Wochenspruch:
"Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es." (Epheser 2, 8)
Psalm: 73, 14.23 – 26.28 (EG 733)
Lesungen
Altes Testament: 1. Mose 12, 1 - 4 a
Epistel: 1. Korinther 1, 18 - 25
Evangelium: Lukas 5, 1 - 11
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 452,1-3 Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied: EG 245,1-3 Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren
Predigtlied: EG 313 Jesus, der zu den Fischern lief
Schlusslied: EG 503,13-15 Hilf mir und segne meinen Geist
Liebe Gemeinde!
„Was sucht Ihr?“ – welche Antwort würden Sie heute Morgen geben, die Sie zum Gottesdienst gekommen sind? Oder wären Sie vielleicht ein wenig verärgert, wenn ich Ihnen an der Eingangstür diese Frage stellen würde: „Was fragt er denn? – soll er sich doch freuen, dass wir da sind!“
„Was sucht Ihr?“ – welche Antworten würden die geben, die sich in diesen Wochen wie in jedem Jahr auf den Weg in den Urlaub machen und sich das einiges an Geld und manchmal auch an Strapazen kosten lassen? Die meisten von uns gehören ja selber dazu. Was suchen wir?
Und was suchen Menschen heute überhaupt in einer Zeit, in der die Antworten rar geworden sind und dafür umso mehr Fragen sich stellen? Alte Denk- und Glaubensweisen sind nicht mehr selbstverständlich und werden nicht mehr ungefragt übernommen. Alte Werte und Maßstäbe sind fragwürdig geworden, und neue sind noch nicht gefunden, die für alle gleichermaßen gelten könnten. Was suchen Menschen heute? – beileibe nicht mehr nur in den Kirchen. Eher sogar im Gegenteil. Es ist heute eben auch nicht mehr selbstverständlich, Ant-worten auf die Grundfragen des Lebens von den christlichen Kirchen zu erwarten.
„Was sucht Ihr?“ – Diese Frage stellt Jesus den beiden Johannesjüngern, als sie sich ihm anschließen. Warum fragt er? Warum freut er sich nicht einfach, dass sie da sind? Auffallend oft hat Jesus diese Frage gestellt. Sogar Kranken, die zu ihm gebracht wurden oder die selber zu ihm kamen: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Obwohl doch eigentlich hätte klar sein sollen, was diese Menschen von ihm erwarteten.
Offenbar haben wir bei Jesus nicht mit schnellen Antworten zu rechnen. Er macht es uns nicht bequem. Wir bekommen von ihm keine fertigen Antworten so wie Fertignahrung, die wir nicht einmal mehr zu kauen, sondern nur noch zu schlucken haben. Sondern wir werden von ihm erst einmal gefragt nach unseren Wünschen und Sehnsüchten. Er bringt uns dazu, darüber einmal nachzudenken und uns selber die Frage zu stellen: „Was suche ich; was will ich eigentlich? Was erwarte ich von Jesus Christus? Was erwarte ich von Gott?" Auf der anderen Seite ist seine Frage aber auch nicht bloß eine rhetorische Frage; genauso wenig ein Versuch, sich vor einer Antwort zu drücken und den Ball einfach zurückzuspielen. „Was sucht Ihr?“ – diese Frage Jesu bedeutet: Er nimmt uns ernst mit unseren Wünschen und Sehnsüchten.
Wie immer auch unsere Antworten auf diese Frage ausfallen mögen – heute Morgen oder zu anderen Zeiten – vielleicht sind sie im Grunde gar nicht so weit entfernt von der Antwort der beiden Johannesjünger damals. „Wo bist du zur Herberge?“, fragen sie Jesus, wörtlich übersetzt: „Wo bleibst du?“ Im Grunde ist es wohl das, was wir alle suchen auf die eine oder andere Weise: eine Bleibe, eine Heimat, eine Verwurzelung. Man kann es auch mit anderen Begriffen umschreiben: einen Sinn, einen tragfähigen Grund für unser Leben; Gewissheit, wo wir hingehören; Geborgenheit.
„Kommt und seht“ – das ist Jesu Angebot. Und die beiden haben sich darauf eingelassen. Zunächst erst einmal für diesen einen Tag. Und dann noch weit darüber hinaus. Damit fängt es an: Mit der Bereitschaft, sich einzulassen; die Rolle des unbeteiligten Zuschauers aufzugeben und sich auf den Weg zu machen. Vom sicheren Platz im bequemen Sessel aus lässt sich nicht erfahren und überprüfen, was Jesus zu bieten hat. Man muss sich schon in Bewegung setzen und bereit sein, Altes hinter sich zu lassen und Neuland zu betreten.
„Kommt und seht!“ – Was hat Jesus zu bieten? Genauso wenig, wie er feste, vorgefertigte Antworten zu bieten hat, hat er eine starre, fest geordnete und unveränderliche Heimat zu bieten. „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.“ (Lk 9, 58) Dieses Jesuswort ist von anderen Evangelisten überliefert. Die Bleibe, die Heimat, die Jesus zu bieten hat, ist offenbar nicht so kuschelig und romantisch und idyllisch, wie uns das Wort „Heimat“ in der volkstümlichen Musik oder in Heimatromanen oder Heimatfilmen nahegebracht wird.
Und so ist das Stichwort für die, die sich zu Jesus halten, auch weniger „bleiben“ als „nachfolgen“. Und in diesem Wort steckt eben Bewegung drin. Jesus lädt dazu ein, sich mit ihm auf den Weg zu machen. Auf den Weg zu den Menschen. So wie damals die Jünger mit ihm unterwegs gewesen sind in den Dörfern und Städten Galiläas. Zu den Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Erwartungen. Zu den Kranken und Behinderten mit ihrer Sehnsucht, geheilt zu werden und aufgenommen zu sein in die Gemeinschaft. Zu den schuldig Gewordenen mit ihrem Wunsch, eine Chance für einen neuen Anfang zu bekommen. Zu Menschen wie den Samaritanern, die sich nach Meinung der Juden falsche Vorstellungen über Gott und den Glauben machten und die doch auf ihre Weise auf der Suche waren nach Gott. Und auch zu den Menschen, die ganz genau meinten, über Gott Bescheid zu wissen und die deshalb vielleicht gar nichts mehr erwarteten, zumindest aber nichts Neues und Ungewohntes, das nicht in ihre festgefügten Vorstellungen passte.
Unterwegs zu den Menschen, haben die Jünger bei Jesus eine Bleibe, eine Heimat gefunden. Vielleicht sieht das auf den ersten Blick aus wie ein Widerspruch: eine Heimat unterwegs, eine Bleibe auf dem Weg. Und doch ist es so. Bei Jesus haben die beiden Johannesjünger und später dann ja unzählige andere das gefunden, was sie gesucht haben: einen Sinn, einen tragfähigen Grund für ihr Leben, Geborgenheit unterwegs; einen Ort, besser: eine Person, wo sie sagen konnten: Da gehören wir hin!
Ganz schnell war sich der Andreas dessen gewiss. Schon nach einem Tag, den er mit Jesus verbracht hatte. Was er bei ihm gefunden hat, ist ihm so wichtig, dass er es nicht für sich behalten kann. Und deshalb geht er zu seinem Bruder Simon und sagt ihm: „Wir haben den Messias, den Christus, gefunden!“ So finden Menschen zu Jesus – damals wie heute. Und so findet Jesus Menschen.
Da ist am Anfang einer, der die beiden auf die Spur Jesu setzt: Johannes der Täufer. Er will die Männer, die doch zu seinen Jüngern gehörten, nicht an sich selber binden. Sondern er schickt sie Jesus hinterher mit den Worten: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ Und für die beiden Männer verband sich mit diesem Bild aus dem Buch des Propheten Jesaja die Hoffnung auf einen Menschen, der in ganz besonderer Weise mit Gott verbunden sein sollte und der den Menschen all ihre Schuld abnehmen würde. „Den seht ihr in Jesus vor Euch! Ich bin mir ganz sicher!“ Das sagt Johannes seinen Jüngern. Und die machen sich daran, das zu überprüfen.
Andreas ist sich bald sicher: „Bei Jesus finde ich das, was ich suche.“ Und so macht er es wie Johannes. Er behält das nicht für sich, sondern gibt es weiter. Allerdings mit seinen Worten und auf seine Weise. Als er seinen Bruder Simon findet, spricht er nicht einfach nach, was Johannes der Täufer vorher gesagt hat, sondern ruft dem anderen zu: „Wir haben den Messias, den Christus gefunden!“ Der Messias, der Gesalbte – das war für die Menschen in der Zeit des Alten Testaments der König oder der Priester. Und für die Menschen zur Zeit Jesu verband sich mit diesem Titel die Hoffnung auf einen neuen, mächtigen König wie einstmals David, der sein Volk aus der Unterdrückung befreien und ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit errichten würde. Andreas benutzt diesen Begriff, um auszudrücken, was Jesus für ihn bedeutet, was er bei Jesus gefunden hat. Und er bietet ihn seinem Bruder Petrus an und nimmt den mit zu Jesus.
So finden Menschen zu Jesus – damals wie heute. Dadurch, dass da jemand ist, der von seiner Gewissheit erzählt und sie auf den Weg schickt, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Dadurch, dass jemand auf seine Weise davon erzählt, was ihm Jesus Christus bedeutet und andere ein Stück mit nimmt. Dadurch, dass jemand andere nicht an sich und seine Art zu glauben binden will, sondern sie in die Freiheit entlässt. So finden Menschen zu Jesus – und so findet Jesus Menschen.
Für die beiden Jünger des Johannes war das aber noch nicht das Ziel ihres Weges mit Jesus. Das war noch nicht der Punkt, an dem sie hätten sagen können: „Nun haben wir’s begriffen; nun haben wir alles erreicht und gefunden, was wir uns wünschen. Nun haben wir ein für allemal erkannt, wer und wie Jesus ist.“ Immer wieder haben sie sich der Frage Jesu stellen müssen: „Was sucht Ihr? Was erwartet ihr von mir?“ Und immer wieder hat Jesus ihre Erwartungen ernstgenommen, aber auch verändert. Die schmerzlichste Veränderung haben die Jünger am Karfreitag erfahren, als der, der für sie der Messias war, der neue König, der sein Volk befreien würde, am Kreuz starb. Als sie erkennen mussten, dass Jesus anders war, als sie es erwartet und erhofft hatten. Dass Jesus als das Lamm Gottes gekommen war – nicht als Herrscher mit Gewalt und der Macht der Waffen, sondern allein mit der Macht der Liebe. Das war für die Jünger wohl die schmerzlichste Enttäuschung ihrer Wünsche und Sehnsüchte. Und der schwerste Lernprozess, nämlich zu begreifen, dass Jesus auf diese Art und Weise, ganz anders als erwartet, eben doch der Messias war, auf den sie gewartet hatten.
Jesus nachfolgen heißt unterwegs sein; heißt: in Bewegung bleiben, nicht stehenbleiben bei alten Überzeugungen und Vorstellungen, sondern sich von Jesus mitnehmen und verändern lassen. Jesus nachfolgen heißt: sich auf die Suche machen und auf der Suche bleiben; sich die Sehnsucht bewahren; und dabei doch eine Bleibe haben; einen Grund, auf dem wir stehen können; eine Person, von der wir sagen: Da gehöre ich hin; da ist meine Heimat. Jesus nachfolgen heißt: Gott suchen und zugleich darauf vertrauen, dass er uns längst gefunden hat.
„Was sucht Ihr?“ – diese Frage Jesu stand am Anfang meiner Predigt. Wenn wir als Christen andere auf Jesus hinweisen und zu ihm führen wollen, dann ist es gut, wenn wir uns diese Frage zu eigen machen. Wenn wir uns selber immer wieder Rechenschaft darüber geben: „Was suchen – und was finden – wir bei ihm?“ Und wenn wir diese Frage auch anderen stellen. Wenn wir die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen wahrnehmen und ernst nehmen. Auch dann, wenn sie sich anders äußern, als wir das gewohnt sind. Auch dann, wenn sie uns fremd oder abwegig erscheinen. Die Suche, die Sehnsucht der Menschen ernst nehmen und nicht schon immer gleich wissen, was die anderen wollen oder was sie zu wollen haben, das ist der erste Schritt dabei, wenn wir Menschen auf Jesus hinweisen und zu ihm führen wollen.
Der zweite Schritt ist dann, das zu bezeugen, was Jesus uns bedeutet; das zu bezeugen, was wir bei Gott finden. Mit unseren eigenen Worten und Bildern. Da hilft es nichts, einfach irgendwelche Formeln und Begriffe nachzusprechen, die andere uns vorgelegt haben – so wichtig und hilfreich solche Formeln und Begriffe auch sind. Aber sie sind es eben nur dann, wenn sie nicht nur nachgeplappert werden, sondern mit Leben erfüllt werden. Wenn wir auch sagen können, was diese Begriffe oder Formeln für uns ganz persönlich bedeuten. Und wenn wir auch den Mut haben, diejenigen, die uns nicht ansprechen und in denen wir uns nicht wiederfinden, einmal beiseite zu lassen.
Menschen auf Jesus hinweisen und zu Jesus führen, dazu gehört der Mut, unseren eigenen Glauben zu bezeugen, von dem zu reden und das zu leben, was uns wichtig ist. Und dann auch der Mut, anderen Menschen ihre eigenen Formeln und Begriffe zuzugestehen, auch wenn sie nicht unsere sind; ihren eigenen Glauben, auch wenn er anders ist als unserer. Und schließlich der Mut, in Bewegung und auf der Suche zu bleiben, unseren eigenen Glauben dabei auch verändern zu lassen, unsere Sehnsüchte und Erwartungen immer wieder vor Jesus zu bringen, damit er sie auf seine Weise füllt.
Amen.
Verfasser: Dekan Michael Tönges-Braungart
Kolberger Weg 23, 61348 Bad Homburg
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