Wochenspruch: Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. (Matthäus 20,28)
Psalm: 43 (EG 724)
Reihe I: Johannes 18,28-19,5
Reihe II: Hebräer 13,12-14
Reihe III: Hiob 19,19-27
Reihe IV: Markus 10,35-45
Reihe V: Hebräer 5,(1-6)7-9(10)
Reihe VI: 1. Mose 22,1-14(15-19)
Eingangslied: EG 91,1-4 Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken
Wochenlied: EG 545 Wir gehen hinauf nach Jerusalem
Predigtlied: EG 268 Strahlen brechen viele
Schlusslied: EG 590 Herr, wir bitten, komm und segne uns
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.
36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Liebe Gemeinde!
Unmöglich, wie die zwei sich benehmen! Wo bleibt da die christliche Bescheidenheit?! Wollen die beiden sich „einschleimen“ - würden Jugendliche fragen? Das geht nun mal gar nicht!
Da stehen wir wohl eher auf Seiten der entrüsteten Jünger. Aber Vorsicht! Warum entrüsten die zehn anderen sich? Weil Johannes und Jakobus unbescheiden sind? Oder weil sie einfach gewagt haben, das auszusprechen, was alle zehn sich heimlich auch wünschen? Weil sie ganz offen gesagt haben, dass sie nach Macht streben - wenn nicht auf Erden, dann doch im Himmel?
Ist dieser Wunsch der beiden Jünger nicht verständlich? Gut, vielleicht würden wir’s heute anders formulieren. Vielleicht kommt’s uns nicht auf Ehrenplätze im Himmel an. Auf Erden würde es doch schon genügen.
Auch unter Pfarrer:innen wird manchmal geklagt, dass sie zu wenig Wertschätzung bekommen. Und haben Ehrenamtliche nicht das Recht, zumindest auch zu fragen: Was bringt mir mein Engagement? Ist diese Frage nicht berechtigt? Da sagt eine Frau, die ehrenamtlich viel Zeit bei der „Tafel“ investiert: „Ich tue damit etwas Sinnvolles; dass ich da ehrenamtlich mitarbeite das gibt meinem Leben noch einmal einen anderen Sinn; das bereichert mich.“
Und sie hat doch Recht! Das ist doch ein ehrliches und berechtigtes Motiv für ihr Engagement, dass auch für sie etwas dabei herausspringt – nicht materiell, aber auf anderer Ebene.
Wirklich so unmöglich, der Johannes und der Jakobus? Oder sind es nicht nur die beiden, die einfach wagen, eine berechtigte Frage zu stellen und ihren Wunsch ganz offen zu formulieren? Das ist doch besser als immer drum herum zu reden oder gar nicht erst offen herauszurücken mit dem, was man möchte.
Ich denke, es lohnt sich, darauf zu schauen, wie Jesus reagiert. Nämlich nicht entrüstet. Er schwingt nicht die Moralkeule nach dem Motto: So zu denken gehört sich nicht – uns das auch noch offen zu sagen schon gar nicht!
Er reagiert freundlich, liebevoll, verständnisvoll. Er stellt zuerst einmal selber eine Frage: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Er spielt damit an auf seinen Tod am Kreuz wenige Tage später. Wisst ihr, was euch bevorsteht? Wisst ihr, was ihr auf euch nehmen müsst? Seid ihr dazu bereit?
Und die beiden antworten: „Ja, das können wir!“ Ein vollmundiges Bekenntnis! Naiv oder wohl durchdacht? Wie dem auch sei: Jesus stellt es gar nicht in Frage. Er sagt nicht: Jetzt habt ihr gut reden, aber wartet erst mal ab, bis es ernst wird…
Er akzeptiert dieses Bekenntnis des Johannes und des Jakobus. Und er sagt ihnen voraus: Es wird euch so ergehen wie mir. Ihr werdet sterben müssen, weil ihr euch zu mir bekennt.
Aber er wehrt zugleich die Bitte der beiden Jünger ab: „…zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.“
Über diese Plätze bestimmt Gott allein. Niemand hat ein Recht auf Ehrenplätze oder ein Recht, da mitzureden. Niemand hat ein Recht darauf, mit Jesus einmal zu herrschen. Und zudem: Die Ehrenplätze zur Rechten und Linken Jesu sind bereits vergeben.
Wer würde da nicht an das Bild von der Kreuzigung denken: Zwei Verbrecher werden mit Jesus gekreuzigt – einer rechts und einer links von ihm. Sind das die Ehrenplätze? Sind das die Menschen, denen die Ehrenplätze zukommen?
Der Wunsch der beiden Jünger bleibt also unerfüllt. Sie wollen etwas davon haben, dass sie Jesus nachfolgen! Sie wollen Anteil an seiner Macht, wenn er einmal herrschen wird. Das lehnt Jesus ab.
Aber er staucht die Jünger wegen dieser Bitte auch nicht zusammen. Sondern er stellt ihren Wunsch in einen anderen Zusammenhang. Er spricht zu ihnen über den Umgang mit Macht.
Und das ist in der Kirche ja immer ein heikles Thema. Nicht nur in der katholischen Kirche, wo das Machtgefälle oft deutlicher und steiler ist als in der evangelischen. Da ist es ja sogar einfacher, Macht zu erkennen – und auch zu kritisieren. Bei uns Evangelischen wird Macht mitunter sehr viel versteckter ausgeübt – und ist deswegen auch schwerer zu erkennen.
Jesus beschreibt zunächst einmal, wie es in der Welt zugeht: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“
So ist das in der Welt. Damals hatte Jesus das römische Reich im Blick – und die Vasallenherrscher in seinem eigenen Land.
Bei uns ist es heute anders – Gott sei Dank! Wir leben heute in einer Demokratie, und im Grundgesetz heißt es: „Alle Gewalt geht vom Volk aus“ – also von uns. Und trotzdem haben viele das Gefühl, von „denen da oben“ beherrscht zu werden – wer auch immer das sei.
(Hier können Aktualisierungen erfolgen …)
Wie dem auch sei: Ohne Macht und Gewalt kommt menschliches Zusammenleben, kommt eine Gesellschaft nicht aus – auch dann nicht, wenn Macht und Gewalt vom Volk ausgehen; auch nicht in Demokratien, wo es sich um kontrollierte Macht und kontrollierte Gewalt handelt. Das ist so - und das wird von Jesus auch nicht in Frage gestellt.
Und wie ist das in der Kirche? Geht’s da ohne Macht?
„Aber so ist es unter euch nicht.“ Ein schlichter Satz. Ist-Beschreibung oder Soll-Beschreibung?
Wenn wir ehrlich sind: Auch in der Kirche kommen wir ohne Macht und Herrschaft nicht aus. In dieser Hinsicht ist Kirche – z.B. eine Landeskirche mit vielen Gemeinden und ihren Kirchenvorständen, Hunderten von Pfarrer:innen und noch mehr anderen Mitarbeiter:innen - eine Organisation wie viele andere auch. Und Macht und Herrschaft sind ja auch an sich nichts Schlechtes.
Wenn ich Macht habe, bedeutet das doch: Ich kann etwas bewirken; ich kann auf andere Menschen einwirken; ich kann ihr Handeln beeinflussen. Das ist an sich nichts Böses. Jeder von uns möchte das: Eltern gegenüber ihren Kindern; Kinder gegenüber ihren Eltern; Lehrer: innen gegenüber Schüler: innen – und umgekehrt. Und wenn Parteien um Wählerstimmen werben, wollen sie genau das auch.
Wenn die einen über andere herrschen, dann bedeutet das bei uns in einem demokratischen Staat: Diese Herrschaft ist von allen oder zumindest den allermeisten akzeptiert und legitimiert – durch Wahlen. Sie ist nicht willkürlich, sondern ein Auftrag des Volkes an die Politiker:innen. Und zudem ein durch Gesetze klar begrenzter und zeitlich befristete Auftrag, der auch widerrufen werden kann.
Macht und Herrschaft sind nichts an und für sich Böses oder Schlechtes. Auch nicht in der Kirche. Kirchenvorstände z.B. leiten die Gemeinden - beauftragt durch die Wähler: innen, zeitlich befristet und durch Gesetze und Bestimmungen klar begrenzt. Da geht es um die Möglichkeit zu gestalten und den Auftrag, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen – und nicht um Machtmissbrauch und Willkürherrschaft.
Wie ist das also für uns in der Kirche mit Macht und Herrschaft und mit dem Dienen?
Ich denke, der Schlüssel zum Verständnis der Worte Jesu liegt im letzten Vers des Predigttextes: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“
Dass alles, was Jesus gesagt und getan hat, ein Dienst an den Menschen war, das liegt auf der Hand. Und dass er den Jüngern am Abend vor seinem Tod die Füße gewaschen hat, ist ein klares Zeichen dafür gewesen, dass es ihm nicht ums Herrschen ging, sondern darum, den Menschen zu dienen; für sie da zu sein, ihnen Gutes zu tun.
Hier spricht er davon, dass er sein Leben als Lösegeld gibt. Dass er uns auslöst aus der Gefangenschaft in Schuld und Sünde. Und dass er uns erlöst von dem Zwang, für uns selber zu sorgen, den Sinn unseres Lebens und unser Heil selber herstellen zu müssen. Deshalb müssen wir uns nicht selber groß machen und nicht versuchen, groß rauszukommen.
Im Bild gesprochen: Wir müssen uns den Himmel nicht verdienen.
Auch nicht dadurch, dass wir eben ganz besonders „dienst-eifrig“ sind. Zugespitzt: Wir müssen uns nicht klein und niedrig machen – um am Ende groß da zu stehen.
Denn das ist manchmal die schlimmste Versuchung in Kirche und christlicher Gemeinde, genau das zu versuchen – ob bewusst oder unbewusst. Indem ich immer wieder betone, dass ich ja nur dienen und nicht herrschen und niemanden beherrschen will, kann ich zugleich Macht ausüben – nicht offen, sondern versteckt – und von niemandem kontrolliert. Ich diene ja nur. Da kann doch niemand etwas dagegen haben. Das muss doch jeder anerkennen!
Und so wird das Dienen ins Gegenteil verkehrt: Indem ich mich selber klein mache, kann ich mich letzten Endes doch ganz groß machen und andere beherrschen – denn wer könnte sich meiner Bescheidenheit widersetzen und mir etwas verweigern?
Ich denke, wir alle kennen solche Mechanismen von Macht und Herrschaft – in der Kirche, aber auch in Familien oder in Vereinen oder anderen Zusammenhängen. Und wir wissen, wie ohnmächtig und wütend sie uns machen, wenn wir ihnen ausgesetzt sind.
Dagegen stehen die Worte Jesu aus unserem Predigttext. Nicht als Moralpredigt. Sondern als große Zusage an uns: Ihr müsst euch den Himmel nicht verdienen. Das habe ich längst für euch getan!
Das macht uns frei dazu, wirklich anderen zu dienen. Und das hat nichts damit zu tun, sich klein zu machen. Und auch nicht damit, auf versteckte Weise andere beherrschen zu wollen.
Im 1. Petrusbrief gibt es ein schönes Wort dazu:
„Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes…“ (4, 10)
Das kann mich dazu bringen, mich zu fragen: Was habe ich von Gott geschenkt bekommen an Begabungen und Stärken, an Fähigkeiten und Eigenschaften? Was habe ich gesammelt an Berufserfahrung und an Lebenserfahrungen, an Fachkenntnissen? Was habe ich erlebt an Glück und Wohlergehen – auch über das hinaus, was ich mir selber erarbeitet habe?
Und wozu kann das alles anderen dienen? Wo kann ich es einbringen, dass es nicht nur mir dient, sondern auch anderen? Wie kann ich damit Gutes bewirken – nicht nur für mich, sondern auch für andere?
Das gilt dann auch im Blick auf die Macht, die ich habe – auf die Herrschaft, mit der ich vielleicht beauftragt bin. Macht im Sinne von der Möglichkeit, etwas zu bewirken und auf andere einzuwirken. Herrschaft im Sinne von Verantwortung, die mir übertragen ist. Ob ehrenamtlich oder im Beruf, in der Familie, im Verein, in der Gemeinde... Wie kann ich sie so einsetzen, dass sie zu etwas dient, dass sie Gutes bewirkt – für andere und auch für mich?
Was bringt mir das? Das fragen sich auch Ehrenamtliche in der Kirche – und auch Pfarrer:innen. Was bringt mir das, wenn ich mich da engagiere? Das ist eine ehrliche Frage. Und keine unerlaubte. Aber sie darf nicht die einzige bleiben. Sondern dazu gehört auch die andere Frage: Was soll es an Gutem bewirken? Für die Kirche; für die Gemeinde; für die Menschen in unserem Dorf oder unserer Stadt – und auch darüber hinaus? Wozu soll und kann es dienen? Und wem soll und kann es dienen?
Ich bin mir sicher: Alle, die sich in unseren Gemeinden einbringen – ob ehrenamtlich oder hauptamtlich – stellen sich immer wieder diese Fragen. Und das ist können sie ganz offen und ehrlich tun – wie die beiden Jünger. Und dabei auf Jesus hören, der von sich selber gesagt hat: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“
Wie schön und wie befreiend, dass wir bei allem, was wir für andere tun, nicht darauf achten müssen, dass wir selber jemand sind und am Ende gut dastehen. Wie gut, dass wir uns den Himmel nicht verdienen können und müssen. Wie gut, dass ein anderer das längst für uns getan hat.
Amen.
Verfasser: Pfarrer Michael Tönges-Braungart, Kolberger Weg 23, 61348 Bad Homburg, michael.toenges-braungart(at)ekhn.de
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