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Weltgericht

von Christiane Braungart (Zentrum Verkündigung der EKHN)

Predigtdatum : 14.11.2010
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Römer 8,18-23.(24-25)
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Wochenspruch:

„Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ (2. Korinther 5, 10)

Psalm: 50, 1.4 – 6.14 – 15.23

Lesungen

Altes Testament:
Jeremia 8, 4 – 7
Epistel:
Römer 8, 18 – 23 (24 – 25)
Evangelium:
Matthäus 25, 31 – 46

Liebe Gemeinde,
früher standen sie wie selbstverständlich auf den Ladentischen der kleinen Geschäfte in unseren Dörfern und Städten. Die Älteren von Ihnen werden sich noch gut daran erinnern. Die Jüngeren von uns kennen es wahrscheinlich kaum noch, vielleicht noch am ehesten die Mädchen, die einen Kaufladen hatten: Ich meine die Waage mit den zwei verschiedenen Waagschalen. Wollte man z. B. ein Kilo Mehl kaufen, so stand das nicht fertig abgepackt in den Regalen, sondern wurde jedes Mal genau ausgewogen. Und so nahm man das Gewicht mit genau einem Kilo und legte es in die eine Schale und in die andere Schale legte man entsprechend viel Mehl in einer Tüte. Und erst wenn beide Waagschalen im Gleichgewicht waren, wusste man, dass man genau ein Kilo Mehl in der Tüte abgewogen hatte.
Oder umgekehrt, wollte man z. B. drei Heringe kaufen, so legte man diese in die eine Waagschale und probierte nun nach und nach mit einzelnen Gewichten, um herauszufinden, wie viel diese wogen, um danach den Preis zu bestimmen.
Dieses Bild von einer Waage mit zwei Waagschalen scheint dem Apostel Paulus vor Augen zu stehen, wenn er die Zeiten des Leidens und die Zeit der Herrlichkeit miteinander ins Verhältnis zu setzen sucht.
Da ist zuerst die Zeit des Leidens. Es geht wohl kein Mensch über die Erde, der nicht in der einen oder anderen Form die Bekanntschaft mit dem Leid gemacht hat. Sei es, dass große Wünsche und Sehnsüchte unerfüllt bleiben, Möglichkeiten nicht genutzt werden können, sei es, dass ein früher Tod eines nahen Angehörigen das Leben überschattet, sei es, dass man an einer chronischen Krankheit leidet, die die Lebensmöglichkeiten so sehr einschränkt, dass von Lebensfreude, ja von Lebenslust nicht die Rede sein kann. Sei es, dass die Trennung von einem Ehepartner die Pläne für die eigene Familie jäh zerstört hat oder dass die Arbeitslosigkeit in einem das Gefühl von Minderwertigkeit hervorruft und man Angst um die materielle Zukunft haben muss. Kein Mensch bleibt also in seinem ganz persönlichen Leben vom Leiden verschont.
Heute begeht unser Land den Volkstrauertag und damit kommt noch eine ganz andere Dimension des Leidens in den Blick, die für uns Deutschen besonders bedrückend und belastend ist. Zwei Weltkriege haben manche von den Älteren miterleben müssen. Millionen von Toten sind zu beklagen. Und was für die einen nur Zahlen in den Geschichtsbüchern, Statistiken sind, das ist für die anderen ihre unverwechselbare, einmalige Lebensgeschichte. Und die konnte im Einzelnen so aussehen: Tod des Kindes, des Mannes, des Bruders, Verlust der Heimat, Verlust an Lebensperspektiven, Verlust an Gesundheit.
Obwohl jetzt schon über 50 Jahre seit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges vergangen sind, so ist er mit seinen leidvollen Erfahrungen immer noch in denen lebendig, die ihn miterleben mussten und in denen, die Eltern haben, die davon betroffen waren.
Albträume quälen manche ehemaligen Soldaten bis heute, Albträume belasten Frauen mit ihren schrecklichen Erlebnissen auf der Flucht, Albträume bei denen, die Bombernächte erleben mussten. Aber auch die Generation, die selbst nicht mehr den Krieg erleben musste, die aber Eltern hatten, die im Krieg waren, die berichten mir bis heute von den Verletzungen, äußerlich und innerlich, die diese erfahren mussten, und die deren Persönlichkeit und damit das Familienleben beschwert haben.
Persönliches Leid in einem Menschenleben, Leid im Leben eines Volkes, im Leben ganzer Generationen, das wiegt schwer. Doch da ist nicht nur das Leid, das unser Volk erleiden musste, sondern auch das Leid, das anderen im Namen unseres Volkes angetan wurde. Auch hier steht hinter jeder Zahl ein Einzelschicksal, eine Geschichte. Leid, unfassbares Leid ist hier geschehen.
Und als ob dies nicht schon genügt, die Waagschale des Leidens tief nach unten ziehen, so erinnert uns Paulus mit seinen Worten daran, nicht beim menschlichen Leiden Halt zu machen, sondern die ganze Schöpfung mit hinein in den Blick zu nehmen.
„Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.“
Nicht nur wir als Menschen leiden, als Generation, als Volk, als Rasse, sondern auch die Schöpfung leidet, die Natur, die Bäume, die Tiere. Und wenn der Spatz zum Vogel des Jahres ausgerufen wird, so versteht man nicht mehr die Welt. Mit der Spatzenschleuder ging man früher auf die Jagd nach ihm, weil er so zahlreich war und jetzt soll er vom Aussterben bedroht sein? Das Klima spielt verrückt, weil wir uns nicht entscheiden können, die Schadstoffausstöße zu verringern. Die Pole werden abschmelzen und das hat zur Folge: Schneestürme in den Wintern und verzehrende Hitze in den Sommern.
Die Schöpfung ist bedroht und wenn die Tiere und die Pflanzen kaum noch Lebensraum finden, so werden wir, früher oder später, auch keinen mehr finden.
Wenn wir nun zurückkehren zum Bild der Waage mit den beiden Waagschalen und uns vorstellen, wir würden all dieses Leid in die eine packen, so können wir uns, wenn wir ehrlich miteinander sind, nicht vorstellen, welches Gewicht auf der anderen Seite, dieses Leid auch nur um einen Zentimeter heben könnte. Zu schwerwiegend sind hier die Erlebnisse und Erfahrungen. Unsere Waagschale ist bis über den Rand gefüllt. Gefüllt mit Leid, gefüllt mit geweinten und unge-weinten Tränen bis hin zum Überfließen.
„Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen wird gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden wird.“
Das ganz und gar Unvorstellbare, soll geschehen. Die Waagschale, die durch das Leid, unser persönliches, durch das Leiden unseres Volkes, durch das Leiden der ganzen Schöpfung, so tief am Boden gehalten wird, soll sich nicht nur um einen Zentimeter in die Höhe bewegt werden. Schon das halten wir mit unserem menschlichen Verstand für völlig unmöglich. Nein, es soll so sein, als ob die Waagschale mit unserem Leid sich in die Höhe bewegen soll, über das Gleichgewicht hinaus, ja weit über das Gleichgewicht hinaus. Es ist so, als ob die Waagschale unseres Leidens mit einem Schlag in die Höhe katapultiert werden soll. Die Zeit des Leidens soll nicht ins Gewicht fallen. Es soll nichts mehr wiegen, es soll nicht ins Gewicht fallen. Denn die andere Waagschale, so die Vorstellung, ist gefüllt mit einer Herrlichkeit, die die andere Waagschale mit Leid bei weitem übersteigt. Die Waagschale mit der Herrlichkeit verleiht der Waagschale mit der Zeit des Leidens gleichsam Flügel. Und trägt sie davon mit all ihren Erfahrungen des Leidens, all den Erinnerungen, die belasten und niederdrücken, wischt ab alle Tränen. Aus Dunkelheit wird Licht.
Mit diesem Vers stellt uns Paulus verheißungsvoll das vor Augen, was geschehen wird, worauf wir zugehen sollen. Er malt uns die Zukunft vor Augen, die Gott schenken wird, nicht die Gegenwart, in der wir stehen. Obwohl Paulus ganz gewiss ist, dass es so kommen wird, leugnet er nicht, was ist. Persönliches Leid hat er in seinem Leben selbst erfahren. Er ist also weit davon entfernt, sie für nichtig zu halten. Dass die Zeit der Herrlichkeit die Zeit des Leidens weit überstrahlen wird, dessen ist er sich gewiss. Jetzt ist noch nicht so weit. Aber er will versuchen unseren Blick von der momentanen Erfahrung des Leidens hin zu lenken, auf das, was uns verheißen ist, was Gott uns schenken wird: Sehet auf und erhebet eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht.
Beides ist also da in unserem Text: die große Hoffnung, die Gewissheit dessen, was kommen wird, nämlich die Herrlichkeit, und das Ernstnehmen dessen, was ist: das Leiden.
Und er beschreibt unsere Situation mit eindringlichen Worten: von ängstlichem Warten ist da die Rede, vom dem, was mit Bestimmtheit auf einen zukommt, von der Vergänglichkeit. Paulus redet von Knechtschaft, dass wir nicht Herr über uns selber und über unser Leben, Seufzen und Klagen sind, ist ihm bekannt. Ganz zutreffend beschreibt Paulus die Zeit des Leidens. Aber da ist noch ein anderes Moment, ein anderer Aspekt in unserem Predigttext. Paulus redet vom Warten, vom Harren angesichts des Leides und der Vergänglichkeit, in der wir gefangen sind. Warten und Harren worauf?
Man kann das Leiden mit oder ohne Hoffnung tragen. Man kann leben, als hätte das Leiden und damit der Tod das letzte Wort und man kann damit leben, als gehöre man einer Macht an, die stärker ist als der Tod.
Als Christenmenschen gehören wir dem Herrn über Leben und Tod an. Mit unserer Taufe ist die Herrschaft Gottes über uns ausgerufen worden. Das gilt, im Leben, im Leiden, im Sterben, im Tod.
Wir sind gerettet, aber auf Hoffnung hin. Einer guten Hoffnung für uns selbst, für die Menschheit, ja für die ganze Welt. Damit sind wir als Christenmenschen Menschen guter Hoffnung.
Guter Hoffnung sein. Frauen, die ein Kind erwarten, die schwanger sind, zu denen sagt man auch: sie sind guter Hoffnung. Und das Bild einer solch schwangeren Frau kann uns jetzt helfen den Übergang zu verstehen, in dem wir stehen. Der Zeit des Übergangs von der Zeit des Leidens zur Zeit der Herrlichkeit. Der Zeit des Übergangs vom Seufzen zum Jubeln, von der Angst zur Erlösung.
Für jede Frau guter Hoffnung kommt mit Bestimmtheit der Termin der Geburt. Sie spürt, dass ihr Kind, das in ihr gewachsen ist, mit Macht das Licht der Welt erblicken will. Und so setzen die Wehen ein und mit jeder rückt das neue Leben näher. Solch eine Geburt ist ein schmerzhafter Prozess. Man wird hin und her geworfen vom Schmerz, von der Qual, die unausweichlich ist. Gut, wenn man nicht allein ist, wenn jemand bei einem ist, um die Hand zu halten, um einem Mut und Trost zuzusprechen. Und doch, trotz allem Schmerz, findet man immer wieder die Kraft weiter zu machen, die Wehen zu ertragen, denn ein neues Leben bricht sich Bahn. Und dann ist es da, das neue Leben. Es ist vollbracht. Das, was bislang nur Hoffnung war, ist Wirklichkeit geworden. Und da ist Jubel und Freude ohne Maßen, Dankbarkeit und Glück. Und die Tränen, die man weint, sind Freudentränen. Man vergisst wohl nicht gleich die Schmerzen, die man durch leben musste, aber die Erfahrung, dass einem ein neues Leben geschenkt wurde, das überwiegt in der Tat alles Leiden, allen Schmerz.
Wir alle sind als Kinder Gottes Menschen guter Hoffnung, einer Hoffnung, die durch das Leben und Sterben Jesu Christi begründet ist. Und manchmal, ja da spüren wir diese Hoffnung tief in uns drinnen, da vernehmen wir dieses neue Leben in uns wie eine schwangere Frau die Bewegungen ihres Kindes. Da trägt uns die Hoffnung und unsere Tage haben schon einen Widerschein von der Herrlichkeit, auf die wir zugehen. Und doch sind wir auch Menschen in Ängsten. Wir haben gleichsam Angst vor einer Fehlgeburt, wir haben Angst vor den Wehen, Angst vor den Schmerzen, die mit jeder Geburt verbunden ist. Doch jede Geburt neuen Lebens ist nur um diesen Preis zu haben. Das Alte muss sterben, damit Neues entstehen kann. Aber Paulus malt uns vor Augen, worauf wir zugehen, worauf wir im Leiden, im Schmerz unser Augenmerk richten sollen: Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen wird gegenüber der Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Diese Aussicht soll uns Kraft und Trost und Hoffnung sein in der Zeit des Leidens, in der wir stehen bis die Waagschale der Herrlichkeit Gottes die Erfahrungen des Leidens davonträgt. AMEN

Verfasserin: Dr. Christiane Braungart, Kolberger Weg 23, 61348 Bad Homburg

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