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Auferstehung – geöffnete Augen

von Stefan Knöll (64285 Darmstadt)

Predigtdatum : 12.04.2009
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Osternacht
Textstelle : Markus 16,1-8
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Wochenspruch:

Christus spricht: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. (Offenbarung 1, 18)

Psalm: 118 (EG 747)

Lesungen

Altes Testament:
1. Samuel 2, 1 – 2. 6 – 8a
Epistel:
1. Korinther 15, 1 – 11
Evangelium:
Markus 16, 1 – 8

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 112
Auf, auf, mein Herz, mit Freuden
Wochenlied:
EG 106
Erschienen ist der herrlich Tag
Predigtlied:
EG 114
Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin
Schlusslied:
EG 99
Christ ist erstanden

Hinführung:
Die Predigt verdeutlicht schwerpunktmäßig, dass Zweifel und Sprachlosigkeit angesichts der biblischen Auferstehungsgeschichten zum Menschsein dazugehören. Bereits die Bibel kennt nicht nur die Freude über das Ostergeschehen, sondern auch die Furcht und das Entsetzen gerade derer, die unmittelbar betroffen sind. Die Tatsache, dass das Markusevangelium mit Kapitel 16, 1-8 ursprünglich endete, nötigt dazu, nicht gleich zur gängigen Osterbotschaft von der Auferstehung überzugehen, sondern die Bedeutung von Furcht und Entsetzen, die zunächst sprachlos machen, für den persönlichen Glauben zu bedenken. Sprachlosigkeit ist eine Leere, die Gott füllen kann. Wer das Ostergeschehen fassen will, dem wird es durch die Hände gleiten. „Wer es wagt, es nicht begreifen zu wollen, dem wird sich das Unbegreifliche in die offenen Hände legen.“ (G. Magirius).
In der Predigt wird aus folgenden Artikeln zitiert: Köhler, Horst, Offen für das Unerwartete. Der Dreiklang von Karfreitag, Karsamstag und Ostern, in: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, 7. Jg., April 2007, S.7; Magirius, Georg, „Leer”, in: Ev. Sonntagszeitung Nr. 14 vom 8.4.2007, S. 6.

1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, daß der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.
5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, daß er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Liebe Gemeinde,
„Als meine Eltern 1953 beschlossen, aus dem Osten Deutschlands in den Westen zu gehen“, so schrieb Bundespräsident Horst Köhler einmal in einem Beitrag über die Bedeutung des Osterfestes, „wählten sie für unsere Flucht den Ostersonntag. Es ist der Festtag im Jahr, mit dem ich am stärksten Aufbruchstimmung, Entdeckungsfreude und Neubeginn verbinde. (...) Die Grenzüberschreitung ausgerechnet am Ostersonntag hat für mich auch etwas Symbolisches.“
Was verbinden Sie persönlich mit dem Osterfest? So wie Horst Köhler eine Aufbruchstimmung? Sehen auch Sie die Chance, Neues zu entdecken: Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben? Oder neu anzufangen: ein Leben, in dem Schuld vergeben wurde? Oder sogar Grenzen zu überschreiten und neue Horizonte zu gewinnen? Oder spüren Sie vielleicht selbst tief in Ihrem Innern jene überschäumende Osterfreude, die Christinnen und Christen seit unzähligen Generationen mit dem Ruf „Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ ausdrücken? Ist Ostern auch für sie ein wahres Freudenfest, das Mut macht und zuversichtlich werden lässt?
Oder haben Sie ganz im Gegenteil Ihre Schwierigkeiten mit Ostern? Zum Beispiel, weil Sie sich einfach nicht vorstellen können, wie Jesus auferstehen konnte. Und weil es da auf den ersten Blick viel plausiblere Theorien darüber gibt, warum die Frauen damals das Grab leer fanden, zum Beispiel, dass Jesus doch die Kreuzigung überlebt habe und nur scheintot gewesen sei?
Für diejenigen unter Ihnen, die an Ostern auch ihre Zweifel haben, kann der heutige Evangeliumstext eine Ermutigung und Hilfe sein. Und für solche, die an Ostern nur ungetrübte Festtagsstimmung haben wollen, kann der Text heute auch zu einer echten Herausforderung werden.
Denn Maria von Magdala, Maria die Mutter des Jakobus und Salome, die das Grab leer finden, erleben etwas, das sie nicht jubeln, sondern sprachlos werden lässt. Ganz anders als in unseren gängigen Vorstellungen von einem Osterfest, das mit Osterfrühstück, bunten Eiern und einem Festessen begangen wird, ist hier von Zittern, Entsetzen und von Fluchtgefühlen der Frauen die Rede.
Zittern und Entsetzen? Das passt gar nicht zur Osterfreude, die Christinnen und Christen von Anfang an in ihren Gottesdiensten miteinander teilen, weil sie davon überzeugt sind: Gott hat an Jesus Christus etwas Unglaubliches getan. Er hat Jesus Christus zu neuem Leben erweckt. Er hat dadurch den Menschen Hoffnung auf ein neues Leben jenseits des Todes geschenkt. Er hat dem Leben einen Sinn und ein Ziel gegeben.
Dazu kommt noch: Nach der vorherrschenden Meinung der Bibelwissenschaftler endete das Markusevangelium ursprünglich an dieser Stelle. Der folgende Schlussabschnitt, der von den späteren Erscheinungen des Auferstandenen und von seiner Himmelfahrt berichtet, ist erst später ergänzt worden. Denn auch im Markusevangelium, das so abrupt endete, sollte für spätere Generationen zu lesen sein, was Christinnen und Christen von Anfang an in ihren Gottesdiensten von der Auferstehung Jesu erzählt und gesungen haben.
Was bedeutet das, wenn ein Evangelium mit Furcht und Entsetzen endet? Darauf ist gleich zu antworten: Den Hinweis auf den ursprünglichen Schluss des Markusevangeliums sollten wir nicht überbewerten. Die Gründe, warum das Evangelium zunächst hier endete, sind völlig unklar. Die Vermutungen reichen von einer bewussten Entscheidung des Verfassers bis hin zur Überlegung, die Schriftrolle könnte hier zu Ende gewesen oder ein weiterer Schlussabschnitt verloren worden sein.
Es bleibt dabei: Ostern ist das Fest der Freude darüber, dass Jesus Christus auferstanden ist. Und dass Gott den Tod besiegt hat. Dennoch tun wir gut daran, nicht zu schnell zur Osterfreude überzugehen, sondern nach der Schilderung der Gefühle der Frauen erst einmal einen Schnitt zu machen, um über sie nachzudenken. Auch wenn hier etwas nicht zusammenzupassen scheint.
Vergegenwärtigen wir uns die Situation der drei Frauen. Hilflos mussten sie erleben, wie Jesus gefangen, verurteilt und schließlich vor ihren Augen grausam hingerichtet wurde. Mit ihm wurden alle Hoffnungen begraben, die ihnen so wichtig waren: Die Hoffnung auf eine Erde, auf der alle satt werden, auf der Menschen in Frieden miteinander leben und Leidtragende getröstet werden.
Die drei wollen sich mit Jesu Tod nicht abfinden. Es kann nicht sein, dass dieser Mensch, der so vielen anderen neuen Lebensmut schenkte, nicht mehr lebt. Die Frauen haben die Ruhe des langen Sabbattages kaum aushalten können. Noch im Morgengrauen des neuen Tages hält sie nichts mehr auf. Sie müssen zum Grab gehen. Sie müssen etwas tun. Gegen ihre Trauer und Verzweiflung. Gegen den Tod: Jesu Leichnam mit wohlriechenden Ölen salben, so, als würde er noch leben. Die Tora verbietet den Juden die Berührung der Toten. Aber zu salben als ob Jesus noch lebte, heißt: Vor Gott gegen seinen Tod protestieren. Gott anklagen, dass er diesen Tod zugelassen hat. Gott vorhalten, dass er durch Jesus die Menschen wissen ließ, dass er, Gott, ein Gott der Lebenden ist, nicht der Toten (vgl. Mk 12,27).
So hartnäckig die drei Frauen auch gegen das Unabänderliche ankämpfen wollen, immer wieder meldet sich der gesunde Menschenverstand: Es hat keinen Zweck. Bemüht euch nicht erst. Den großen Stein vor der Grabeshöhle könnt ihr niemals allein ohne fremde Hilfe von außen wegwälzen. Da müsste schon etwas Unvorhergesehenes, ein Wunder, an diesem frühen Morgen geschehen. Nein, der Weg zu Jesus ist für immer versperrt.
Doch die drei setzen ihren Weg fort. Gegen jede bessere Einsicht. Es scheint so, als bewege sie eine innere Kraft, die sich über die harten Tatsachen hinwegsetzt. Sie erinnert im Keim vielleicht an jene Aufbruchstimmung und Hoffnung auf einen Neubeginn, von denen auch Horst Köhler mit Blick auf Ostern spricht? Und dann bricht etwas Unvorhergesehenes in ihr Leben ein. Etwas, dass sie mit den Möglichkeiten des Verstandes nicht fassen können. Der Stein ist weggewälzt, das Grab steht offen. Staunend betreten sie die Höhle. Was jetzt geschieht, erleben sie so: Gott selbst spricht zu ihnen. Sein Bote lässt sie wissen: „Jesus, der Gekreuzigte ist auferstanden. Er ist nicht mehr im Grab. Jesus lebt.“ Die Frauen können es nicht fassen. Zukunft über den Tod hinaus? Diese Botschaft ist so unerhört, dass sie Zittern und Entsetzen ergreift. Sie verstummen. Das Geschehen macht sie sprachlos.
Auch heute noch sind viele Menschen sprachlos, wenn es darum geht, die Osterbotschaft, die zum Kern des christlichen Glaubens gehört, in geeignete Worte zu fassen. Sogar Menschen, die von Berufs wegen mit der Weitergabe des christlichen Glaubens befasst sind. In der 5. Klasse eines Gymnasiums streitet ein Schüler mit seinem Religionslehrer um den Wahrheitsgehalt der biblischen Auferstehungszeugnisse: „Meine Mutter sagt: Jesus ist nur scheintot gewesen. Und die muss es wissen. Schließlich hat sie in Religion eine Eins gehabt.“ Dem Religionslehrer, der das anders sieht, fällt es sichtlich schwer, zu antworten. Dazu scheint alles, was er jetzt sagt, im Widerspruch zu dem zu stehen, was die Mutter des Schülers ebenfalls im Religionsunterricht über Ostern gelernt haben soll.
Das Evangelium des heutigen Tages trifft uns genau an diesem Punkt. Da, wo wir oft keine Worte finden, als Glaubende oder Zweifelnde, finden auch die Frauen keine Worte. Das entlastet uns davon, immer gleich auf alles eine Antwort haben zu müssen, noch dazu, wenn es um ungewöhnliche Lebens- und Glaubenserfahrungen geht. Solche Erfahrungen lassen sich eben nicht immer innerhalb von fünf Minuten auf den Punkt bringen, wie wir das von den grandiosen Statements zahlreicher Talkshows über Themen aller Art gewohnt sind.
An Ostern geht es um etwas, für das Menschen zunächst die Worte fehlen. Es gibt ja auch keine Analogie in der Geschichte der Menschheit zu dem, was hier geschehen ist. Es geht um eine Erfahrung, die zunächst eine gedankliche Leere erzeugt. Sie gilt es auszuhalten, auch wenn damit die beunruhigende Wahrnehmung verbunden sein sollte, dass niemand sein Leben ganz beherrschen und alles erklären kann. Denn nur an dem Punkt, wo uns die Worte fehlen, wo wir Geduld haben und schnelle, plausible Erklärungsversuche zurückstellen, kann das Unfassbare wachsen und sich entfalten. Kann Gott selbst Glaube und Vertrauen in seine Möglichkeiten schenken. Wer es wagt, dass Ostergeschehen nicht begreifen zu wollen, „dem wird sich das Unbegreifliche in die Hände legen“ (G. Magirius). Und vielleicht stellt sich uns manches ganz anders dar, als wir es bisher gewohnt sind.
Wir dürfen uns ruhig eingestehen, dass an Ostern zunächst einmal nichts klar war. Weder für die Frauen damals, noch für viele Menschen heute, die das Ereignis mit den Möglichkeiten ihres Verstandes zu greifen versuchen. „Der Sieg über den Tod“ – so hat es der Theologe, Rundfunkjournalist und Buchautor Georg Magirius einmal ausgedrückt – „ist so gewaltig, dass die Frauen ihn nicht fassen können. Er war nicht greifbar, benennbar, regelbar. Trotzdem wird sich das Entsetzen in Trost verwandeln. Es kann die ermuntern, die unter denen leiden, die ständig immer alles zu wissen meinen. Das Ende des ältesten biblischen Evangeliums versucht erst gar nicht, Bescheid zu wissen. Da waren zitterndes Staunen, Fluchtgefühle, Furcht. Diese Furcht ist aber nicht mit jener Angst zu verwechseln, die das Leben unablässig daran hindert, endlich einmal loszulegen. Nein, im Gegenteil. Sie lässt zu, was nicht fassbar ist: Pause, Leere, Schweigen – und das Fantastische kann wachsen. Der waghalsige Jubel, mit dem Ostern in den später verfassten Auferstehungsgeschichten zum Höhepunkt aufläuft, holt seine tiefe Kraft vermutlich aus dieser ersten, rau wirkenden Erzählung.“
Diese „rau wirkende Erzählung“ besagt zunächst: Zu Ostern gehört neben triumphaler Freude auch die Einsicht: Wir Menschen sind ganz darauf angewiesen, dass Gott selbst uns erschließt, was wir mit unserem Verstand nicht fassen können. Dass Gott selbst unsere Sprachlosigkeit in Sprache und unsere Zweifel in Glauben verwandelt. Darum können wir ihn immer bitten. Sie ist eine Einladung an uns, Gott stärker zu vertrauen und ihm mehr zuzutrauen.
Dazu schenkt sie uns trotz eines vorläufigen Endes mit Schrecken auch Hoffnung: Das Blatt kann sich wenden und Situationen, die ausweglos erscheinen, können überwunden werden. Nicht immer enden die Geschichten im Alltag auf wundersame Weise. Das wissen wir sehr gut. Dennoch dürfen wir hoffen. Denn Ostern ist Neubeginn, wie es eingangs Horst Köhler ausdrückte. Nichts muss im Leben so bleiben, wie es ist.
Sie macht uns Mut: offen zu sein für das Unerwartete, das Gott für uns bereit hält. Gott schenkt uns Glauben und eine Osterfreude, die im Leben trägt. Freude, die mehr ist, als die vorübergehende Festtagsstimmung. Gott schenkt sie uns, wenn wir uns zu ihm auf den Weg machen, wie die drei Frauen, die leidenschaftlich nach ihm suchten und ihn selbst im Tod nicht aufgaben. Unser Weg zu Gott ist das Gebet, der Gebrauch der Bibel, die Feier des Gottesdienstes und die Sorge für die, die uns als Nächste anvertraut worden sind.
Und sie schenkt uns Trost: Gott hat den Tod besiegt. Unser Leben endet nicht im Nichts, sondern läuft auf ein neues Leben in Gott zu. In jenes Leben, in das uns Jesus Christus, der Auferstandene und Lebendige vorausgegangen ist. Was Gott an Jesus Christus getan hat, wird er auch an uns tun. Darüber dürfen wir auch mal sprachlos sein. Amen.

Verfasser: Pfarrer Stefan Knöll, Theologischer Referent der Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten, Paulusplatz 1, 64285 Darmstadt

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