Wenn ich das gewusst hätt....
von Regina Eske-Keller (Prädikantin)
Predigtdatum
:
07.06.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Trinitatis
Textstelle
:
Lukas 16,19-31
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Sie – wenn ich des gewusst hätt....
Ja, liebe Gemeinde, hinterher ist man immer schlauer. Aber wann ist das „hinterher“? In unserer Geschichte vom Lazarus und dem Reichen ist es erst nach dem Tode. Und dann ist es ja schon ein wenig schwierig, die anderen zu warnen. Aber hätte man das alles nicht doch schon vorher wissen können?
Nach dem Erdbeben in Fukoshima war man entsetzt über die verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt und hat man die Kernkraftwerke abgeschaltet. - Hätte man vorher wissen können!
Nach den Eroberungsfeldzügen des Deutschen Reiches fielen auch Bomben auf unsere Städte. - Hätte man vorher wissen können!
Der Klimawandel mit Unwettern und Stürmen ist eine Folge von unmäßigem CO2-Ausstoß, zu viel Verkehr und umweltschädlichen Produktionsverfahren. - Hätte man vorher wissen können!
Wenn die Ölvorräte oder anderen Bodenschätze in der Welt zu Ende gehen, gibt es Kriege um die Gebiete mit den letzten Ressourcen. - Hätte man vorher wissen können!
Die Ausbeutung der armen Länder der Welt führte zu Flüchtlingsdramen im Mittelmeer und anderswo. - Hätte man vorher wissen können!
Je reicher die Menschen in einem Land sind, desto schlechter geht es den ganz armen im Lande – die soziale Schere öffnet sich. Hätte man vorher wissen können!
Aber woher sollte man das alles wissen? - Oder wollten wir es nicht wissen?
Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören! Das ist die Antwort!
Aber woher wissen Mose und die Propheten alles das? - Das ist ja nicht gerade einfach und setzt teilweise wissenschaftliche Erkenntnis voraus.
Aber andererseits kann mir jetzt keiner erzählen, dass man nicht in der Lage wäre – zumindest in heutiger Zeit – sich zu informieren. Forscher und Experten gibt es zu all diesen Themen reichlich und überall. Und sie lassen nicht locker und über die Folgen unseres Handelns in Kenntnis zu setzen.
Nur – und da sind wir heute keinen Schritt weiter als zur Zeit des Evangelisten Lukas, der uns die Lazarusgeschichte erzählt – wenn es mich und meine Bequemlichkeit, mein Selbstwertgefühl, meine Bereitschaft zum Verzicht und zum Teilen betrifft, dann geht es ganz schnell, dass das Gehörte in irgendwelchen Kammern meines Gehirnes landet und dort eingeschlossen bleibt und mein Handeln nicht beeinflusst. Bis ich es dann auf andere Weise zu spüren bekomme.
Wenn man die Gebote für das soziale Miteinander in den fünf Büchern Mose liest, dann ist es immer wieder erstaunlich wahrzunehmen, wie viele Aspekte davon auch heute noch ganz wichtig sind: Da sind die Gesetze für den Schuldenerlass, alle sieben Jahre soll kein Gewinn erwirtschaftet werden und alle Schulden erlassen. Im 50. Jahr, also nach sieben mal sieben Jahren, ist das große Sabbatjahr mit dem Ausgleich zwischen Arm und Reich und dem vollständigen Neuanfang der Finanzen. Wäre das nicht etwas, was die Brennpunkte der Weltpolitik radikal entschärfen könnte?
Mose erhielt auch die Gebote zum Umgang mit Fremden und Flüchtlingen im Lande. Nicht bedrängt sollen sie werden, sie sollen gleiche Rechte haben.
Die Armen, auch die Witwen und Waisen sollen versorgt werden. Sie haben das Recht auf dem Acker die übriggelassenen Ähren zu sammeln, damit sie satt werden. Hören wir das, wenn wir an die Flüchtlinge, die Arbeitslosen, die Bettler und Verschuldeten in unserem Land denken? Wollen wir das hören?
Und das haben auch die Israeliten nicht hören wollen, auch die Könige in Israel und Juda waren dazu nicht bereit. Und deshalb gab es die Propheten. Das waren mutige Menschen, die einerseits in einer Beziehung zum Gott der Väter standen und andererseits die Gebote und Satzungen genau kannten. Es waren die mit dem scharfen Blick auf die Entwicklungen und Verhältnisse im Land. Und sie ließen nicht locker das Volk und ihre Regierenden zu ermahnen und zur Umkehr zu rufen.
Elia zeigte dem König Ahab, wie er durch Habgier und Intrigen seiner Frau den Nabot in den Tod getrieben hat. Amos schildert in Bildern, wie im Lande die Armen verfolgt und die Äcker ausgebeutet werden, wie das Volk ins Verderben läuft und Priester und König dem nichts entgegensetzen.... im Gegenteil sogar Teil der schlimmen Entwicklung sind.
Ahab, David, Jerobeam, und wie die Könige alle heißen, sie haben sich das von den Propheten sagen lassen, haben Buße getan, die Folgen getragen. Aber sie hätten es vorher wissen können!
Und da sind wir wieder bei den Regierenden heute. Um beliebt beim Volk zu sein, haben die Mächtigen aller Zeiten dafür gesorgt, dass die wohlhabenden im Land zufrieden sind. Und sicher ist es schwer, den Menschen zu sagen: „Du könntest zwar dies und jenes haben, aber weil das nicht gut für das Gemeinwesen ist, musst du darauf verzichten.“ Wir können das konkretisieren. Wollen Sie das hören: „Du musst mehr Steuern zahlen, damit alle Armen versorgt werden.“, oder etwa das: „Du darfst nur 1000km im Jahr mit dem Auto fahren, damit die Energiereserven für alle reichen.“, oder: „Um 22 Uhr werden alle elektrischen Lichtquellen ausgeschaltet, die nicht unbedingt für das Leben nötig sind.“? Wie wäre es damit: „Kaufe nicht die Textilien, die so billig sind, dass jeder erkennt, unter welchen unmenschlichen Bedingungen sie – möglicherweise von Kindern – irgendwo in armen Ländern produziert wurden.“, oder: „Ein Zehntel der Wohnungen in der Stadt werden Asylbewerbern kostenfrei zur Verfügung gestellt.“, vielleicht sogar ganz biblisch: „Alle Privatvermögen werden am Beginn des nächsten Jahres auf 10000 Euro begrenzt. Alles darüber hinaus geht in die Armenvorsorge.“ - würden Sie das gern hören?
Das als Regierung den Menschen vorzuschreiben ist utopisch, aber wenn wir es ernst nehmen, was Mose und die Propheten sagen, dann liegt das durchaus nahe. Und wenn man das nicht sagt, dann muss man irgendwann mit den Folgen des Klimawandels, der sozialen Schieflage, der Staatsverschuldung leben. Und dann gibt es Rücktritte von Politikern, Konflikte mit anderen Ländern, Korruptionsvorwürfe, Bündnisse wanken, Menschen gehen auf die Flucht. Und dann kommt sicher das: Hätte man vorher wissen können.
Und dafür muss man nicht erst sterben wie unser reicher Mann und der Lazarus. Lazarus wird getröstet. Die Tränen werden ihm von den Augen abgewischt. In Abrahams Schoß erfährt er eine heilsame Nähe, hier kann er den Hunger, die Verletzungen und Willkür zwar nicht vergessen, aber die Wunden tun nicht mehr weh, Angst und Schrecken weichen. Nichts wird ihn mehr bedrohen. Die Vergangenheit wird ihn nicht mehr überwältigen. Lazarus wird getröstet. Das ist die gute Nachricht.
Traurig nur, dass das erst nach seinem Tod geschieht. Warum durfte er nicht am Leben satt werden, wie Abraham, auf dessen Schoß er sitzt? Ein unabwendbares Schicksal war das nicht. Tag für Tag lag er vor der Tür eines Hauses, dessen Bewohner sich nahezu alles leisten konnte. Alle Tage lebt er herrlich und in Freuden. Wer würde sich danach nicht auch sehnen? Alle Tage herrlich und in Freuden. Da wäre es leicht gewesen zu teilen. Mit keinem Wort wird erzählt, was der Reiche versäumt hat. Die Erzählung hält sich zurück, schlägt nicht in in üble Nachrede um, aber als das gewisse Ende für beide kam, da war es am Tage. Was im Leben überbrückbar gewesen wäre, ist es jetzt nicht mehr.
„Und überdies besteht zwischen uns und euch eine tiefe Kluft , dass niemand der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.“. Hier spielt der Evangelist mit den Worten und den Bildern. Er spricht von einer unzerstörbarer Mauer, einem Erdschlund, haltbar wie das Firmament des Himmels. Vordergründig ist es der Abstand der beiden Welten, die mit Himmel und Hölle, in denen sich jeweils der Reiche und der Arme befinden, beschrieben werden. Er beschreibt damit aber auch die Kluft zwischen reich und arm. Damals und auch heute in unserer Gesellschaft ist sie unüberwindbar groß. Ich weiß auch keine Lösung für einen gerechten und umsetzbaren Umgang mit Flüchtlingen, Bettlern und sozialer Ungerechtigkeit. Aber verdecken wir durch unsere angebliche oder tatsächliche Hilflosigkeit nicht nur, dass uns das alles nur unangenehm ist und wir mit den Armen nichts zu tun haben wollen? So werden sie noch mehr isoliert. Da droht eine wirkliche Gefahr, nämlich die, dass diese Kluft endgültig unzerstörbar wird. Ein unabwendbares Schicksal wäre das dann nicht. Wir hätten das wissen können und müssten uns dann die Verantwortung dafür selber zuschreiben. Gott bestätigt mit dem undurchdringlichen Firmament nur, was wir selber nicht anders wollten.
Denk dran, Du hast Dein Leben gelebt, hast Deinen Spaß, Deine Freude und Wonne gehabt und neben Dir haben sie Böses empfangen. Vor Gott aber bleibt es dabei nicht. Das kehrt sich um, gegen uns; denn das ist sein fester Wille – Lazarus und seine Leidensgenossen in aller Welt werden getröstet.
Und an der Stelle lässt uns die Geschichte erschrecken über den Abgrund zwischen den Reichen und den Armen, der sich schon jetzt aufgetan hat, darüber zum Beispiel, wie mobil Geld und Kapital ist, das zwar im Überfluss vorhanden ist, das sich aber um nichts darum schert, wo es wirklich gebraucht würde und Segen bringen könnte. Sie lässt uns erschrecken darüber, wie flächen-deckend oft das Maß dafür verloren geht, was sozial verträglich ist und was nicht. Geld und Kapital werden von Menschen gesteuert. Menschen verantworten diesen „garstigen, breiten Graben“, von dem wir nicht wissen, ob er sich jemals schließt. Doch finden wir uns mit ihm, mit der übergroßen Kluft um Gottes Willen ja nicht ab. Noch ist sie nicht schicksalhaft. Jesus gibt uns durch Abraham den entscheidenden Hinweis in welche Richtung hin wir denken und auch handeln können. „Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören!“
Lazarus überwindet den Graben nicht, er soll es nicht tun. Das Gesetz verbietet den Kontakt mit dem Totenreich, verbietet Wahrsagerei und Zauber. Und dann ist es ausgerechnet Jesus, der hier hier die Geschichte erzählt. Er ist doch der, von dem wir bekennen: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden...“. Wozu ist er hinabgestiegen? Doch um die im Totenreich Gefangenen heraufzuholen! Muss also „ewige“ Verdammnis wirklich für immer Verdammnis sein?“ Die Frage darf gestellt werden. Doch verwandeln wir sie ja nicht in einen Anspruch oder gar in eine heimlich falsche „Gewissheit“. Wir brächten uns um die Dringlichkeit des Rufs, den Abgrund zwischen Armen und Reichen, der sich auch in der Ausbeutung der Erde und ihrer Ressourcen zeigt, in diesem Leben nicht zum endgültigen Hindernis zu machen. Und wir brächten uns um die Gottesfurcht, die dem liebenden Gott die Freiheit lässt, das zu seiner Zeit zu entscheiden. Lassen wir darum die Frage offen und hören wir lieber tätig auf Moses und die Propheten, die Experten und die Wissenschaftler. Wir können es wissen... wenn wir das wollen!