Menü

Das vornehmste Gebot

von Marilott Grosch (63329 Egelsbach)

Predigtdatum : 22.10.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 16. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Jakobus 2,1-13
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:

Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. (1. Johannes 4,21)

Psalm: 1 (EG 702)

Lesungen

Altes Testament:
2. Mose 20,1-17
Epistel:
Römer 14,17-19
Evangelium:
Markus 12,28-34

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 454
Auf und macht die Herzen weit
Wochenlied:
EG 397
oder EG 494
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
In Gottes Namen fang ich an
Predigtlied:
EG 221
oder EG 614
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen
Lass uns in deinem Namen, Herr
Schlusslied:
EG 251,6
Liebe, hast du es geboten

Hinführung zum Text, Leitgedanken:
Durch vorschnelles Urteilen neigen wir dazu, jemanden zu verurteilen. Wichtig ist die liebevolle Zuwendung zum Andern. Nicht was wir haben, sondern wie wir sind, macht uns zu Menschen. Gottes Barmherzigkeit befreit uns dazu, zum Nächsten barmherzig zu sein.

Liebe Gemeinde,
es ist gut, sich an alte Lebensweisheiten zu erinnern. Gerade in unserer Zeit, da so viele Stimmen laut werden und sich Werbesprüche und Slogans viel leichter einprägen als Worte des Lebens, als Worte, die uns helfen, unser Leben auf die Reihe zu bringen. Alte Weisheiten müssen nicht veraltet sein, sondern sind zuweilen aktuelle und hochmoderne Lebenshilfen. Sie regen uns zum Nachdenken an, manchmal ermahnen sie uns auch oder machen auf etwas aufmerksam, was wir in unserem Leben ändern sollten.
Werbespots dagegen bringen uns nicht viel, aber den Herstellern große Umsätze und viel aufs Konto. Werbeslogans sind deshalb so einprägsam und verführerisch, weil sie uns etwas versprechen, eine heile Welt vorgaukeln, und weil sie uns mit psychologischen Tricks Bedürfnisse suggerieren.
Vor Jahren schon wurde in der Werbebranche in Erwägung gezogen, in Spielfilmen immer wieder ganz kurz Werbebilder von Produkten einzublenden - und zwar nur so kurz, dass das Auge sie zwar wahrnimmt, aber bewusstseinsmäßig nicht verarbeiten kann. Im Unterbewussten sollten diese Bilder unverarbeitet hängen bleiben und der Kunde das Produkt im Supermarkt automatisch aus dem Regal greifen oder im Internet bestellen. Gegen den Kauf solcher Produkte kann man sich rational nicht wehren, keine Qualitäts- und Preisvergleiche anstellen. Mir ist nicht bekannt, ob wir heute auf solche Art und Weise manipuliert werden und ob das überhaupt kontrolliert wird.
Im Vergleich zu den Werbespots hat die Verbreitung von Lebensweisheiten also schlechte Karten. Doch wenn wir unser Leben eigenständig gestalten wollen, fragen wir nach Weisheiten, orientieren wir uns an dem, was dem Leben dient. Und die Bibel ist voll von Hinweisen, wie wir unserem Leben Sinn verleihen können. So auch im Jakobusbrief, im zweiten Kapitel:
1 Haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. 2 Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, 3 und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz! und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin! oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, 4 ist's recht, daß ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken?
5 Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? 6 Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? 7 Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist? 8 Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3. Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht; 9 wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter. 10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig. 11 Denn der gesagt hat (2. Mose 20,13-14): »Du sollst nicht ehebrechen«, der hat auch gesagt: »Du sollst nicht töten.« Wenn du nun nicht die Ehe brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes. 12 Redet so und handelt so wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. 13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.
Liebe Gemeinde, unser heutiger Predigttext klingt, als wäre er dem Weisheitsbuch entnommen. Von dem anschaulichen Beispiel des Reichen und des Armen, die beide in die Gemeindeversammlung kommen (das entspricht unserem heutigen Gottesdienst) und die unterschiedlich behandelt werden, da führt uns der Text in die Tiefen, ja an Abgründe der menschlichen Seele. Er berührt existentielle Fragen des Seins: Wenn der Andere mir nur deshalb etwas bedeutet, weil er reich ist, weil er etwas hat... – bedeute ich mir selbst vielleicht nur etwas, wenn ich etwas habe, wenn ich gute Kleidung oder Reichtümer besitze. Von meiner Betrachtungsweise über die anderen ausgehend kann ich etwas über mich selbst erfahren.
Wenn jetzt die Kirchentür aufginge und der Arme und der Reiche kämen herein, und der Arme mit der schmutzigen Kleidung wollte sich neben uns setzen, würden wir ein Stück zur Seite rücken, um Platz zu machen? Und ihr Konfirmanden und Konfirmandinnen, wenn jetzt junge Leute in euerm Alter reinkämen, hoch gestyled, in Markenklamotten, mit dem kleinsten Handy, das auf dem Markt ist, möchtet ihr mit denen befreundet sein, oder nach welchen Gesichtspunkten sucht ihr eure Freunde aus? Wie weit lassen wir uns alle von Äußerlichkeiten blenden?
Der Predigttext lädt uns ein, darüber zu reflektieren: Von wem erwarte ich etwas:
Vom Geld oder von Gott?
Vom materiellen Reichtum oder aus der Fülle göttlicher Gaben? Vom Vergänglichen oder Unvergänglichen?
Ich möchte Ihnen von folgender Begebenheit berichten: In einer ländlichen Gemeinde nahe meiner Heimatstadt lebte eine sozial schwache, eine arme Familie. Der Sohn dieser Familie wollte schnell an Geld kommen und nahm es manchmal mit dem Gesetz nicht so genau. Er knackte Automaten und machte noch ähnliche Dinge. Zu jung fürs Gefängnis kam er in ein Erziehungsheim. Von dort brach er mehrere Male aus.
Eines Tages - ganz unverhofft - kam er in die Kirche zum Gottesdienst. Doch niemand wollte neben ihm sitzen. Ganz allein saß er da auf einer Bank. Auch sprach ihn nach dem Gottesdienst niemand aus der Gemeinde an.. Er fühlte sich wie ein Ausgestoßener. Zum Gottesdienst kam er nicht mehr.
<ALTERNATIVBEISPIEL: Vor etwa 100 Jahren wurden “Die Weber” uraufgeführt, in denen der Schriftsteller Gerhart Hauptmann die sozialen Missstände seiner Zeit anprangerte. Arbeiter, ja ganze Familien versuchten mit Weben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wurden jedoch so schlecht dafür entlohnt, dass sie trotz harter Arbeit hungern mussten. In dieser Zeit durften nur gut Gekleidete in die Kirche gehen. Damit war den Armen der Zugang zum Gottesdienst verwehrt. Sie waren somit nicht nur von materiellen Werten abgeschnitten, sondern auch von geistlichen Werten, die ihnen Christen bewusst vorenthalten haben.>
Was verleitet uns dazu, andere Menschen zu beurteilen? Wenn wir lieblos urteilen, dann werten wir und unser nächster Schritt ist schon das Verurteilen. Ich kann ein und denselben Menschen. wie hier den Armen, auf unterschiedliche Weise betrachten: Ich kann seine zerrissenen und schmutzigen Kleider sehen und ihn als gesellschaftsunfähig abstempeln. Ich kann aber auch außer seinen Kleidern seine zerkratzte Haut, sein zerklüftetes Gesicht und seinen traurigen Gesichtsausdruck sehen, ich kann in seinen Augen lesen, was er durchgemacht haben mag, und ich kann - wenn ich bereit bin, ihm etwas zu geben - ihn fragen, was er braucht.
Die Liebe und die Freiheit so zu handeln gibt uns Gott.
Gott kehrt die Maßstäbe um. Denn er hat die Armen erwählt: Reich ist, wer im Glauben reich ist. Gott verheißt sein Reich denen, die ihn lieb haben. Sich an das königliche Gesetz zu halten “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst” schützt uns vor dem Personenkult der Reichen. Denn bei Gott ist kein Ansehen der Person, alle irdischen Unterschiede verschwinden in der Gegenwart Jesu Christi.
Unsere Verbindung zu Gott, zu Jesus Christus, befreit uns davon, irdische Maßstäbe anzusetzen und den andern nach dem zu beurteilen, was er hat. Wir brauchen die Reichen nicht vorrangig behandeln. Sondern unsere Verbindung zu Jesus Christus befreit uns dazu, uns dem andern zuzuwenden, weil er ist, weil er auch von Gott geliebt ist.
Nicht das Haben, sondern das Sein ist entscheidend. Nicht was wir haben, sondern wie wir sind, macht uns zu Menschen. Nicht der Besitz, sondern das Dasein für andere macht unser Leben menschlich.
Die Barmherzigkeit, die wir von Gott erfahren, dürfen und sollen wir an andere weitergeben. Die Diakonie wird hoffentlich immer ein Grundpfeiler der Kirche sein.
Unser Dank an Gott ist die Barmherzigkeit, die wir anderen erweisen. Sich den Schwächeren und Notleidenden zuwenden, das ist Dank an Gott. Und wir haben Grund genug zu danken: Gott erbarmt sich und nimmt uns so an, wie wir sind. Im Abendmahl bestätigt Gott uns diese Zuwendung. Amen.

Verfasserin: Prädikantin Dr. Marilott Grosch, Erich-Kästner-Str. 66. 63329 Egelsbach

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de