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Befreiung im Vertrauen auf Gottes Gnade

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 31.10.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 23. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Galater 5,1-6
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Wochenspruch:

Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. (1. Korinther 3,11)

Psalm: 46,2-8 (EG 725)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 62,6-7.10-12
Epistel:
Römer 3,21-28
Evangelium:
Matthäus 5,1-10 (11-12)

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 362
Ein feste Burg ist unser Gott
Wochenlied:
EG 341
oder 351
Nun freut euch, lieben Christen g’mein
Ist Gott für mich, so trete
Predigtlied:
EG 629
Liebe ist nicht nur ein Wort
Schlusslied:
EG 193
Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort

1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Liebe Schwestern und Brüder,
Ein Zauberwort unserer Zeit steht im Mittelpunkt unseres Abschnittes: Befreit zur Freiheit. Wenn es um die Freiheit geht, horchen wir auf. “Wir wollen frei sein, um uns selbst zu finden.” heißt es in einem neuen geistlichen Lied. Und Reinhard Mey hat Kultstatus mit seinem “Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.” Und wenn man Leute fragt, was denn wohl der gute Grund ist, evangelisch zu sein, dann sagen sie: die Freiheit.
Evangelische Freiheit - das ist wirklich etwas. Niemand schreibt mir vor, wann ich in die Kirche zu gehen habe. Niemand darf mir meine Sonntagsruhe stören, niemand kann mich dazu nötigen, am Gemeindeleben teilzunehmen. Niemand darf mich auffordern zu beten, wenn ich es nicht will. Evangelische Freiheit heißt: Das regele ich alles nach meinen Bedürfnissen.
Aus der evangelischen Freiheit ist so unter der Hand eine Bedürfnisfrömmigkeit geworden: wenn mir danach ist... Daraus wird dann leicht auch eine Bedürfnistheologie: Wir machen euch ein gutes Gewissen bei euren Bedürfnissen. Und für viele um uns herum ist die Kirche dann auch nicht mehr als eine Bedürfnisanstalt, für die man selbst aber womöglich gar keinen Bedarf mehr hat.
Neben dieser Haltung steht nun noch eine andere Erfahrung. Wir sagen “Ich bin so frei!” Und das Wort will uns gleichsam im Hals stecken bleiben. Denn wir haben es schwer mit der Freiheit. Freiheit ist anstrengend. Freiheit in einer Gesellschaft, in der viele Normen nebeneinander und auch gegeneinander stehen, bedeutet die Last der Wahl. Manchmal ist die Wahl eine Qual - nicht nur vor der übervollen Speisekarte, nicht nur vor 50 Hosen im Kaufhaus, nicht nur bei 20 Parteien auf dem Wahlzettel, wo sich die Großen ähneln wie ein Ei dem anderen.
Du hast die Wahl, was du aus deinem Leben machen willst. Du hast die Wahl, was du an Werten und Normen für dich anerkennst. Du hast die Wahl, wo du leben willst, was du tun willst, was du lassen willst.
Frühere Zeiten haben all diese Wahlmöglichkeiten nicht gekannt: da trat man in die Fußspuren der Vorfahren, erbte das Haus oder den Hof, die Fabrik oder das Tagelöhner-Dasein. Wir heute haben die Wahl. Sind Sie dafür dankbar? Oder ist Ihnen das Stöhnen näher?
Aber wenn die Wahl zu schwer wird? Wenn die Freiheit zu anstrengend wird?
Dann kann man flüchten und sich unterwerfen: So unterwerfen sich viele ungeschriebenen Gesetzen und Vorschriften, Trends, die irgendwo gemacht werden und kommen und gehen wie das Sommergewitter:
- unterwerfen sich dem Modediktat, das uns vorschreiben will, wie wir uns anzuziehen haben, wie schlank wir sein müssen, wie wir auszusehen haben, damit wir schön sind;
- unterwerfen sich dem Werbediktat, das uns vorschreiben will, was wir zu kaufen haben, was wir zu essen und zu trinken haben, wie unsere Wohnung aussehen soll;
- unterwerfen sich dem Meinungsdiktat, das uns vorschreiben will, was wir zu denken haben, was wir zu sagen haben, wen wir zu wählen haben, wie viele Kinder uns zustehen, wie wir dies und jenes zu beurteilen haben;
- unterwerfen uns dem Diktat unseres Ortes, das uns sagen will, mit wem wir umzugehen haben und mit wem nicht, wo man nicht hingeht...
Wer unterwirft uns diesen Diktaten und Vorschriften? Sind es nicht wir selbst?
Ja, werden sie vielleicht sagen, müssen wir das denn nicht? Das sind doch Spielregeln, denen alle folgen? Und wie siehst du aus, wenn du anders angezogen bist, anders denkst, anders liebst, anders lebst? Sollen wir denn allein gegen alle stehen?
Und wird nicht das Leben sicherer, überschaubarer, klarer, wenn man sich danach richtet, wie es alle so halten?
Wahr ist: Wenn wir uns an all diese Diktate und gesellschaftlichen Verhaltensmuster halten, dann kommen wir in gewisser Weise mit unserer Umwelt und unserem Leben zurecht. Wir sind eingepasst und ecken nicht an. Und das macht die Unterwerfung unter solche Diktate und ungeschriebenen Vorschriften interessant: sie scheinen sich zu lohnen und werden durch gesellschaftliche Anerkennung belohnt.
Ein Bild dazwischen: Im Herbst kann man manchmal sehen, wie eine Spinne ihr Netz spinnt. Es sind unzählige feine Fäden, die sie spinnt, weit auseinander gezogen und doch ineinander verbunden. Und plötzlich verfängt sich ein Opfer in diesem Netz. Es hängt erst nur an einer Stelle fest, aber es verheddert sich mehr und mehr. Schließlich zappelt es hilflos in diesem Netz feiner Fäden und kann sich nicht mehr selbst befreien.
Ist die Freiheit in unserer Zeit wie so ein Spinnennetz, in das wir uns hilflos verfangen?
Wer sich mit der Zeit Jesu auskennt, der sieht ein ähnliches Bild: Ein Netz von Gesetzen umgibt die Menschen. Es sind die guten Gebote Gottes und die gut gemeinten Auslegungen der Menschen dazu. Sie sollen helfen, dass die Menschen sich vor Gott zurecht finden. Aber sie sind zu Instrumenten der Angst geworden: dies muss ich befolgen und jenes erfüllen, um Gott zu gefallen. Dies muss ich tun und jenes darf ich nicht einmal denken, damit ich mir nicht den Zorn Gottes zuziehe.
Unter der Hand waren aus den guten Wegweisungen Gottes strenge Forderungen geworden. Unter der Hand hatte sich das Bild des erbarmenden Gottes in das Bild eines zornigen, unberechenbaren Despoten verkehrt. Die Angst hatte diese Bilder in den Herzen der Menschen erzeugt - die Angst und die Erfahrung konkreter Schuld. Und dann erzeugten diese Angstgeburten von Bildern immer neue Angst. Aus dieser Gefangenschaft kann sich niemand selbst und alleine erlösen.
Dazu musste Christus kommen. Er hat uns ein anderes Bild Gottes, ja einen anderen Gott gezeigt: das Bild des erbarmenden Vaters, das Bild des tragenden Hirten, das Bild der suchenden Frau, das Bild des vergebenden Richters, das Bild der tröstenden Mutter. Er hat uns diese Sicht Gottes gebracht in seiner Person und uns so herausgeholt aus der Gefangenschaft unserer falschen Gottesbilder. Seitdem können wir “Abba, lieber Vater” rufen. Seitdem können wir glauben, dass Vergebung stärker ist als unsere Schuld, dass Treue stärker ist als unsere Wankelmütigkeit, dass die Geduld größer ist als unsere Schwäche. Das ist die Freiheit, die Jesus bringt: nicht mehr in der Gefangenschaft unserer Ängste uns vor Gott zu fürchten, sondern ihm den väterlichen und mütterlichen Gott zu glauben, in ihm das Bild des Erbarmens Gottes zu erkennen.
Was ist das für eine Befreiung: Ich muss mein Leben nicht mehr selbst leisten, nicht mehr selbst gut machen. Ich komme ja immer schon her von dem Wort, das zu mir gesagt ist in meiner Taufe: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!
Von daher kann ich all das, was mir tagaus, tagein an Leistungsanforderungen, an Ansprüchen begegnet, vor denen ich doch oft genug versage, ertragen und muss mich nicht mehr für nichts halten, wenn ich ihnen nicht gerecht geworden bin - in der Arbeit nicht, in der Familie nicht, im Sport nicht, in der Kirche nicht. Ich bin viel mehr als meine Leistungen, weil Gott zu mir sagt: du bist mir wertvoll.
Und nun fordert uns Paulus auf: in dieser Freiheit deiner Würde lerne leben. Freiheit will ja bewährt werden, bestanden werden. Die Freiheit, die Christus schenkt, will gelebt werden. Das aber heißt: sie will beständig werden. Beständig - das ist das krasse Gegenwort zur Bedürfnisorientierung, zum Bedürfnis, das kommt und geht. Eines der Hauptworte im Johannesevangelium heißt “bleiben” Die Freiheit Jesu leben - das ist dann zuerst: bei ihm bleiben, sein Wort suchen, seinem Wort wieder und wieder Vertrauen schenken, auch gegen die Einwände des eigenen Herzens. Denn wir brauchen die Worte, die uns die Freiheit zusagen und unsere Würde, damit sie nicht ständig übertönt werden von den Forderungen, die uns treiben, von den Versäumnissen, die uns verklagen, von den eigenen Perfektionsansprüchen, die uns mürbe machen wollen. Wir brauchen die stete Erinnerung an das heilsame Wort gegen alle Erfahrung von Unheil.
So bei Jesus zu bleiben - das ist die eigentliche evangelische Freiheit. Sie hat wenig damit zu tun, dass mir niemand etwas vorschreiben darf, schon gar nicht in Sachen Glauben - aber sie hat alles damit zu tun, dass ich mein Leben der Zusage Jesu anvertraue und mit ihn nun leben und seinem Wort in meinem Leben Raum gebe, damit er etwas aus mir machen kann nach seinem Willen.
Wir feiern heute Reformationstag. Lange war das ein Tag negativer Abgrenzung: wir sind evangelisch und das heißt: nicht katholisch. Das ist überwunden und es ist gut so. Denn es ist doch in den Spuren unseres Predigtwortes wahr: Evangelischsein ist nichts, katholisch sein ist nichts, baptistisch sein ist nichts - was in Christus gilt, ist der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Aus lauter Angst vor den guten Werken, mit denen einer vor Gott argumentieren oder gar protzen könnte, haben wir zu oft vergessen, dass der Glaube in die Liebe drängt, dass der Glaube auch in der Liebe - neben der Frömmigkeit - seine Gestalt gewinnt. Ein Glaube, der nicht den Alltag gestaltet, der nicht zum Gottesdienst in der Welt wird - das ist jedenfalls kein Glaube in der Nachfolge Jesu Christi.
Das ist eine zentrale Frage, die wir heute nicht vergessen und verdrängen dürfen: Bewegt dich dein Glaube zur Liebe? Bindet er dich zusammen mit Menschen, die mit dir unterwegs sind? Bindet dich dein Glaube an die, die vor dem Leben verzagen? Bindet dich dein Glaube an die, die in Not sind, die vor Sorgen und Ängsten nicht mehr aus noch ein wissen? Bindet dich dein Glaube an die, die noch nicht oder nicht mehr glauben können?
Weil wir zuerst geliebt sind, sind wir befreit zur Liebe. Wir können die Freundlichkeit Gottes durch unser Leben widerspiegeln. Wir können das Erbarmen des Vaters in unserem Leben widerspiegeln. Wir können die suchende Liebe des Sohnes zu den Verlorenen und Verlaufenen, zu denen, die eine große Klappe und doch ein verzagtes Herz haben, widerspiegeln. Wir können? Wir sollen!
Wir sind befreit zur Liebe - und darum befreit, das Beste mitzuteilen, was wir haben: unser Bestes ist der Glauben an Jesus, ist der Trost, den wir bei ihm finden, ist das Vertrauen, dass alles Leben Gott lieb und wert ist, ist die zupackende Hilfe, die die Liebe Hand und Fuß gewinnen lässt. Amen.

Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

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