Von Paulus, Saulus und anderen Extremisten
von
Predigtdatum
:
14.08.2016
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
10. Sonntag nach Trinitatis - Israelsonntag: Gedenktag der Zerstörung Jerusalem
Textstelle
:
Apostelgeschichte 9,1-9.(10-20)
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Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die
Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
im heutigen Predigttext geht es um die Bekehrung des Saulus zum Paulus. Das ist eine Geschichte, die sprichwörtlich geworden ist. Wenn ein Mensch eine Wandlung vollzieht, die so tiefgreifend ist, dass sie unwahrscheinlich, ja ganz unglaublich erscheint, dann wird das gesagt: Vom Saulus zum Paulus.
Oder man spricht von einem „Damaskuserlebnis“, weil Paulus seine Wandlung auf dem Weg in die Stadt Damaskus vollzogen hat. „Na, wann hast du denn dein Damaskuserlebnis gehabt?“ So wurde ich einmal etwas süffisant gefragt. Ich hatte nie eines, jedenfalls nichts, was so spektakulär und plötzlich gewesen wäre und so einen totalen Bruch mit dem Vorherigen bedeutet hätte. Aber Wandlungen kennen wir natürlich alle, an uns selbst und an anderen, ich auch. Es gibt Wendepunkte im Leben, manchmal von außen angestoßen, manchmal von innen, durch die sich vieles verändert und man hat fast das Gefühl, ein neuer Mensch geht daraus hervor. So ist das in der Geschichte, die wir gleich hören. Sie steht im 9. Kapitel der Apostelgeschichte:
1 Saulus schnaubte immer noch Drohung und Mord gegen die °Schülerinnen und Schüler des °Herrn. Er trat an den Hohenpriester heran 2 und erbat sich von ihm Briefe an die °Synagogen in Damaskus: Wenn er dort welche finde, die sich an diese Richtung hielten, wolle er sie, Männer wie Frauen, gefesselt nach Jerusalem bringen. 3 Als er auf der Reise nahe an Damaskus herankam, umstrahlte ihn plötzlich Licht vom Himmel her. 4 Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte: »Saul, Saul, was verfolgst du mich?« 5 Er sagte: »Wer bist du, °Herr?« Der antwortete: »Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Jetzt aber: °Steh auf und geh in die Stadt! Dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst.« 7 Die Männer, die mit ihm reisten, standen sprachlos da; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemanden. 8 Saulus °erhob sich vom Boden. Obwohl er die Augen offen hatte, konnte er nichts sehen. So führte man ihn an der Hand nach Damaskus hinein. 9 Drei Tage lang konnte er nicht sehen; und er aß nicht und trank nicht. Bibel in gerechter Sprache
Ja, das ist spektakulär: Ein Licht vom Himmel, die Stimme Christi und der ehemalige Verfolger der christlichen Gemeinden, Saulus, der Drohung und Mord gegen sie schnaubte, wandelt sich zum Propheten und Verkündiger. Das ist schwer zu glauben, auch für die Christen in Damaskus. Einer von ihnen, Hananias, der hingehen soll, um Paulus von seiner Blindheit zu heilen, führt dann auch an, was er alles von ihm gehört hat: Dass er die Christen und Christinnen verhaften soll, dass er das in Jerusalem schon getan hat, dass er Todesurteile und Steinigung gebilligt hat. Trotzdem schickt die Stimme, die Saulus im Licht erschienen ist, Hananias, dahin, lässt ihn Saulus die Hände auflegen, ihm die Geisteskraft zusprechen und Saulus wird geheilt. Er kommt wieder zu Kräften und – so heißt es – hielt sich einige Tage bei den °Schülerinnen und Schülern in Damaskus auf 20 und verkündete sogleich in den Synagogen, dass Jesus der °Sohn Gottes sei. 21 Alle, die es hörten, konnten es nicht fassen und sagten: »Ist das nicht der, der in Jerusalem denen hart zusetzte, die diesen Namen anrufen, und der deshalb hierher gekommen ist, um sie gefesselt zu den Oberpriestern zu bringen?« Ja, das ist der.
Und er wird einer der einflussreichten Reisenden zur Ausbreitung des Christentums und zur Gründung von Gemeinden werden. Ohne Paulus, alias Saulus wäre das Christentum anders geworden, als es heute ist. Wie es sich entwickelt hätte, wissen wir nicht genau. Aber Paulus hat Meilensteine gesetzt. Er, als ehemals fanatischer Gläubiger, hat um der Öffnung der Gemeinden willen, dann fast völlig auf das jüdische Ritualgesetz verzichtet. Ob koscher oder nicht, beschnitten oder nicht, das war ihm selber ganz bestimmt nicht egal, aber er hat es für andere nicht zur Auflage gemacht. Er hat vielmehr ganz auf die Freiheit und die Botschaft Christi gesetzt, nicht auf rituelle Regeln und Gesetze.
Also vor die Frage gestellt: Bringe ich den Leuten jetzt was über koscheres Essen oder halal Kochen bei und verpflichte sie darauf? Oder sollen doch alle essen, was sie wollen und ich bringe ich ihnen etwas über die christliche Freiheit, über Gnade und Erlösung bei und wie sie in dem Zusammenhang gut miteinander leben können, da hat er Letzteres gewählt.
Das sagt noch nichts über die Bedeutung von Essen aus und nichts über koschere oder halal Küche sondern nur über Prioritäten und ob z.B. Essen und andere religiöse Vorschriften trennend zwischen Menschen stehen müssen oder nicht.
Mit seiner Methode der kulturellen Toleranz hat Paulus so viele Gemeinden im ganzen kleinasiatischen Raum gegründet, also im heutigen Syrien, Libanon, Griechenland, Türkei, wie niemand sonst, von dem oder von der wir wissen.
Die ältesten erhaltenen christlichen Schriften sind die echten Paulusbriefe (1.Thess., ca. 40 n.Chr.). Und doch: Immer wieder wurde gesagt, Paulus habe das Christentum verfälscht: Er habe Jesus selbst überhaupt nie kennengelernt – das stimmt.
Von dem, was die Evangelien später über Jesu menschliches Wirken erzählen, wisse er scheinbar nichts. Er kenne nur Kreuz und Auferstehung – es scheint in den Briefen tatsächlich fast so. Keine Heilungen, keine Wunder, keine Geschichten, keine Gleichnisse...
Das ist schon beachtlich, das ist eine ganz besondere Spielart Christentum, eine Art Philosophie jüdischen Ursprungs. Paulus war ja geschulter jüdischer Gelehrter. Er sprach auch griechisch und hatte römisches Bürgerrecht. Saulus ist sein jüdischer, Paulus sein griechischer bzw. lateinischer Name. Man kann sich an Saulus alias Paulus abarbeiten. Man kann vieles an ihm ansprechend und faszinierend finden. Man kann manches abstoßend finden, man kann ihm widersprechen und eine andere Position einnehmen, missen möchte ich ihn nicht.
Und hier haben wir nun diese Geschichte, wie er sich vom religiösen Fanatiker, der Mord und Drohung schnaubt, wandelt, wie er sich von denen helfen und heilen lässt, die er früher verfolgt hat und von da an verkündet, dass Jesus der Gesalbte, der Christus, der Retter ist.
Das ist ein Sinneswandel. Das ist wie wenn ein Extremist, ein pseudoreligiöser Extremist, ein sogenannter Islamist z.B. oder ein rechter Extremist plötzlich sehen, was sie angerichtet haben, die Seiten wechseln und nun versuchen, wieder gut zu machen, zu retten, was zu retten ist und in die Schulen gehen und aufklären zum Beispiel. Das gibt es, solche Aussteiger, leider noch zu wenige, aber es gibt sie. Und es gibt auch Programme für Aussteiger, leider vielleicht auch zu wenige.
Demgegenüber sind ja religiöser und idelogischer Fanatismus, Mord und Drohung schnauben, gerade beängstigend oft in den Schlagzeilen. Große Teile der Region, die Paulus da bereiste und wo er sein Damaskuserlebnis hatte, sind ein Kriegsgebiet. Es scheint, als ob in der gesamten Welt gerade „Mord und Drohung geschnaubt“ und mit irgendwelcher Pseudoreligion oder Ideologie begründet würde. Und zwar nicht nur Mord und Drohung gegen die Christen oder die sog. westliche Welt.
Der größte Teil derer, die zum Ziel von Terror und Fanatismus werden und darunter leiden, sind Muslime in aller Welt: Letzte Woche ungefähr 70 Menschen bei einem Angriff in Pakistan getötet, ein Angriff auf ein Krankenhaus, wo sich Rechtsvertreter zum Begräbnis einer der Ihren eingefunden hatte, auch der war vorher ermordet worden. Vorher ungefähr 80 Menschen in Afghanistan getötet, Hazara, eine Richtung des Islam, in Indien, in Irak, im Sudan, überall. Diese Meldungen nehmen wir nur anders wahr. Und das ist ja auch verständlich und richtig, dass wir das, was in der Nähe stärker wahrnehmen, als das, was weit weg ist. Nur manchmal verzerrt das auch das Bild.
Und was lernen wir aus dieser Geschichte von Saulus alias Paulus? Ich weiß es nicht. Das ist eine schwierige Frage. Ich mache hier einige Vorschläge:
Wir können vielleicht lernen, dass Fanatismus, Mord und Drohung schnauben, eine Facette des Menschseins sind, so wie die Geschichte von Kain und Abel – so traurig das auch ist. Und wir können lernen – so unwahrscheinlich es auch scheint – dass sich ein Mensch wandeln und vom Saulus zum Paulus werden kann. Und hoffen, beten und Mittel zur Verfügung stellen, dass das im Einzelfall geschieht.
Wir können vielleicht auch lernen, uns zu erinnern an das, was diese Ursprungswandlung in einem der frühen Vertreteter des Christentums mit sich brachte: Nämlich eine Abkehr von Mord und Drohung, eine Genesung von religiösem Fanatismus, eine Heilung. Das heißt nicht, dass von an da an die Geschichte des Christentums frei ist von Fanatismus, Drohung und Mord. Leider nein! Ich könnte jetzt viele Beispiele aufzählen...
Aber zum Christentum gehört doch auch der ursprüngliche Sinneswandel, die Abkehr von Fanatismus, die Weite und die Toleranz, die Paulus alias Saulus mit seinen Reisen und seinen bunten Gemeinden erschloss, der Glaube, dass Religion befreien kann und dass sie das Leben von Menschen nicht behindern sondern fördern soll...
Auf diese Tradition der Toleranz können wir sehr stolz sein. Die sollten wir schätzen. Und nicht nur das Christentum kennt diese Tradition, auch im jüdischen und muslimischen Galuben und anderen Religionen gibt es das: Toleranz und Freiheit.
Das gilt es weiter zu entwickeln.
Und wir können lernen die Wandlungen mit Achtung zu betrachten, unsere eigenen Wandlungen, aber auch die anderer. Sich zu verändern ist ein Zeichen dass wir lebendig sind. Wahrscheinlich haben die wenigsten von uns so einen Sinneswandel durchgemacht wie Paulus. Aber wer weiß, manche Biografien aus der Zeit des Krieges kommen dem vielleicht schon näher. Die meisten von uns – zum Glück, muss man sagen – kennen wahrscheinlich etwas sanftere Verwandlungs- und Veränderungsprozesse, wo etwas Neues langsamer beginnt und wächst. Aber vielleicht kennen manche auch heftige, leidenschaftliche Veränderungen. Und da stellt sich immer die Frage: was macht man jetzt mit der eigenen Geschichte, mit dem was vorher war? Es gehört ja zu einem dazu. Paulus hat aus dem, was er war und wie er wurde, was er ist, keinen Hehl gemacht. Er hat versucht, das beste daraus zu machen. Also auch, wer meint, mit sich und seiner Biografie oder in einer bestimmten Situation auf einem Scherbenhaufen zu stehen, kann daraus etwas machen. Paulus hat das im Römerbrief so gesagt: Wir glauben, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. (Röm. 8,28) Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Fortsetzung des Textes, Apg 9,10-22 (Bibel in gerechter Sprache):
… 10 In Damaskus gab es einen Schüler namens Hananias. Zu ihm sagte der °Herr in einer Vision: »Hananias!« Der sagte: »Da bin ich, Herr.« 11 Darauf der Herr zu ihm: »Auf, geh zur ›Geraden Gasse‹ und suche im Haus des Judas einen Saulus aus Tarsus auf! Er wird dir auffallen, weil er betet. 12 Und er hat in einer Vision einen Mann namens Hananias gesehen, wie er hereinkam und ihm die Hände auflegte, damit er wieder sehe.« 13 Hananias antwortete: »Herr, ich habe von vielen über diesen Mann gehört, was alles er deinen °Heiligen in Jerusalem Böses angetan hat. 14 Auch hier hat er Vollmacht von den Oberpriestern, alle festzunehmen, die deinen Namen anrufen.« 15 Der °Herr sagte zu ihm: »Geh nur hin! Denn diesen habe ich mir als Werkzeug ausgewählt, um meinen Namen vor °Völker zu tragen, vor Königinnen und Könige und vor das °Volk Israel. 16 Ich will ihm nämlich zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muss.« 17 Hananias ging weg, ging in das Haus, legte ihm die Hände auf und sagte: »Saul, lieber Bruder, der Herr hat mich geschickt, Jesus, der dir auf dem Weg, den du kamst, erschienen ist. Du sollst wieder sehen und von heiliger °Geistkraft erfüllt werden.« 18 Sogleich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er konnte wieder sehen. Er °stand auf und °ließ sich taufen, 19 nahm Speise zu sich und kam wieder zu Kräften.
Er hielt sich einige Tage bei den °Schülerinnen und Schülern in Damaskus auf 20 und verkündete sogleich in den Synagogen, dass Jesus der °Sohn Gottes sei. 21 Alle, die es hörten, konnten es nicht fassen und sagten: »Ist das nicht der, der in Jerusalem denen hart zusetzte, die diesen Namen anrufen, und der deshalb hierher gekommen ist, um sie gefesselt zu den Oberpriestern zu bringen?« 22 Saulus aber trat immer stärker auf und brachte die in Damaskus wohnenden Jüdinnen und Juden durcheinander, indem er darlegte, dass Jesus der °Gesalbte sei.
Pfarrerin Margit Binz, Nauheim
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Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
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