Schriftlesung: Joh. 10,11-16 (27-30)
Wochenspruch:
Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben. (Joh 10,28)
Wochenlied:
EG 274
Weitere Liedvorschläge:
EG 81; 114; 242; 616
18 Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen. 19 Denn das ist Gnade, wenn jemand vor Gott um des Gewissens willen das Übel erträgt und leidet das Unrecht. 20 Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr um schlechter Taten willen geschlagen werdet und es geduldig ertragt? Aber wenn ihr um guter Taten willen leidet und es ertragt, das ist Gnade bei Gott.
21 Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen; 22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; 23 der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet; 24 der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. 25 Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Liebe Gemeinde,
Die Sklaverei ist durch die UNO weltweit geächtet, dennoch gibt es sie auch heute noch. Und es ist noch garnicht so lange her - die Französische Revolution mit ihrer Botschaft von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war bereits in das napoleonische Kaiserreich übergegangen - daß im Land der Großen Freiheit, in den Südstaaten Amerikas, Sklaven zu jedem größeren Haushalt gehörten. Sklaven waren und sind ihren Herren ausgeliefert, und diese Herren können sowohl freundlich als auch wunderlich, ja verrückt sein.
Am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus, als unser Predigttext verfaßt wurde, gab es unzählige Sklaven, ohne die das wirtschaftliche und soziale Leben der Antike gar nicht vorstellbar gewesen wäre.
Sklaven zählten zu den ersten, die sich zu Jesus Christus bekehrten. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, wie schwierig es für diese Menschen war, ihren Glauben zu leben. Wer Christ war, fiel auf, erst recht als Sklave. Selbst wenn dann nicht gleich der Märtyrertod folgte, so waren doch Anfeindungen, bösartige Unterstellungen und Schläge für viele spürbare Auswirkungen ihres Glaubens.
Für den Verfasser des ersten Petrusbriefs war es offenbar eine Selbstverständlichkeit, dieser wichtigen Gruppe in der Gemeinde einen eigenen Absatz zu widmen. Dabei fällt auf, daß er die Sklaven als vollwertige Menschen anspricht. Zwar stellt er die Sklaverei an sich nicht in Frage - das ist ein Gedanke, der sich erst mehr als 1000 Jahre später durchsetzte -, aber er sieht Sklaven als Menschen. Übrigens konnte sich erst aus dieser christlichen Haltung später die Ächtung der Sklaverei entwickeln. Realistisch sieht der erste Petrusbrief das Schicksal dieser Glaubensschwestern und -brüder. Sie sind verrückten und guten Herren gleichermaßen ausgeliefert. Sie müssen wegen ihres Glaubens Mißhandlungen ertragen. Wie können sie ihr Los ertragen, was für Perspektiven bietet der erste Petrusbrief ihnen an?
Für unsere neuzeitlichen Ohren klingt es zunächst befremdlich, daß er ihnen empfiehlt, sich sowohl guten als auch wunderlichen Herren respektvoll unterzuordnen. Kein Wort von Befreiungstheologie, von Widerstand und Revolution! Bevor wir uns nun in Gedanken enttäuscht abwenden, sollten wir bedenken, daß eine solche Empfehlung einem Rat zum kollektiven Selbstmord gleichgekommen wäre. Welche realistische Chance hätten denn die Sklaven gehabt, gegen ihre mächtigen Herren zu rebellieren? Sie wären unweigerlich getötet worden. Eine Aufforderung zum Widerstand wäre ein billiger Ratschlag gewesen. Der Verfasser macht es sich nicht so leicht. Er denkt tiefer. Und da sieht er (da sehen wir, wenn wir seinen Gedanken folgen mögen), daß eigentlich alle Menschen gefangen sind. Gefangen in vorgegebenen Strukturen ihrer Umwelt.
Die angeblich freien Bürger sind dem Kaiser untertan, so wie wir uns heute der Gerichtsbarkeit, den Gesetzen unseres Landes beugen müssen. Frauen und Männer sind manchmal in ihrer Ehe gefangen, vor allem, wenn sie sich auseinandergelebt haben - und: Hand aufs Herz - wieviele Menschen, glauben Sie, leiden noch heute in ihren engsten Beziehungen? Schließlich sind wir alle gefangen in uns selbst, in unserer Gier nach Leben, in unseren persönlichen Süchten und Sehnsüchten. Wir sind gefangen in unseren selbstgemachten Zwängen, in vorgefertigten Meinungen, in unserem Streben nach Anerkennung und Bestätigung. Gefangen in den dem, was Konvention und Mode von uns verlangen. Keiner von uns ist ganz frei. Aber von allen Menschen trifft es die Sklaven am schwersten, weil sie nicht einmal die kleine Freiheit haben, über die jeder freie Bürger selbstverständlich verfügt.
Im Schicksal der Sklaven spitzt sich menschliches Schicksal sozusagen beispielhaft zu: Menschen sind unfreie Geschöpfe.
Sklaven leiden, wie alle Menschen leiden, aber wenn ein verrückter Herr sie straft, ohne daß sie etwas verbrochen haben, dann ist ihre Strafe besonders ungerecht. Das Los ungerechter Strafe trifft Sklaven ungleich häufiger als andere Menschen, so daß sie als Paradebeispiel für ungerechtes Leiden gelten können.
Gerade dieses ungerechte Leiden ist Gnade, meint der erste Petrusbrief. Und das ist ein zunächst sehr überraschender, vielleicht sogar fremder Gedanke. Wie kann Leid eine Gnade sein? Der erste Petrusbrief antwortet: In ihren Schmerzen folgen die Sklaven Jesus nach, der ebenfalls unschuldig war und gelitten hat, der beschimpft wurde und nicht zurückschlug, der nicht drohte, sondern für uns unsere Sünden ans Kreuz trug.
Jesus Christus hat alle Menschen in seine Nachfolge gerufen, und die Sklaven, die unschuldig gequält werden, folgen ihm nach. Sie treten in die Spuren Jesu. Das ist Gnade, wenn man so Jesus nachfolgen kann. Gnade, weil man es nicht zwingen kann, so Jesus nachzufolgen: unschuldig leidend. Das kommt von außen, schmerzhaft, quälend. Doch es ist Gnade, sagt der erste Petrusbrief, denn wenn ihr ungerecht leidet, seid ihr Jesus ganz nah, ist er euch Leidenden nahe.
Dabei macht der erste Petrusbrief nicht den Fehler, jeden ungerecht Leidenden zu einem kleinen Christus zu erklären. Jesus bleibt eine Ausnahmegestalt, die Gnade besteht nicht darin, wie Jesus zu werden, sondern die Gnade besteht darin, Jesus nahe zu sein. Was Christus getan hat, ist unersetzbar. Er ist für alle gestorben, er hat für alle gelitten. Aus lauter Liebe und Erbarmen hat er sich mit uns Menschen abgemüht bis zum Tod. Damit ist er für jeden Menschen auf der ganzen Welt gestorben, selbst für die verrückten Herren gestorben, die so grausam Schmerzen zufügen.
Jesus ist für alle gestorben, auch für die unmenschlichen Menschen. Damit wird verständlich, warum es in der Nachfolge Jesu unmöglich christlich sein kann, zurückzuschlagen oder sich auf irgendeine Art für erlittene Qual zu revanchieren. Die Christen, die Jesus ernsthaft nachfolgen wollen, die werden in den Bannkreis der Liebe Jesu hineingezogen, die eben nicht Böses mit Bösem, sondern Böses mit Liebe vergilt.
In mir - vielleicht auch in Ihnen - wird jetzt natürlich auch ein Aufschrei der Empörung laut. Soll man sich denn alles gefallen lassen, gibt es nicht auch das Recht auf Widerstand, das selbst in unserem - dem Christentum verpflichteten -Grundgesetz verankert ist? Und haben nicht immer wieder Christen entschieden, daß sie Widerstand leisten müssen - auch mit Gewalt? Ich denke an die Männer des 20. Juli, besonders an Dietrich Bonhoeffer, die gegen Hitler, an die Christen in Südamerika, die gegen die grausamen Diktaturen in ihren Ländern gekämpft haben.
Sollen Christen zu Schafen werden, die man widerstandslos zur Schlachtbank zerren darf?
Nein, Christen dürfen durchaus kämpfen, die Frage ist nur, wie sie kämpfen.
Beim Blick zurück auf unsere Menschheitsgeschichte ist mir nämlich aufgefallen, daß es kaum eine Revolution gegeben hat, die zu menschlich ungetrübten Ergebnissen geführt hat. Die Französische Revolution schlug im Namen von Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nur adelige, sondern auch revolutionäre Köpfe in Serie ab, um ihre sogenannte Freiheit gleich wieder an Napoleon abzugeben. Die vielbeschworene Freiheit in Amerika galt nicht den schwarzen Sklaven und erst recht nicht den Indianern. Vielleicht liegt es daran, daß es gewaltsame Revolutionen waren. Gewalt erzeugt Gegengewalt, auch wenn es Christen sind, die das Schwert oder das Gewehr ergreifen.
Ernesto Cardenal, einer der führenden Köpfe der Befreiungsbewegung in Nicaragua und katholischer Priester, war der Ansicht, daß es ein Akt christlicher Liebe ist, mit den hilflosen und unterdrückten Bauern gegen ein diktatorisches Regime zu kämpfen. Ob er heute so glücklich mit dem Ergebnis seiner Revolution ist, wage ich zu bezweifeln.
Daß es auch anders, ohne Gewalt geht, haben wir in unserem Land erlebt. Auch da waren Christen an vorderster Front beteiligt. Sie haben gewaltlos für ihre Freiheit und ihr Land gekämpft. Mit einer gelungenen gewaltlosen Revolution sind jedoch noch nicht alle Probleme gelöst, diese Erfahrung haben wir alle nach der Wiedervereinigung gemacht. Und wieder stellt sich das Problem der Gewalt. Denn so verständlich es ist, daß jetzt Menschen nach Vergeltung für erlittenes Unrecht unter der Stasi-Herrschaft fragen - wir müssen doch auf der Basis unseres Predigttextes darüber nachdenken, wie diese Vergeltung aussehen soll. Gewalt, mag sie noch so gerechtfertigt sein, erzeugt Gegengewalt. Und die Macht des Christus ist die Macht der Liebe.
Wie sähe die Welt aus, wenn alle Menschen nach der Maxime des ersten Petrusbriefes leben würden? Ich bin mir sicher, es wäre keine Welt der dummen Schafe, in der nur ein Wolf kommen müßte, um über alle die Macht zu gewinnen. Denn diese Liebe, die dazu befähigt, ungerechtes Leid als Gnade zu empfinden, ist grandiose Stärke in der Schwäche. Niemand ist stärker als der, der aus Liebe die linke Wange hinhält, wenn man ihm auf die rechte schlägt. Wenn er es aus Liebe tut, und nicht aus Feigheit oder Gleichgültigkeit. Wer es aus Liebe tut, ist immer stärker als der, der schlägt.
Wenn Sie einmal die alten Aufnahmen der Prozesse am Volksgerichtshof gesehen haben, dann haben Sie es anschaulich vor Augen. Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs, verhöhnt die Gefangenen, die in entwürdigender Kleidung vor ihm stehen, brüllt sie an, läßt sie nicht zu Wort kommen. Aber die Angeklagten bewahren Haltung, bleiben aufrecht, erhobenen Hauptes, und trotzen so gewaltlos diesem ungerechten Richter. Nicht sie sind lächerlich, sondern der, der sie lächerlich machen will.
Mit dieser Stärke kann man kämpfen. Gewaltlos kämpfen für eine Welt, in der es keine Sklaven und keine Gewalt mehr gibt. Es ist eine Welt, in der wir nicht bösen Hirten folgen, die uns eigensüchtig alles mögliche versprechen, sondern dem einzigen wahren Hirten, der es gut mit uns meint. Amen.
Pfrn. Dr. Angela Rinn-Maurer, Eleonorenstr. 31, 55124 Mainz
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