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Zeit der Erwartung des kommenden Gottes

von Ute Niethammer

Predigtdatum : 30.11.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 1. Advent
Textstelle : Matthäus 21,1-9
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Wochenspruch:
"Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer." (Sach 9,9)

Psalm: 24 (EG 712)


Lesungen
Altes Testament: Jeremia 23, 5 - 8

Epistel: Römer 13, 8 - 12

Evangelium: Matthäus 21, 1 - 9

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 19, 1 - 3 O komm, o komm du Morgenstern
Wochenlied: EG 4 oder EG 11, 1 - 3.5 Nun kommt der Heiden Heiland oder
Wie soll ich dich empfangen
Predigtlied: EG 1, 1 - 5 Macht hoch die Tür
Schlusslied: EG 9, 1 - 3.5 oder EG 13 Nun jauchzet, all ihr Frommen oder
Tochter Zion


Hinführung
Jesu Einzug in Jerusalem gehört in unserem christlichen Jahreskreisempfinden eigentlich zum Palmsonntag. Jesu Ritt auf dem Esel und die jubelnde Menge leitet im Zusammenhang des Evangeliums die Passionszeit ein. Im adventlichen Rahmen ist diese Perikope ungewohnt, auch wenn etliche Adventslieder das Motiv aufnehmen. Die Predigt muss deswegen eine eigenständige Perspektive auf den Text jenseits der Passion entwickeln.

Dabei kann helfen, dass der Text selbst durchweg zwei Ebenen aufweist: eine Erzählebene (V 1-3,6-9a) und eine Ebene des Zitierens (V 4-5, 9b). So macht der Text vor, was auch Aufgabe der Predigt ist: das Erzählte, Tradierte mit dem Gegenwärtigen verknüpfen! So wie Matthäus die Messianische Erwartung aus dem Prophetenbuch mit den politischen und sozialen Spannungen der Zeit Jesu ver-schränkt und damit deutet, ist es unsere Aufgabe, die Hoff-nungsvisionen der Menschen zur Zeit Jesu mit den Sehn-süchten der Menschen unserer Gegenwart zum Leuchten zu bringen.

Gliederung
1. Hoffnung: jetzt wird alles gut
2. Skepsis: Das Religiöse ist immer auch politisch
3. Umsetzung: das Reich Gottes hat schon begonnen!
4. Erwartungen im Advent 2014

Ziel
Advent ist der Anbruch des Gottesreichs – hier und heute

Predigt

Liebe Gemeinde,

1.
Was für ein Aufgebot! Wie geheimnisvoll und wohlgeplant dieser Einzug hier geschildert wird. Jesu Einzug nach Jeru-salem öffnet viele Türspalte – uns wird ein Einblick gewährt in die Bedeutung der alten Schriften, in die Beziehung zwi-schen Jesus und seinen Jüngern und in die Dynamik eines Massenauflaufs. Sind Sie bereit die Tür noch ein wenig wie-ter auf zu machen? Folgen Sie mir – hinein ins Getümmel der Jubelnden. Schauen wir uns um, wen wir entdecken.

Die Orientierung fällt schwer. Um mich herum wirbeln Menschen unterschiedlicher Altersgruppen und sozialer Her-kunft. Sie bewegen sich im Takt der klatschenden Hände oder werfen ihre Umhangtücher in die Luft. Ein spontanes Volksfest. Schon streift mich ein Palmzweig unsanft an der Schläfe, und prompt stolpere ich über ein liegengebliebenes Tuch. Und immer wieder zwingt mir die Masse ihren Geh- rhythmus auf.

Eine Sprechchorwelle schwappt über mich hinweg: „Hosianna, dem Sohn Davids, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe.“ Hosianna – hilf doch, heißt das, und als der Sprechchor wieder verebbt, fällt mir auf, dass viele dabei sind, die aussehen, die so aussehen als ob sie wirklich Hilfe brauchen könnten.

Ich bekomme mit, wie die Frau neben mir noch einmal laut „Hosianna“ ruft und dann mit leuchtenden Augen zu ihrer Tochter sagt: „Jetzt wird alles anders, endlich!“ „Was denn Mama?“, fragt das Mädchen – sie mag 12 sein, vielleicht aber auch erst 10, Armut macht alt. „Einfach alles“, antwortet die Mutter. Diesen Mann hat uns Gott geschickt, damit wir endlich wieder zu unserem Recht kommen.“ Die Tochter ist skeptisch: „Woher bist du dir so sicher, dass es wirklich der ist?“

„Alles stimmt“, jubelt die Mutter, „er hat schon so viele geheilt und Menschen Sünden vergeben. Und jetzt kommt er auch noch auf einem Eselsfohlen geritten. Genauso wie in unseren Schriften der Messias angekündigt wird. Alles passt! Und wenn er erst König ist, dann wird dein Vater wieder Arbeit haben. Und meine Schwester wird gesund werden. Und die Römer – sie werden erkennen, dass unser Gott lebt!“

Die Tochter teilt den Enthusiasmus der Mutter offensichtlich nicht. Sie sagt: „Ich finde nicht, dass er so aussieht, als könnte er den Römern Respekt einflößen. Ich finde, er sieht aus, als ob er am liebsten bei den Schwachen und Armen bleiben würde. Wie soll der König werden?“ Die Mutter setzt zu einer Antwort an, aber ich verstehe nichts mehr, weil ein neuer Sprechchor alles überdeckt.

2.
Ich lasse mich ein wenig in der Menge zurückfallen, be-obachte die begeisterten Gesichter und denke, dass Hoff-nung schön macht. Dann sehe ich zwei Männer mit ernsten Mienen leise miteinander reden. Ich bleibe neugierig nahe bei ihnen stehen und höre, wie der eine gerade sagt: „Ich finde es vor allem gefährlich, Johannes. Die Römer haben kein Verständnis für Menschen, die die Massen begeistern. Sie werden denken, dass Jesus einen Aufstand plant.“ „Ach Thomas“, sagt der andere, „sei doch nicht immer so pessimistisch. Diese Menschen hier geben einfach ihrer Hoffnung eine Stimme, die Hoffnung, dass Gott sie nicht vergessen hat. Religiöse Sehnsüchte sind doch keine Gefahr für die Besatzer.“

Thomas schüttelt unwirsch den Kopf und knurrt: „Eine Be-satzungsmacht, die dem besetzten Volk nicht traut, muss auch religiöse Sehnsüchte politisch bewerten. Und keinem Statthalter kann entgehen, dass hier gerade ein einfacher Mann zum König des besetzten Volkes proklamiert wird.“

Johannes lacht nur: „Ach was, welcher Römer weiß schon, dass unser Prophet Sacharja den Messias auf einem Esel ankündigt?! Sie werden sich schlapp lachen über diesen merkwürdigen Aufzug.“ Thomas antwortet mit einem ge-reizten Unterton: „Esel hin oder her – das ist ein Triumph-marsch, auch wenn die Mittel armselig sind. Ich verstehe nicht, warum Jesus so ein Risiko eingeht. Wir werden garan-tiert beobachtet. Komm lass uns die anderen suchen, die müssen weiter vorne sein.“ Die beiden verschwinden aus meinem Blickwinkel.

3.
Während ich noch über die beiden nachdenke, stupst mich jemand an. Ein Mann in einer bunten Tunika hält mir ein Stück Brot hin: „Hier, du siehst hungrig aus. Suchst du jemanden?“ „Nein“, sage ich verwirrt, „ich bin rein zufällig hier rein geraten. Kennen Sie den Mann auf dem Esel, Jesus?“

Der Mann antwortet mir strahlend: „Ich habe ihn mehrfach reden hören. Er redet gut, ach was, fantastisch, er spricht so mit dir, dass du plötzlich wieder Gott spürst. Bin ihm sogar nachgereist. Manchmal hat er mich angeschaut. Obwohl ich ja eigentlich nicht dazu gehöre.“

„Sie sind kein Jude?“, frage ich. „Nein, aber ich rufe trotzdem Hosianna und Heil dem Sohn Davids. Ich bin zwar in einem anderen Glauben aufgewachsen, aber das spielt keine Rolle mehr.“ Ich bin überrascht und hake nach: „Wieso spielt das keine Rolle mehr? Sind Sie übergetreten zum jüdischen Glauben?“

Der Fremde lacht in sich hinein: „Ach was, das brauche ich gar nicht. Ich habe Jesus verstanden, wirklich verstanden, mit dem Herzen. Er sagt, dass niemand Vorbedingungen erfüllen muss, um von Gott geliebt zu werden. Er sagt, dass Gott liebt. Mich und Sie übrigens auch.“

Er bricht mir noch ein Stück Brot ab und drückt es in meine offene Hand. „Wissen Sie“, fährt er fort, „ich habe es aus-probiert! Wenn es nämlich stimmt, dass Gott alle Menschen gleichermaßen liebt, dann brauche ich auch keine Unter-schiede zwischen Menschen machen. Ich begegne seither allen gleich, egal ob sie bettelarm oder die Macht in Person sind. Und siehe da, es ändert sich etwas: die Armen ge-winnen plötzlich Selbstbewusstsein, ja Würde, und die Mächtigen verzichten auf ihre Drohgebärden, sie reden ver-nünftig mit mir.“

„Hm“, überleg ich, „aber was hat das mit Jesus oder mit Gott zu tun?“ „Das ist doch klar: wenn alle Menschen in ihrem Gegenüber einen Menschen sehen, der von Gott ge-liebt wird, dann haben wir's geschafft. Nein, dann hat Gott es geschafft. Dann haben wir das Reich Gottes schon hier und jetzt!!

Übrigens, tatsächlich ist es jetzt gerade schon da: spüren Sie es nicht? So wie wir hier miteinander reden können und sogar Brot teilen, und das über alle kulturellen, sozialen und altersbedingten Grenzen hinweg!“ Ehe ich noch die histo-rischen Grenzen hinzufügen kann, verschwindet der Umzug.

4.
Ich bleibe allein zurück, im Advent 2014.

Seltsam den Fortgang der Geschichte zu kennen. Seltsam in dieser Kirche zu sein und die Freude und die Erwartungen der Menschen damals nicht mehr wirklich empfinden zu können. Mein Blick hier bleibt am Kreuz hängen, am Gekreuzigten, und eben nicht an dem Jesus, der auf dem Esel triumphierend nach Jerusalem einzog. Dennoch habe ich Erwartungen an ihn. Erwartungen an einen, der einzog wie der lang erwartete König und der sich dann verurteilen und töten ließ, als könne er sich nicht wehren gegen diese Bosheit und dieses Unrecht.

Und trotzdem sind da Erwartungen, Hoffnungen in mir. In mir und Ihnen und all den Menschen, sie seit fast 2000 Jahren Advent feiern, die Ankunft des Retters. Ich erwarte, dass mich diese Botschaft auch im Herzen erreicht und nicht nur intellektuell beeindruckt. Ich erwarte, dass dieser Mensch seine Überzeugung von der Liebe Gottes nicht umsonst so konsequent gelebt hat.

Und ich hoffe, dass seine Botschaft an die Ausgegrenzten bis heute wirksam ist und immer wieder neu Menschen in den Mittelpunkt der Liebe stellt, die sonst an den Rändern unserer Gesellschaft kampieren. Ich erwarte, dass die Ad-ventszeit ausstrahlt, dass der Jubel von damals einen Widerhall findet in unseren Liedern.

Ich hoffe, dass die Schilderung des Einzugs Jesu nach dem Konzept der alten Propheten mir eine Antwort gibt auf Fra-gen, die mich bedrängen. Wie soll ich, wie sollen wir als Ge-meinde und Nation damit umgehen, dass Israel heute auf andere Weise ein Land ist, in dem Friede dringend nötig ist.

Oder damit, dass Kriegsentscheidungen in erster Linie Ent-scheidungen über Wirtschaftsziele und Bündnisloyalitäten sind und nicht über Leben oder Tod für so viele Menschen.

Ich erwarte auch, dass mich die Adventszeit wärmt und stärkt gegen die vielen Grausamkeiten, die mir täglich be-gegnen.

Und ich hoffe, dass mir die Adventszeit dabei hilft, mich darauf zu besinnen, dass auch das Reich Gottes Bewegung braucht, und sei es indem jemand sein Essen teilt und ein Gespräch beginnt.

Das Reich Gottes – es kann entstehen, wo ich mutig von dem rede, was ich glaube oder vielleicht sogar mich traue zu jubeln über die Liebe, die ich spüre. Das Reich Gottes – es entsteht, wo Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, mutig aufeinander zugehen und darauf hoffen und ver-trauen, dass Gott selbst im Kommen ist.

Was erwarten Sie?
Was bringt Sie im Advent 2014 zum Jubeln, zum Fragen, zum Reden, zum Hoffen?
Öffnen Sie Tor und Tür, machen Sie sich gegenseitig Mut.
Das Reich Gottes, es beginnt mit der Hoffnung auf den, der da ist und der da war und der da kommt.
Hosianna, dem Sohn Davids, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe. Amen.

Gebet zum Eingang
Dir die Tür öffnen, die Tore weit machen, Gott,
damit du unter uns wohnen kannst; wie wäre das wunderbar!
Doch wir sind besser im Abriegeln als im Öffnen.
Wir haben so viele Ängste und versuchen, was wir haben, erbittert zu verteidigen, anstatt es für andere zu öffnen.
So stehst du wohl immer wieder vor unseren verschlossenen Herzen und siehst traurig auf unsere Ängste und Halbherzigkeiten.
Sieh uns dennoch gnädig an,
klopfe beharrlich bei uns an. Bis wir uns erinnern und aufmachen und entdecken: in allen, denen wir öffnen, begegnen wir dir, dem König der Ehre.
Klopfe beharrlich an, erbarme dich unser. U.N.

Fürbittengebet
Die Tore hilf uns weit machen,
damit dein Friede einziehe, Gott.
Komm du in unsere Welt, die so dringend Frieden braucht.
Wo immer wirtschaftliche und politische Interessen von Wenigen das Elend Vieler verursachen, da komme du auf die Menschen zu. Lass sie entdecken, dass dein Friede einen Reichtum schenkt, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist.
Auf der ganzen Welt ermutige Menschen die Angst voreinander abzulegen und aufeinander zuzugehen, damit Friede werde.
Die Türen in der Welt hilf uns öffnen, damit dein Friede einziehe, Gott.
Komm du in unsere Kirchen und Orte des Glaubens, an denen Menschen aus deiner Liebe Kraft und Hoffnung schöpfen.
Wo immer Ängste verhindern, dass wir uns als Geschwister verstehen, da ziehe du mitten hinein.
Lass uns entdecken, dass wir in dir alle zusammen gehören und gemeinsam Verantwortung für diese Schöpfung tragen.
Befreie uns von unseren Beschränkungen, damit wir auf andere zugehen können.
Tore und Türen in der Welt öffnen, damit du mit deinem Frieden unter uns wohnst – dazu hilf uns Gott.
Wir legen dir heute all die Menschen ans Herz, die unter Krankheiten, Ängsten, Lieblosigkeit oder Einsamkeit leiden. Menschen, die keine Hoffnungen mehr haben und andere, die sich falschen Hoffnungen hingeben.
Komme du selbst auf alle zu.
Heile, was in uns verletzt ist,
und mache uns bereit, deinen Frieden zu leben. U.N.

Verfasserin: Pfarrerin Ute Niethammer
Zasiusstr. 53, 79102 Freiburg



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