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Unser inneres Gefängnis abbrechen

von Ralf Friedrich (Dieburg)

Predigtdatum : 14.09.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 15. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Epheser 4,1-6
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Eingang: EG 452: Er weckt mich alle Morgen
Lied vor der Predigt: EG 346 Such, wer da will, ein ander Ziel

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Amen

Liebe Gemeinde,
Paula, eine erfundene Person, die jedoch in jedem von uns leben könnte, wartete wie jeden Morgen auf den Bus, der sie ins Büro bringen wird. Jeden Morgen steht sie um 06:00 auf, duscht sich, putzt sich die Zähne, schminkt sich, trinkt einen Kaffee und isst Bio-Müsli um dann pünktlich um 6:50 aus dem Haus zu gehen. Die Bushaltestelle ist nur 5 Minuten Fußweg entfernt. Um 07:02 kommt der Bus, montags bis freitags.
Heute war es etwas anders als sonst. Heute fand sie in der Bushaltestelle eine Zeitung mit einer Anzeige mit dem Titel: Reiseleiterin in Spanien gesucht. Wie lange träumte sie schon davon, aus dem Vorort der großen Stadt wegzuziehen; einfach ihr Leben hinter sich zu lassen. Wo sie wohnte war alles beengt und anonym. Der Job als Assistentin des Geschäftsführers war anspruchsvoll. Morgens früh im Büro sein und abends meistens die letzte, die das Licht ausschaltete. Manchmal fühlte sie sich wie in einem Gefängnis und sie war zu lebenslang verurteilt. Am Wochenende dann einkaufen und ausschlafen, vielleicht Freunde treffen. Irgendwie, alles Routine. Irgendwie alles langweilig.
Und jetzt diese Anzeige. Sie sprach gutes spanisch. Sie liebte die Sonne. Doch, darf man das mit Mitte Vierzig noch machen? Alles hinschmeißen? Einfach ins Ungewisse gehen? Frei sein? Nein, das Gefängnis ist da doch die bessere Lösung, oder?
Dann kam endlich der Bus, sie stieg ein und die Zeitung blieb an der Bushaltestelle zurück.
Was hat diese Geschichte mit unserem heutigen Predigttext zu tun? Ich lese aus dem Epheserbrief:
4 1 So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,
2 in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe
3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:
4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;
5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
6 ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.
Amen
Paulus schreibt aus einem Gefängnis, Paula ist in einem Gefängnis. Einem Gefängnis, welches sie sich selbst gebaut hat. Paulus schreibt, dass wir ein Leib und ein Geist sind, zu dienen der Freiheit.
Wirklich frei zu sein, dass ist ein verlockendes Angebot, welches Jesus Christus uns da gemacht hat. Wer von kennt sie nicht, die Glaubenssätze, die uns unsere Eltern, Tanten, Onkel und Lehrer seid unserer Kindheit doch immer wieder eingebläut haben: "Das darfst du nicht", "so etwas tut man nicht", "denk doch, was die Nachbarn sagen". Diese Glaubensätze haben bei uns unsichtbare Mauern errichtet.
Jeder von uns hat seine eigene Landkarte der Welt in seinem Kopf. Auf dieser Landkarte gibt schöne Orte und auch Gebiete, in die wir nicht gehen sollten oder gehen dürfen. Das sagen uns unsere Stimmen heute immer noch!
Paula, in unserer Geschichte am Anfang der Predigt, hat für einige Sekunden über einen unsichtbaren Gefängniszaun geschaut. War erschreckt, was es dort alles zu entdecken und zu sehen gab. Also, schnell zurück ins Schneckenhäuschen.
Dabei hätte gerade der Job in Spanien Paulas Berufung sein können. Im Predigttext hieß es: "wie auch ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung".
Sicher sind einige von uns mit der Frage beschäftigt: "Was ist meine Aufgabe, hier auf dieser von Gott geschaffenen Welt?" Vielleicht haben Sie schon eine Antwort gefunden, vielleicht auch nicht. Wichtig ist es sicher, diese Lebensaufgabe zu finden, unsere persönliche Berufung. Wo können wir unsere Berufung finden, mögen Sie sich vielleicht fragen?
Schauen wir uns doch einmal unsere innere Landkarte an. Was kennen wir bereits? Die Gebiete in denen wir häufig sind. Wie wäre es denn, jetzt einmal auf die Gebiete zu sehen, die hinter unserem inneren Gefängnis liegen? Die im unbekannten Gebiet liegen?
Ein erster Schritt diese Gebiete zu erforschen könnte eine Expedition sein. Eine Expedition zu uns selbst. Wie könnte so etwas aussehen? Ich kann mir verschiedene Möglichkeiten vorstellen und möchte Ihnen eine davon kurz vorstellen. Sie ist genauer beschrieben in dem Buch „Glaube hat Gründe“ von Klaus Douglas.
Die Methode besteht darin, zuerst regelmäßig in der Bibel zu lesen und danach über den Text beten und sich selbst vier Fragen beantworten:
• Wofür kann ich danken?
• Was muss ich bei mir ändern?
• Was soll ich tun, beziehungsweise lassen?
• Worum will ich Gott bitten?
Hören wir noch einmal unseren heutigen Predigttext und beantworten die vier Fragen?
4 1 So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,
2 in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe
3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:
4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;
5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
6 ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.
Amen
Wofür kann ich danken? Ich kann dafür danken, dass Gott in mir ist und über mir ist. Das gibt mir ein gutes Gefühl, dass machen zu können, was ich will und wozu mich unser Schöpfer ruft.
Was muss ich bei mir ändern? Ich spüre manchmal, dass mein Leib und mein Geist keine Einheit sind. Also heißt es für mich daran zu arbeiten, dass mein Geist und mein Leib mehr zueinander finden. Das kann ich durch Meditation, Exerzitien, Pilgern oder autogenes Training erreichen.
Was soll ich tun, beziehungsweise lassen? Für mich heißt das, andere Menschen mit mehr Liebe ertragen. Menschen, die vielleicht langsamer sind im Lernen oder bei mir Gefühle des Unbehagens hervorrufen.
Worum will ich Gott bitten? Ich bitte unseren himmlischen Vater dafür, dass ich immer die Kraft habe, meine unsichtbaren Mauern und Grenzen zu überwinden und meine innere Landkarte ständig zu erweitern und zu korrigieren. Dabei meine Demut gegenüber anderen und der Schöpfung zu stärken.
Kommen wir zurück zu Paula am Anfang der Predigt. Vielleicht kauft sie sich ja eine Zeitung und bewirbt sich auf die Stelle, die ihr Leben erfüllter macht und ihrer Berufung näher bringt. Vielleicht bleibt sie ja auch gefangen für den Rest ihres Lebens in den Mauern, die sie selbst errichtet hat. Wir werden es nie wissen und doch können wir dafür beten, dass sie ihren Weg in ein erfülltes Leben beschreitet.
Uns allen wünsche ich, dass wir auf unseren Gott in uns vertrauen, mit ihm in Kontakt kommen und uns dann auf das Abenteuer Leben einzulassen und seine angebotene Freiheit uneingeschränkt und angstfrei anzunehmen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Lied nach der Predigt: EG584: Meine engen Grenzen
Liedruf: EG592: Du Gott stützt mich
Segenslied: EG171: Bewahre uns Gott