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Seufzen

von Elke Burkholz (Messel)

Predigtdatum : 14.11.2010
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Römer 8,18-23.(24-25)
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Predigt von Pfarrer Albrecht Burkholz Messel
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde am Volkstrauertag,
heute denken wir an die Gefallenen der beiden Weltkriege. Ihre Namen stehen draußen auf dem Kriegerdenkmal vor der Kirche. Nach dem Gottesdienst gibt es dort die öffentliche Gedenkfeier. Wir denken an die Folgen des Kriegs in den Familiengeschichten. Wir denken an die, die Kinder waren im Krieg und mit großem Mangel leben mussten, mit Angst vor Bomben, mit Eltern, die ihnen nicht genug Geborgenheit und Wärme vermitteln konnten. Wir denken an die dann in den 50er und 60er Jahre Geborenen, die Kinder der Kriegskinder, die unter diesem Mangel von Gefühlswärme gelitten, weil ihre Eltern da eine Lücke und einen Mangel hatten. Mehrere Generationen sind von den Kriegsfolgen betroffen. Und noch viel schlimmer ist es bei den Familien der in Nazizeit Verfolgten. Ich habe gerade das Buch „Stichwort Liebe“ von David Grossmann gelesen. Er hat dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. Er beschreibt, wie ein Junge in den 50er Jahren in Israel aufwächst. Seine Eltern sind durch die Bedrohung durch die Nazis stark seelisch beschädigt. Sein Großvater hat das KZ überlebt und ist ein seelisches Wrack, der nur vor sich hin brummelt. Das Buch beschreibt die lebenslange Auseinandersetzung mit dieser Geschichte.
Ein großes Seufzen ist in der Welt. Die Folgen des Kriegs und der Gewalt in den Seelen und in den Beziehungen sind immer noch da, 65 Jahre nach Kriegsende.
Ein großes Seufzen ist in der Welt. Wir haben Grund zum Seufzen. Die zerstörerische Kraft der Gewalt und die Bitterkeit der Trauer und die einengende Kraft unserer Ängste – all das bringt uns dazu, am liebsten einfach nur mal die Luft auszustoßen und Gott all das zu klagen, was da so schwer auf unseren Schultern liegt. Wie kann die Last leichter werden? Wie können wir aus dem Klagen zur Lebensfreude kommen? Wie können wir das große Seufzen überwinden?
In unserem Predigttext im Römerbrief Kapitel 8 redet der Apostel Paulus von einem dreifachen Seufzen. Die ganze Schöpfung seufzt, weil die Zerstörungskraft der Sünde über ihr liegt. Wir können gut nachvollziehen, wie die Tiere und Pflanzen im Meer seufzen, weil sich dort so viel Umweltzerstörung anhäuft. Diese Woche stand die Meldung in der Zeitung, dass Wale wegen der zunehmenden UV-Strahlung vermehrt Sonnenbrand haben und dass Wale sich verirren, weil es vermehrt wirtschaftliche Aktivitäten im Meer gibt, die Lärm verursachen. Ein großes Seufzen ist in der ganzen Schöpfung.
Das zweite Seufzen ist das von uns Menschen. Gott möchte, dass wir als seine geliebten Kinder frei und glücklich sind. Dass unser Leben gelingt. Dass wir seine großen Gaben, Glaube, Liebe und Hoffnung annehmen und uns weiterentwickeln zur Fülle der Liebe. Und wir Menschen sind kreativ: die Technik, die wir entwickelt haben, ist erstaunlich und bildet die Wunder der Natur ab. Aber wir geraden so schnell in Abhängigkeiten. Da ist die gute Gabe des Weins. Und die kann ich missbrauchen. Und dann beherrscht mich etwas, nicht ich die Gabe. Da ist die tolle Möglichkeit, am Computer mit der Welt vernetzt zu sein. Die kann ich missbrauchen, wenn ich dabei die wirklichen Kontakte zu anderen Menschen vergesse. Wenn ich dabei unfrei werde und mich selbst zu Hause einsperre. Da ist die Gabe, dass ich mich wehren kann. Die kann ich missbrauchen. Ich kann so rumzicken, dass meine Beziehungen darunter leiden.
Wir Menschen seufzen. Wir haben so viel Möglichkeiten. Wir haben eine so reiche und schöne Welt. Aber wir tun einander manchmal schlimmes an. Und wir geraten in Abhängigkeiten, die uns unfrei machen. Und das geschieht leider ganz schön häufig. Man geht von 10 % Suchtkranken in unserem Land aus. Eine andere Gefahr für mein Lebensglück ist, dass ich mich im Ärgern und Rumbeschweren einrichte. Das Leben hält viele Zumutungen bereit. Was ich von den Arbeitsplätzen höre, ist in der Hinsicht ziemlich heftig. Aber wenn ich mich im Klagen, Seufzen und Trauern einrichte, tut mir das nicht gut.
Kommen wir deshalb zum dritten Seufzen, von dem Paulus redet. Das kann uns aus unserem Seufzen heraus helfen.
In uns seufzt der Heilige Geist. Er hilft uns beten. Wir können mit Worten oft nicht ausdrücken, was uns fehlt. Wir verstehen zu wenig von dem, wie wir sind und was wir brauchen. Gott selbst hilft uns, in Beziehung zu ihm geheilt zu werden, noch lange bevor wir Worte finden, die etwas von unserer Not ausdrücken. Unser Seufzen ist nicht allein. Gott seufzt in uns mit. Gott ist mit uns solidarisch. Das ist der Anfang der Befreiung.
Unser Seufzen ist ein Seufzen im Übergang zur Freiheit. Damit das so wird, hilft es uns, genau hinzuhören, was der Heilige Geist in unserem Inneren zu sagen hat. Damit wir erkennen, wie unser Weg zur Freiheit aussehen könnte.
Ein Beispiel für euch Konfis.
Ein Junge ist in ein Mädchen verliebt. Er traut sich nicht, sie anzusprechen. Dann fängt ein anderer Junge an, mit ihr zu flirten. Das bewirkt ein großes Seufzen bei ihm. Er schreibt in sein Tagebuch und er merkt dabei: ich muss was unternehmen. Er traut sich, dem Mädchen eine SMS zu schreiben und sie in die Eisdiele einzuladen. Jetzt sind sie zusammen.
Also: das Seufzen war eigentlich heilsam. Er musste nur merken: ich muss was tun. Ich muss die Schüchternheit überwinden. Dazu brauchte er den Leidensdruck. Wenn er sich in seinem Leiden wehleidig verkrochen hätte – dann wäre nichts aus der Sache geworden. Das Seufzen trägt in sich die Chance, frei zu werden. Diese Chance müssen wir beim Schopf packen. Denn es ist ja nicht ewig Zeit. Das Mädchen, für das er sich interessiert, bleibt nicht ewig ohne Freund.

Ein Beispiel für die ältere Generation.
Eine Frau Ende 60 macht ihrem Sohn Vorwürfe, immer wenn er anruft. Wieso lässt du nicht öfter von dir hören? Wann kommt ihr mal?
Einmal sagt der Sohn zu ihr am Telefon: Hör mal, Mutti, eine Telefonleitung hat zwei Enden. Du kannst doch auch anrufen. Und du darfst uns auch besuchen. Darüber ärgert sich die Frau. Gegenüber ihren beiden Freundinnen beschwert sie sich ziemlich heftig. Aber irgendwann fängt sie an, die Idee an sich heran zu lassen und anzurufen, wenn ihr danach ist. Seitdem gibt es weniger Vorwürfe zwischen den Mutter und Sohn.
Auch hier gab es ein Seufzen. Die Frau hat sich geärgert. Auch hier hätte sie im Ärger bleiben können. Vermutlich haben ihre beiden Freundinnen ihr geholfen. Sie haben vermutlich erst einmal einfühlsam zugehört und dann sanfte Signale in die richtige Richtung gesetzt, wie es sich für gute Freunde gehört. Gute Freunde sind nicht die, die einem immer nach dem Mund reden.
Denn wir alle, liebe Gemeinde, gehören zu der seufzenden Schöpfung, die noch versklavt ist unter die Zerstörungskraft der Sünde. Wir alle hoffen und sehnen uns nach Erlösung, nach der großen göttlichen Befreiung, nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Endgültig gibt es diese Freiheit hier auf dieser Erde noch nicht. Aber wir dürfen schon erstaunlich viel davon schmecken. Gott hat für uns große Gaben bereit. Er meint es sehr gut mit uns. Wir können mehr, als wir denken, beitragen zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Jesus hat gesagt: Wenn ihr nur ein wenig Glauben hat, könnt ihr Berge ins Meer versetzen.
Wir stöhnen und seufzen über unsere Last. Über das, was uns unfrei macht. Über das, was uns Angst macht. Über Schmerzen, Trauer, Leid, Spannungen in unseren Beziehungen.
Jesus sagt: Kommt zu mir. Ich helfe euch tragen. Ich verstehe euer Leid. Tief in euch seufze ich mit. Durch meine Geistkraft bin ich in euch. Und ich helfe euch dabei, dass ihr erstaunliches tun könnt. Ihr werdet frei sein und ihr werdet Menschen sein, die zur Befreiung beitragen.