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Das Geheimnis der Herkunft

von Matthias Rost (Neudietendorf)

Predigtdatum : 24.12.2015
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Heiligabend (Christvesper)
Textstelle : Titus 2,11-14
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Wochenspruch:
"Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit." (Johannes 1, 14 a)

Psalm: 2


Lesungen
Altes Testament: Jesaja 9, 1 - 6

Epistel: Titus 2, 11 - 14

Evangelium: Lukas 2, 1 - 14 (15 - 20)


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 11 Wie soll ich die empfangen
Wochenlied: EG 23 Gelobet seist du, Jesu Christ
Predigtlied: EG 36 Fröhlich soll mein Herze springen
Schlusslied: EG 40 Dies ist die Nacht, da mir erschienen


Predigttext Titus 2, 11 - 14
in einer freien Übertragung des Verfassers

Es ist erschienen
die heilsame Gnade Gottes
allen Menschen.
Sie nimmt uns an die Hand,
damit sie uns herauslöst
aus der Gottesferne
und dem oberflächlichen Streben,
und wir stattdessen
im Hier und Heute leben:
besonnen, gerecht
und voll Ehrfurcht.
Wir erwarten Erfüllung
und Vollendung von Gott.
Wir erwarten, dass seine Herrlichkeit
sich durchsetzt.
Wir erwarten unsern Befreier
Jesus Christus.
Er hat sich für uns drangegeben,
damit er uns löste
aus aller Beliebigkeit
und einen Kreis von Menschen
für sich gewinne,
die entschieden sind,
das Gute zu tun.

Predigt

Liebe Gemeinde,

als wir Kinder waren, sind wir am Morgen des 1. Weihnachtstages so früh wie möglich aufgewacht. Wie sind beim allerersten Tageslicht aus dem Bett geschlüpft und sofort in die Weihnachtsstube gelaufen, um zu schauen, ob all die wunderbaren Gaben vom Weihnachtsabend noch da waren. Da hing dann der Duft der verloschenen Kerzen und der Ge-ruch der neuen Dinge in der Luft. Und da lagen dann all die Kostbarkeiten ausgebreitet. Es war alles noch da. Es war kein Traum. Keine Täuschung. Alles mein. Alles wirklich da. Und bei Licht konnten wir noch mal ganz im Einzelnen bestaunen und untersuchen, was am Abend zuvor gar nicht alles zu fassen war.

Und jetzt, nach Jahren, nach Jahrzehnten, als Erwachsene schauen wir das Geschenk des Weihnachtsabends wieder an: und siehe da, es ist alles noch da! Es strahlt uns geradezu an. Es lockt uns zurück an den ersten Ursprung des Glaubens, an den Anfang aller unserer Hoffnung, an den Beginn der Gnade.

Erschienen ist die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.
Das ist es, was da geschehen ist in Bethlehem, am Rande der Welt, bei unbedeutenden Leuten, in einem Schafstall. Diese Geburt eines Kindes von armen Leuten an unwichtigem Ort, gewickelt in Windeln, gebettet auf Stroh, gelobt von den Hirten, besungen von Engeln, von den Weisen gesucht – das ist die Erscheinung der heilsamen Gnade Gottes für alle Welt. Wir staunen, und wir versuchen es zu fassen. Es ist alles noch da!

Die Gnade ist ein Mensch. Die Gnade ist klein. Sie wiegt ganz leicht in den Händen, die sie halten, aber sie atmet und schreit. Die Gnade strampelt mit den Füßchen und erfreut sich der zärtlichen Fürsorge der jungen Mutter Maria. Die Gnade verschläft den größeren Teil des Heiligen Abends, die Gnade wird viermal in der Nacht gestillt, und sie macht pflichtgemäß ein Bäuerchen. Die Gnade ist nach der Geburt gewaschen worden, und nun liegt sie in Stroh gebettet. Sie hat noch gar nicht gemerkt, wie hell im dunklen Himmel über dem Stall die Sterne strahlen. Maria lässt die schlafende Gnade nicht aus den Augen, und auch Josef kann den Blick kaum von ihr wenden. Es sind auch Tiere im Stall: Sie wundern sich, was mit der Gnade geschieht.

Alle, die sich im Stall vor Kälte aneinander kauern, wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Gnade bald schon mit ihren Eltern fliehen muss. Die Gnade entkommt dem grausamen und machtgierigen Kindermörderkönig Herodes. Später kehrt sie aus Ägypten zurück. Die Gnade bleibt nicht in den Windeln stecken. Sie wird erwachsen werden, wird predigen und Aussätzige heilen, sie wird Jünger sammeln und als Boten aussenden. Sie wird einen gewaltigen Aufruhr verursachen und sie wird sogar von ihren Freunden missverstanden werden. Sie wird von ihren Gegnern verfolgt und bekämpft werden. Die Römer werden die Gnade gefangen nehmen, sie foltern und später zum Tode verurteilen. Die Gnade wird gekreuzigt, und Gott wird sie auferwecken, und sie wird auf immer und ewig bei ihm sein und sie werden eins sein.

Die Gnade ist kein Prinzip und keine Eigenschaft, sie ist keine Tugend und kein Kennzeichen, keine Einstellung und keine Haltung. Die Gnade Gottes ist ein Mensch.

Das ist das Besondere, das Wunderbare und Großartige von Weihnachten: Gnade zum Anfassen. Das Unsichtbare wird anschaulich. Die Gnade nimmt Gestalt an. Sie wird Fleisch und Blut. Sie zeigt Gesicht. Sie bekommt Hand und Fuß. Die Gnade ist ein Mensch.

Gerade darin zeigt sich, dass sie heilsam ist. Sie zeigt sich: schutzbedürftig, verletzlich, ganz menschlich eben. Am Leben des Kindes von Bethlehem erkennen wir sie. Von der Krippe bis zum Kreuz. Unsere Tränen weint sie, unsere Schmerzen trägt sie. Unsere Sehnsucht teilt sie. So kommt sie uns ganz nahe. So wird sie eins mit uns. Hingebungsvoll ist sie um Heilung bemüht. Jeder und jede kann ihre Heilkraft bekommen. Ohne Rezept. Ohne Rechnung. Auch außerhalb der Sprechzeiten. Sie hat immer Bereitschaft. Das ist die Therapie der göttlichen Gnade. Sie öffnet uns das Ohr für das Wort, das sich keiner von uns selbst sagen kann. Du bist geliebt, trotz deiner Fehler und deiner Schuld. Du bist gewollt. Trotz deiner Selbstzweifel und deiner Schatten. Du bist begabt. Trotz deines Versagens und deines Scheiterns. Wie heilsam das für uns ist!
Erschienen ist die heilsame Gnade allen Menschen. Es war kein Traum. Keine Täuschung. Es ist alles noch da. Sie ist unser, sie ist dein. Welch unverdientes Glück. Gnade ist das, was es umsonst gibt, was mir gehört, ohne dass ich dafür etwas hätte tun müssen. Kein Tauschhandel. Keine Rechnung. Das Beste gibt es umsonst. Das Leben, die Liebe – reines Geschenk! Sie fallen mir zu. Ich kann sie mir nicht verdienen. Ich kann sie nur bestaunen wie ein Kind seine Geschenke am Weihnachtsmorgen. Es ist alles noch da!

Erschienen ist die heilsame Gnade allen Menschen. Niemand ist ausgeschlossen. Die Hirten, die mit leeren Händen dastehen und nur ihr Herz mitgebracht haben, bestaunen sie ebenso wie die Weisen mit ihren teuren Mitbringseln. Maria besingt sie, hingebungsvoll und voller Hoffnung. Joseph gibt ihr Raum, auch wenn er ein Skeptiker sein mag. Und die Engel, die sie schon lange kennen aus der himmlischen Ewigkeit, die jubeln am lautesten. Die Gnade lächelt auch den Ungläubigen zu, den Halb-Gläubigen, den Anders-Gläubigen, den Klein-Gläubigen. Sie ist gar nicht angewiesen auf unseren großen und richtigen Glauben. Nein, umgekehrt: Gott glaubt an uns. Gott traut uns zu, dass wir seiner Gnade trauen und sie uns gefallen lassen. Wir sind begnadete Menschen. Jede und jeder von uns. Nicht nur einzelne sind besonders begnadete Glaubens- oder Lebenskünstler. Nein, die heilsame Gnade gilt allen Menschen. Alle sollen Begnadete sein.

Sie kommt wahrlich in eine gnadenlose Welt, diese Gnade. Ach, wie sehr haben wir es nötig, dass sie kommt. Dass sie ausstrahlt, dass sie uns lockt, bei der Hand nimmt, führt und hineinzieht in ein anderes Leben, ein Leben, das Gott entspricht!

Und dazu nimmt sie uns nun bei der Hand. Sie ergreift uns, sie zieht uns. Sie führt uns: ins Leben, in die Freude, in die Gottesnähe. Sie wandelt uns. Der gnädige Gott, das ist nicht der moderne liberale Vater, der seine Kinder machen lässt, wozu sie gerade Lust haben. Der sie sich selbst überlässt, bis sie nachhaltig Schaden genommen haben. Nein. Die Gnade verändert uns. Sie gestaltet uns. Sie zieht uns hinein in ein Leben, das ihr entspricht.

Sie nimmt uns an die Hand, damit sie uns herauslöst
aus der Gottesferne und dem oberflächlichen Streben,
und wir stattdessen im Hier und Heute leben:
besonnen, gerecht und voll Ehrfurcht.

Wer diese Gnade sich gefallen lässt, wer sich von ihr bei der Hand nehmen lässt, der gewinnt Besonnenheit, Gerechtigkeit und Ehrfurcht.

Wer das kleine gnädige Kind sieht, der muss sich nicht durchsetzen. Denn auch ein neugeborenes kleines Kind schwingt sich nicht sofort zum Herrscher über die Familie auf. Es ist angewiesen auf den Schutz und die Hilfe seiner Eltern. Nicht Durchsetzungsvermögen, sondern Geduld lernen wir, wenn wir dies Kind anschauen. Wer geduldig ist, kann Dinge geschehen lassen, ohne gleich Recht haben zu müssen. Der Geduldige lässt anderen Menschen ihren eigenen Raum und ihre Zeit.

Im Hier und Heute leben: besonnen, gerecht und voll Ehrfurcht.

Wer das kleine gnädige Kind ansieht, der muss nicht immer Recht haben. Denn Gottes Gerechtigkeit wird sich einmal durchsetzen. Ich muss nicht mehr immerzu für mich kämpfen, wenn Gott für mich einsteht.

Und wer schließlich über das kleine, gnädige Kind staunt, der kann Gott im Leben Raum geben. Der lernt die Ehrfurcht neu. Da gibt es etwas so kleines, dieses Kind in der Krippe, das ist doch so viel größer als ich. Da gibt es eine Hingabe, eine Liebe zum Leben, eine Liebe zur Welt, eine Liebe zu mir, die ist so viel größer als alles, was ich aus dem eigenen Herzen hervorbringen kann.
Wer auf die Gnade blickt, in der Gestalt dieses kleinen neugeborenen Kindes, der fürchtet sich nicht mehr so sehr vor allem Großen und scheinbar Übermächtigen. Die Verhältnisse ordnen sich neu. Was übermächtig erscheint, enthält vielleicht doch nur heiße Luft, und was klein und unscheinbar ist, kann uns tiefer in der Seele berühren als all das Grelle, Schrille, Laute und Lärmende. Was sich im Alltag so wichtigmacht, rückt nach hinten, weil plötzlich das Hohle und Oberflächliche daran ins Auge fällt.

Und schließlich: Wer das Kind der Gnade gesehen hat, kann warten. Wer das Kind in der Krippe gesehen hat, hat den Anfang göttlicher Gnade gesehen. Ihre Vollendung steht noch aus. Menschen müssen nicht selbst vollenden, was Gott angefangen hat.

Wir erwarten Erfüllung und Vollendung von Gott.
Wir erwarten, dass seine Herrlichkeit sich durchsetzt.
Wir erwarten unsern Befreier Jesus Christus.
Er hat sich für uns drangegeben ,damit er uns löste
aus aller Beliebigkeit und einen Kreis von Menschen
für sich gewinne, die entschieden sind, das Gute zu tun.

Liebe Schwestern und Brüder, wir haben das Geschenk der Nacht noch einmal angeschaut. Und wenn Sie am Morgen nach dieser Heiligen Nacht oder übermorgen noch einmal drauf schauen: Es ist alles noch da. Es bleibt. Es ist unser. Es ist unser, das Geschenk der Gnade. Welch ein Glück!
Amen










Alternativer Verlauf als Christvesper

Musikalisches Vorspiel
Eröffnung - Begrüßung
Lied „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11, 1+2)
Psalm: Magnificat Lk 1, 46 - 55
Tagesgebet
Lied „Macht hoch die Tür“ (EG 1,5)
Lesung Jer 23, 5 + 6
Lied „O komm, o komm, du Morgenstern“ (EG 19, 1+2)
Lesung Jes. 8, 23 - 9, 6 a
Lied „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“ (EG 42,1-3)
Lesung Micha 4, 1.3; 5, 1
Lied „O Bethlehem, du kleine Stadt“ (EG 55, 1-3)
Lesung Lk 2, 1 - 7
Lied „Gelobet seist du, Jesu Christ“ (EG 23, 1-3)
Lesung Lk 2, 8 - 12
Lied „Es ist ein Ros’ entsprungen“ (EG 30, 1-3)
Lesung Lk 2, 13 + 14
Lied „Hört der Engel helle Lieder“ (EG 54, 1+2)
Lesung Lk 2, 15
Lied „Kommt und lasst uns Christus ehren“ (EG 39, 1+3)
Lesung Lk 2, 16 - 20
Lied „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“ (EG 27,1+6)
Predigt
Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“ (EG 36, 1.2.5.6)
Gebet + Vaterunser + Segen
Lied "O du fröhliche" (EG 44, 1-3)
Musikalisches Nachspiel




Verfasser: Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3, 99192 Neudietendorf

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