Wochenspruch: "Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Süder waren." (Römer 5,8)
Psalm: 10
Reihe I: Johannes 3,14-21
Reihe II: Römer 5,1-5(6-11)
Reihe III: Jesaja 5,1-7
Reihe IV: Matthäus 26,36-46
Reihe V: Markus 12,1-12
Reihe VI: 4. Mose 21,4-9
Eingangslied: EG 97 Holz auf Jesu Schulter
Wochenlied: EG 366 Wenn wir in höchsten Nöten sein
Predigtlied: EG 428 Komm in unsre stolze Welt
Schlusslied: EG 427 Solang es Menschen gibt auf Erden
1 Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme. 3 Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5 Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. 6 Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? 12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
(Zunächst den Predigttext nur bis Vers 9 lesen)
Liebe Gemeinde!
Es war im vergangenen Sommer, als mir der Chefredakteur der hiesigen Tageszeitung [kann auch durch einen lieben Freund oder eine gute Bekannte ersetzt werden] für ein Sommerinterview folgende Einstiegsfrage stellte:
„Was glauben Sie, was der liebe Gott denkt, wenn er gerade jetzt auf die Erde herunterblickt?“
Ich habe einen Moment lang intensiver nachgedacht, habe spontan an den Ruf aus unserem Predigtlied (EG 428) „komm in unsere stolze Welt!“ gedacht und dann fiel mir unser heutiger Markustext ein; (denn ich saß gerade an diesen Zeilen). Ich fragte mich: „Hat Gott eigentlich nicht genug gewirkt? Hat er uns nicht alle wichtigen Werkzeuge an die Hand gegeben, um seine Schöpfung zu bewahren, seinen Weinberg wirklich zu hegen und zu pflegen? Wird er sich die Mühe überhaupt machen, nochmals über uns und unsere Welt nachzudenken?“
Schauen wir uns den Text an. Wir verstehen den Eingang sicher schnell, auch wenn wir keine Weinbergbesitzer sind. Wir haben trotzdem ein feines Gespür für die besondere Härte der Arbeit dieses Mannes: Er legt einen wunderbaren Weinberg an. Alles ist bestens gerichtet. Die Reben stehen in kerzengerader Zeile, der Boden ist genügend gelockert, die Pflänzchen werden ihren Weg in die Tiefe des Ackers finden. Einen Zaun hat er zudem um seinen Weinberg gezogen als Schutz gegen Tierfraß. Eine Kelter hat er gebaut zur guten Weiterverarbeitung der geernteten Trauben, einen Turm errichtet als Wohnstatt für die, die den Weinberg bearbeiten und schützen sollen. Beste Voraussetzung also für ein gutes Gedeihen. Wie wichtig ihm dieser Weinberg ist, zeigt, dass in den Liedern Salomos der Weinberg ein Sinnbild für die Geliebte war. Und jeder spürt schnell: Oh ja, Gott tat alles für sein geliebtes auserwähltes Volk.
Aber was leisten sich die Pächter, als der Weinbergbesitzer seine Jungs schickt, um die Pacht entgegen zu nehmen. Sie antworten mit der ganzen Palette von menschlichen Bosheiten: Habgier, Niedertracht, Undankbarkeit, Brutalität bis hin zum Mord und am Ende lynchen sie auch noch den geliebten Sohn. Und auch jetzt erahnen wir die Strahlkraft der Bilder: die Herren Israels haben die Propheten verschmäht, gerade die, die ihr gottloses Tun angeprangert haben, die sie in die Schranken gewiesen haben und sich zu Fürsprechern der Witwen und Waisen gemacht haben. Scharf haben sie das Verhalten der Mächtigen angeprangert und immer wieder darauf hingewiesen, dass die Herren aus der Gerechtigkeit Gottes ausgetreten sind und nur noch selbstherrlich handeln. Elia wurde davongejagt, die Spur Jeremias verliert sich in der Wüste, Johannes den Täufer haben sie enthauptet. Nichts war ihnen heilig, selbst den Sohn verschonten sie nicht.
An dieser Stelle rufe ich aber selbst und laut: Stopp! Für viele Prediger und ihre Predigten war dies genug Stoff zu antisemitischen Predigten. Und so wurde genau mit diesem harten Jesus-Gleichnis noch härter, noch brutaler in der Geschichte immer wieder zugeschlagen. Nun wurden die, die sich schlicht zu Erben erklärten zu Tätern. Dabei wird leicht und schnell vergessen, dass Markus dem Gleichnis noch einen eigenen Schluss angefügt hat:
Lesen Verse 10 und 11
Gott hat das böse Treiben beendet, indem er den gekreuzigten Sohn zum Eckstein, zum Halte- und Orientierungspunkt gemacht hat. Gott wurde Mensch und schenkte uns seinen Sohn zum Vorbild und jetzt wandelt sich das Gleichnis von einer harten Scheltrede gegen das kleine auserwählte Volk zu einem Spiegel für uns, die sich Gott durch seinen Sohn Jesus Christus ausgewählt hat.
Und nun taucht sie wieder auf die Frage des Redakteurs vom Anfang: „Was glauben Sie, was der liebe Gott denkt, wenn er gerade auf die Erde herunterblickt?“ Was würde der gütige Gott, Schöpfer des Weinbergs, über uns und unser Tun denken?
Und da will ich ihnen meine damalige Antwort an den Redakteur gerne weitergeben: Was Gott denkt beim Angesicht all dessen, was wir geschafft haben, wage ich nicht einmal zu fantasieren. Er hatte, wie in diesem Gleichnis betont, ja eine unglaubliche, eine wahrhafte Engelsgeduld. Aber seine Botschaft ist klar: mahnend uns ins Gebet nehmen und genau auf seinen Schlussstein verweisen. Man könnte doch denken: „Er hat uns in Menschengestalt die Wegweisung schlechthin an die Hand gegeben, ins Herz gelegt, zum Verstand hinzugefügt: seinen Sohn Jesus Christus.“
Und dazu fiel mir wieder einmal Martin Niemöller, der ehemalige Präsident der hessen-nassauischen Kirche und Mann der Bekennenden Kirche ein, von dem ich ein ganz wichtiges Lernprodukt schon in jungen Jahren mit in mein Leben nahm. „Was würde Jesus zu meinem/unserem Handeln in der Welt (im Bild: im Weinberg Gottes) sagen?“ Niemöller erklärte einmal, dass das für ihn die Leitfrage war. Er stellte sie sich immer in schwierigen Situationen und bei wichtigen Entscheidungen. Diese Frage war für ihn Leitlinie und auch Korrektiv für eigenes Handeln.
Wenn ich nun Niemöllers Frage beispielhaft in Szenen unseres Lebens übertrage, muss uns klar sein: Die Bibel ist kein Rezeptbuch, das wir aufschlagen und loshandeln können. Das überlassen wir besser den unzähligen Kochsendungen im täglichen Fernsehen. Die Bibel gibt uns auf die Frage „wie würde unser Herr Jesus jetzt handeln“ allerdings eine erste Richtschnur. Sie ist die eine Säule meines Handelns. Gleichberechtigt wichtig ist immer auch die zweite Säule für sachgemäßes Handeln: das Befragen der jeweiligen Möglichkeiten nach Abwägen wissenschaftlicher Kriterien. Zugegeben nicht ganz einfach in Zeiten der Fake-News auf all den neuen Kommunikations-Kanälen.
[Die folgenden sehr konkreten Beispiele wurden im Sommer 2022 geschrieben. Es möge die Phantasie des Predigers/der Predigerin walten, um die Beispiele in der Passionszeit 2023 anzupassen sowohl weltweit als auch möglicherweise lokal und ganz persönlich.]
Wie würde Jesus handeln mit Blick auf das Kriegsgeschehen in seinem Weinberg? Ich denke, seine Antwort ist klar und eindeutig und betrifft alle Kriege: „Krieg darf um Gottes willen nicht sein.“ (Erklärung des Ökumenischen Weltkirchenrates bei der ersten Konferenz 1948 in Amsterdam). Jeder Krieg tötet – egal auf welcher Seite. Und wenn jeder Mensch Gottes Ebenbild ist, wird mit jedem Treffer sein Ebenbild getötet. Mit Blick auf die zweite Säule der Abwägung, die Säule der Wissenschaft: Es mag immer Erklärungen für alle völkerrechtlichen Auseinandersetzungen geben: keine einzige rechtfertigt die Lösung durch einen Krieg. Denn jedes kriegerische Handeln bleibt heute nicht einmal lokal begrenzt. Der Weinberg Gottes, um das Bild des Gleichnisses wieder aufzunehmen, wird insgesamt massiv und auf lange Zeit zerstört.
Wie würde Jesus handeln mit Blick auf die Tatsache, dass unsere Tische zu jeder Zeit mit allen Früchten dieser Erde überreich gefüllt sind? Er würde uns vielleicht ganz schlicht fragen: Könnt ihr nicht zufrieden sein mit dem, was euer Feld gerade bietet? Warum müsst ihr an Weihnachten Erdbeeren aus Mexiko unterm Weihnachtsbaum haben oder im Februar Kartoffeln aus Ägypten und zu Ostern Trauben aus Indien? Gebt euch zufrieden mit dem, was ihr vor Ort erntet. Eure Bauern sind für euch da. Treibt sie nicht zu immer früher, immer schneller, immer mehr zu Ressourcen Verbrauchern. Denn mit Blick auf die zweite Säule erkennen wir schnell: Jede Frucht, die von weither auf unseren Tisch kommt, verbraucht unendlich viel mehr als alles, was vor Ort erwirtschaftet wird.
Und zum Schluss ein ganz besonders heikles Thema: Wie würde Jesus handeln mit Blick auf uns als Steuerzahler? Wie gern, mein lieber Freund, zahlst du deine Steuer? Ich will jetzt gar nicht auf das Thema Steuergerechtigkeit eingehen. Das ist politisch und muss dort entschieden werden. Aber gehöre ich vielleicht auch zu denen, die jedes Schlupfloch des Steuer-Sparens gleich entdecken und hindurchschlüpfen wollen? Entscheidend ist da eine andere Frage: Wie wichtig ist mir ein gut funktionierendes demokratisches System? Um es in Gang zu halten, bedarf unser Staat der Abgaben aller seiner Glieder nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten. Nur so kann unsere gesamte Infrastruktur gelingen: Kindergärten, Schulen, Straßen, Freizeitanlagen und und und. Vielleicht hätte Jesus mehr Spaß an einem freudigen Steuergeber als an jedem Steuerfuchs. Zumindest lohnt es, sich vor den Spiegel zu stellen und darüber mal ganz persönlich nachzudenken.
All diese Beispiele zeigen zum einen die Komplexität unserer Welt im Jahre 2023. Sie zeigen aber auch unsere Möglichkeiten. Mögen wir uns doch als gute Pächter in Gottes Weinberg erweisen. Strecken wir den Kopf nicht in den Sand, sondern bleiben wir hellwach, um Gottes gute Schöpfung in all ihren Teilen zu bewahren und unserem Schöpfer, dem Herrn des Weinbergs, aus vollem Herzen Dank zu sagen, dass er uns diese wunderbare Erde überlassen hat!
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre uns alle vor Kleinglaube und Hochmut.
Amen.
Verfasser: Pfarrer Friedhelm Jakob, Ludwigshafen-Edigheim
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