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Alles hat seine Zeit

von Karoline Rittberger-Klas (Tübingen)

Predigtdatum : 31.12.2023
Lesereihe : VI
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : Prediger 3,1-15
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Wochenspruch: "Meine Zeit steht in deinen Händen." (Psalm 31,16a)

Psalm: 121 (EG 749)

Predigtreihen

Reihe I: Jesaja 51,4-6
Reihe II: Hebräer 13,8-9b
Reihe III: 2. Mose 13,20-22
Reihe IV: Matthäus 13,24-30
Reihe V: Römer 8,31b-39
Reihe VI: Prediger 3,1-15

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 58 Nun lasst uns gehen und treten
Wochenlied: EG 65 Von guten Mächten
Predigtlied: EG+ 111 Meine Zeit steht in deinen Händen
Schlusslied: EG+ 152 Weise uns den Weg, Gott geh mit

Predigttext: Prediger 3,1-15

1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: 2 Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; 3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; 4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; 6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; 7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; 8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. 9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. 10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. 11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. 12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. 14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. 15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.

Predigt

I. Ist es schon so weit?

„Schau mal auf die Uhr – ist es schon so weit?“

Liebe Gemeinde, viele von uns werden heute Nacht wieder ganz genau auf die Zeit achten: Wann muss die beste Sicht auf Feuerwerk gefunden sein, wann ist es Zeit, die Gläser zu füllen? Wann genau ist der Moment für Umarmungen und gute Wünsche – und wann feiern die Verwandten in England oder die Freunde in Brasilien?

Selbst die, die um Mitternacht längst schlafen, können das Thema Zeit heute nicht ausblenden. An kaum einem anderen Tag im Jahr wird uns so deutlich, wie die Zeit vergeht. Und es stellt sich die Frage: Was war im letzten Jahr? Für was war Zeit – und für was nicht? Und mit was werden die Stunden, Tage und Monate des Jahres 2024 angefüllt sein?

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde!

So sieht es der „Prediger“ in der Bibel in seinem berühmten Gedicht.

[Lesung Predigttext Teil I: Prediger 3,2-8]

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
Geboren werden hat seine Zeit,
sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit,
ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit,
bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit,
lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit,
tanzen hat seine Zeit;
Steine wegwerfen hat seine Zeit,
Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit,
aufhören zu herzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit,
wegwerfen hat seine Zeit;
zerreißen hat seine Zeit,
zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
lieben hat seine Zeit,
hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit,
Friede hat seine Zeit.

[evtl. gelesen von verschiedenen Sprecher*innen von verschiedenen Stellen der Kirche aus]

II. Alles hat seine Zeit? Was war 2023 – und was wird 2024 sein?

Liebe Gemeinde,

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“, sagt der Prediger. Was hatte 2023 bei Ihnen seine Zeit? War Zeit zu lachen und zu weinen? Zum Pflanzen oder zum Ausreißen? Wurde ein Mensch geboren? Ist jemand gegangen? Vielleicht haben Sie auch den Eindruck: Eigentlich war überhaupt zu wenig Zeit – das Jahr ist einfach vorbeigeflogen und ich weiß gar nicht recht wie…

Und wie wird es im neuen Jahr sein? Was kommt auf mich zu? Gibt es Vorhaben, für die ich die richtige Stunde suche?

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit für diese Fragen…

[Kurze Stille oder auch leise Musik. Je nach Gemeindesituation und Gottesdienstform ist auch ein kurzer Austausch denkbar oder eine kreative Form des Blicks zurück oder voraus.]

III. Jedes Vorhaben hat seine Stunde – Zeit für Bilanzen?

Ich weiß nicht, was Ihnen durch den Kopf gegangen ist in den letzten Minuten. Mir geht es oft so: Wenn ich zurückschaue und überlege, wie ich meine Zeit verbracht habe, was ich erlebt habe und was mir widerfahren ist, dann ziehe ich auch immer irgendwie Bilanz. Dann überlege ich: Was war gut und was war schlecht? Was hat gefehlt? Und wenn ich vorausschaue, dann denke ich oft auch darüber nach, wie es werden soll. Und was mein Anteil daran ist. Und was ich besser machen will.

Der Prediger hat einen gänzlich anderen Blick auf die Zeit. Er beurteilt nicht. Er zählt einfach auf, was alles dazugehören kann zum Leben. Schönes und Schweres, Kleines und Dramatisches. Ohne Wertung, ja scheinbar ohne Emotion. Wie geht es Ihnen mit seiner Aufzählung? Auf mich wirken die Worte je nach Situation und Gefühlslage ganz unterschiedlich. Manchmal empfinde ich sie als befremdlich, seltsam unbeteiligt, ja herzlos. Manchmal aber auch als gelassen, weise und dadurch tröstlich.

Sicher ist: Es geht dem Prediger nicht um eine Bilanz, nicht um Soll und Haben. Und es ist auch keine Anleitung zum besseren Zeitmanagement. Wobei... – hören Sie selbst. Ich lese weiter aus Prediger 3:

[Lesung Predigttext Teil II: Prediger 3,9-13]

IV. Kein Gewinn – aber eine Gabe!

„Man mühe sich ab wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.“ Das ist eine steile These. Und man kann mit Recht fragen, ob das so stimmt. Zumindest rein finanziell scheint sich bei manchen Menschen die Arbeit schon zu lohnen.

Der Prediger aber, auch unter dem Namen Kohelet bekannt, betrachtet die Gesellschaft zu seiner Zeit – vermutlich im 3. Jahrhundert vor Christus – mit kritischem Blick. Und er kommt zu dem Schluss. Das, was die großen Weisheitslehrer vor ihm gepredigt haben, hält der Realität nicht stand. Es stimmt einfach nicht, dass es denen, die weise und tugendhaft leben, auch gut geht und Gott sie sichtbar belohnt. Im Gegenteil: Es gibt Gerechte, denen geht es, als hätten sie Werke der Gottlosen getan, und es gibt Gottlose, denen geht es, als hätten sie Werke der Gerechten getan, so stellt er in Kapitel 8 nüchtern fest.

Was aber folgt daraus? Ist dann nicht sowieso alles egal? Nein, so ist es eben nicht, sagt Kohelet, der Prediger. Ja, das Leben ist oft mühsam, wir machen manches schlecht und manches gut. Ja, es gibt keine Garantie, dass unsere Mühen Früchte tragen. Und oft können wir nicht verstehen, was wann seine Zeit hat und warum. Und doch gilt, so sieht es der Prediger: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit.“ Und wir dürfen, ja wir sollen es genießen, wenn uns ein guter Moment geschenkt ist:

„Da merkte ich, dass es nichts Besseres gibt als fröhlich zu sein und sich gütlich zu tun in seinem Leben!“

Das ist dem Prediger aufgegangen. Und er zieht daraus nicht den Schluss: Macht es euch schön, es ist sowieso alles sinnlos. Sondern er sieht: Mühe und Arbeit gehören zum Leben. Aber sie bieten keine Erfolgsgarantie. Deshalb: Verpasst das Gute nicht, das euch gratis geschenkt ist. Erstickt es nicht durch Perfektionismus oder Grüblerei. Das Leben genießen zu können, gemeinsam zu essen und zu trinken, zu lachen und fröhlich zu sein, ist eine Gabe Gottes. Greift zu! Hier und jetzt!

Das, so könnte man sagen, ist der Beitrag des Predigers zum Thema Zeitmanagement. Und ich finde: Das ist ein wichtiger Beitrag. Und trotzdem - vielleicht bleibt auch bei Ihnen die Frage: Ist das alles?

Hören wir noch einige Worte des Predigers:

[Lesung: Predigttext Teil III: Prediger 3,13-15]

V. Alles hat seine Zeit – und meine Zeit steht in deinen Händen

Es gibt so etwas wie eine Ordnung in den Dingen und in Gottes Tun, sagt der Prediger. Nur, dass wir sie nicht wirklich verstehen, denn Gottes Zeitrechnung ist eine andere als unsere. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen bei ihm auf eine Weise, in die wir keinen Einblick haben.

Ich kann gut verstehen, was der Prediger meint. Gerade am Silvesterabend merke ich beim Nachdenken: Manches im Leben bleibt mir unerklärlich. Warum ich auf etwas, das mir wichtig ist, immer noch warte. Warum mir mit einem Menschen nicht mehr Zeit gegeben war. Ich denke, viele von Ihnen kennen diese Fragen, und wenn man mal anfängt, so zu fragen, kann das – je nachdem, wie das Leben verläuft – schwer zu ertragen sein. „Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll“, sagt der Prediger.

Wie gut, dass es neben dem Prediger noch andere Stimmen in der Bibel gibt. Die Stimme zum Beispiel, die im Psalm 31 zu hören ist, den wir vorhin gemeinsam gebetet haben:

„Ich aber Herr, hoffe auf dich und spreche:
Du bist mein Gott!
Meine Zeit steht in deinen Händen!“

Auch für sie oder für ihn, der hier betet, ist klar: Meine Zeit und das, was darin geschieht, habe ich nicht allein in der Hand. Aber hier klingt es anders, vertrauensvoller: Gott ist kein namenloses Schicksal. Gott ist ein Gegenüber, ein Du. Gott ist mein Gott. Und ich hoffe darauf, dass meine Zeit bei Gott in guten Händen ist.

Beide Stimmen begleiten mich ins neue Jahr – die Stimme des Predigers zusammen mit der Stimme, die in Psalm 31 betet. Besonders drei Gedanken nehme ich von ihnen gerne mit ins Jahr 2024:

Zuerst: „Alles hat seine Zeit – und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“. Ja, auch ich habe Zeit – auch wenn es sich manchmal anders anfühlt in der Hektik des Alltags. 2024, das sind 8760 Stunden, über 525.000 Minuten. Jeder neue Tag ist neue Lebenszeit, die ich erleben kann und nutzen darf. Geschenkte Zeit – meine Zeit.

Das zweite ist: „Ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei alle seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ Ja, ich glaube: Jeder unbeschwerte Augenblick, jeder kleine Genuss, jeder Moment der Zuversicht ist eine Gabe Gottes Und es ist gut, diese Momente zuzulassen, sie bewusst zu erleben und zu schätzen – auch im neuen Jahr. Wie es der Barockdichter Andreas Gryphius so treffend gesagt hat:

„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen. Mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen. Der Augenblick ist mein – und nehm‘ ich den ich acht, so ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht.“

Das Wichtigste, was ich mitnehme, ist aber:

„Meine Zeit steht in deinen Händen.“

Das Vertrauen, das aus diesem Gebet spricht, macht auch mir Mut, vertrauensvoll ins neue Jahr zu gehen – in der Hoffnung, dass auch 2024 meine und unsere Zeit in Gottes Händen steht.

In Jesus, in seinem Leben und Sterben, hat Gott uns ja gezeigt, dass er in allen Zeiten bei uns ist – ob wir tanzen oder klagen, ob wir verlieren oder suchen, im Frieden und im Streit. Er bleibt bei uns, egal, wie die Bilanz des vergangenen Jahres aussieht. Er trägt das mit, was uns als Last daraus bleibt – und lässt uns befreit ins neue Jahr zu gehen.

Was auch immer die neue Zeit bringen mag – Gott, der mir und dir, wie der Prediger sagt, die Ewigkeit ins Herz gelegt hat, lässt uns nicht allein. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht am Ende der Zeit:

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage, sagt Jesus. Bis an der Welt Ende.“

Amen.

Verfasserin: Pfarrerin Dr. Karoline Rittberger-Klas, Tübingen


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