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Weltgericht

von Juliane Rau (39104 Magdeburg)

Predigtdatum : 18.11.2007
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Jeremia 8,4-7
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Wochenspruch:


Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.
(2. Kor. 5,10)
Psalm: 50,1.4-6.14-15.23

Lesungen

Altes Testament:
Jeremia 8,4-7
Epistel:
Römer 8,18-23 (24-25)
Evangelium:
Matthäus 25,31-46

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 147
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Wochenlied:
EG 149
Es ist gewisslich an der Zeit
Predigtlied:
EG 353,1+3-5
Jesus nimmt die Sünder an
Schlusslied:
EG 152,1+4
Wir warten dein, o Gottes Sohn

Liebe Gemeinde!
Die Älteren unter ihnen erinnern sich vielleicht noch an folgenden Witz: Fritzchen geht mit seiner Großmutter spazieren. Da erblickt er einen Bonbon auf der Straße. „Oma, darf ich den Bonbon aufheben?“ fragt er. „Nein“, antwortet ihm die Großmutter, „was auf Straße liegt, darf man nicht aufheben.“ So geht es ein ums andere mal fort mit allen möglichen Dingen, die so auf der Straße rumliegen können, z.B. ein 50-oder gar 100-Euro-Schein.
Plötzlich stolpert die Großmutter und fällt hin. Sie wartet, dass Fritzchen ihr beim Aufstehen hilft. Aber der Enkel tut gar nicht dergleichen. Und als sie ihn schließlich fragt, ob er denn nicht helfen will, sagt er: „Aber Oma, was auf der Straße liegt, darf man nicht aufheben.“
Tja, da liegt sie nun, die Großmutter, und wird von ihrer eigenen vermeintlichen Weisheit eingeholt. Sie war sich sicher, dass sie einen allgemeingültigen Satz sagt, etwas grundsätzlich Richtiges. Doch plötzlich merkt sie am eigenen Leib: das stimmt ja gar nicht. Ich dachte, dass es immer stimmt: was auf der Straße liegt, darf man nicht aufheben. Aber nein. Das stimmt nicht immer. Regeln gelten nicht immer, es gibt die berühmten Ausnahmen.
Vermeintlich einfache Weisheiten und Erkenntnisse haben also ihre Grenzen. Es ist uns Menschen eigen, einmal gefundene Weisheiten und Regeln so oft wie möglich anwenden zu wollen. Im negativen Sinn nennt man das gesetzlich, im positiven heißt das prinzipienfest. Solange man in seinem eigenen Leben nicht den Grenzbereich der Regel berührt, ist alles in Ordnung. Aber was, wenn die bisher geliebten Regeln so störrisch, unlebendig, lebenshindernd werden? Was, wenn die eigene Biographie, die eigenen Erlebnisse, anders gehen als gedacht? Gibt es dann nicht ein Problem? Wohl dem, der dann nicht vom vermeintlichen Glanz des Gesetzes geblendet ist! Wohl dem, der in der Lage ist, genauer hinzusehen auf die Irrungen und Wirrungen!
Ich lese den Predigttext für heute aus dem Buch des Propheten Jeremia im 8. Kapitel:

4 Sprich zu ihnen: So spricht der Herr: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? 5 Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht mehr umkehren wollen. 6 Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: was hab ich doch getan! Sie laufen alle den gleichen Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. 7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will die Rechte des HERRN nicht wissen.

Jeder, der fällt, will gern wieder aufstehen. Manches Mal braucht er dabei Hilfe und wundert sich, wenn keiner hilft (siehe Fritzchen und seine Großmutter).
Israel ist gefallen. Aber es streckt nicht die Hand aus. Keiner soll Israel helfen, weil Israel gar nicht hilfsbedürftig ist, meint es von sich selbst. Das Volk Israel liegt am Boden, aber merkt es nicht. Anders als Fritzchens Oma, die den Schmerz und die Scham wohl merkt. Zwar erst dann, als es am eigenen Leibe schmerzt, aber sie erkennt die Grenze ihrer vermeintlichen Weisheit. Israel merkt nichts, ist unbelehrbar. Gott ist traurig, wütend, scheint fasst hilflos zu sein gegenüber soviel Verstocktheit.
Ein ganzes Volk verblendet, geblendet von der eigenen Überheblichkeit. „Wozu brauchen wir Hilfe“ hört man sie sagen. „Wir sind Gottes erwähltes Volk. Wir machen alles richtig. Uns kann es gar nicht schlecht gehen.“
Liebe Gemeinde! Wie schnell geht das: eine herausgehobene Stellung verwandelt den und die Herausgehobenen in überhebliche Menschen, die Nase immer fein in den Himmel gestreckt und blind für die ganz normalen Bodenwellen des Lebens. So ein Gang mit der Nase nach oben mag ja eine ganze Weile lang gut gehen. Wenigstens solange, solange der Weg eben ist. Doch welcher Weg ist schon immer eben, ohne Gefahren, ohne Versuchungen, ohne Hindernisse? Doch ist das Leben nicht unabhängig von anderen Menschen, von Freunden und Familienmitgliedern, von Arbeitskollegen, von Nachbarn, von Chefs, von der großen und der kleinen Politik. Was ist schon von Anfang bis Ende hundertprozentig kalkulierbar. Dinge verändern sich, und wir sind mitten drin. Was uns vor 20 Jahren stimmte, kann heute schon lange nicht mehr stimmig sein.
Eben weil sich Bedingungen ständig ändern und wir mit ihnen, kommt auch auf der vermeintlich geradesten Lebenspiste irgendwo und irgendwann einmal ein Hügel. Sei es, dass wir ihn selbst dort platziert haben, sei es, dass andere ihn platziert haben. Und so schleppen wir unsere Bodenwellen, unsre Risse und Spalten mit und mit und mit.
Gott will uns genau dabei Begleiter sein. Er will uns helfen, den Blick weg vom Himmel hin wieder auf den Weg, auf die Erde zu lenken. Seht hin, damit ihr nicht zu Fall kommt.
Hier, auf dem Weg, auf der Erde, spielt sich mein, dein, unser Leben ab. Hier gilt es hinzusehen, sich nichts vorzumachen. Wer genau auf den Weg sieht und genau in den Spiegel schaut, der sieht die Hügel, Ecken und Kanten. Der sieht, wo man stolpern kann oder sich blaue Flecke holen oder wo das Gesicht seine Kerben hat. Hier, mitten im Leben, kommt uns Gott entgegen. So werden wir es im Advent wieder feiern.
Gott ist unsere Stärke mitten im Leben. Im Scheitern an unseren eigenen Lebensregeln („Was auf der Erde liegt, wird nicht aufgehoben“) reicht er uns die Hand. Vielleicht gehört zu diesem tiefen Vertrauen können in Gott das Spüren der eigenen Scham, des eigenen Schmerzes, des eigenen Scheiterns. (Fritzchens Oma hat die Hilfe erbeten, als ihr ihre Situation bewusst wurde.)
Gott leidet unter der menschlichen Überheblichkeit, die sagt: als Kind Gottes mache ich alles richtig. Nein, ich werde nie fallen. Solche Überheblichkeit ist einerseits unbegründet, nicht haltbar, lebensfremd. Und andererseits verdrängt sie Gott aus dem Leben. Am Ende wird diese Überheblichkeit am Leben scheitern, und solch ein Mensch wird einsam und verhärtet. Weil Gott aber genau das nicht will, hält er uns heute diese Strafrede aus dem Jeremiabuch. Sie ist an uns alle gerichtet und mahnt uns zur Wachsamkeit gegenüber uns selbst und unseren Überheblichkeiten.
Ehrlichkeit und Offenheit als Wert um meiner, um unserer selbst willen sollen in uns und unter uns einen festen Platz haben. Dann braucht sich keiner zu ängstigen vor dem Richterstuhl Christi, vor dem wir alle offenbar werden müssen (siehe Wochenspruch).
Gott will nicht den untadeligen Menschen. Was wäre das auch für ein Mensch, der nur nach den Gesetzen lebt, aber von der befreienden Gnade nichts weiß? Gott ist und bleibt, bei allen deutlichen Worten am heutigen Tag, der liebende Gott. Ihm liegt unser glückendes Leben am Herzen, deswegen spricht er uns an in aller Deutlichkeit und Klarheit und mit allem Nachdruck. Deswegen aber wird er uns auch im kommenden Advent wieder entgegenkommen mitten in unserem Leben. Amen.

Verfasserin: Provinzialpfarrerin Juliane Rau, Am Dom 2, 39104 Magdeburg,
E-Mail: juliane.rau@ekmd.de

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