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Versuchung oder Die Macht des Wortes

von Rudolf Stein (Paulusgemeinde Wiesbaden)

Predigtdatum : 22.02.2015
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Aschermittwoch
Textstelle : Matthäus 4,1-11
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Predigt
von: Präd. Rudolf Stein
Datum: 22.02.2015
Lesereihe: I
Feiertag: Invokavit
Textstelle: Matthäus 4,1-11
„Versuchung“ oder auch „Die Macht des Wortes“
Wochenspruch: "Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre." (1. Johannes 3, 8 b)

Psalm: EG 736 (Ps 91)

Lesungen
Altes Test.: 1. Mose 3, 1 - 19 (20 - 24)
Epistel: Hebräer 4, 14 - 16

Evangelium = Predigttext: Matthäus 4, 1 – 11


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 352, 1-4 Alles ist an Gottes Segen
Wochenlied: EG 347, 1-5 Ach bleib mit deiner Gnade
Predigtlied: EG 373, 1-4 Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens
Schlusslied: EG 171, 1-4 Bewahre uns, Gott

Liebe Gemeinde,

Wieder einmal haben die Farben der Paramente gewechselt: vom hoffnungsvollen Grün zum Violett, das für Einkehr und Umkehr steht. Mit Aschermittwoch hat die Fastenzeit begonnen. Es ist eine Zeit der Besinnung auf den Weg des Herrn. Ca. 40 Tage sind es bis Ostern und auch unser heutiger Predigttext berichtet von einer 40-tägigen Fastenzeit.

Gerade hatte Jesus seine Taufe hinter sich, als eine Stimme vom Himmel sprach „Du bist mein lieber Sohn“. Zu hören, ab da zu wissen, Sohn Gottes zu sein, dieses Erleben in seiner Taufe, das muß eine ungeheure Erfahrung gewesen sein, damit muß Jesus, der Mensch Jesus, erst mal fertig werden. Bislang hatten wir von Jesus noch nichts gehört, womit er sich als Gottes Sohn ausgewiesen hätte. Jetzt, ab der Taufe, soll offenbar sein Auftrag beginnen. Gott wird Mensch. Für diese gewaltige Wandlung braucht es etwas Zeit zum Eingewöhnen in das Menschsein; mehr noch, es braucht eine Bewährung. Von dem Ergebnis dieser Zeit berichtet unser heutiger Predigttext (in der Lesung gehört).

Mt 4,1-11: Jesu Versuchung
1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste hinaufgeführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden.
4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels
6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen herausfordern.«
8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

»Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste hinaufgeführt, damit er von dem Teufel versucht würde« (V1) berichtet der Evangelist. Die Wüste ist ein leerer Ort, öde, ohne Leben der Natur. Wüste bedeutet Einsamkeit und höchste Askese. Seit alters her gilt die Wüste als Ort der Prüfungen und als Ort der Täuschungen, der Fata Morgana. Der Mensch ist ganz allein mit sich selbst. Er hat niemanden und nichts was ihm hilft, es sei denn, er schöpfte es aus sich selbst. Als Quellen in ihm, die einen Weg zum Überleben zeigen können, kommen infrage ein starker Wille, seine Erfahrungen und Erinnerungen und vor allem das Vertrauen auf Gott.

Jesus bleibt 40 Tage in der Wüste. [Wir erinnern uns, daß das Volk Israel 40 Jahre in der Wüste ausharren mußte, bevor es in das gelobte Land Kanaan ziehen durfte. Die Zahl Vierzig steht für eine Vollendung. Beim Volk Israel war es die Dauer einer Generation, bei Jesus die Dauer, bis er sich als Gottessohn und Mensch zugleich gefunden hatte. Aus dieser Phase von Jesu Leben wissen wir nichts.] Die Versuchungen setzen gleich im Anschluß ein, wenn also die Wirkungen der 40-Tage eingetreten sind. Damit wird der Charakter der drei Versuchungen als Bewährung, als Prüfung betont.

In allen Fällen weckt der Teufel Zweifel an der Gottessohnschaft, indem er Beweise fordert, so als stünde Jesus vor Gericht. Darin steckt bereits eine nicht ausgesprochene Versuchung, denn für Jesus geht es ja gerade darum, für seine Zeit auf Erden wahrer Mensch zu sein.

In der ersten Versuchung spricht der Teufel den Hunger, das Existenzielle an. »Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden.« (V3) Steine in Brot verwandeln, das ist ein uralter Traum der Menschheit. Der Hunger der Welt wäre besiegt! Freilich kann der Traum nicht Wirklichkeit werden, denn genau dies, angewiesen sein auf die Früchte des Feldes, das war Folge des Sündenfalls. »Verflucht sei der Acker ... Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. (1Mose 3,17).

Mit seiner Forderung erweckt der Teufel den Eindruck, Jesus könne das Gebot des Vaters aufheben, er spiegelt Jesus eine Illusion vor. Jesus pariert mit einem Bibelwort »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« (V4) Jesus macht klar, daß nicht das Brot, sondern das Wort Gottes das Entscheidende ist. Mit beidem, mit Brot und Wort, mit seiner leiblichen und seiner geistigen Existenz, bleibt der Mensch angewiesen auf Gott, wenn er überleben will. Zauberkunststücke helfen da nicht.

War es eben die Illusion, so bedient sich der Teufel in der zweiten Versuchung einer Halbwahrheit (auch heutzutage eine beliebte Methode, vor allem in der Politik) „Wirf dich von der Zinne“, fordert er von Jesus. Dann »werden dich die Engel auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« (V6) Jesus aber ist nicht nur Gottessohn, er ist auch Mensch, das verschweigt der Teufel. Und als Mensch unterliegt Jesus den Gesetzen des Leibes, hier also der Schwerkraft. Wäre er von der Zinne gesprungen, er wäre als Mensch zerschellt, sein eigentlicher Auftrag, nämlich der Weg zum Kreuz, wäre damit gescheitert; der Teufel, der immer auch ein Lügner ist, er wäre am Ziel. (Wir erkennen an dieser Stelle: Halbwahrheiten sind Lügen, die schnell ins Verderben führen können.)

Jesus nun hält sich nicht mit Erklärungen auf. »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht herausfordern« (V7) gibt er dem Teufel lapidar zur Antwort und erweist sich damit als immun gegen hinterhältig vorgebrachte Halbwahrheiten. Jesus weiß, daß er für sein Leben selbst verantwortlich ist, und er kennt und achtet natürlich die Gebote Gottes.

Schließlich die dritte Versuchung. Der Teufel zeigt Jesus alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Die will er ihm geben und in gewisser Weise könnte er das sogar, weil er der Fürst dieser Welt ist. Es ist in der Tat verlockend, denn schließlich sind es die Mächtigen, die weitgehend bestimmen, was auf der Erde geschieht. Jesus könnte von solcher Position durchaus viel Gutes schaffen in der Welt. Das, worauf es ankommt, darauf haben die Mächtigen der Welt aber nur begrenzt Einfluß. »Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seinem Leben? Denn Was kann der Mensch geben, womit er sein Leben auslöse?« (Mk 8,36f) lesen wir bei Markus.

Auch in der dritten Versuchung sehen wir, wie der Teufel arbeitet. Halbwahrheiten, Lügen und Illusion sind seine Köder. Immerhin, er nennt auch seinen Preis. „Du mußt niederfallen und mich anbeten“ (s. V9) fordert er von Jesus. Das freilich ist für Jesus eine impertinente Forderung. »Weg mit dir, Satan!« (V10) herrscht er ihn an. »Denn es steht geschrieben (5 Mose 6,13): Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« (V10)

Und der Teufel geht tatsächlich. »Da verließ ihn der Teufel.« (V11) Damit hat Jesus seine Versuchungen bestanden, der Teufel ist ohne Macht über ihn. Jesus will kein Superman und kein Zauberer sein, er stellt sich ganz unter das Wort des Vaters. In allen Fällen konnte Jesus die Forderungen allein mit Worten aus der Schrift abwehren. Er erweist sich damit als Kenner der Hebräischen Bibel und als gehorsamer Diener Gottes.

Das kommt nicht von ungefähr. Jesus hatte schon vor seiner Taufe die Schrift gründlich studiert. Lukas berichtet von dem 12-jährigern Jesus im Tempel, als er die versammelten Gelehrten zutiefst beeindruckte. »Alle ... verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten« (Lk 2,47) Neben seinem Vertrauen auf Gott, hat dieses Wissen vielleicht entscheidend beigetragen, daß Jesus standhält und den Teufel vertreiben kann. Schließlich wollen die raffiniert ausgelegten Köder des Teufels erst mal durchschaut sein und die Wahrheit, das wahre Wort, das muß ihm entgegengehalten werden, das ist das Wirksame.

Bitte beachten Sie: Jesus hat den Teufel vertrieben, er hat ihn nicht getötet. Warum nicht, das wäre eine gute Frage für den Heimweg.

Und dann, als der Teufel ihn verlassen hatte, »da traten die Engel zu ihm und dienten ihm.« (V11) Das ist der Lohn für Jesus. Wer den Verlockungen der Welt widersteht, dem geht es nicht schlecht, denn dem dienen die Engel.

Nun, nachdem er sich selbst gefunden hat, nachdem er erstmals die Macht des Wortes gegen den Teufel selbst erfolgreich eingesetzt hat, kann Jesus seinen Auftrag auf Erden aufnehmen. Nicht herrschen, sondern dienen, heißt er, dienen bis zum Kreuz. Und uns Menschen den Weg zu Gott hin bahnen, also zu unserem Heil. Sogleich beginnt Jesus sein Wirken in Galiläa, beruft seine Jünger, verkündet »Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.« (Mt 4,17). Und er beschreibt in der Bergpredigt den Weg, wie Menschen dorthin gelangen können.

Jesus Bewährung in der Versuchung mag uns ein dreifaches Beispiel geben. Zum einen zeigt es, daß die Bibel zu Grundfragen des Lebens, ja des Überlebens entscheidende Antworten bereit hält. Zum zweiten setzt es den in der Schrift, hier in der Thora, Kundigen in die Lage, auch in schwierigen Situationen den richtigen Weg für sein eigenes Leben zu erkennen. Schließlich: Selbst der Teufel ist belehrbar und muß sich zurückziehen, wenn der Mensch ihm geistesgegenwärtig, also aus seiner Verbindung mit dem Heiligen Geist heraus, das rechte Wort entgegenhält. Mehr als ein solches Wort ist nicht vonnöten. Insbesondere braucht es keinen Kampf mit Waffen, von dem unsere Herren der Welt leider nicht abzubringen sind.

Jesus war 40 Tage in der Wüste. Wie nun sieht es bei uns aus? Denn auch wir leben in einer Wüste. Unsere Wüste heißt materieller Wohlstand. Das mag Sie überraschen, aber fragen wir nach. Was gibt uns dieser Wohlstand? Macht er uns zu guten Menschen? Stärkt er unsere Seele? Schenkt er uns ein erfülltes Leben? Führt er uns in das Reich Gottes, also auf den Weg zum Heil? Oder lenkt uns der Wohlstand eher ab, betäubt er die Seele, indem er uns anstelle von Worten nur noch Informationen gibt? Wir ertrinken doch in Informationen! Viele lesen sogar im Gehen in ihrem Handy. Darüber nachzudenken, dafür haben wir selbst kaum noch Zeit und übernehmen vieles ungeprüft, was Meinungsmacher (man könnte sie auch Versucher nennen) uns vorgeben. So geben wir freiwillig ein Grundrecht ab, das Recht auf freie Meinung.

Natürlich, unser Wohlstand ist durchaus eine Art Reichtum. Er gibt uns genug zu essen, er macht uns satt. Aber macht er uns zufrieden? Werden wir bessere Menschen oder wächst nur die Lust auf noch mehr vom materiellen Wohlstand? Gerade die Reichsten wirken besonders gehetzt. Ich denke z.B. an die Börsianer, wo bekanntlich das meiste Geld verdient wird. Oder sollte ich besser sagen, das Geld wird vermehrt, weil es nicht mit Arbeit sondern mit Geld geschieht.

Die Politiker versprechen uns Wachstum, Wachstum allerdings nur des materiellen Wohlstands. Der aber lullt unser Nachdenken ein, unsere Seelen macht er nicht satt. Vom Wachstum an Bildung, an Kultur, an sozialer Wärme, an Liebe gar, vom Teilen des Reichtums, vom Beitrag für das Gemeinwohl (= Steuern) ist nicht die Rede, ein Mehr an Frieden oder an Worten für die Seele, auch hier Fehlanzeige.

Jesus hat seine Prüfung bestanden. Jesus kennt jetzt seinen Weg und mit seinem Wirken zeigt er uns den Weg in das Reich Gottes. „Ich bin das Brot und der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ruft er uns zu.

Die Triebe und Begierden, die der Teufel nährt und anstachelt, stecken in jedem Menschen, keiner ist davor gefeit, jeder muß sich früher oder später mit ihnen auseinandersetzen. Sie schaden, wo immer sie die Oberhand gewinnen. Schauen wir unter diesem Blickwinkel auf unsere eigene Biographie, schauen wir ehrlich auf unsere eigenen Beweggründe in unseren Leben. Dann erkennen wir unseren starken Egoismus, wir entdecken, wie wir von Leidenschaften und Emotionen, also fremd gesteuert werden. Das schadet auf alle Fälle den Mitmenschen.

Warum bestimmen wir unser Leben nicht selbst, indem wir unser Selbst (nicht das Ego!!) als Führer einsetzen? Warum folgen wir nicht unseren sehr wohl vorhandenen klaren Gedanken und guten Zielen? Seitdem Jesus die Macht der Begierden, also der Selbstsucht, der Anmaßung, Machtgier, Hochmut, Eitelkeit ... in seiner Versuchung gebrochen hat, kann jeder Mensch sie überwinden. Wie Jesus, so können auch wir ihnen entgegentreten, mit einer entschiedenen Besinnung auf das Wort. Dazu sind wir aufgerufen gerade jetzt in der Fastenzeit.

Wenn wir unsere Prüfungen auf dem Weg zum wahren Menschsein bestehen wollen, wenn wir in Freiheit diesen Entschluß fassen, dann geben wir in unseren Herzen den Kräften des Guten, vor allem der Wahrheit und der Liebe, den Vorrang, und dann wird Christus uns helfen, indem er diese Kräfte in unserer Seele verstärkt. Dann können auch wir aus dem Wort des Evangeliums schöpfen und damit die Verführer, die Teufel, aus unserer Seele vertreiben und ganz wir selbst sein und immer stärker Mensch werden. Denn Christus spricht: »Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue« (Gal 5,22) oder »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.« (Joh 15,5) Es ist klar: Jetzt geht es um das Menschsein.

Verfasser:
Prädikant Rudolf Stein, Berliner Str. 197, 65205 Wiesbaden