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Das vornehmste Gebot

von Peter Keller (60433 Frankfurt)

Predigtdatum : 14.10.2001
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 16. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : 2. Mose 20,1-17
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Wochenspruch:

Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. (1. Johannes 4,21)

Psalm: 1 (EG 702)

Lesungen

Altes Testament:
2. Mose 20,1-17
Epistel:
Römer 14,17-19
Evangelium:
Markus 12,28-34

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 166
Tut mir auf die schöne Pforte
Wochenlied:
EG 397
oder EG 494
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
In Gottes Namen fang ich an
Predigtlied:
EG 610
Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer
Schlusslied:
EG 414, 1-3
Lass mich, o Herr, in allen Dingen

1 Gott redete alle diese Worte: 2 „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. 3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. 4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, 6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
7 Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. 9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. 11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
12 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.
13 Du sollst nicht töten.
14 Du sollst nicht ehebrechen.
15 Du sollst nicht stehlen.
16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
17 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.“

Liebe Gemeinde!
Im Johannesevangelium sagt unser Herr Jesus Christus: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“. Solch ein Wort lässt uns aufhorchen, denn das wollen wir doch alle: Wirklich leben, nicht irgendwie dahinvegetieren, nein: leben – in einem vollen, gefüllten und tiefen Sinn. Muss es da für uns nicht wie eine kalte Dusche wirken, wenn ich sage: Die uns bekannten Zehn Gebote, die wir eben in der ausführlichen Fassung des Bibeltextes gehört haben, sie sind die Konkretion, die Ausführungsbestimmung für diesen Satz unseres Christus: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“?
Was aber ist mit uns passiert? Heißt es demgegenüber bei uns doch oft genug: Christentum, christlicher Glaube bedeutet: Du darfst nicht! Du sollst nicht! Tu dies nicht! Lass jenes! Alles ist verboten, alles ist eingeengt, alles grau in grau, alles todernst und ohne Spaß. Immer ist da ein neues Verbot. Von der Fülle des Lebens ist nichts zu spüren.
Und selbst dieser Jesus, der so souverän mit diesem alten Gesetz umgeht und es ohne jede Frage zur Seite schiebt, wenn etwa menschliches Leben gefährdet ist, und z. B. das Sabbatgebot ein helfendes Eingreifen am Sabbat verhindern will, dieser Jesus stellt die Gültigkeit, ja die lebensschaffende Kraft des alten Gesetzes keineswegs in Frage – ganz im Gegenteil: er verschärft sogar noch das alte Gebot, so dass z. B. das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht erst übertreten wird, wenn ich zum Messer greife, sondern schon dann – so in der Bergpredigt -, wenn ich den anderen beschimpfe oder beleidige.
Bei Jesus gibt es keine Hintertürchen, durch die ich durch die alten Gebote hindurchschlüpfen kann, so dass wenigstens da noch ein freier Spielraum für mich bleibt. Wir haben es in der Evangelien-Lesung gehört: das Liebesgebot ist das höchste Gebot, in ihm sind alle Gebote zusammen gefasst, und diese Liebe kennt keine Grenzen, nichts ist da „exterritorial“, nichts ist da außerhalb dieses Gebotes, das Jesus bis zur Feindesliebe ausweitet.
Wie aber passt das alles zusammen? Wie kann man gar behaupten, dass diese alten Gebote die Bedingung für die Freiheit, für wirkliche menschliche Freiheit, sind, und damit die Rahmenbedingung für wirklich menschliches Leben liefern? – Die Bibel weiß etwas davon, dass allgemein anerkannte Grundwerte von gut und böse, dass eine für jeden verbindliche Ordnung, dass ein verlässliches Recht lebensnotwendig ist für uns Menschen, für jede menschliche Gemeinschaft. Denn, wo ein rechtloser Zustand herrscht, herrscht nicht etwa allgemeine Freiheit, sondern da herrscht ein anderes Gesetz: das Gesetz des Stärkeren, das Faustrecht, das wir alle, in welcher Form auch immer, bis heute bestens kennen und von dem wir zugleich auch wollen, dass es eingedämmt wird, dass dagegen Bollwerke errichtet werden müssen, wenn überhaupt noch etwas von einem menschenwürdigen Leben möglich sein soll.
Und genau dies tut der uralte Rechtssatz der Bibel, über den wir uns immer wieder hoch erhaben dünken, und mit dem wir dann allzu gern meinen, das ganze AT diffamieren zu können, dieser alte Rechtssatz lautet: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Er steht für die Eindämmung des Bösen in alter Zeit, aber eben nicht nur in alter Zeit. Er bedeutete sicher einen großen Fortschritt gegenüber dem Recht des Stärkeren, weil durch ihn eine Eingrenzung des Bösen geschieht, und so wenigstens ein Ausgleich ermöglicht wird: wie du mir so ich dir! Er bleibt beim 1:1 stehen. Eins hin, eins zurück.
D. h. immerhin: der Stärkere darf sich nicht ungestraft, ungezügelt und hemmungslos am Anderen vergreifen. Dieser Satz: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, legt eine Grenze fest, und das ist manchmal schon sehr viel – nicht nur in alter Zeit, sondern sehr wohl auch bis heute. Den anderen fertig zu machen bis zum Exzess, das ist hier verwehrt. Auge um Auge, Zahn um Zahn - das genügt. Nur, - ein wahres Miteinander-Leben, das tritt damit noch lange nicht in unseren Horizont. Solch ein Satz kann nur einen Waffenstillstand erreichen und sichern, und auch das kann ja zuweilen für den Betroffenen schon sehr, sehr viel sein.
Aber noch einmal: ein wirkliches Miteinander ist damit noch nicht gewonnen. Deshalb steht im Alten Testament der Dekalog, die Zehn Gebote, die wir ja meist nur in der Kurzform unseres Katechismus kennen, in unserem neuen Gesangbuch übrigens unter der Nummer 806 abgedruckt. Zwar gilt, mit: „du musst“ und „du darfst“ ist wahres Menschsein noch nicht gegeben, mit Strafandrohung gar und den Menschen mit entsprechenden Rechtssätzen Unter-der-Knute-Halten, wird wahres Menschentum nicht in Sicht kommen.
Wenn nur das Inhalt unseres Glaubens wäre, dann wäre er ein schlechter Dienst am Menschen. Nein, der Mensch ist keine Marionette, die nach irgendeiner Pfeife zu tanzen hätte, auch nicht nach Gottes Pfeife.-
Gott selbst hat diesen Menschen doch zu seinem Gegenüber, zu seinem Ebenbild bestimmt, wie es die Schöpfungsgeschichte sagt. Das ist unsere Würde, aber zugleich auch unsere Gefährdung, weil wir unsere Freiheit zum Guten wie zum Bösen im ewigen Kreisen um uns selbst und in unserem uns selbst doch zerstörendem Egoismus, immer wieder zum Bösen allein aufgeben, und so an unserer Lebensbestimmung, freies Gegenüber Gottes zu sein, immer wieder scheitern.
Aber - das ist der Inhalt der ganzen Bibel: Gott gibt uns Menschen, sein Geschöpf, nicht auf, er überlässt uns nicht uns selbst. Das zeigt schon der Weg Gottes mit seinem Volk. Gott führt es aus der selbstverschuldeten Knechtschaft in die Freiheit. Er befreit sein Volk aus Ägypten, aus der Sklaverei, aber er befreit es nicht, um es gleich wieder in eine neue Knechtschaft, etwa die Knechtschaft des Gesetzes hinein zu führen. Mit den Zehn Geboten will Gott dem befreiten Volk eine Rahmenordung geben, damit sie darin in Freiheit leben können.
Das ist doch der Sinn des Prologs, des Vorspruchs, zu den Zehn Geboten: „Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“: Gott hat Israel die Freiheit geschenkt, jetzt geht es darum, wie diese Freiheit bewahrt bzw. immer wieder neu errungen werden kann.
Eigentlich müssten wir nun die einzelnen Gebote miteinander durchgehen und darauf sehen, wie sie uns, jedes für sich, diese Freiheit garantieren. Ich will sie heute nur kurz zusammen fassen und tue das in der biblischen Zählung der Zehn Gebote, die bei Luther ja etwas verändert ist, anders als der reformierte Heidelberger Katechismus, der sich das zweite Gebot, das Bilderverbot, erhalten hat.
In den Geboten 1 - 3 geht es um die Sicherung der Beziehung zu diesem uns befreienden Gott, darum also dass wir keinen anderen Göttern oder Götzen hinterherlaufen, die doch nur neue Abhängigkeiten und Unfreiheiten für uns schaffen, darum, dass wir keine falschen Bilder und Festlegungen Gottes erstellen und so seine Lebendigkeit aus dem Blick verlieren und darin selbst eng und starr werden, auch darum, dass wir keinen Missbrauch des Gottesnamens zulassen, um etwa mit seinem Gebrauch zuletzt doch nur wieder - wenn auch nur vermeintlich - unser eigenes Schäfchen ins Trockene zu führen.
Das Sabbatgebot - 4., zeigt exemplarisch die Möglichkeit zur Praktizierung dieser Freiheit im alltäglichen Leben. Welch eine revolutionierende Idee, jeden 7.Tag die Arbeit ruhen zu lassen und wirklich nichts zu tun, wie Gott selbst nach seiner Schöpfung. Keine Arbeit! Und das für das ganze Haus - ob Kind, ob Knecht, ob Fremder oder Haustier - einmal muss Ruhe sein, um sich in Freiheit, ohne irgendwelche Zwänge seiner selbst bewusst werden zu können und so auszuruhen und auszuspannen, um Kraft zu gewinnen für eine neue Gestaltung des Lebens.
Dann das Elterngebot - hier 5., das auch denen eine Lebensmöglichkeit geben soll, die in ihrem Alter auf andere angewiesen sind.
Danach die letzten fünf Gebote, die uns und dem Nächsten ganz allgemein gelten: das uns selbst wie unserem Nächsten von Gott geschenkte Leben und seine Grundlage darf nicht angetastet werden. Das Leben in seiner physischen und psychischen Hinsicht ist zu sichern: Du sollst nicht töten.
Um elementare Lebenssicherung geht es auch im folgenden: Du sollst nicht ehebrechen. Jede Gesellschaft braucht lebensnotwendig verlässlich und auf Zukunft angelegt solche Grundzellen und Lebenseinheiten, wie auch immer ihre Gestalt sein mag, Grundzellen, die des besonderen Schutzes bedürfen. Verlässlichkeit und Treue ist auch hier Grundbedingung der Freiheit.
Diese Unabhängigkeit und Freiheit des Nächsten, die ihm in gewisser Weise sein Besitz garantiert, sie darf ebenso nicht angetastet werden: „Du sollst nicht stehlen“. Ja auch den Lügenzeugen vor Gericht muss ein Riegel vorgeschoben werden, weil nur eine funktionierende Rechtsordnung Garant für die Freiheit ist. Und als letztes muss schon dem Begehren nach des Nächsten Haus als dem Inbegriff seines gesamten Besitzes begegnet werden, dem Begehren, das alle Machenschaften einschließt, die dieses Begehren auch in die Tat umsetzen will.
Liebe Gemeinde! Es ist nicht leicht, diesen ganzen Zusammenhang der Gebote in solch einer Predigt in Kürze anzusprechen; es wird also alles darauf ankommen, dass wir diesen Gesichtspunkt der Gebote und Werte weiter miteinander durchdenken und konkretisieren. Nur im allgemeinen Gejammer über Orientierungslosigkeit und Werteverlust zu verharren hilft da sehr wenig, schadet eher dieser geschenkten Freiheit. Hier sind wir zusammen als Gemeinde gefordert, im Geist unseres Gottes die Ausformulierungen dieser Gebote heute voranzutreiben, damit wir als Menschen miteinander vor Gott leben können. Denn wenn wir das nicht tun, regiert wieder nur das Faustrecht und auch die Eindämmung des Bösen, „wie du mir, so ich dir“, „Auge um Auge“, „Zahn um Zahn“, der Waffenstillstand also, so segensvoll er im Streitfall auch sein mag, hilft uns zuletzt nicht wirklich weiter. Es ist also gut, und wir können das gar nicht oft genug tun, dass wir dranbleiben an diesen Geboten, sie uns als Spiegel unseres Verhaltens vorhalten, sie aber auch Leitbild sein lassen dafür, wie wir als Menschen unter Gott in Freiheit leben, denken und handeln können, nicht eingeengt sondern in einem weiten Rahmen, der in der Bindung an unseren Gott seinen Bestand hat.
Der Geist unseres Gottes erfülle uns alle mit seiner Kraft auf diesem Weg zu einem neuen und für uns verbindlichen Wertebewusstsein, damit das menschenwürdige Leben und Miteinander unter uns wieder ganz neu eine Chance hat! Amen.

Verfasser: Pfr. Peter Keller, Neumannstr. 18, 60433 Frankfurt

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