Wochenspruch: "Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen." (Johannes 12,32)
Psalm: 27,1.7-14 (EG 714)
Reihe I: Epheser 3,14-21
Reihe II: Jeremia 31,31-34
Reihe III: Johannes 7,37-39
Reihe IV: Römer 8,26-30
Reihe V: 1. Samuel 3,1-10
Reihe VI: Johannes 16,5-15
Eingangslied: EG 452 Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied: EG 128 Heil‘ger Geist, du Tröster mein.
Predigtlied: EG 125 Komm, Heiliger Geist, Herre Gott; 196,1.2.5 Herr, für dein Wort sei hoch gepreist
Schlusslied: EG 196,6 (Herr, für dein Wort …)
1 Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem HERRN diente unter Eli, war des HERRN Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. 2 Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. 3 Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des HERRN, wo die Lade Gottes war. 4 Und der HERR rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!, 5 und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. 6 Der HERR rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. 7 Aber Samuel kannte den HERRN noch nicht, und des HERRN Wort war ihm noch nicht offenbart. 8 Und der HERR rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben rief. 9 Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, HERR, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. 10 Da kam der HERR und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.
Eine alte Frau sitzt jeden Tag stundenlang in der offenen Kirche. Manchmal so lange, bis die Küsterin kommt, um die Kirche zuzuschließen. Einmal spricht die Küsterin die Frau an: „Sagen Sie, was machen Sie eigentlich, wenn Sie jeden Tag so still in der Kirche sitzen?“ – „Ich bete.“ – „Ja, und was sagen Sie Gott denn so alles, wenn Sie so viel Zeit mit ihm haben? Mir würde da gar nicht so viel einfallen.“ – „Och, ich … ich sag eigentlich gar nichts. Ich höre mehr zu.“ – „Aha. Und was sagt Gott?“ – „Och, der sagt eigentlich auch nichts. Der hört mehr zu.“ – Wie schön, so ein stilles Zusammensein! So ein schweigendes Einverständnis ist etwas ganz Besonderes.
Ums Reden und Hören geht es heute. Um Gottes Reden und unser Hören. Rede, Herr, dein Knecht hört, sagt der junge Samuel am Ende unserer Geschichte. Es geht um unsere Hörbereitschaft. Es geht um unsere Hörfähigkeit für Gottes Reden. Und wir sehen an Samuel: Diese Hörfähigkeit für Gottes Reden und Gottes Ruf, die versteht sich offenbar nicht von selbst. Nicht mal für einen, der im Heiligtum aufgewachsen ist. Der mit allem vertraut ist. Der die Religion schon sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat.
Wir werden uns das noch genauer anschauen.
Allerdings haben wir den Gottesdienst ganz anders angefangen. Da ging es nämlich darum, dass wir zu Gott reden und Gott hört: Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich, so haben wir im Psalm gebetet (Ps 27,7). Also: wir rufen, und Gott möge hören. Höre, Gott, „Exaudi“! - daher hat dieser Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten seinen Namen.
Aber gleich im nächsten Satz heißt es: Mein Herz hält dir vor dein Wort: „Ihr sollt mein Antlitz suchen.“ Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz.“ (V 8). Das schließt ja ganz gewiss die Bitte ein, dass Gott auch antwortet, wenn ich rufe. Wenn jemand, mit dem wir reden wollen, uns nur stumm anblickt und gar nicht reagiert, sind wir tief verunsichert. Wenn Gottes Blick auf uns liegen würde, aber stumm bliebe, das wäre schlimm. Also hoffen wir sehr, wenn wir zu Gott rufen, dass er auch antwortet. „Wenn du mich anblickst, werd ich schön, schön wie das Riedgras unterm Tau“, hat die Dichterin Gabriela Mistral geschrieben. „Senk lange deinen Blick auf mich, umhüll mich zärtlich durch dein Wort.“ Das sind Zeilen aus einem Liebesgedicht. Und sie sind gleichzeitig wie ein Gebet. Gott möge uns anschauen als einer, der uns liebt. Er möge zu unserem Herzen sprechen und uns – wie der Geliebten - ein seliges Lächeln aufs Gesicht zaubern. „Er will mich früh umhüllen mit seinem Wort und Licht“, haben wir zu Beginn gesungen.
Gottes Reden, Gottes Wort, das ist ja die Art, wie Gott in Kontakt ist mit der Welt, mit den Menschen, mit uns. Ganz am Anfang der Bibel heißt es: Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Gott spricht, und es geschieht. Gott redet, das ist seine Beziehung zur Welt. Gott ist zuverlässig anwesend in der Welt durch sein Wort.
Dann wird in der Bibel immer wieder erzählt, wie Gott einzelne Menschen anredet und ruft: Abraham, Hagar, Mose … viele andere. Die Propheten ruft Gott, und sie müssen reden in Seinem Namen. Und schließlich, so lesen wir es im Neuen Testament, ist Jesus Christus das „Wort Gottes“. Er ist die letztgültige Weise Gottes, zu uns, zu den Menschen, zur Welt zu reden und sich mitzuteilen. Ganz am Ende der Bibel, im Hebräerbrief heißt es: Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn. (Hebr 1,1+2)
Und wir? Jede und jeder von uns ist in der Taufe beim Namen gerufen. Angeredet von Gott. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. (Jes 43,3) Wir sind schon gerufen, wir sind schon angeredet von Gott. Von Anfang an. Aber wir wissen es: jede und jeder von uns muss seinen eigenen Weg gehen, um die Stimme Gottes im eigenen Leben, im eigenen Herzen zu vernehmen.
Davon erzählt nun auch die Geschichte von Samuels Berufung. Erschreckend ist jedoch der Satz mit dem der Abschnitt aus dem ersten Samuelbuch anfängt, den wir eben gehört haben. Haben Sie ihn noch in Erinnerung? Zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem HERRN diente unter Eli, war des HERRN Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Das könnte für heute gesagt sein: Gottes Reden ist selten geworden. Es gibt keine Visionen mehr. Gott erscheint nicht mehr, sein Auftreten, ja Eingreifen ist nicht mehr wahrscheinlich. Das Wort Gottes ist selten geworden, seltsam versteckt vielleicht auch in einer Kirchensprache, die keiner mehr versteht. Und Gottes Wort findet kein Gehör mehr in der Welt. Oder schweigt Gott? Ist Gott verstummt? Aber wie soll die Welt leben ohne Gott, der alles ins Leben ruft?
„Das Wort Gottes war selten zu dieser Zeit“: Eine Zeit ohne Gott, ja auch fast ohne ein Wort, das an ihn erinnern könnte: In eine solche Zeit fällt die Berufung Samuels. Es gibt wohl noch einen Wallfahrtsort und einen alten Priester dort. Dieser ist redlich, aber schon fast blind und klagt über den religiösen Verfall. Denn der Klerus setzt die Gläubigen unter Druck und missbraucht Abhängige.
Die religiösen Verhältnisse müssen tatsächlich verheerend gewesen sein. So wird im Kapitel zuvor berichtet: Die Priestersöhne nehmen sich vom Opferfleisch das beste Stück, und wenn ein Gläubiger protestiert, dass sie den Kult missbrauchen, sagen sie: Gib her, sonst nehme ich es mit Gewalt. Mit oder ohne direkte Gewalt nehmen sie auch die Frauen, die am Eingang des Begegnungszelts, also am Heiligtum, Dienst tun (1Sam 2,22) und schlafen mit ihnen, also sozusagen mit den Messdienern und -dienerinnen.
In einer solchen Lage – das Wort Gottes ist fast ausgestorben, viele Religionsbeamte sind spirituell leer, setzen Gläubige unter Druck, und manche missbrauchen sogar abhängige Menschen – in einer solchen Zeit wächst Samuel auf.
Wie gesagt: Von Anfang an war er von seinen Eltern für einen intensiven Gotteskontakt bestimmt worden. Für den Priesterdienst am Heiligtum. Von seinen Eltern war er lange ersehnt worden. Seine Mutter Hanna hatte intensiv um ihn gebetet. Und als ihr dieses Kind dann endlich geschenkt wurde, gab sie Samuel schon als kleinen Kerl in die Obhut von Eli, dem Priester. Da wuchs er auf. Er wurde von seinen Eltern immer wieder besucht. Jedes Jahr hat die Mutter Hanna dem Heranwachsenden ein neues, ein größeres Hemd genäht und ihm gebracht.
Samuel wurde zum Priesterdienst erzogen und ausgebildet. Er war also im religiösen Betrieb von klein auf zu Hause. Aber etwas Entscheidendes musste offensichtlich noch hinzukommen: dass er persönlich gerufen und angesprochen wurde von Gott.
Ich denke, das ist immer so. Du kannst einen guten Religionsunterricht gehabt haben oder auch nicht. Du bist als Kind, als Jugendlicher in der Kirche aufgewachsen, in der Christenlehre, im Konfirmandenunterricht, in Jungschar, bei den Pfadfindern, in der Kinderkantorei [hier bitte konkretisieren, welche Form der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Ortsgemeinde üblich ist]. Irgendwann gab es aber den Moment, wo Du selbst wusstest: Ich bin gemeint, ich bin angeredet von Gott, ich bin Gottes Kind, sein Sohn, seine Tochter. Und vielleicht gab es sogar diesen Moment, wo du, ähnlich wie Samuel, im Herzen gesagt hast: Rede, Herr, dein Kind hört. Bei manchen gibt es diesen einen Augenblick der Klarheit, wie bei Samuel, in einer Nacht. Bei anderen ist das ein längerer Prozess der Klärung und Reifung im Glauben. Auch Kinder gläubiger Eltern können sich nicht auf dem Glaubensleben ihrer Eltern ausruhen. So wichtig das Vorbild der Eltern oder der Großeltern sein mag – irgendwann muss jede und jeder seinen eigenen Weg zum erwachsenen Glauben gehen. Irgendwann braucht es die ganz eigene Beziehung: dass ich mich von Gott angeredet weiß und meine ganz eigene Lebensantwort gebe.
Andererseits braucht es dafür auch die Weisheit und die Nachhilfe der Alten. Ohne Elis Nachhilfe hätte Samuel in der nächtlichen Anrede niemals Gott gehört. Eli braucht zwar auch eine Weile, bis er merkt: Da ist ein anderer im Spiel. Geradezu witzig wird das erzählt: Da hat sich der junge Samuel zum Schlafen ins Heiligtum gelegt, in die Stiftshütte, das Zelt, in dem die Bundeslade stand, der Kasten mit den Tafeln, auf denen die Gebote geschrieben stand. Da also ist Gott durch sein Wort gegenwärtig. Als aber Samuel beim Namen gerufen wird, läuft er zu Eli: Siehe, hier bin ich! Dreimal passiert das, bis Eli begreift: Das muss die Anrede Gottes sein! Und dann gibt er Samuel Anweisung, was er beim nächsten Mal sagen soll. – Ja, es braucht die anderen, die uns auf den anderen hinweisen: Lehrer, Eltern, Großeltern, Prediger, Freunde, Weggefährten, geistliche Begleiterinnen. In Zeiten, in denen das Wort Gottes selten geworden ist, sind solche Nachhilfelehrer im Glauben und geistliche Wegbegleiter besonders wichtig für uns.
Und noch etwas an dieser Szene ist bemerkenswert. Die Stimme Gottes erscheint dem Samuel offensichtlich nicht anders als die Stimme eines Menschen. Sie ist zum Verwechseln ähnlich; es könnte Eli sein. In manchen älteren Bibelfilmen hat man Gott mit donnernder Stimme, dröhnend oder auch mystisch säuselnd reden lassen, jedenfalls anders als alle menschlichen Stimmen. Die Bibel kennt wohl die erschütternd laute Gottesstimme, von der Offenbarung Gottes am Sinai bis zur „großen Stimme“ in der Johannesoffenbarung. Hier aber erscheint Gottes Stimme zum Verwechseln ähnlich mit einer menschlichen Stimme.
Und das entspricht ja viel mehr unserer Erfahrung – wer von uns hat schon Gottes Donnerstimme vernommen?! Und es entspricht unserem Glauben: Gott hat sich in seinem Reden zu uns an ganz und gar menschliche Mittel gebunden: an die menschlichen Worte der Bibel, an Brot und Wein, an das Wasser der Taufe. Aus sich selbst heraus sind alle diese Dinge nichts anderes als das, was wir kennen. Wo immer aber Gott seinen Geist dazu gibt, wird daraus für uns Gottes Wort und Gottes ganz persönliche Anrede an uns.
Möge Gott uns also „begeistern“, damit wir in den Worten der Schrift Seine Anrede an uns vernehmen können. Damit wir in menschlichen Stimmen seine Stimme hören. Und in den Gaben von Brot und Wein seiner Gegenwart gewiss werden.
Möge er selbst uns das Ohr und das Herz öffnen, damit wir durch den Lärm der Welt hindurch oder in der Stille des Herzens seinen leisen Ruf an uns erfahren.
Und möge er es sein, der uns weckt, so dass wir antworten können: Rede, Herr, dein Kind hört.
Amen.
Verfasser: Pfarrer Dr. Matthias Rost, Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
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