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Vom Weltgericht

von Manfred Hofmann (Ulrichstein)

Predigtdatum : 16.11.1997
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Matthäus 25,31-46
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Schriftlesung: Röm. 8,18-23 (24-25) oder Jeremia 8,4-7

Wochenspruch: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. 2.Kor 5,10

Wochenlied: EG 149

Weitere Liedvorschläge: EG 232; 413; 412; 420

(Da die Predigt kurzfristig abgesagt wurde,

wiederholen wir die Predigt aus dem Jahrgang 1991.)

Liebe Gemeinde!

Am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr begeht unser Land den Volkstrauertag, das heißt für mich: heute sind in diesem Gottesdienst Menschen unter uns, die um Angehörige trauern, die Opfer des letzten Krieges geworden sind. So werden heute an den Gräbern oder vor den Gedenktafeln auf unseren Friedhöfen immer noch Mütter um ihre Söhne weinen, Frauen um ihre Ehemänner, Kinder um ihre Väter, die sie zum Teil nur von Fotografien her kennen, Männer um ihre Frauen, die auf der Flucht oder im Bombenhagel umgekommen sind.

Die Wunden, welche der Krieg in unserem Lande geschlagen hat, sie sind geheilt, aber eine schmerzliche Narbe ist geblieben. Zu sehr lastet die Erinnerung an die Kriegsereignisse und die damit verbundenen Folgen auf den Betroffenen, aber auch auf ganzen Völkern. So bleibt es eine unumstößliche Tatsache - die uns gerade heute besonders schmerzlich ins Bewußtsein kommt - daß der letzte Krieg noch nicht vergessen ist.

Obwohl wir uns alle, liebe Gemeinde, über die Grausamkeiten, das Elend und die Not, die Kriege mit sich bringen, im Klaren sind und obwohl wir uns eine solche Zeit nie mehr wünschen, ist und bleibt es jedoch eine traurige Tatsache, daß auch heute der Krieg auf der Erde noch sein grausames Regiment führt.

Es ist und bleibt eine traurige - und für mich zugleich eine erschreckende Tatsache - daß auch heute Menschen sterben müssen, gefoltert werden, Familien aus ihrer Heimat flüchten müssen, um dann noch einmal ganz von vorne zu beginnen, weil eben dort, wo Frieden herrschen sollte, der Krieg sein Unwesen treibt und dabei weder jung noch alt, weder Kind, Mann oder Frau verschont. Traurige, erschreckende, vielleicht ja auch beschämende Tatsache ist und bleibt es, daß der Mensch - und damit zugleich auch wir hier - eigentlich nichts aus der kriegerischen Vergangenheit gelernt hat, denn der, Krieg - so der 3. Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Gustav Heinemann, „der Krieg ist kein Naturgesetz, sondern Ergebnis menschlichen Handelns.“

Deshalb heißt es auch in der Präambel zur Verfassung der UNESCO: „Da Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen, muß in den Köpfen der Menschen Vorsorge für den Frieden geschaffen werden.“

Damit also, liebe Gemeinde, Menschen nicht mehr unter Menschen leiden, ist eine Veränderung unseres Denkens, unserer Einstellung zum Nächsten notwendig, denn nur so können wir es wohl ermöglichen, in unserer Welt das Reich des Friedens zu schaffen.

Auch in unserem heutigen Predigttext ist für mich dieser Tenor vorhanden, wenngleich die Überschrift über unseren Predigtabschnitt „Vom Weltgericht“ lautet. Aber hören Sie doch selbst, was Matthäus geschrieben hat:

31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.

37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?

40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.

44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?

45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Der Evangelist beschreibt in unserem Text zwei Menschengruppen: Die erste Gruppe steht auf der rechten und damit zugleich auch auf der auserwählten Seite. In ihr finden sich all die wieder, die - ohne es zu wissen, ohne sich besondere Gedanken darüber gemacht zu haben, wie selbstverständlich - dem Mitmenschen freundlich zugewandt waren. So haben sie denn - ohne an Eigennutz zu denken - Kranke besucht, Hungernde gespeist, Nackte gekleidet.

Dies ist, auf die damalige Situation der christlichen Gemeinde bezogen, die geprägt war von Verfolgung und Haß gegen die Christen durch die Römer, etwas Erstaunliches, setzte man doch immer zugleich auch sein eigenes Leben aufs Spiel, wenn man im Namen Jesu und in seinem Auftrage half. Darum aber rechnet ihnen der Weltenrichter dieses nun hoch an, denn das, was sie taten, ist für ihn nicht nur ein schlichter Akt der Nächstenliebe, sondern zugleich auch eine Tat an ihm, denn alles, „was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Damit macht Jesus deutlich, daß er nicht hinter dicken Kirchenmauern ein tristes Dasein führt, fern ab von der Welt, sondern uns in der Welt in jedem Mitmenschen begegnet.

Das haben allerdings diejenigen, die auf der linken Seite stehen, nicht gemerkt und schon garnicht begriffen. Sie haben in den hilflosen Mitmenschen, in den Hungernden, Ausgestoßenen, Rechtlosen, nicht den Bruder oder die Schwester gesehen und damit auch nicht Jesus, der ihnen in diesen Menschen gegenübertrat, sich ihnen auf diese Weise nähern wollte: „Was ihr nicht getan habt einen unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan“ - das ist nun die niederschmetternde Antwort Jesu auf ihr Verhalten.

Mit dieser Antwort macht Jesus für mich deutlich, daß nicht nur der Dienst an ihm wichtig ist und den wir mitunter so gern auf den sonntäglichen Gottesdienst beschränken, sondern auch an den Menschen, die nicht nur seine, sondern auch unsere Geschwister sind.

Ich denke, liebe Gemeinde, daß uns dieser Text dennoch keine Angst machen will. Wenn wir ihn so verstehen würden, dann hätten wir ihn - nach meinem Verständnis - gründlich mißverstanden. Der Text ist - wie ich meine - im Kontext seiner Zeit und seiner Geschichte - eher als eine Warnung, als eine Mahnung zu verstehen, damit all diejenigen, die sich zu Jesus bekennen, ihr Verhalten und ihr Denken umändern.

Wir müssen Vorsorge treffen - um noch einmal kurz Bezug auf die UNESCO-Präambel zu nehmen und um diese zu ergänzen - und in unseren Köpfen mehr an den Nächsten denken, denn in ihm begegnet uns Jesus Christus. Ein Gedanke, der seinen Ausdruck auch in folgendem Gedicht von Rudolf Otto Wiemer findet:

„Jesus wohnt in unserer Straße,

wohnt da ganz am End!

Und er fragte: Du, wie kommt es,

daß mich keiner kennt?

Gestern bin ich ihm begegnet

und ich sah ihn an und sprach:

Wer weiß denn schon,

wer weiß denn schon,

daß du in dieser Straße wohnst,

gleich um die Ecke nebenan.“

Wer weiß denn schon, daß du, Jesus, gleich um die Ecke nebenan wohnst? - diese Frage hat mich sehr nachdenklich gemacht und darum habe ich mich gefragt, auf welche Seite ich wohl kommen würde, wenn dieses Geschehen. das uns Matthäus hier schildert, über uns hereinbrechen würde? Auch ich muß mir ja dann die Frage stellen lassen „Hast DU im Mitmenschen wirklich deinen Bruder, deine Schwester gesehen? Hast DU in ihm MICH erkannt?“

Würde ich auf die rechte Seite kommen oder würde mich der Weltenrichter am Ende gar auf die linke schubsen?

Es geht nun allerdings - wie ich meine - nicht darum, diese Frage zu beantworten. Wichtiger ist vielmehr eine andere Frage, die uns interessieren sollte: „Wie komme ich auf die rechte Seite?“

Ich denke, das ist die alles entscheidende Frage für uns!

Die Antwort auf diese Frage scheint einfach zu sein, denn Jesus hat es uns ja gesagt, was wir tun müssen: Gebt den Hungrigen zu essen, kleidet Nackte, besucht Kranke, beherbergt Fremde in eurem Land, seid offen für andere, lebt miteinander und nicht gegeneinander.

Diese Wohltaten gegenüber unseren Brüdern und Schwestern - begründet im Glauben und in der Liebe zu unserem Herrn - sind es also, die wir tun müssen, um auf die rechte Seite zu kommen.

Ein frommes Bekenntnis allein ist darum ebenso wenig wert, wie nur ein soziales Engagement. Die Verbindung von beiden muß es sein, damit wir am Ende das Leben erhalten, das Jesus uns in seinem Reich verheißt.

Nun möchte ich allerdings, liebe Gemeinde, gerade an diesem Sonntag, dies nicht nur auf unsere Gemeindegrenzen bezogen wissen, obwohl es auch in unserer Gemeinde viele Menschen gibt, die dringend unserer Hilfe bedürfen - um Jesu Christi willen!

Gerade heute, am Volkstrauertag, wo wir der Opfern von Kriegen, Gewalt und Haß gedenken, ist es - wie ich meine - notwendig, den Blick über unsere Gemeindegrenze, ja: über unsere Landesgrenze hinausgehen zu lassen zu denen, die heute durch die Wirren von Kriegen oder politischen Unruhen ein ähnliches Schicksal erleiden, wie der eine oder andere von Ihnen, liebe Gemeindeglieder, dies in den Kriegszeiten oder den Zeiten danach erlitten haben.

Wenn wir in jedem Menschen unseren Bruder, unsere Schwester sehen - und damit zugleich auch Jesus - dann können wir als seine Nachfolger, Nachfolgerinnen es einfach nicht zulassen, daß - nach wie vor - Krieg und Aufrüstung das Geschehen der Welt bestimmen. Es ist die Aufgabe von uns Christen - und dies ist nicht immer leicht und einfach - mahnend und warnend unsere Stimmen zu erheben, uns für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, denn gerade die Versöhnungs- und Friedensarbeit der Kirche hat eine tiefe Resonanz, wie unser früherer Bundespräsident Richard von Weizsäcker einmal sagte. Es gilt, den Frieden zu fördern und dem Krieg zu wehren, denn „der Krieg ist eine Sache bei der sich Millionen von Menschen, die sich nicht kennen, umbringen - auf Befehl einiger, die sich sehr gut kennen, aber nicht umbringen.“ (D. Eisenhower, Präsident der USA)

Um diese Millionen von Menschen muß es in allen Überlegungen gehen, damit sich das nicht wiederholen kann, sich das nicht wiederholt, was am 1. September 1939 begann und am 8. Mai 1945 endete, also genau 52641 Stunden dauerte und in einer Stunde 1045 Menschen das Leben kostete, draußen auf den Schlachtfeldern, in den Konzentrationslagern oder in den Städten und Dörfern, deren wir heute gedenken oder an deren Gräbern wir stehen.

Im Mitmenschen den Bruder, die Schwester, das Abbild Gottes sehen - auch wenn uns dieses Abbild manches Mal noch so fremd, ja vielleicht mitunter auch abscheulich vorkommt, dies ist für Jesus, liebe Gemeinde, der Weg, um auf die rechte Seite zu kommen. Denn wer in jedem Menschen den Bruder oder die Schwester sieht, der sieht in ihnen auch Jesus Christus unseren Herrn.

Deshalb, liebe Gemeinde, laßt uns alle mithelfen, uns für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Laßt uns kritisch die politischen Vorgänge in Ost und West betrachten und immer dort warnend und mahnend unsere Stimme erheben, wo das Abbild Gottes mißhandelt, getötet, gefoltert oder verfolgt wird.

Daß dies uns zu aller Zeit gelingen möge, dazu helfe uns Gott und gebe uns seinen Frieden und seine Kraft, seine Gnade und Liebe, denn nur so ist es möglich, daß alle Menschen einstimmen können in das Lob Gottes und bekennen:

Ehre sei Gott in der Höhe,

wo keiner mit Füßen tritt,

wo Menschen Liebe üben.

Ehre sei Gott in der Höhe, Halleluja.

Ehre sei Gott in. der Höhe,

wo keiner mit Fäusten droht,

wo Menschen Frieden suchen.

Ehre sei Gott in der Höhe, Halleluja.

Ehre sei Gott in der Höhe,

wo einer sich selbst vergißt,

wo Menschen Brot verteilen.

Ehre sei Gott auf der Erde, Halleluja. Amen.

Pfr. Manfred Hofmann, Ulrichstein (1991)


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