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Wer hilft mir über die Schwelle?

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 31.12.1997
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : Römer 8,31b-39
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Wochenspruch:

Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. (Ps 103,8)

Wochenlied:

EG 59 oder 64

Weitere Liedvorschläge:

EG 351; 374; 612

(Durch einen Irrtum in unserem Amt wurde dem Autor der für den Altjahrsabend vorgesehenen Predigt nicht der entsprechende Predigttext genannt. Aus diesem Grund dokumentieren wir zum Text des Altjahrsabends 1997 im Folgenden eine weitere Predigt aus einem früheren Jahr.)

„Wer hilft mir über die Schwelle?“

Es war vor Jahren bei einer Bergwanderung in Südtirol. Wir waren hoch gekommen und der Weg war schmal geworden. Dann kam ein Wegstück, wo es ganz steil und ganz schmal wurde. Niemand war mehr da, der mir hätte helfen können. Es war nicht viel, was jetzt nötig war - ein großer, mutiger, sicherer Schritt - und ich wäre auf der anderen Seite. Ich stand vor dem Wegstück, schaute auf den schmalen Tritt, der mir Stand bot und in mir war eine Stimme, die sagte: „Wenn jetzt einer da wäre, der dich halten würde, dann... Wenn jetzt einer da wäre, der dir die Hand entgegenstreckte, dann...“ Aber es war keiner da, und so bin ich stehen geblieben und dann umgekehrt. Ich hatte vor diesem großen, mutigen, sicheren Schritt auf die andere Seite zu viel Angst.

„Wer hilft mir über die Schwelle?“ so fragen viele an diesem Abend. Viele Menschen erleben den Jahreswechsel wie eine Schwelle, wie einen Einschnitt, über den sie nur mit einem großen, mutigen Schritt hinkommen. Viele brauchen Hilfe für diesen Schritt.

Woran liegt das, daß in allem Lärm und allem Trubel so ein Klang von Nachdenklichkeit, manchmal sogar von Angst zu spüren ist? Woran liegt das, daß mancher und manche diesen Abend so wenig abkann? Woran liegt das, daß manche vor diesem Abend flüchten - in das Fernsehprogramm, in eine offizielle Feier im großen Rahmen, in den Trubel, in das Vergessen, auch um den Preis eines schweren Kopfes am nächsten Tag?

Ich habe zwei Antwortversuche:

1. Es ist nicht so einfach, sich der Vergangenheit eines Jahres zu stellen. Da ist so vieles, das besser nicht gesagt und nicht getan worden wäre. Da ist so vieles, das nie hätte geschehen dürfen. Da ist aber auch so vieles, was wir hätten tun sollen, und wir haben es unterlassen: der Brief an einen Menschen, der schon lange auf eine Nachricht von uns wartet, wurde nie geschrieben; der Besuch bei einem, den wir ganz fest versprochen hatten, ist bis heute nicht gemacht. Da ist Unrecht, das wir mit angesehen haben und wir hatten Angst, uns einzumischen und sind weggegangen und wußten doch schon beim Weggehen: eigentlich...

Wer sich seiner Vergangenheit des vergehenden Jahres stellt, der sieht nicht nur Erfolge, nicht nur Glück, nicht nur Freude - der steht auch vor seinem Versagen und Verzagen, vor seiner Schuld.

2. Und das andere: Die Zukunft, in die wir hineingehen, ist ungewiß. Das ist, als ob wir vor einer Tür stehen, von der wir nicht wissen, was sich hinter ihr verbirgt. Wartet dort neues Glück auf uns, oder wartet dort Leiden? Wartet dort die Erfüllung unserer Hoffnungen oder erwartet uns hinter dieser Tür das Zerbrechen, die Enttäuschung so manchen Lebenstraumes?

Wir sind nicht die Herren unserer Zukunft. Wir haben nicht in der Hand, was im neuen Jahr auf uns zukommen wird.

Dies beides läßt den Abend des Silvester zu einer Schwelle werden. Dies läßt ihn für manchen wie einen Abgrund erscheinen. Wer hilft mir über die Schwelle?“

31b Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? 32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. 34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.

35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? 36 wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«

37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. 38 Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Gott ist für uns da. So ruft es uns Paulus entgegen. Gott ist für uns - daran darfst Du Dich halten, wenn Du auf Deine Vergangenheit schaust. Was Du nicht tragen kannst aus dem Jahr, das hinter Dir liegt - Er hat es getragen. Wo Du in Dir Anklagen hörst gegen Dein Handeln, gegen Dein Reden - Er hat diese Anklagen am Kreuz abgegolten. Wo Du Dir selbst das Urteil sprechen mußt in den Verhandlungen Deines Herzens, da hat er den Schuldspruch schon auf sich genommen in seinem Sohn Jesus Christus.

Das ist gute Nachricht - Evangelium, fester Grund: Ich muß nicht alleine fertig werden mit dem, was hinter mir liegt. Ich muß mich nicht mehr selbst entschuldigen. Ich muß mir auch nicht mehr über mich selbst Illusionen machen. Ich muß auch nichts mehr an mir selbst beschönigen, weil die Wahrheit unerträglich wäre. Ich muß auch nicht den Ekel an mir selbst, der mich befallen könnte, herunterspülen und ersäufen in einem Meer des Vergessens.

Nein, ich kann auf meine Vergangenheit sehen und sagen: Das alles hast Du Gott, für mich geklärt. Nichts aus den Tagen, Wochen, Monaten, die hinter mir liegen, darf mich von deiner Liebe scheiden - Du hast alles gesehen und es unter dein Vergeben gestellt.

Und nichts, was noch kommt, kann uns scheiden von der Liebe Gottes - so ruft es Paulus uns zu.

Paulus kann nicht - so wenig wie wir - in die Zukunft sehen. Er hat keinen Erdspiegel, er hat keine Glaskugel, er hat keinen Wahrsager - das alles hat er nicht nötig. Er braucht kein Horoskop, das ihm sagt, was morgen kommt. Die Zukunft bleibt verborgen - in ihrem Schönen und in allem Schweren. Aber über aller Zukunft steht diese Gewißheit: Sie ist umfaßt von Gott. Sie kommt aus den Händen Gottes, der mich und diese Welt unendlich liebt. Sie kommt aus den Händen Gottes, der mir das Leben schenken will. Ich darf zuversichtlich nach vorne gehen, weil alles, was kommen mag, von ihm schon umfaßt ist.

Solche Gewißheit hat einen festen, guten Grund: In Jesus Christus hat sich Gott auf uns festgelegt - hat sich für uns buchstäblich festnageln lassen. In Jesus Christus hat Gott ein für allemal das Ja seiner Liebe zu uns gesagt. In Jesus Christus hat Gott sich ein für allemal an uns hingeschenkt.

Diese Gewißheit ist bei Paulus nicht daraus erwachsen, daß er hätte sagen können: Ich bin doch ein guter Mensch, ich habe mir nichts vorzuwerfen, es ist alles paletti.

Nein, sein Leben hat viele Brüche. Da ist viel Schuld im Leben dieses Mannes Paulus. An seinen Händen klebt Blut; der Schritt seiner Füße hat Menschen Unheil gebracht; in seinem Herzen hat der blanke Haß seine Wohnung gehabt.

Da sind auch Narben in seinem Leben: Er hat Schäge beklommen, die er nie mehr aus seinem Gedächtnis hat streichen können. Er hat Schrecken erfahren, die ihn wohl manche Nacht haben aufschrecken lassen wie aus einem tiefen Alptraum.

Da sind schließlich seine Pläne, von denen er nicht weiß, ob sie jemals zustande kommen Er hat im Lauf seines Lebens gelernt, daß er nicht der ist, der sein Leben meistert, der seine Pläne immer ans Ziel bringt. Wie viel ist ihm durchkreuzt worden!

Aber mitten in solchen Erfahrungen ist ihm Jesus begegnet und hat sein Herz gewonnen. Seitdem ist in Paulus diese Gewißheit da: Nichts aus meiner Vergangenheit kann mich ihm wegnehmen. Nichts in der Zukunft kann mich von ihm scheiden. Seit er Jesus als seinen Herren und Gott erkannt und angenommen hat, ist dies sein Felsengrund: Ich stehe mit meinem ganzen Leben in der Hand meines Herren.

Das möchte ich uns sagen - mir mit meinem bangen Herzen und Dir in Deine Sorgen und Ängste, in Dein Suchen und Fragen hinein: So dürfen wir auch mit Jesus rechnen. So können wir ihn auch erfahren - als den Herrn, der unsere Vergangenheit klärt, klar macht und als den Herren, der in unserer Zukunft bei uns ist. So gewiß wie Paulus können und dürfen wir auch werden - im Vertrauen zu Jesus und zu seiner Liebe.

„Wer hilft mir über die Schwelle?“

Ich weiß nur einen, der uns helfen kann, so daß uns keine Vergangenheit festhalten darf. Ich weiß nur einen, der uns helfen kann, so daß wir nicht in den Abgrund unserer Ängste und die tiefen Angründe der Zeit stürzen. Ich weiß nur einen, der uns helfen kann, so daß wir getrost gehen können, auch wenn wir noch nicht sehen, was kommen wird: Jesus Christus.

Pfr. Paul Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg


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