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Reich sein für Gott

von Meinhold Krauss (64283 Darmstadt)

Predigtdatum : 05.10.1997
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 17. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Lukas 12,(13-14).15-21
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Schriftlesung: Jes. 58,7-12 oder 2. Kor. 9,6-15

Wochenspruch: Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. (Ps 145,15)

Wochenlied: EG 324 oder 502

Weitere Liedvorschläge: EG 527; 495; 584

15 Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, daß er viele Güter hat. Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Liebe Gemeinde!

Wir Menschen haben viele Wünsche. Wenn man sie auf einen Nenner bringen will, könnte man sagen: „Ich will soviel wie möglich vom Leben haben!“ Aber was ist eigentlich - das Leben?

Heute wird uns von einem Mann berichtet, der offensichtlich das Leben voll zu fassen bekam. Ein Glückspilz, dem alles gelang. Der von Jahr zu Jahr steil aufwärts stieg. Sein Leben hat angefangen, wie es bei allen Menschen anfängt: ein zappelndes, schreiendes Baby, ganz und gar angewiesen auf die Fürsorge anderer Menschen. Das ist jedesmal der Beginn. Andre müssen sich um uns kümmern. Liebevolle Fürsorge steht am Anfang jeden Menschenlebens. Da ist eine Mutter, ein Vater und andere, die sich dem hilflosen Erdenbürger zuwenden, der nichts Besseres zu tun vermag als anzunehmen, was Liebe anbietet. Seltsam, daß wir diesen Grundtatbestand unseres Lebens später aus unserem Gedächtnis verlieren. So jedenfalls handelte der Mann, von dem uns berichtet wird.

Eines Tages ist er der Erbe des elterlichen Unternehmens. Jetzt sieht sich sein Dasein so an: Hier bin ich mit meiner Begabung und Energie, und um mich herum eine Umwelt, die prall voll ist von Leben. Ich muß nur zugreifen. Ich muß gestalten. Ich muß soviel wie möglich herausholen. Das muß doch zu schaffen sein! Auf meine Tüchtigkeit kommt es an.

Tatsächlich, ihm gelingt, was er sich vornimmt. Sein Unternehmen wächst von Jahr zu Jahr. Er wird ein wohlsituierter Mann.

Dieses in einer biblischen Erzählung geschilderte Lebensschicksal hat sich tausendfach unter uns wiederholt. Wer den Zeitraum der letzten fünfzig Jahre überblickt, findet bei uns ungezählte Beispiele gleicher Art. Von Ausnahmen abgesehen: den meisten von uns geht es gut. Auch wir können nachsprechen: „Du bist auf viele Jahre gut versorgt. Nun kannst du das Leben genießen“.

Freilich, ein Zwischenton klingt herein; auch bei jenem Mann, von dem Jesus erzählt. Er meldet sich unüberhörbar zu Wort. Man kann versuchen, ihn zu verdrängen oder zu übertönen. Abschütteln aber läßt er sich nicht. Ist es wirklich ausschließlich unserer Tüchtigkeit zu verdanken, daß es uns gut geht? Sind wir wirklich selber die Gestalter unseres Glücks? Ist es nur unserer eigenen Leistung zuzuschreiben, daß das gespaltene Deutschland zwischen Rhein und Elbe zur Weltwirtschaftsmacht Nr. 3 oder 4 aufgerückt ist? Wird das, was wir geschaffen und erreicht haben, Bestand haben?

Wer aufmerksam hinhört auf das Selbstgespräch des Mannes, von dem Jesus erzählt, hört heraus: Wie steht es um die Sicherheit in meinem Leben? Ist Verlaß auf das, was ich erworben habe, und auf mich selbst? „Was muß ich vorsorglich tun?“, fragt er sich selbst. Gewiß ist das Bruttosozialprodukt von Jahr zu Jahr gestiegen. Gewiß habe ich fortlaufend investiert und das Unternehmen zukunftsträchtig ausbauen können. Versichert bin ich auch, und das in mehreren Versicherungen. Auf Pensionen ist noch Verlaß, und sie sind glücklicherweise dynamisch angelegt. Ich kann mit gutem Grund mir selbst zusprechen: „Beruhige dich, iß, trink und sei zuversichtlich.“ Trotzdem bleibt die Unsicherheit.

Neben dem einen Grundtatbestand unseres Lebens, der zu Anfang besonders deutlich ins Auge fällt, daß wir nämlich angewiesen sind auf die fürsorgende Zuwendung anderer, tritt der weitere: Unser Leben ist und bleibt in Unsicherheit eingetaucht. Für nichts, was wir haben und was wir sind, gibt es zuverlässige Garantien. Mensch sein heißt: mit dem Risiko zu leben. Anders ist das Leben nicht zu haben. Es ist uns anvertraut. Es wird uns mit jedem Atemzug und jedem Herzschlag neu anvertraut. Und das auf Zeit. Keiner setzt selber fest, wie lange ihm sein Hab und Gut anvertraut ist und sein Leben. Unsicherheit ist die Kennmarke, die jedem Menschenleben aufgedrückt ist. Sind wir realistisch genug, uns diesem Grundtatbestand unseres Lebens zu stellen? Dann wird sich uns die Frage aufdrängen, von wem wir denn unser Leben anvertraut bekommen.

Aber der beispielhafte Mann in unserer Textgeschichte drückt sich daran vorbei. Er wird - wie wir - wissen, daß es Kriege gibt und Asylanten, er kennt Mißernten, Geldentwertung und Wirtschaftsflauten, Arbeitslosigkeit; Krankheit und Sterben sind ihm nicht unbekannt. Hören wir, was er dem entgegenhält: „Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen; ich will größere bauen; da herein will ich alles sammeln, und dann will ich zu mir selbst sprechen: Mensch, du hast Guthaben genug für viele Jahre; beruhige dich, iß, trink und sei zuversichtlich.“ Merken wir, worum sein ganzes Denken sich dreht? Um sein groß geschriebenes Ich. Ich mit meiner Tüchtigkeit werde es schon schaffen. Ich mit meiner Klugheit, meinem technischen Können, meiner Wissenschaft, meinem Fleiß werde schon bewältigen, was die Zukunft mit sich bringt. Mag auf alles Mögliche wenig Verlaß sein, auf mich selbst kann ich mich verlassen.

Die folgerichtige Konsequenz dieses Denkens, bei dem das groß geschriebene Ich im Mittelpunkt steht, ist: Dann gehört auch alles, was ich erwerbe und habe, mir und noch einmal mir. Es steht mir zur Verfügung. Jeder ist sich selbst der Nächste, und dem Tüchtigen gehört die Welt.

Dieses Denken macht unser Zusammenleben zur Hölle. Davon können die ein Lied singen, die wir Proletarier genannt haben, oder die Kolonialvölker und alle, die in einer Leistungsgesellschaft nicht Schritt zu halten vermögen. Hören wir es in den Worten eines Gedichtes aus Chile:

„Was schwer ist: montags die Augen zu öffnen

aufzustehen morgens um sechs Uhr

als erstes die Lichtrechnung zu sehen

auf dem Nachttisch die Gasrechnung

(die Miete gelang es gestern zu zahlen -

um so besser)

die alltäglichen Kosten

die drei, die vier Rechnungen, für die

man gewöhnlich leben muß

ein ganzes Leben lang“.

Merken wir, wie aktuell dieser Text ist? Gibt es nicht längst auch unter uns viele, die diese Sorgen teilen und im wahrsten Sinn des Wortes ums tägliche Überleben kämpfen müssen?

Was sagen wir zu dem Mann, dessen Denken sich um sein groß geschriebenes Ich dreht? Hand aufs Herz: Wären wir nicht am liebsten in seiner Haut? Sind wir nicht verhinderte Millionäre?

Was sagt Jesus in seiner Erzählung zu dieser Art von Leben? Er hält es für verfehlt. Der Tod deckt die Leere dieser Lebensführung auf. Denn alles, was diese Lebensführung zustande bringt, die Anhäufung von Besitz, ist ja auf das Ich des Besitzers bezogen. Ich will bauen, ich will sammeln, ich will haben und das alles für mich. Nun denn, das Ich ist keine stabile Größe.

Es hat keine Dauer über sieben oder neun Jahrzehnte hinaus. Wer unser Schaffen, unsere Kultur und Wissenschaft, unser Denken und unser Produzieren, unsere Ideale und Zukunftserwartungen, unsere Programme und unsere Leistungen auf sein Ich bezieht, wer es Jahr um Jahr sich selbst zugute kommen läßt, hat einen Bezugspunkt gewählt, der ausgelöscht wird, so wie ein Wort an der Tafel mit dem Schwamm weggewischt wird. Der Schwamm heißt: Sterben oder Tod. Ist Ziel und Sinn allen Schaffens der Menschen ausgerichtet auf das Wohlergehen und die Ehre des Individuums Mensch, dann ist es ins Leere gestellt. Die Leere heißt: Vergänglichkeit.

Gibt es eine andere Wahl? Welche Alternative bietet Jesus, der Erzähler der Geschichte vom erfolgreichen Mann, uns an?

Er stellt dem ich-bezogenen Leisten, Schaffen und Sammeln ein Leben entgegen, das sich auf Gott hin ausrichtet. Das als Bezugspunkt für unser Denken und Tun Gott wählt. Auch alles, was wir Menschen zustande bringen - und das ist ja wahrhaftig bewundernswert -, soll in Dankbarkeit zu Gott, zu seiner Ehre und zu seiner Verfügung da sein. „Reich sein für Gott“ heißt der Vorschlag Jesu für unseren Lebensvollzug.

„Reich sein für Gott“ - was beinhaltet das?

1. Unser Leben soll zur Entfaltung kommen.

Wer von Gott redet, hat sich klargemacht: Wir sind kein Zufallsprodukt, keine Laune der Natur, kein Wurf aus dem Nichts ins Nichts. Der Glaube läßt sich sagen: Du bist Geschöpf eines Schöpfers, dem an dir gelegen ist. Dann nehme ich meine Begabung hin als Gottes Gabe. Dann schließen die Fähigkeiten, die uns Menschen herausheben aus der übrigen Kreatur, eine Bestimmung ein: „Macht euch die Erde untertan; herrscht über sie.“ Dann ist es eine gute Sache, Weltgeschichte zu gestalten, Häuser zu bauen, Wissenschaft zu treiben, Kultur zu schaffen, Entwicklungshilfe in Gang zu setzen.

Es geschieht im Auftrag des Schöpfers. Hoffentlich vergessen wir nicht, daß unser Schaffen diesen Bezug hat. Sinn und Ziel unseres Schaffens sind dann: Der Schöpfergott will es so und freut sich daran, wie Eltern sich freuen, wenn ihren Kindern das Leben gelingt. Wir können mit Lust und Liebe aktiv sein. Das macht auch der Mann, von dem Jesus erzählt, richtig. Sein Fehlgriff steckt anderswo, nämlich, daß er sein Schaffen auf sich bezieht, als wäre er der Mittelpunkt der Welt. Dieses Denken macht uns zu Egoisten.

Wer jetzt nicht mithilft, soweit er es kann, daß der arbeitslose Vater, die alleinerziehende Mutter Arbeit findet, handelt unverantwortlich. Wir alle müssen es lernen zu teilen und uns als Christen fragen lassen: Wo verantworten wir uns für unseren Umgang mit Hab und Gut? Vor Gott oder vor unserem Streben nach immer mehr Besitz?

2. „Reich sein für Gott“ heißt: Frei sein für andere.

Jesus, über dessen Erzählung wir nachdenken, hat auf Besitz verzichtet. Dabei hat er Eigentum nicht verachtet. Aber den Besitzenden und den Besitzlosen gilt: Ihr seid nicht für euch selber da, sondern für andere. Das hat er selbst radikal gelebt. Gott läßt genug da sein auf Erden, damit alle leben können. Es liegt an der Art, wie wir die Güter dieser Erde verteilen - hier viel, dort wenig -,daß einige im Überfluß leben und andere in Armut und Hunger. „Reich sein für Gott“ heißt: Meinem Nächsten die Liebe erweisen, die ich mir selbst wünsche. Das kommt zum Vorschein, wo hilfebedürftige Menschen uns in Anspruch nehmen. Und der Ruf nach Hilfe, nach weltweiter Hilfe wird immer lauter: Wir alle, die wir heute Erntedankfest feiern, müssen uns sagen lassen: dankt heute nicht nur dafür, daß ihr euer Auskommen habt, sondern habt eine offene Hand für alle, die sich selbst nicht helfen können.

Ob unser Dank am heutigen Tag nur dahergeredet ist oder Gott uns beim Wort nehmen kann, zeigt sich an unserem Umgang mit dem was wir haben und wie wir damit umgehen; auch und gerade zum Wohl derer, die unsere Hilfe brauchen.

3. “Reich sein für Gott“ heißt: Haben, als hätten wir nicht.

Es ist eine seltsame Erfahrung, die überall gemacht wird, wo Menschen zusammenleben: Jedes Ding, jede Sache, die in Menschenhände geraten, werden hier zum Guten und dort zum Bösen verwandt. Von dem deutschen Physiker Otto Hahn, dem Entdecker der Atomspaltung, wird berichtet, daß seine Freunde befürchteten, als er in der Kriegsgefangenschaft vom Abwurf der Atombombe auf Hiroshima erfuhr, er werde Hand an sich legen. Wir Menschen haben eine zwiespältige Macht. Wir können Bewundernswertes zustande bringen und zugleich, mit denselben Dingen in unseren Händen, unheimlich zerstören. Jedes Geschichtsbuch, jede Zeitung berichten von dieser zwielichtigen Macht der Menschen.

Wer betet: „Unser Vater im Himmel, laß meine Hände mit den anvertrauten Dingen zum Guten umgehen“ -, dem wird eine befreiende Empfehlung mitgegeben. Sie lautet: „Haben, als hätten wir nicht.“ Haben - ja; und sich aller guten Dinge freuen - ja. Aber wissen, daß wir nicht die eigentlichen Eigentümer sind, sondern Gott. Wir sind die Beschenkten, die Begabten, die Beauftragten, die Verwalter. Ihn haben wir zu fragen, wie wir zum Guten umgehen können mit den anvertrauten Gütern. Gott sei Dank: Er ist kein stummer Gott. Wer fragt, wird wegweisende Antwort erhalten, auch und gerade heute am Erntedankfest. Amen.

Pfr. Meinhold Krauss

Landgraf-Philipps-Anlage 63

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