf können und sollen wir vertrauen. Wir müssen nicht allein auf dem Weg sein. Gottes Nähe ist da, immer und ganz unmittelbar. Das ist sicher, viel sicherer als all die Sicher-heiten, die wir für sicher halten. Amen.
Verfasser: Pfarrer Karsten Müller
An der Johanneskirche 1, 06110 Halle (Saale)
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